Nils Schmid: „Es ist unglaublich, dass die Landesregierung durch kurzsichtiges Spardenken auf viel Geld verzichtet, das für den Haushalt von Bund, Ländern und Kommunen dringend gebraucht werden würde“

Ingo Rust: „Die Landesregierung stellt eine gerechte Besteuerung im Land in Frage, nachdem sie seit 1997 etwa jede siebte Stelle der Einnahmeverwaltung gestrichen hat“

SPD will als Sofortmaßnahme 100 zusätzliche Stellen für Steuerfahnder bereitstellen. Für den Nachtragshaushalt wird die SPD als ersten Schritt 200 neue Stellen beantragen

Die SPD-Fraktion wirft der Landesregierung vor, durch Kürzungen in der Steuerverwaltung jedes Jahr auf dreistellige Millionenbeträge für die öffentliche Hand zu verzichten. Dies ergebe sich durch die neue Antwort der Landesregierung auf eine Anfrage der SPD-Fraktion. „Es ist unglaublich, dass die Landesregierung durch kurzsichtiges Spardenken auf viel Geld verzichtet, das für den Haushalt von Bund, Ländern und Kommunen dringend gebraucht werden würde“, erklärt Nils Schmid, finanzpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion und designierter SPD-Spitzenkandidat. Ingo Rust, Vorsitzender des Finanzausschusses des Landtags, fordert die Landesregierung deshalb auf, ihre Einstellungspolitik bei der Steuerverwaltung so schnell wie möglich zu ändern. „Angesichts der miserablen Haushaltslage kann man nur den Kopf darüber schütteln, dass die Landesregierung offensichtlich bewusst auf die dem Staat zustehenden Steuereinnahmen verzichtet“, sagt Rust.

Aus der Antwort der Landesregierung auf eine SPD-Anfrage (Drs.14/6095) geht hervor, dass das Land die Zahl der Betriebsprüfer von 2006 bis zum Jahr 2009 um über 200 Stellen und damit um über 10 Prozent des Bestandes auf nur noch 1.646 Stellen reduziert hat. Bei den Finanzämtern insgesamt wurden in diesem Zeitraum 400 Stellen abgebaut. Damit summiert sich das Minus in der Steuerverwaltung des Landes seit Beginn der Personaleinsparungen im Jahr 1997 bis heute auf genau 1.964,5 Stellen. Die Landesregierung ignoriere also bewusst die Kritik des Rechnungshofes, sagt Schmid. Die Prüfer stellten regelmäßig fest, dass dem Land aufgrund der unzureichenden Personalsituation in der Steuerverwaltung jedes Jahr hohe Millionenbeträge verloren gingen.

Dieser Verlust bei den Stellen wirke sich auch deshalb so stark aus, da die Personalausstattung in der Steuerverwaltung des Landes bereits vor dieser kurzsichtigen Sparpolitik im Vergleich der Bundesländer an vorletzter Stelle gestanden habe. „Es ist zutreffend, dass Baden-Württemberg nach einer vom Finanzministerium für das Haushaltsjahr 1998 durchgeführten Erhebung bei der Personalausstattung bezogen auf die Einwohnerzahl den zweitletzten Platz belegt“ (Stellungnahme der Landesregierung, Drs.12/5454, S. 3). „Da die Landesregierung seit 1997 etwa jede siebte Stelle der Einnahmeverwaltung gestrichen hat, stellt sie jetzt eine gerechte Steuererhebung im Land in Frage“, erklärt Rust.

Die SPD-Fraktion fordert angesichts dieser Daten sowie den Entwicklungen bei Selbstanzeigen und Steuerdateien eine Wende in der Einstellungspolitik. Bislang hätten Landesregierung sowie CDU und FDP alle entsprechenden Anträge der SPD abgelehnt. Die Landesregierung müsse aber beim anstehenden Nachtragshaushalt ein deutliches Zeichen für die Steuergerechtigkeit setzen und das Personal in der Finanzverwaltung aufstocken. Schmid erinnert an die markigen Sprüche des Ministerpräsidenten, als Mappus beim Thema Steuersünder-CD vor der Presse den Steuerhinterziehern eine „knallharte Vorgehensweise gegen Steuersünder“ durch den Fiskus ankündigte. „Die SPD ist gespannt, ob Mappus tatsächlich zu seinen Worten steht, oder ob er wie bei der Steuerpolitik erneut laviert“, sagt Schmid. Als Sofortmaßnahme verlangt die SPD, 100 zusätzliche Stellen für Steuerfahnder bereitzustellen. Für den Nachtragshaushalt wird die Fraktion als ersten Schritt 200 neue Stellen beantragen.

Sparpolitik in den Finanzbehörden
Die SPD kritisiert insbesondere Finanzminister Stächele. Er habe öffentlich mehrfach behauptet, der Personalabbau in der Steuerverwaltung beträfe lediglich Bereiche, die durch Rationalisierungen problemlos aufgefangen werden könnten. Offensichtlich kannte der Minister die mit diesem Abbau verbundenen Schwierigkeiten nicht. Die Antwort aus seinem eigenen Haus zeige jedenfalls, wie falsch Stächele lag. Die SPD verweist etwa auf die Betriebsprüfung. Durch den Stellenabbau falle Baden-Württemberg beim steuerlichen Prüfungsturnus der Betriebe im Ländervergleich weiter hinter dem Durchschnitt zurück. Jetzt werden die Mittelbetriebe im Land noch alle 15 Jahre, die Kleinbetriebe sogar nur noch alle 28 Jahre geprüft.

Damit verfehlt die Landesregierung den vom Landtag angestrebten Prüfturnus für Mittel- und Kleinbetriebe immer weiter. Der Rechnungshof schrieb in seiner Denkschrift 2008 zur Amtsbetriebsprüfung: „Der Prüfungsturnus entspricht nicht annähernd dem Anliegen des Landtags in seinem Beschluss aus dem Jahr 1993, einen Prüfungsturnus von 10 Jahren für Klein- und Kleinstbetriebe anzustreben. Daran gemessen ist die Gleichmäßigkeit der Besteuerung nicht gewährleistet.“ (S. 110) Der Hinweis der Landesregierung, dass Baden-Württemberg wenigstens beim Prüfungsturnus von Großbetrieben leicht über dem Bundesschnitt liege, könne den weiteren Rückgang bei Mittel- und Kleinbetrieben nicht entschuldigen. Schließlich würden Großbetriebe durch die vorgeschriebene sogenannte Anschlussprüfung ohnehin lückenlos geprüft.

Die Landesregierung rechtfertigt ihre Streichaktionen damit, sie habe sich bei dem notwendigen Personalabbau im Außendienst auf die Betriebsprüfung konzentriert, um die Steuerfahndung und die Lohnsteuer-Außenprüfung zu schonen. Diese Argumentation wird von der SPD zurückgewiesen. „Die Landesregierung versucht, ein angebliches kleineres Übel aufzubauen, um den selbst verursachten Missstand zu verschleiern“, erklärt Rust. Zudem sei dieses Argument falsch, denn der Finanzminister habe in den vergangenen Jahren auch bei der Steuerfahndung Stellen gestrichen. 2002 gab es im Land noch 321,75 Stellen für Steuerfahnder, 2009 noch 310,95.

Auch bei der Lohnsteuer-Außenprüfung hat der Rechnungshof schon vor einiger Zeit einen akuten Mangel festgestellt: Diese Prüfung „bringt den öffentlichen Haushalten ein Mehrfaches dessen ein, was sie an Kosten verursacht. Allerdings liegen die in Baden-Württemberg erzielten Mehrsteuern erheblich unter dem Bundesdurchschnitt.“ (RH-Denkschrift 2004, S. 173). Die Prüfer des Rechnungshofes betonten dabei, dass bei verbesserter Personalausstattung und Organisation zusätzliche Steuereinnahmen von 40 Millionen Euro jährlich erzielt werden könnten. Dennoch hat die Landesregierung sich nicht einmal an die damalige Zusage des Finanzministeriums gehalten, einen Stellenabbau bei der Außenprüfung „so weit wie möglich“ zu vermeiden (ebenda). So ging der Personalabbau bis heute weiter.

Im Bereich der Steuerfahndung steht die Personalausstattung in Baden-Württemberg im Ländervergleich ebenfalls nicht gut da. Zwar konnte die Zahl der offenen Fahndungsfälle bis Ende 2009 reduziert werden, dennoch bleiben immer noch 2.445 offene Fälle bestehen. Fast die Arbeit eines Jahres liegt somit auf Halde, nachdem die Steuerfahnder im Jahr 2009 rund 3.000 Prüfungen absolvierten, sagt Schmid. Dabei seien die aktuellen Steuerfälle mit bislang rund 4.500 Selbstanzeigen und neuen Steuerdateien über Geldanlagen im Ausland überhaupt noch nicht berücksichtigt. „Ohne eine deutliche Personalaufstockung kann die Landesregierung keine zeitnahe Bearbeitung dieser Steuerfälle in Baden-Württemberg gewährleisten“, erklärt Schmid.

Regierung verzichtet auf hohe Einnahmen und Qualitätsverbesserung
Die SPD-Fraktion hält es für höchst problematisch, dass die Landesregierung mit diesen kurzsichtigen und kontraproduktiven Einsparungen auf hohe staatliche Einnahmen verzichtet. Dies belege der Rechnungshof eindeutig (siehe Anhang mit Auszügen aus entsprechenden Untersuchungen). Ein Beispiel ist der Veranlagungsbereich der Steuerverwaltung. Der Rechnungshof stellte bereits 2002 fest, dass dem Land durch unrichtige Steuerbescheide jährlich rund 360 Millionen Euro verloren gingen. Eine wesentliche Ursache sei die angespannte Personalsituation in den Finanzämtern. Dennoch bestätigten nahezu jährliche Anschlussberichte und neue Untersuchungen die weiter bestehenden Defizite auch in diesem wichtigen Bereich der Steuerverwaltung.

Die Folge dieser überzogenen Sparpolitik sei nicht nur der Verzicht auf viel Geld, die Landesregierung akzeptiere auch einen Qualitätsverlust in der Steuerverwaltung, erklärt Rust. Sie verweise selbst in zahlreichen Stellungnahmen darauf, dass wegen fehlender Mitarbeiter keine Verbesserungen möglich seien. Rust erklärt etwa, dass bei den Veranlagungsstellen flächendeckend Teams von Finanzbeamten eingerichtet werden sollten, um die Qualität der Steuererhebung zu erhöhen. Da solche Teams bereits in zwei Pilotämtern für hohe Mehreinnahmen gesorgt hätten, empfehlen sowohl der Rechnungshof als auch der Finanzausschuss des Landtags, sie in großem Umfang einzusetzen. Aber auch dies scheiterte bisher am Personalmangel.

Die SPD fordert angesichts dieser klaren Fakten und der Situation der öffentlichen Haushalte die Landesregierung zu einem Politikwechsel auf. „Es ist für das Land nicht mehr tragbar, dass die Landesregierung sich bei der Steuerverwaltung allen begründeten Empfehlungen gegenüber taub stellt“, unterstreicht Schmid. Das gelte selbst für die eigenen Reihen der Landesregierung. So habe das Finanzministerium im September 2008 öffentlich gefordert, einen Stellenkorridor für die Finanzverwaltung einzurichten. Dies sei bislang nicht umgesetzt worden und auch im Doppelhaushalt bis Ende 2011 nicht enthalten.

Rust wirft der Landesregierung vor, nicht sachbezogen vorzugehen, sondern rein organisations- und machtpolitisch: „Es ist überhaupt nicht einzusehen, weshalb gerade die Finanzverwaltung, die für die Einnahmen des Staates sorgen soll, bei Einsparungen eine Vorreiterrolle einnehmen soll.“ Er sieht eine gut ausgestattete Einnahmeverwaltung als unverzichtbare Grundlage für jeden gut funktionierenden Staat. „Wie sollen etwa die steigenden Bildungsausgaben bezahlt werden, wenn die öffentliche Hand bewusst auf hohe Einnahmen verzichtet?“, fragt der Ausschussvorsitzende. Rust hält es von zentraler Bedeutung für eine Demokratie, dass der Staat eine ordnungsgemäße Besteuerung gewährleiste und für Steuergerechtigkeit sorge. „Die Bürger akzeptieren die steuerlichen Lasten auf Dauer nur dann, wenn der Staat eine gleichmäßige Belastung je nach persönlichen Leistungsfähigkeit gewährleistet“, sagt Rust. Auch deshalb müsse die Sonderrolle der Steuerverwaltung in der Landesverwaltung gegenüber der anderen Zweigen der Bürokratie akzeptiert werden.

Stuttgart, 26. April 2010
Dr. Roland Peter
Pressesprecher