Im #stochblog schreibt unser Fraktionschef Andreas Stoch über Themen, die in derzeit umtreiben – heute geht´s um die Causa Strobl

Habe ich schon mal gesagt, dass ich von Haus aus Jurist bin, oder ist das bei einem Politiker sowieso selbstverständlich? Abseits aller Klischees bin ich jedenfalls Jurist, ich habe gerne als Rechtsanwalt gearbeitet und diese Arbeit hat mich genauso geprägt wie alle anderen Menschen, die von ihrer Arbeit geprägt werden.

Wenn ich also höre, ich würde aus Reflexen reagieren, dann mag das sogar sein. Ich habe bestimmte Reflexe. Aber wenn ich mich in diesen Tagen unsagbar über die Affäre um Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl aufrege, dann ist das kein „Oppositionsreflex“, wie man bei der CDU schwafelt. Es ist auch nicht nur ein politischer Reflex. Es ist insbesondere der Reflex eines Juristen. Ich sehe Unrecht und ich sehe Rechtsbrüche. Und dann kann ich nicht die Hände in den Schoß legen. Das ist tatsächlich ein Reflex von mir, und ich bin dankbar dafür.

Die Geschichte, um die es geht, muss man nicht lange nacherzählen, aber in aller Kürze sei sie nochmal skizziert: Im Innenministerium gibt es ein Disziplinarverfahren gegen den Inspekteur der Polizei, den ranghöchsten Polizisten des Landes. Es geht um sexuelle Belästigung, im Raum stehen aber auch dubiose Beförderungspraktiken. Der Anwalt des Beschuldigten schrieb an das Ministerium und regte ein Gespräch an. An sich gängige anwaltliche Praxis. Strobl hat das ganze offensichtlich aber anders gelesen: Einigt Euch mit uns, sonst legen wir unangenehme Dinge auf den Tisch.

Dieses Schreiben gelangte Ende vorigen Jahres an eine Zeitung, das war rechtswidrig und im Innenministerium zeigte man sich zerknirscht. Bis eben herauskam, dass das Schreiben bewusst aus dem Innenministerium an die Presse gegangen war. Und zwar mit Wissen und auf Anweisung des Innenministers. Das hat er zugegeben. Als Jurist würde ich sagen: Der Beschuldigte ist voll geständig.

Thomas Strobl hat also zugegeben, dass er in dem laufenden Disziplinarverfahren das Anwaltsschreiben an das Innenministerium an einen Journalisten weitergegeben hat oder diese Weitergabe veranlasst hat. Damit hat der Innenminister zugegeben, dass er Recht gebrochen hat.

Warum? Man muss nicht Jura studiert haben, um das zu erkennen: Ein solches Disziplinarverfahren ist ein beamtenrechtliches Verfahren, und dabei gelten im Hinblick auf die Wahrung der Persönlichkeitsrechte aller am Verfahren Beteiligter besondere Sorgfalts- und Verschwiegenheitspflichten. Das gilt sogar in der internen Kommunikation innerhalb der Behörde (wo man solche Unterlagen nicht einfach ans schwarze Brett heften dürfte) und natürlich schon zweimal für die Kommunikation nach außen.

Mit dem Durchstechen des Anwaltsbriefes hat Thomas Strobl diese Pflichten unstrittig verletzt. Er hat die Regeln zur Vertraulichkeit im Rahmen dieses Verfahrens verletzt, er hat die Regeln des Datenschutzes verletzt und er hat in krasser Weise seine Fürsorgepflichten gegenüber den Verfahrensbeteiligten verletzt.

Inzwischen ermittelt in der Sache bekanntlich sogar die Staatsanwaltschaft Stuttgart, das hat für Schlagzeilen gesorgt. Doch nicht allein, dass Thomas Strobl keinerlei Anstalten macht, irgendwelche Konsequenzen zu ziehen: Auch Ministerpräsident Kretschmann schaut der Sache einfach zu. Die Staatsanwaltschaft ermittle ja noch, sagt er, man müsse ja erst mal abwarten, was dabei herauskommt.

Schon allein das empört mich, denn dafür, dass Thomas Strobl eindeutig rechtswidrig gehandelt hat, ist es überhaupt nicht relevant, ob die Schwelle der Strafbarkeit überschritten wurde. Strafbarkeit ist (jetzt spricht der Jurist) ein besonderes Unwerturteil. Aber schon weit unter der Strafbarkeit kann eine Handlung einen klaren Rechtsbruch bedeuten. So wie in diesem Fall. Hier wurde Recht verletzt, das ist klar.

Und das rührt an Grundsätzliches: Wir leben in einem Rechtsstaat, in dem eine unabhängige Justiz dafür sorgt, dass Recht geachtet und Rechtsverstöße geahndet werden. Und unser Recht gilt für alle gleichermaßen, für Reich und Arm und für dumme wie für schlaue Menschen, auf dem Land wie in der Stadt. Und auch dann, wenn es sich um einen Minister handelt.

Deswegen ist es auch gut und richtig, dass die Staatsanwaltschaft Stuttgart gegen den Innenminister Thomas Strobl Ermittlungen eingeleitet hat. Ermittelt wird hier von Leuten, die aus Verantwortung für die Wahrung des Rechts handeln, aus Verantwortung für die Achtung dieses Rechtsstaats.

Und so muss ich die ganz grundsätzliche Frage stellen: Ist sich die amtierende Landesregierung dieser Verantwortung bewusst? Und damit meine ich nicht nur Thomas Strobl, sondern auch ganz besonders den Ministerpräsidenten.

Ich habe den Eindruck, das Winfried Kretschmann die Schwere der Rechtsverletzungen seines Innenministers und stellvertretenden Ministerpräsidenten einfach noch nicht verstanden hat. Denn er redet von „laufenden Verfahren“ und „Unschuldsvermutungen“ und wiederholt, er schätze Thomas Strobl und vertraue ihm, als sei das ein juristisch wertvolles Indiz.

Wann ist ein Rechtsbruch für diese Landesregierung ein Rechtsbruch? Es reicht offenbar nicht, wenn der Rechtsbruch offenkundig ist und zugegeben wird. Es reicht offenbar auch nicht, wenn die Staatsanwaltschaft ermitteln muss. Man kommt nicht einmal ins Grübeln, wenn es Hausdurchsuchungen im Ministerium gibt, wenn Beweismittel sichergestellt werden. Ab wann würde sich ein bisschen Schuldbewusstsein in diese Landesregierung einschleichen? Bei einer Anklage? Bei einer Verurteilung? Oder reicht das auch nicht?

Ich weiß nicht, was ich Thomas Strobl zutraue oder nicht zutraue. Winfried Kretschmann habe ich schon mehr zugetraut. Glaubt der Ministerpräsident denn wirklich, er könne wie ein Unbeteiligter zuschauen, während Wochen oder Monate gegen seinen Innenminister ermittelt wird? So, als ginge ihn das nichts an, als sei er als Ministerpräsident nicht der Chef dieser Regierung? Und wie steht es um sein Verständnis um die Pflicht eines Ministerpräsidenten, die Einhaltung des Rechts zu wahren? Sind ihm Rechtsverstöße eines Ministers tatsächlich egal, solange der Minister ohne Strafe davonkommt?

All das ist ungeheuerlich genug, es wird aber noch ungeheuerlicher: Denn der Innenminister hat, nachdem das Schreiben des Anwalts bei der Presse war, lange bewusst verschleiert, dass er selbst für die Weitergabe verantwortlich war. Und als es um Ermittlungen in dieser Sache ging, hat er diese Ermittlungen verhindert. Jawohl.

Denn für Ermittlungen in solchen Fällen braucht die Staatsanwaltschaft die Ermächtigung des Innenministeriums. Das hat in anderen Fällen gute Gründe, doch wenn es um Ermittlungen gegen den Innenminister selbst geht (was ja zum Glück eine einzigartige Ausnahme ist), dann hat der, gegen den ermittelt wird, es plötzlich selbst in der Hand, ob er diese Ermittlungen zulässt oder nicht. Kann man sich das vorstellen?

Das klingt absurd? Genauso stellt sich die Lage in diesem Fall aber dar. Die Staatsanwaltschaft will prüfen, ob der strafbare Verrat eines Dienstgeheimnisses vorliegt, aber der Minister kann das verhindern, indem er selbst bestimmt, dass keine strafbare Handlung vorliegt. Das, mit Verlaub, klingt nicht nur nach Willkür. Es ist ein illegitimes Manöver, mit dem man rechtswidriges Handeln an der Spitze des Innenministeriums einfach als straffrei erklären kann. Das ist Gutsherrenart, das ist Aushöhlung des Rechtsstaats, das ist ein Bruch der Gewaltenteilung. In jedem Gemeinderat im Land müssen befangene Mitglieder vor die Türe, dürfen nicht in eigener Sache abstimmen. Und was ist hier?

Und es muss sich ein Verdacht aufdrängen: Warum will der Innenminister diese Ermittlungen nicht? Wenn sein Gewissen auch nur halb so rein wäre, wie er es behauptet, könnte er die Ermittlungen doch einfach zulassen!

Die Konsequenz ist klar: Die Ermächtigung zu den nötigen Ermittlungen muss sofort erteilt werden. Und wenn es der Innenminister nicht selbst tut dann muss ihn der Ministerpräsident dazu anweisen. Das hat es in der Geschichte des Landes schon gegeben (Erwin Teufel hatte einmal seinen Finanzminister Mayer-Vorfelder angewiesen, eine Ermächtigung zu erteilen). Winfried Kretschmanns Behauptung, er habe gar keine Handhabe, ist also nicht wahr.

Noch einmal: Schon allein die Weitergabe des Anwaltsschreibens hätte bei jeder Polizistin und bei jedem Polizisten im Land zur sofortigen Suspendierung geführt. Sofort, und ohne strafrechtliche Konsequenzen abzuwarten. Der Chef der Polizeigewerkschaft hat das zurecht bemerkt, und die Kritik aus den Reihen der sonst so loyalen und schweigsamen Polizei zeigt, wie groß Zorn und Entsetzen in den Reihen der Polizei ist. Und wie gestört das uneingeschränkte Vertrauensverhältnis zum oberste Dienstherren ist. Dabei ist dieses Vertrauensverhältnis eminent wichtig für die Arbeit unserer Polizei.

Stattdessen haben wir einen Innenminister, der freimütig zugibt, dass ihm Rechtsvorschriften nicht so wichtig sind, dem es völlig egal zu sein scheint, dass er gegen geltendes Recht verstoßen hat. Ein Innenminister, der sich kaum verhohlen ins Fäustchen lacht darüber, dass er die Justiz in dieser Sache an die Leine legen kann. Ein Minister, der nichts lernt und womöglich bei der nächsten Gelegenheit gleich wieder Recht brechen würde. Ohne eine Spur von Schuldbewusstsein.

Und so ungeheuerlich dieser Vorgang ist, so entsetzlich ist das Bild, das die grün-schwarze Regierungskoalition abgibt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt, aber der Ministerpräsident will den Fall nicht einmal selbst prüfen lassen. Warum? Was Thomas Strobl ihm gesagt habe sei plausibel, sagt Winfried Kretschmann, das genüge ihm. Strobls Wort steht also über dem offenkundigen Bruch von Recht. Und wer soll da nicht befürchten, Strobls Karriere und seine Funktion als Haftcreme zwischen Grün und Schwarz stehe ebenfalls über dem Gesetz? Strobls Überleben und der Fortbestand der Koalition sei wichtiger als die Wahrung von Recht und Gesetz?

Ein letztes Mal: Das sind keine Oppositionsreflexe, sondern die Reflexe eines Juristen, eines überzeugten Anhängers unseres Rechtsstaats.

Was tun? Es wäre ganz einfach: Die Vorfälle müssen restlos aufgeklärt werden, von den Vorgeschichten bis hin zum möglichen Verrat von Dienstgeheimnissen und der Behinderung der Staatsanwaltschaft. Natürlich müssen alle Ermächtigungen für alle Ermittlungen erteilt werden, es müssen strafrechtliche, dienstrechtliche und datenschutzrechtliche Vergehen untersucht werden. Nur dann beweist diese Landesregierung, beweist auch der Ministerpräsident, dass in Baden-Württemberg niemand über Recht und Gesetz steht. Und nur dann wird unsere Polizei wieder Vertrauen zu ihrem obersten Dienstherrn fassen können.

Und dass der nicht mehr Thomas Strobl heißen kann, sollte jetzt klar sein.

Euer Andreas Stoch