Landeschef Nils Schmid: „Stuttgart 21 soll verwirklicht werden, aber nicht gegen die Menschen, sondern mit den Menschen“

Fraktionschef Claus Schmiedel: „Das Scheitern des Runden Tisches zeigt, dass nur eine Volksabstimmung die starren Fronten von Gegnern und Befürwortern aufbrechen kann“

Nach dem Scheitern des Runden Tisches zu Stuttgart 21 fordern SPD-Landeschef Nils Schmid und SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel die Landesregierung auf, den Weg für eine landesweite Volksabstimmung über Stuttgart 21 und das Neubauprojekt Wendlingen-Ulm mitzugehen. Die SPD-Landtagsfraktion hat dazu auf ihrer heutigen Fraktionssitzung einen Antrag beschlossen, mit dem die Landesregierung aufgefordert wird, den Weg für eine Volksabstimmung gemäß Artikel 60 Absatz 3 der Landesverfassung frei zu machen. Sie stützt sich dabei auf die rechtlichen Einschätzungen von Prof. Dr. Joachim Wieland, Professor für öffentliches Recht, Finanz- und Steuerrecht an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, sowie von Prof. Dr. Georg Hermes, Institut für öffentliches Recht, Fachbereich Rechtswissenschaft, Universität Frankfurt.

„Landtag und Landesregierung müssen gemeinsam versuchen, die Baden-Württemberger bei diesem Projekt mitzunehmen“, erklärt Schmid. Nur auf diesem Weg sei es möglich, die Akzeptanz der Bürger für Stuttgart 21 und das Neubauprojekt Wendlingen-Ulm zurückzugewinnen und dem Projekt damit eine Legitimationsgrundlage zu geben, die auch von den Gegnern des Projekts akzeptiert wird. „Stuttgart 21 soll verwirklicht werden, aber nicht gegen die Menschen, sondern mit den Menschen“, erklärt Schmid. Schmiedel verwies darauf, dass angesichts des gescheiterten Runden Tisches neue Wege gegangen werden müssen, auch um ein Ausufern der Proteste zu verhindern. Die Bürger
müssten merken, dass sie von der Politik ernst genommen werden. „Das Scheitern des Runden Tisches zeigt, dass nur eine Volksabstimmung die starren Fronten von Gegnern und Befürwortern aufbrechen kann.“

Die SPD unterstreicht aber, dass der Weg über eine Volksabstimmung nichts an der inhaltlichen Position zu Stuttgart 21 und der Neubaustrecke ändere, im Gegenteil: Die SPD stehe nach wie vor klar und deutlich hinter dem Projekt. Es sei weit fortgeschritten, die Beschlüsse, Verträge und die begonnenen Arbeiten seien nach bestem Wissen und Gewissen mit den notwendigen Mehrheiten gefasst worden und somit ausreichend demokratisch legitimiert. Gleichwohl müssten die SPD und die Landespolitik insgesamt feststellen, dass die bisherige Legitimationsgrundlage nicht ausreiche, um die zunehmende Zahl der Kritiker zu überzeugen. „Gerade weil wir Stuttgart 21 für richtig halten, setzen wir uns mit der sachlichen und emotionalen Kritik daran auseinander und nehmen sie ernst“, betont Schmid. Die SPD hält die verkehrstechnischen, städtebaulichen und ökologischen Argumente für Stuttgart 21 und das Neubauprojekt Wendlingen-Ulm für überzeugend.

Argumente pro Stuttgart 21 und Neubaustrecke vor Bürgern vertreten

„Wir trauen uns zu, diese Argumente im Dialog mit den Bürgern zu vertreten und im Land eine Mehrheit dafür zu gewinnen“, sagt Schmiedel. Aber die Kosten von derzeit geschätzten 1,4 Milliarden Euro und eine auf lange Zeit unzureichende Schieneninfrastruktur wären der für den Ausstieg zu zahlende Preis. Dieser Sachverhalt werde in der bisherigen Diskussion häufig unterschlagen. Die Bürger sollen deshalb vor einer Volksabstimmung darüber informiert werden. Damit will die SPD erreichen, dass die Diskussion über das Projekt wieder sachlich geführt werden kann, um so auch eine breite Legitimationsbasis für das Projekt zu schaffen. „Die SPD kann und will nicht über die Stimmung in der Bevölkerung hinwegsehen und Stuttgart 21 mit einer ,Augen-durch-Mentalität‘ durchpeitschen, komme was da wolle“, erklärt Schmid. Klar sei aber auch, dass bis zur Durchführung der Abstimmung die Bauarbeiten auf ein Minimalmaß beschränkt werden müssten. Die SPD fordert deshalb, das Verfahren zur Volksabstimmung sobald wie möglich einzuleiten.

Verfahren zur Einleitung einer Volksabstimmung

Da dieses Projekt weit über Stuttgart hinaus die Zukunft der Schieneninfrastruktur des Landes beeinflusst, will die SPD die Bevölkerung in ganz Baden-Württemberg aufrufen, sich zu äußern. Die Landesregierung soll nach dem SPD-Antrag den Weg für eine Volksabstimmung gemäß Artikel 60 der Landesverfassung über einen Gesetzentwurf freimachen. Damit würde sich das Land bei einer Zahlung von Schadenersatz einseitig von den vertraglichen Verpflichtungen lösen. Das soll sich auf sämtliche Verträge beziehen, die zur Umgestaltung des Bahnknotens Stuttgart mit Stuttgart 21 sowie zur Neubaustrecke Wendlingen-Ulm abgeschlossen wurden. Dieser Gesetzentwurf würde im Landtag keine Mehrheit erhalten. Das Verhalten der Abgeordneten würde dem Verfahren auf Bundesebene entsprechen, wie es zur Einleitung eines konstruktiven Misstrauensvotums gestaltet wurde, etwa bei dem von Gerhard Schröder initiierten Beschluss zu Neuwahlen. Nach der Ablehnung des Gesetzentwurfs im Landtag könnte dann gemäß Artikel 60 der Landesverfassung ein Drittel der Abgeordneten eine Volksabstimmung über dieses Gesetz beschließen. Sollte die jetzige Landesregierung allerdings diesen Weg verbauen, wolle die SPD nach der Landtagswahl mit einer rot-grünen Mehrheit eine Volksabstimmung ermöglichen, sagt Schmid. Und: „Wenn die Regierung wirklich einen denkbaren Ausweg blockieren wollte, wäre sie mitverantwortlich für die Zunahme weiterer Proteste.“

Mit diesem Verfahren hätten die Bürger Baden-Württembergs nicht nur das letzte Wort über Stuttgart 21 und das Neubauprojekt Wendlingen-Ulm. Ihnen wäre auch bewusst, dass sie mit einer solchen Abstimmung über die Zukunft des Landes entscheiden würden. „Der mündige Bürger soll selbst die Argumente abwägen und dann in vollem Bewusstsein der Folgen seiner Entscheidung das letzte Wort haben“, erklärt Schmiedel.

Der SPD sei aber bewusst, dass „Mehr Demokratie wagen!“ ein Werk sei, das nicht mit einer Volksabstimmung vollendet ist. Deshalb sollen die Möglichkeiten von Volksbegehren und Volksentscheiden auf kommunaler und auf Landesebene deutlich ausgeweitet werden. Ziel sei auch, das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik zurückzugewinnen. „Es darf nie mehr ein solches Großprojekt im Land ohne klare Beteiligung der Bürger eingeleitet werden“, fordert Schmiedel.

Weitere Informationen zur Rechtslage siehe: www.WarumSPD.de/S21

Stuttgart, 08. September 2010
Dr. Roland Peter
Pressesprecher

Andreas Reißig
Pressesprecher