Strafvollzugsexperte Nik Sakellariou: „Offenburg markiert den Wandel weg von der Resozialisierung hin zur schlichten Verwahrung in einer Gefängnisindustrie“

Die SPD-Landtagsfraktion zieht fast ein Jahr nach Inbetriebnahme der ersten teilprivatisierten Justizvollzugsanstalt (JVA) in Baden-Württemberg in Offenburg eine sehr negative Bilanz. Der Strafvollzugsbeauftragte der Fraktion, Nik Sakellariou, sieht nach Auswertung aller vorhandener Informationen nahezu alle Befürchtungen bestätigt, die er vor dem Start dieser teilprivatisierten Einrichtung geäußert hatte. Die Arbeitsmöglichkeiten für die Gefangenen seien in Offenburg geradezu „dürftig“, die Resozialisierung der Gefangenen werde massiv erschwert, Ausbildung und Bezahlung der Privatbeschäftigten im Offenburger Knast seien schlecht und die Sicherheitssituation für die staatlich Bediensteten sowie die Privatbeschäftigten in der JVA sei problematisch, bilanziert Sakellariou. „Die zentralen Ziele des Strafvollzugs werden in Offenburg nicht erreicht.“

Mit einem umfangreichen Parlamentsantrag will die SPD-Fraktion Justizminister Goll nun zwingen, alle Fakten auf den Tisch zu legen. Insbesondere soll dem Parlament auch der bisher geheim gehaltene Vertrag zwischen dem Justizministerium und dem privaten Dienstleister in Offenburg, der Firma Kötter Justizdienstleistungen GmbH & Co. KG, zur Einsicht vorgelegt werden.

Die SPD fordert von Goll in mehrfacher Hinsicht genaue Angaben: Welche Mängel hat der staatliche Streifendienst wegen nicht eingehaltener Rahmenbedingungen durch die privaten Dienstleister seit Inbetriebnahme der JVA beanstandet? In welchem Umfang wurden die privaten Mitarbeiter der Fa. Kötter in den verschiedenen Tätigkeitsbereichen in der JVA Offenburg von wem ausgebildet und wer trägt die Kosten? Wissen möchte Sakellariou zudem detailliert den Inhalt der Vereinbarungen zwischen dem Justizministerium und der Fa. Kötter über die Beschäftigung der Gefangenen sowie die Entwicklung der Beschäftigungsquote seit Inbetriebnahme der JVA.

Der Strafvollzugsexperte fordert auch Auskunft darüber, wie der Justizminister es rechtlich bewertet, dass laut Aussagen des Anstaltsleiters die privaten Mitarbeiter in der JVA „faktisch“ Gefangene in ihre Zellen einschließen würden. Die Übernahme solcher hoheitlichen Aufgaben durch Private habe Goll früher ausgeschlossen, sagt Sakellariou.

Laut Goll sollen während der fünfjährigen Laufzeit des Vertrages mit der Fa. Kötter rund eine Million Euro in Offenburg eingespart werden. Nach den bisher vorliegenden Erfahrungen vermutet Nik Sakellariou aber, dass diese Einsparungen durch schlechte Bezahlung und unzureichende Ausbildung der privaten Mitarbeiter sowie durch Einsparungen bei der Beschäftigung und Therapie der Gefangenen zustande kämen. „Offenburg markiert den Wandel von der Resozialisierung hin zur schlichten Verwahrung in einer Gefängnisindustrie“, unterstreicht Sakellariou.

Die für 74 Millionen Euro erbaute JVA in Offenburg hat rund 440 Plätze für Straf- und Untersuchungshaft und 60 Haftplätze in der Sozialtherapeutischen Abteilung. Die 125 staatlichen Bediensteten sollen durch 100 private Mitarbeiter der Fa. Kötter unterstützt werden, die rund vierzig Prozent aller Aufgaben im Offenburger Knast übernehmen: von der Verpflegung, über Wäscherei und Gebäudemanagement bis hin zur Beschäftigung und Ausbildung der Gefangenen und deren medizinischer Betreuung.

Stuttgart, 7. Mai 2010
Dr. Roland Peter
Pressesprecher