Ich muss schon wieder mit Medienkritik anfangen: „L’amour toujours“ von Gigi D’Agostino ist nicht verboten, es wird nicht verboten, niemand sprach jemals darüber, es zu verbieten. Und daran ändert es nichts, wenn noch so viele (durchaus auch seriöse) Medien wieder und wieder von einem „Verbot“ des Liedes schreiben, weil es so schön in die Überschrift passt.

Wahr ist, dass bisher keine Regierung, keine Behörde, kein Amt dieses Lied verbietet. Wahr ist aber auch, dass es immer mehr Veranstalter, immer mehr DJs gibt, die dieses Lied bei bestimmten Anlässen jetzt nicht spielen wollen. Wegen des berüchtigten „Sylt-Videos“. Und das kann ich verstehen: Wer dieser Tage „L’amour toujours“ in einem Bierzelt voller junger Leute auflegt, wird riskieren, dass Leute rechte Parolen dazu singen – vielleicht nur, weil sie das cool oder witzig finden, erst Recht mit etwas zu viel Alkohol im Schädel. Dann aber hätten wir den nächsten Fall in den Medien, und dann hört der Spaß halt auf. Ich gebe zu, auf mich wirkte es klar ironisch, als die Galatasaray-Fans in Stuttgart „Ausländer raus“ zu Gigi D’Agostino riefen, als sie die türkische Meisterschaft feierten. Doch der Staatsschutz ermittelt jetzt trotzdem. Wenn sich ein Festzeltwirt oder ein DJ das nicht antun will, kann ich das verstehen. Aber noch einmal: Das ist kein Verbot, und ich höre, dass der Song zum Beispiel auch in Fitnessstudios läuft – wo eben niemand laut mitsingt und schon gar nicht mit ausländerfeindlichen Parolen.

Wir erleben also allenfalls ein Scheinverbot – leider aber auch eine Scheindebatte. Im Moment auf ein Lied zu verzichten mag nötig sein, aber damit wird nur an den Symptomen geflickt und nicht an den Ursachen. Der Pulk auf Sylt war offenbar sehr gutbürgerlich, aber ebenso offensichtlich sehr schlecht gebildet, wenn es um unsere Verfassung geht.

Wenige Tage, bevor das Sylt-Video viral ging, habe ich zum 75. Geburtstag des Grundgesetzes einen „Grundkurs Grundgesetz“ angeregt: Einen einheitlichen Themenblock zur Verfassung, für alle Schülerinnen und Schüler, an allen Schularten, immer spätestens bevor man 16 wird und erstmals wählen kann. Einen Block, der nicht nur aus Unterricht besteht, sondern auch Erlebnisse vermittelt. Wenn ein Zeitzeuge berichtet, wofür man in der DDR ins Gefängnis kommen konnte. Wenn ein Richter erzählt, warum bei uns auch Mörder Rechte haben. Wenn eine Journalistin erzählt, dass die Pressefreiheit in unserem Land wirklich gelebt wird, jeden Tag. So bekäme das Grundgesetz die Bühne, die es verdient hätte, so bleibt das GG präsent.

Ich glaube, auf das Sylt-Video und die Folgen wäre das eine bessere Antwort, eine Konsequenz, die mehr kann als der Verzicht auf ein Lied. Wer genug GG im Kopf hat, darf gerne Gigi im Ohr haben.