Gestaltende Politik statt Scheinlösungen

Die Bewältigung der Wirtschafts- und Finanzkrise war und ist immer noch eine große finanzielle Kraftanstrengung für die Haushalte des Bundes und der Länder. Der enorme Anstieg der öffentlichen Verschuldung in Deutschland ist der leider unvermeidbare Preis für die in den letzten Jahren notwendige staatliche Stabilisierungspolitik.
Aber die aktuelle Verschuldungspolitik darf nicht zum Dauerzustand werden. Ansonsten gerät die Handlungs- und Finanzierungsfähigkeit des Staates nachhaltig in Gefahr – und das auf allen Ebenen.

Die haushalts-, finanz- und kommunalpolitischen Sprecher der Bundes- und der Landtagsfraktionen halten den baldestmöglichen Abbau der öffentlichen Verschuldung für zwingend, weil nur dann die staatliche Aufgabenerfüllung gewährleistet werden kann. Schon heute zeigt sich insbesondere auf der kommunalen Ebene an vielen Orten, wozu strukturelle finanzielle Engpässe führen können. Die finanzielle Unterdeckung wichtiger öffentlicher Aufgaben ist aber genauso ein Problem der Länder- und der Bundesebene.
Trotzdem hat sich die neue Bundesregierung aus CDU, CSU und FDP bis zur Landtagswahl in NRW am 9. Mai dieses Jahr eine Politikauszeit genommen. Die inneren Konflikte in der Regierungskoalition sind noch größer, als von Anfang an anzunehmen war. Über Monate hinweg wurde seitens der Koalitionäre über weitreichende Einkommenssteuerentlastungen schwadroniert – ein Projekt, das mindestens in den nächsten Jahren die öffentlichen Haushalte vollends an die Wand fahren würde.

Erst nach der NRW-Wahl hat die Bundeskanzlerin sich getraut, von der im Bundestagswahlkampf angekündigten großen Steuerentlastungsreform Abstand zu nehmen.
Die aktuellen Entwicklungen in der Politik der Bundesregierung lassen nicht erwarten, dass die Problemlösungskompetenz der Regierung größer geworden ist:
Das Ergebnis der Regierungsklausur am 6./7. Juni ist sozial unausgewogen und insgesamt sehr dürftig. Mit der von Frau Merkel und Herrn Westerwelle am 7. Juni vorgelegten Streich- und Konsolidierungsliste werden weder die Probleme des Bundeshaushaltes noch alle anderen anstehenden Finanzfragen gelöst.

Der „Bildungsgipfel“ am 10. Juni ist vor allem gescheitert, weil der Bund den Ländern kein tragfähiges Angebot für die dauerhafte Finanzierung der notwendigen Bildungsinvestitionen machen wollte.

Die kommunalen Spitzenverbände befürchten das Schlimmste von der von der Bundesregierung einberufenen Gemeindefinanzkommission. In einer gemeinsamen Resolution appellierten die Präsidien des Deutschen Städtetages und des Deutschen Städte- und Gemeindebundes eindringlich an die Bundesregierung, an der Gewerbesteuer festzuhalten und sie durch geeignete Maßnahmen zu stabilisieren.

Vor diesem Hintergrund fordern wir die Bundesregierung auf, endlich zu beginnen, zielführende Beiträge zur Lösung der anstehenden Finanzfragen zu liefern:
– Die Konsolidierung des Bundeshaushaltes darf nicht mit Maßnahmen erfolgen, die zu Belastungen der anderen Staatsebenen führen. Die Konsolidierung des Bundeshaushaltes muss nicht nur sozial ausgewogen erfolgen, sie muss auch die Situation der Länder und Kommunen beachten.
– Der von Bund und Ländern vereinbarte Anstieg der Bildungsausgaben darf nicht durch die Bundesregierung blockiert werden. Die Bundesregierung muss den Ländern einen tragfähigen Finanzierungsbeitrag zur Erreichung des 10-Prozent-Zieles anbieten.
– Wie von der SPD bereits seit längerem gefordert muss den Kommunen mit einem finanziellen Sofortprogramm („Rettungsschirm für Kommunen“) geholfen werden. Im anstehenden Vermittlungsverfahren über die Beteiligung des Bundes an den Kosten der Unterkunft im Zusammenhang mit der Grundsicherung für Arbeitssuchende muss die Bundesregierung bereit sein, ihre Beteiligung befristet auf zwei Jahre um 3 Prozentpunkte anzuheben.
– Die Bundesregierung und die Regierungskoalition aus CDU, CSU und FDP müssen sich endgültig von ihrer Vorstellung verabschieden, die Gewerbesteuer als wichtigste Einnahmequelle der Kommunen abzuschaffen. Die Gewerbesteuer ist vielmehr weiter zu stabilisieren und die Bemessungsgrundlage zu verbreitern, u. a. durch Einbeziehung der freien Berufe.

Die Zeit der Scheinlösungen muss endlich vorbei sein. Wir brauchen dringend ein finanzpolitisches Gesamtkonzept der Bundesregierung, damit gestaltende Politik auf allen Staatsebenen möglich bleibt.

Schuldenabbau und Zukunftsinvestitionen müssen und können seriös finanziert werden. Erste Schritte dazu sind aus unserer Sicht:
– Klientelgeschenke ohne Wachstumswirkung zurücknehmen: Die von Schwarz-Gelb u. a. im so genannten „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“ an Hoteliers, Firmenerben und gewinnverlagernde Konzerne beschlossenen Steuerprivilegien sind zurückzunehmen. Dies ist die Gretchenfrage der haushaltspolitischen Glaubwürdigkeit der Bundesregierung. Einnahmeverbesserungen von 5,6 Milliarden Euro (für den Bund 1,8 Milliarden Euro).
– Abbau umweltschädlicher Subventionen und Privilegien der Atomwirtschaft: Besteuerung von Brennelementen mit Einnahmeverbesserungen von mindestens 2,5 Milliarden Euro jährlich. Übertragung der Kosten für die Sanierung der Atommülllager Asse und Morsleben auf die Urheber der eingelagerten Mengen mit Einsparungen von rund 4 Milliarden Euro.
– Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns: Die Einführung des Mindestlohns dämmt Lohndumping auf Kosten des Steuerzahlers ein. So kann man Subventionen abbauen, den Sozialstaat vor Missbrauch schützen und die Kaufkraft der Arbeitnehmer erhöhen.

Einsparungen von bis zu 1,5 Milliarden Euro bei den Leistungen für so genannte „Aufstocker“ , also Menschen, die trotz Arbeit staatliche Unterstützung beziehen müssen. (Auskunft BMAS vom Oktober 2008 bei einem Mindestlohn von 7,50 Euro).

Einnahmeverbesserungen von mindestens 4 Milliarden Euro bei den Sozialversicherungen und eine Steigerung der Arbeitnehmerentgelte (laut Studie des IAT von 2006 für einen Mindestlohn von 7,50 Euro).

– Zur Bewältigung der Krisenlasten in den öffentlichen Haushalten müssen die Verantwortlichen Akteure auf den Finanzmärkten ihren Beitrag leisten. Einführung einer Finanztransaktionssteuer zumindest auf europäischer Ebene. Einnahmeverbesserungen von rund 12 Milliarden Euro.
– Stärkere Beteiligung großer Einkommen und hoher Vermögen. Anhebung des Spitzensteuersatzes der Einkommenssteuer und stärkere steuerliche Beteiligung großer Vermögen. Einnahmeverbesserungen je nach Ausgestaltung von mindestens 5-10 Milliarden Euro jährlich, von denen der Anteil der Vermögensbesteuerung allein den Ländern zugutekäme.

Stuttgart, 22. Juni 2010
Dr. Roland Peter
Pressesprecher