Ute Vogt: „Baden-Württemberg hat das Potenzial zum Innovationsland von internationalem Rang – aber Baden-Württemberg wird unter seinen Möglichkeiten regiert“

Wolfgang Drexler: „Statt aktiv zu steuern verhält sich die Landesregierung passiv und überlässt Innovationen dem Zufall“

Die SPD Baden-Württemberg hat auf ihrem Spitzentreffen am Sonntag im Ludwigsburger Schlosshotel Monrepos eine Erneuerung des Innovationslandes Baden-Württemberg gefordert. „Baden-Württemberg hat das Potenzial, der Innovationsmotor in einem Europa der Regionen und ein Innovationsland von internationalem Rang zu werden“, erklärte die SPD-Landesvorsitzende Ute Vogt am Montag in Stuttgart. „Dazu braucht es aber
eine wache und zeitgemäße politische Führung, die die tiefgreifenden Umbrüche in der industriell geprägten Wirtschaft unseres Landes vorantreibt. Wir müssen die brachliegenden Innovationen in Industrie und Wissenschaft aus ihrem Dornröschenschlaf holen, um Arbeitsplätze und damit Wohlstand zu schaffen.“

In der bei dem Spitzentreffen verabschiedeten „Ludwigsburger Erklärung“ der Landes-SPD treten der Landesvorstand, der Vorstand der Landtagsfraktion und die Spitze der Landesgruppe in der Bundestagsfraktion für eine neue Strategie zur Weiterentwicklung der wirtschaftlichen Basis und zur Förderung der Innovationskultur im Land ein. „Baden-Württemberg ist das Land der Tüftler und Denker. Das hat unser Land in die Spitzengruppe in Deutschland gebracht“, sagte SPD-Fraktionschef Wolfgang Drexler. „Statt jedoch Innovationen aktiv zu steuern verhält sich die Landesregierung passiv und überlässt diesen Prozess dem Zufall. Die Landesregierung beschränkt sich auf die Verwaltung und Verteilung des Erreichten.“

Für die SPD in Baden-Württemberg sind wirtschaftliche Innovationen untrennbar mit gesellschaftlichen Innovationen verbunden. „Wer wie die CDU im Land versucht, technische Innovation von gesellschaftlicher Innovation abzukoppeln, wird scheitern“, so Ute Vogt. „Ein modernes Familienbild, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Mitbestimmung und Teilhabe der Menschen in Politik, Wissenschaft und Wirtschaft und die Offenheit unseres Landes für Migration sind unerlässlich. Andernfalls wird die Innovationskraft des Landes im Muff der Landesregierung ersticken.“

SPD-Fraktionschef Drexler kritisierte scharf, dass die Landesregierung die Forschungsausgaben bei den Universitäten und bei den Fachhochschulen massiv kürzt und damit die Innovationskraft des Landes schwächt. Gerade bei den Fachhochschulen mit ihrer Nähe zum Mittelstand habe dies unabsehbare Folgen für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Die SPD dagegen will die Hochschulen von Gängelungen befreien und den Transfer von Forschungsergebnissen in die Wirtschaft verbessern.

Wissenschaftlich begleitet wurden die Beratungen der SPD in Ludwigsburg von Professor Michael von Hauff, der an der Universität Kaiserslautern Volkswirtschaft lehrt und der zahlreiche Studien über die Voraussetzungen und Bedingungen von Innovationen vorgelegt hat, sowie Georg Werckmeister vom Hauptvorstand der IG Metall, der sich seit vielen Jahren mit der Unterstützung und dem Aufbau von Innovationsnetzwerken beschäftigt.

Ausgehend von der industriellen Basis in Baden-Württemberg hat die SPD in ihrem Innovationskonzept konkrete Ansätze für die weitere wirtschaftliche Entwicklung des Landes vorgelegt.

Industrielle Stärke erneuern
Zur Erneuerung der industriellen Basis gehört nach Beurteilung der SPD eine Bündelung der Kräfte auf Landesebene und zugleich die Stärkung der Regionen in Baden-Württemberg. Die Stärkung dieser industriellen Basis bedeute zugleich auch eine Stärkung des Dienstleistungssektors, weil in Baden-Württemberg viele Dienstleistungen durch Industriebetriebe selbst und weniger durch eigene Dienstleistungsunternehmen erbracht würden. Wegen ungenügender strategischer Ausrichtung auf dem Gebiet der produktbegleitenden Dienstleistungen verliere die Industrie in Baden-Württemberg seit Jahren kontinuierlich an Anteilen. Alle Studien belegten, dass die höchsten Umsatzrenditen in den Produktionsunternehmen mit den stärksten Dienstleistungsanteilen erwirtschaftet würden.

Als ersten wichtigen Schritt schlägt die SPD die Gründung einer privatrechtlichen Wirtschaftsförderungsgesellschaft vor, mit der das Land gemeinsam mit seiner Förderbank (L-Bank), den Hochschulen sowie den Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften innovative Zukunftsprojekte anstößt und Zuständigkeitsgerangel beseitigt. Im Mittelpunkt stehen dabei die Verknüpfung von Grundlagen- und Anwendungsforschung, Mechanismen für Markterschließungen und vor allem die Bildung und Ausrichtung von branchenorientierten Clustern. Diese Cluster – oder „Netzwerke“ –, wie sie zum Beispiel in der Mobilitätsregion Stuttgart, der Wissenschaftsregion Ulm, der Technologieregion Karlsruhe und der Bioregion Rhein-Neckar bestehen, müssten gestärkt und vertieft werden. „Die Stärke Baden-Württembergs liegt in den Regionen“, so Ute Vogt.

Ein zentraler inhaltlicher Zukunftsbereich im Südwesten sei die Produktion und Markteinführung von Umwelttechnologien. Obwohl Baden-Württemberg hier in der Forschung führe, seien im Jahr 2000 lediglich 250 Millionen Euro investiert worden. Dies bedeute lediglich sechs Prozent der gesamten Ausgaben im Bund. „Bis heute gibt es keine Bestandsaufnahme der Strukturen, der Wachstums- und der Arbeitsmarktpotenziale bei den erneuerbaren Energien“, kritisierte Vogt. „Es gibt keine Förderstrategie, um unsere vorhandene Stärke auszuschöpfen. Stattdessen blockiert der Ministerpräsident höchstpersönlich den Einsatz dieser Zukunftstechnologien.“

Unabdingbar für mehr Innovation sei außerdem eine echte Autonomie für die Hochschulen zur Schaffung von mehr Wettbewerb um die beste Qualität in der Bildung. „Unsere Hochschulen müssen mit echter Eigenständigkeit, durch bessere Förderung in der Breite und durch Förderung von Spitzenleistungen den Rang bekommen, der ihnen gebührt: Motor für gesellschaftliche und technologische Innovationen zu sein“, so Wolfgang Drexler. Dazu müsse das Land die geplanten Kürzungen im Hochschulbereich in einem ersten Schritt zurücknehmen und – wie die Bundesregierung – das finanzielle Förderniveau von Forschung und Lehre deutlich anheben.

Darüber hinaus fordert die SPD die Unterstützung der Landesregierung für kleine und mittlere Unternehmen bei der Erschließung von neuen Märkten gerade im asiatischen Raum sowie den Abbau von bürokratischen Hemmnissen für diese Unternehmen, eine massive Bekämpfung des Fachkräftemangels und die Einrichtung eines von Politik, Verbänden und Kammern unabhängigen Qualitätsinstituts für Weiterbildung, das die Angebote der beruflichen Aus- und Weiterbildung zertifiziert.

Dabei sei klar, so Ute Vogt, dass es wirtschaftliche und technische Innovation niemals ohne gesellschaftliche Offenheit geben kann. „Innovationen entstehen nicht in einem altbackenen Gesellschaftsmodell à la Erwin Teufel“, erklärte die SPD-Chefin: „Satte Selbstzufriedenheit und geistige Enge sind ein Hemmschuh für ein produktives Innovationsklima.“ Die SPD setzt sich deshalb ein für die flächendeckende Einrichtung von ganztägigen Betreuungsangeboten zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf, eine bessere Unterstützung berufstätiger Frauen über den Ausbau der Kontaktstellen „Frau und Beruf“ sowie die Schaffung von optimalen Weiterbildungsbedingungen zur Förderung von lebensbegleitendem Lernen.

Auch die Neuregelung der Zuwanderung sei dringend notwendig, um auf die Herausforderungen des Wirtschaftsprozesses flexibel reagieren zu können, so Vogt: „Gerade für unser exportstarkes Bundesland Baden-Württemberg ist es unerlässlich, dass die Landesregierung das Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes nicht länger blockiert.“

Neues Unternehmertum und Existenzgründungen fördern
Die SPD will, dass die Rahmenbedingungen für Existenzgründungen in Baden-Württem-berg verbessert werden und eine neue Kultur der Selbständigkeit entsteht. Die Ansiedlung von Unternehmen, Innovationsförderung des Mittelstands und eine hohe Standortbindung sind Gemeinschaftsaufgabe für Politik und Wirtschaft, heißt es in der „Ludwigsburger Erklärung“ der SPD.

„Existenzgründungen müssen als zentrales Anliegen unserer Gesellschaft begriffen werden“, so die SPD-Vorsitzende Vogt. Dazu gehöre die gezielte Vermittlung von Risikokapital, eine transparente Beratung bei Unternehmensgründungen unter anderem über ein Internetportal, die durchgängige Begleitung von Existenzgründungen von der Produktidee bis zur Markteinführung sowie der systematische Einsatz und die Schulung von lokalen Wirtschaftsförderern.

„Baden-Württemberg kann mehr aus sich machen. Und Baden-Württemberg muss mehr aus sich machen, wenn die Erfolgsformel moderner Volkswirtschaften bei uns zum Tragen kommen soll: Gesellschaftliche Vielfalt, Offenheit und Experimentierfreude gepaart mit dem Wissensdurst der Menschen und wirtschaftlichem Tatendrang. Im Land muss eine neue Kultur der Innovation entstehen, die dieser Erfolgsformel den Weg ebnet“, so Ute Vogt. „Die Landesregierung hat demgegenüber einen Regierungsstil, der von Selbstgerechtigkeit, Ressentiments und Klientelwirtschaft geprägt ist. Dies ist die Hauptursache für Hemmung und Verklemmung. Baden-Württemberg wird unter seinen Möglichkeiten regiert.“

Helmut Zorell
Pressesprecher der SPD-Landtagsfraktion
Andreas Reißig
Pressesprecher des SPD-Landesverbands