Bildungsexperte Gunter Kaufmann: „Realschüler sind die Opfer, wenn die Landesregierung das Problem weiterhin aussitzen will“

Die SPD-Landtagsfraktion will künftig jedem zugangsberechtigten Schüler mit mittlerem Bildungsabschluss gesetzlich einen Rechtsanspruch auf einen Platz an einem beruflichen Gymnasium garantieren. Sie reagiert damit auf die Auskunft von Kultusministerin Marion Schick nach einer SPD-Anfrage. Danach erhalten auch im kommenden Schuljahr viele Bewerber für Plätze an den beruflichen Gymnasien in Baden-Württemberg vor allem von Realschulen eine Absage. „Die Chancengleichheit bleibt auf der Strecke, wenn rund ein Drittel der Bewerber mit Realschulabschluss der Weg zur allgemeinen Hochschulreife versperrt wird“, erklärt Gunter Kaufmann, Sprecher für berufliche Bildung.

Laut Auskunft des Kultusministeriums haben sich für das kommende Schuljahr fast 27.000 zugangsberechtigte Schüler um einen Platz an einem der beruflichen Gymnasien im Land beworben. Dazu zählen neben annähernd 2.600 Schülern aus den jetzigen Klassen 9 und 10 der Gymnasien auch nahezu 24.400 Schüler mit mittlerem Bildungsabschluss, also nach Realschule, Werkrealschule oder zweijähriger Berufsfachschule. Dieser Nachfrage stehen jedoch nicht einmal 20.000 Plätze gegenüber. Das bedeute, dass die beruflichen Gymnasien allein aus Kapazitätsgründen nicht in der Lage seien, alle Interessierten aufzunehmen. Daran änderten weder die von der Landesregierung neu eingerichteten sozialwissenschaftlichen Gymnasien noch die Senkung des Klassenteilers im kommenden Schuljahr etwas.

Zu den jetzigen 17.600 Plätzen in den Eingangsklassen an den beruflichen Gymnasien sollen bei Berücksichtigung der von Wiederholern benötigten Kapazität voraussichtlich nur rund 1.500 neue Plätze hinzu kommen. „Das ist angesichts der Nachfrage lediglich ein Tropfen auf den heißen Stein“, kommentiert Kaufmann. Er forderte deshalb einen grundlegenden Richtungswechsel bei der Landesregierung: „Die Landesregierung verfolgt hier das Prinzip des Aussitzens, ohne die Probleme zu lösen“, sagt Kaufmann. Und: „Die Realschüler sind die Opfer dieser Politik, die von der Landesregierung sehenden Auges in Kauf genommen werden.“

Kaufmann kritisiert vor allem, dass das Land einerseits für seine Realschulen mit dem Hinweis auf gute schulische Anschlussmöglichkeiten werbe, andererseits aber viel zu wenige Plätze an beruflichen Gymnasien zur Verfügung stelle. „Die Landesregierung hält ihre Zusage nicht ein und benachteiligt die Realschüler“, kritisiert der Sprecher. Das sei umso bedauerlicher, da gerade viele engagierte Schüler sich nach einer Absage demotiviert auf die Suche nach Alternativen machen müssten. Viele wechselten an Berufskollegs und verzichteten damit auf die allgemeine Hochschulreife.

Die SPD will die Landesregierung deshalb mit ihrer Gesetzesinitiative dazu zwingen, die Zahl der Klassen an den beruflichen Gymnasien deutlich zu erhöhen und ausreichende personelle und finanzielle Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Gerade in der jetzigen unsicheren Situation im Arbeits- und Ausbildungsmarkt sei es für viele betroffene Schüler und deren Eltern wichtig zu wissen, dass sie nach der mittleren Reife auch das Abitur und damit die Hochschulzugangsberechtigung erlangen könnten, erklärt der Parlamentarier. Umso unverständlicher sei die bisherige Laissez-faire-Haltung der Landesregierung bei diesem Thema. „Wir wollen nicht nur von der Durchlässigkeit im Bildungssystem sprechen, wir wollen sie endlich auch in die Praxis umsetzen“, schloss Kaufmann.

Voraussetzung für die Aufnahme in die Eingangsklasse der beruflichen Gymnasien ist die mittlere Reife. Für Realschüler, Werkrealschüler und Berufsfachschüler ist dabei ein Notendurchschnitt von mindestens 3,0 in den Fächern Deutsch, Mathematik sowie der ersten Pflichtfremdsprache notwendig.

Stuttgart, 21. April 2010
Dr. Roland Peter
Pressesprecher