SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel: „Die Landesregierung hat es wissentlich einem Lobbyisten ermöglicht, das Regierungshandeln zu beeinflussen“

Grünen-Fraktionschef Winfried Kretschmann: „Erschreckende Einsichten in die Katakomben des schwarzen Filzes“

Fleischer bezeichnet sich 2003 selbst als offizieller Lobbyist der Kies-Unternehmen

Die Fraktionen von SPD und Grünen können anhand der nachträglich vorgelegten Dokumente nachweisen, dass die Landesregierung in der CDU-Kies-Affäre private Interessen mit ihrem Regierungshandeln bewusst vermischt hat. Danach war der Landesregierung durch zwei Schreiben von 2003 bekannt, dass der frühere Staatssekretär Gundolf Fleischer die offizielle Funktion eines Lobbyisten für die Kies-Industrie eingenommen hat. Dass Fleischer überhaupt zum Staatssekretär ernannt wurde, sei deshalb bereits unakzeptabel. Dass die Landesregierung den Lobbyisten Fleischer in diesem Amt damit beauftragte, das Hochwasserschutz- und Kies-Projekt bei Weil/Breisach abzuwickeln, sei erst recht höchst problematisch. Dass der Staatssekretär bei diesem Milliardenprojekt aber schalten und walten konnte, ohne von Finanzminister Stächele (und zuvor Stratthaus) sowie Umweltministerin Gönner gebremst zu werden, sei absolut skandalös.

„Die Landesregierung hat es wissentlich einem Lobbyisten von Privatunternehmen ermöglicht, das Regierungshandeln mit den Interessen der von Fleischer vertretenen Firmen zu vermischen“, erklärt SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel. „Wir möchten jetzt konkret erfahren, wie Fleischer sein Amt als stellvertretender Fraktionschef nutzte und wie die jeweiligen Minister ihn in seiner Lobbyistenarbeit unterstützten“, sagte Schmiedel. Der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Winfried Kretschmann, sprach von „politischem Lobbyismus in Reinkultur“. Nach der bisherigen Faktenlage habe der ehemalige Staatssekretär ganz offiziell die Interessen der örtlichen Kiesindustrie vertreten. Er hätte deshalb niemals mit der Angelegenheit Kiesabbau/Geschiebezugabe betraut werden dürfen. „Stächele und sein Vorgänger haben den Bock zum Gärtner gemacht“, sagte Kretschmann. Die Landesregierung sei dadurch ins Zwielicht geraten, erklärte der Grünen-Fraktionschef. „Der Vorgang ist ein Lehrstück über die Interna der CDU und gewährt der staunenden Öffentlichkeit erschreckende Einsichten in die Katakomben des schwarzen Filzes.“

SPD und Grüne wollen deshalb in einem Antrag an den Landtag von der Landesregierung wichtige Punkte geklärt haben: Wer hat auf Ministerebene und in den Ministerien von der Rolle Fleischers als offizieller Vertreter der Kies-Firmen gewusst? War nach den beiden Schreiben ans Umweltministerium insbesondere Stefan Mappus als Staatssekretär und Umweltminister sowie Umweltministerin Gönner die Rolle Fleischers als offizieller Vertreter der Kiesindustrie bekannt und falls nicht, warum nicht? Warum wurde die Funktion Fleischers nicht im Finanzministerium berücksichtigt, als Fleischer die Zuständigkeit für den Hochwasserschutz an sich zog? Warum haben Minister Stächele und Umweltministerin Gönner die Blockade-Haltung Fleischers toleriert? Hat die Landesregierung die Beiratstätigkeit von Fleischer genehmigt? Um den Einfluss Fleischers als Lobbyist endgültig zu klären, wird eine Liste angefordert, an welchen innerbehördlichen Gesprächen und mit welcher Begründung der Abgeordnete Fleischer beteiligt war.

Folgende Fakten sind jetzt bekannt: Bislang war nur klar, dass Gundolf Fleischer bereits während seiner Tätigkeit als Staatssekretär zugleich als Berater von Kies-Firmen agierte. Bei der Durchsicht der nachgelieferten Briefe Fleischers an den damaligen Umweltminister Müller haben SPD und Grüne jetzt entdeckt, dass der CDU-Politiker bereits 2003 offiziell als Lobbyist der Kies-Firmen seines Wahlkreises fungierte. Der damalige stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende beschwerte sich am 10. Februar 2003 in einem Brief an Müller, nicht zu der Besprechung beim Regierungspräsidium Freiburg über den Hochwasserschutz bei Weil/ Breisach am 18. Februar 2003 eingeladen worden zu sein, obwohl er „doch im Auftrag der ISTE einzuschalten“ sei, also des Industrieverbandes Steine und Erden Baden-Württemberg e.V., und obwohl er „federführend als Abgeordneter tätig (ist) … und keine Gespräche an mir vorbei“ stattfinden dürfen. In einem zweiten Brief am 28. Februar 2003 erklärte Fleischer, dass dies doch allen „Mitarbeitern und Dienststellen (bekannt sei), dass ich in den letzten Jahren zugleich im Auftrag der ISTE bei Gesprächen auf Fachebene dabei bin.“ Der CDU-Politiker war damit gleichzeitig nicht nur örtlich betroffener Wahlkreisabgeordneter, sondern auch offizieller Vertreter der ISTE, also der Kiesindustrie.

Auch das Selbstverständnis des CDU-Politikers wurde in diesen Schreiben deutlich, da Fleischer betonte, Gespräche dürften an ihm nicht vorbei laufen. Der damalige Fraktionsvize sah es demnach als selbstverständlich an, als Lobbyist bei innerbehördlichen offiziellen Gesprächen der Regierung bereits auf Arbeitsebene eingeschaltet zu werden und diese Verhandlungen beeinflussen zu können. Fleischer war mit dieser Ansicht nicht allein: Tatsächlich beschwichtigte Minister Müller und versprach, Fleischer künftig zu allen diesbezüglichen Besprechungen hinzuzuziehen.

Für SPD und Grüne sind bereits diese Fakten alarmierend. Das Verhalten Fleischers und auch Müllers mache deutlich, wie gang und gäbe es offensichtlich sei, dass Verbandsvertreter im Vorfeld vom Regierungshandeln in Sachentscheidungen eingreifen könnten. „Ein Verbandsvertreter saß mit am Tisch, als Beamte der Landesregierung ihr weiteres Vorgehen beschlossen haben“, sagt Schmiedel.

Doch der Höhepunkt des Falles Fleischer kommt noch. Denn der CDU-Politiker habe danach nicht nur die Entscheidungen als Abgeordneter und Lobbyist beeinflusst. Die Landesregierung unter Ministerpräsident Oettinger sowie den Finanzministern Stratthaus und Stächele sowie Umweltministerin Gönner habe es dem Vertreter der Kies-Firmen sogar ermöglicht, Entscheidungen als Staatssekretär selbst zu treffen, unterstreichen Schmiedel und Kretschmann. Dabei könne die Regierung nicht behaupten, von Fleischers Tätigkeit nichts gewusst zu haben. Entweder die Minister hätten sein Bekenntnis gekannt – dann wäre der Auftrag an Fleischer eine bewusste Inkaufnahme seiner Privatinteressen auf Kosten des Landes gewesen. Oder die Minister hätten die Akten ignoriert und wären von ihren Beamten nicht über diese alarmierende Tatsache informiert worden – dann wäre die Arbeit der Landesregierung handwerklich noch schlechter als schon bisher bekannt, erklären Schmiedel und Kretschmann.

Vor diesem Hintergrund sei bereits die Ernennung eines Lobbyisten zum Staatssekretär problematisch gewesen. Ihn aber mit derselben Aufgabe zu betrauen, für die Fleischer auch als Lobbyist tätig war, halten SPD und Grüne für politisch nicht tragbar. Dass Fleischer bei diesem Einsatz für die Interessen der Kies-Unternehmen den Ausbau des Hochwasserschutzes jahrelang blockiert habe, sei spätestens durch das Gutachten des Landesrechnungshofs bestätigt geworden. „Der Verdacht steht im Raum, dass die Landesregierung von Baden-Württemberg beim Hochwasserschutz den Geschäftsinteressen von Privatfirmen Priorität eingeräumt hat“, sagt Schmiedel. Allein schon der Ruch einer Korrumpierung durch die Aktivitäten Fleischers sei nicht hinnehmbar.

SPD und Grüne erklären, der Finanzminister hätte schon bei Fleischers Amtsantritt klarstellen müssen, dass Angelegenheiten des Hochwasserschutzes insbesondere im Gebiet der von Fleischer vertretenen Unternehmen nur vom Minister selbst entschieden werden dürften. Ebenso hätte Umweltministerin Gönner darauf pochen müssen, dass kein Vertreter der Kiesindustrie im Mantel eines Finanzstaatssekretärs die Arbeit blockiert. Schmiedel hält die schier unendliche Geduld der Minister mit dem Verhalten Fleischers für besorgniserregend. Dies zeige jedenfalls, dass ein direkter Einfluss von Lobbyisten in der CDU/ FDP-Regierung offenbar als normal empfunden wurde.

Mappus müsse auch offenlegen, weshalb ein Staatssekretär in der Lage gewesen sei, Entscheidungen für die drei Ministerien für Finanzen, Umwelt und Inneres zu treffen. Dabei sei auch wichtig, die Rolle der Umweltministerin als Ressortverantwortliche für den Hochwasserschutz zu klären. Was habe Frau Gönner gewusst und warum habe sie sich so willfährig verhalten?, wollen SPD und Grüne wissen.

Beide Fraktionen gehen aber angesichts dieses Falls noch weiter. Sie wollen erfahren, ob die CDU-FDP-Koalition eine solche Vermischung von Interessen auch anderswo beförderte. „Die Landesregierung hat diese Vermischung von Interessen geduldet, so dass man sich jetzt fragen muss, ob das in dieser Landesregierung üblicher Regierungsstil ist“, sagen Schmiedel und Kretschmann.

Die Fraktionsvorsitzenden ergänzten, sie sähen im Augenblick keinen Anlass, einen Untersuchungsausschuss mit der Aufklärung zu betrauen. “Wir haben mittlerweile ein ziemlich klares Bild von dem Fall Fleischer und seiner Tätigkeit als Lobbyist und seine Rolle im Kabinett. Andererseits stellen sich die Fragen nach dem Wissen der anderen Beteiligten wie Umweltministerin Gönner und dem damaligen Verkehrsminister Rech, insbesondere aber Finanzminister Willi Stächele, der den Ahnungslosen spielt. Denn sie trugen durch ihr Verhalten mit dazu bei, dass das System Fleischer so lange und wirkungsvoll funktionieren konnte“, so Schmiedel und Kretschmann. Nach Abschluss der Aufklärung wird zu prüfen sein, welche Konsequenzen zu ziehen sind. Schon jetzt habe sich Gundolf Fleischer eindeutig disqualifiziert, als Interessenvertreter und Verantwortlicher für staatliche Aufgaben wie Aufsichtsratsposten in landesbeteiligten Unternehmen zu fungieren.

Dr. Roland Peter
Pressesprecher SPD

Wolfgang Schmitt
Pressesprecher Grüne