Redemanuskript Dr. Stefan Fulst-Blei
zur Aktuellen Debatte der AfD: „Die verlorene Schülergeneration muss gerettet werden – sofortige Wiederaufnahme des Schulunterrichts“

am 24. Juni 2020

Frau Präsidentin,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

Wie wird es weitergehen? Kommt eine zweite Welle oder nicht? Kann die beschlossene Schulöffnung durchgehalten werden oder nicht?

Zwei Antworten muss die Landesregierung aktuell geben:

1. Wie wollen Sie im Falle von Präsenzunterricht die Gesundheit der Schulgemeinschaft sicherstellen sowie die aufgebauten Bildungsdefizite ausgleichen?

2. Wie wollen Sie sicherstellen, dass im Falle von weiterem Lernen auf Distanz, dieses besser läuft? Notwendig ist dies im Falle einer zweiten Welle oder aufgrund von Lehrkräften oder Schülerinnen und Schülern, für die das Risiko eines Schulbesuchs nicht vertretbar ist.

Die SPD-Landtagsfraktion hat hierzu konkrete Vorschläge formuliert, von welchen ich heute einige Punkte herausgreifen werde. Wir brauchen JETZT ein Konzept für das nächste Schuljahr! Bis September müssen wesentliche Schritte gegangen sein und rechtzeitig kommuniziert werden. Rechtzeitig kommuniziert (!) und zwar nicht nach „Definition Ministerin Eisenmann“, sondern so, dass Schulen sich gut vorbereiten können. Ihre bisherige Performance reicht nicht aus, Frau Ministerin.

Die gegenwärtige Krise wird zu gravierenden Folgen im Bildungsfortschritt und in der sozialen Entwicklung der Kinder und Jugendlichen führen. Wir müssen die Schülerinnen und Schüler wieder auf einen gemeinsamen Lernstand bringen und durch eine deutliche Ausweitung auch der Schulsozialarbeit flankieren.

Uns allen muss bewusst sein, dass die Lehrkräfte alleine dies nicht leisten können. Die SPD hat Ihnen bereits im April daher den Vorschlag gemacht, ein Landesnachhilfeprogramm über mindestens zehn Millionen Euro aufzulegen. Nach dem Vorbild des anerkannten Mannheimer Unterstützungssystems Schule (MAUS) sollen Schulen ein Budget erhalten, mit welchen sie flexibel zertifizierte Nachhilfeleistungen in ihren eigenen Räumlichkeiten einkaufen können. Zurückgegriffen werden kann hier auf Weiterbildungsträger wie die Volkshochschulen oder auch zertifizierte Nachhilfeinstitute. Nebenbei würde dies auch vielen Dozentinnen und Dozenten helfen, welchen auch Corona-bedingt Einnahmen verloren gegangen sind.

Es müssen Wege gefunden werden diese und weitere Kooperationspartner (inkl. Kulturschaffenden, Sportvereine oder auch die Berufs- und Studienorientierung) pandemiegerecht einen Zugang zu ermöglichen. Nicht nur zur Unterstützung der Ganztagsschulen.

Ein „krisenfestes Klassenzimmer“ braucht aber auch eine Offensive im Bereich der Digitalisierung. Dank der SPD-Initiative auf Bundesebene wurden bundesweit fünf Milliarden Euro bereitgestellt, um möglichst allen Schülerinnen und Schülern Zugang zu digitalen Endgeräten zu ermöglichen. Sie haben nach Druck auch der Opposition diese Mittel für Baden-Württemberg verdoppelt und das ist gut so. Wir müssen aber auch die Datenleitungen und Datenvolumina und WLAN-Verbindungen im Auge haben. Dies gilt sowohl für die Haushalte der Eltern als auch für die Schulen.

Bislang wurde in dieser Legislaturperiode vor allem wertvolle Zeit verloren. Alleine das Eisenmannsche Scheitern bei der Entwicklung der Lehrplattform ELLA hat uns vier Jahre zurückgeworfen. Wir müssen daher jetzt umso mehr in Baden-Württemberg Fahrt aufnehmen:

Wir fordern, jede Schule bis Ende 2022 mit einer 1-Giga-Bit-Leitung und ausreichender W-LAN-Ausleuchtung auszustatten. Dazu sollte bis Ende dieses Jahrs ein mit den Kommunen abgestimmter Ausbauplan vorliegen. Im Rahmen von Überlegungen von Konjunkturpaketen hat darüber hinaus die Sanierung von Schulen nach Abflauen der Pandemie für uns Priorität.

Es müssen weiter unverzüglich schulartspezifische Standards für eine digitale Grundausstattung der Schulen definiert werden. Die Realisierung dieser „Basics“ erfolgt unabhängig von der Erstellung von Medienentwicklungsplänen (MEP). Damit sollen die Mittel des Digitalpakts ohne Verzögerung zugänglich gemacht werden.

Die Mittel müssen allgemein schneller fließen. Wir sind auch hier zu langsam, Frau Ministerin. Zur Wahrheit gehört aber auch: Wir wären in ganz Deutschland schon viel weiter, hätte MP Kretschmann nicht mit einer unnötigen Grundsatzdebatte den Digitalpakt um viele Monate verzögert. Die grün-schwarze Digitalisierungspolitik in der Bildung erinnert eher an ISDN statt an Glasfaser. Nehmen Sie endlich Fahrt auf!

Wir brauchen weiter bis September:

  • eine weitere deutliche Kapazitätserhöhung z.B. für Moodle
  • Die datenschutzkonforme Nutzungsmöglichkeit von Microsoft Teams u.a. und Messenger-Diensten – auch für Eltern und Schülerinnen und Schüler
  • eine Fortbildungsoffensive bei Lehrkräften in Sachen Lernen auf Distanz mit digitalen Hilfsmitteln. Dies gerne mit bevorzugten Angeboten für Lehrkräfte der Risikogruppe.
  • Laptops und im erneuten Pandemie-Fall Diensthandys für alle Lehrkräfte.

Keiner von Ihnen hier arbeitet mit rein privaten Geräten oder Telefonnummern. Warum verlangen Sie dies von Lehrkräften? Verabschieden wir uns von der Alltagslüge, Lehrkräfte könnten ja mit PCs in der Schule ausreichend arbeiten. Statten Sie die Kollegien endlich anständig aus!

Zum Schluss dann doch noch zur AfD: Sie bleiben sich treu. Immerhin: Man kann nicht enttäuscht werden. Ich habe, ehrlich gesagt, gar nicht damit gerechnet heute von Ihnen konkrete Vorschläge zu hören, wie Sie das vorhandene Dilemma lösen wollen.

Die Antworten von Populisten wie Ihnen sehen wir in den USA, Brasilien und England. Ihr Politikansatz hat ganze Gesellschaften gesundheitlich an die Wand gefahren. Ich bin froh, dass dieses Land über viele verantwortungsvolle Menschen in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft verfügt, die einen richtig guten Job machen.

Ihr Politikmodell dagegen erlebt gerade global den Bankrott! Wir brauchen keinen Populismus. Wir brauchen verantwortungsvolle und kreative Ideen sowie eine Kommunikation die Menschen nicht spaltet, sondern verbindet und mitnimmt.

Ich danke Ihnen!

Es gilt das gesprochene Wort.

Ansprechpartner

markus
Markus Sommer
Berater für Wissenschaft, Forschung und Kunst