Wolfgang Drexler: „Weil Personal fehlt, darf die Polizei nur noch auf Sparflamme ermitteln – mit verheerenden Konsequenzen für Sozialkassen und ehrlich arbeitende Betriebe“

Günter Fischer: „Die Kleinen werden gehängt, die Großen lässt man laufen – dafür ist der Innenminister persönlich verantwortlich“

Die SPD-Landtagsfraktion beklagt dramatische Ermittlungsdefizite bei der Wirtschaftskriminalität, vor allem bei der Bekämpfung von illegaler Beschäftigung und Sozialversicherungsbetrug. Von zahlreichen Dienststellen im Land habe die SPD-Fraktion in den vergangenen Wochen Unterlagen mit polizeiinternen Vermerken und Statistiken zugespielt bekommen, die allesamt zeigten, dass man inzwischen gar von einem „Ermittlungsnotstand“ sprechen müsse, so Drexler. Wegen Personalmangels und wegen fehlender technischer Ausstattung könne die Polizei im Land fast nur noch Altfälle aufarbeiten und dürfe neue Fälle aufgrund interner Anweisungen oft nur dann noch bearbeiten, wenn sich der Aufwand „in überschaubaren Grenzen“ halte.

Angesichts der unübersehbaren und auch vom Innenminister nie geleugneten Beziehungsgeflechte zwischen illegaler Beschäftigung, insbesondere am Bau, und Organisierter Kriminalität verlangt die SPD von Innenminister Schäuble, die gravierenden Defizite bei der Bekämpfung dieser extrem sozialschädlichen und wettbewerbsverzerrenden Deliktsbereiche umgehend zu beseitigen.

Engagierte Kripobeamte und Steuerfahnder hätten der SPD in Gesprächen und über schriftliche Unterlagen plausibel und glaubhaft nachgewiesen, dass die derzeitigen Ermittlungsdefizite dazu führen, dass noch nicht einmal mehr die Spitze des kriminellen Eisbergs auf dem Gebiet der illegalen Beschäftigung verfolgt werden könne, so Drexler. Selbst bei klaren Hinweisen von Steuerfahndern, Zoll oder der Arbeitsverwaltung könne die Polizei oft nur noch mit den Achseln zucken.

Drexler: „Dies ist verheerend für die Wettbewerbsfähigkeit ehrlich arbeitender Unternehmen, gerade in der Baubranche, und eine Katastrophe für unsere Sozialsysteme.“

Alle vorliegenden Statistiken von Polizei, Justiz, Finanz- und Arbeitsverwaltung deuteten darauf hin, dass illegale Beschäftigung und Schwarzarbeit, vor allem in der Baubranche, aber auch in verschiedenen Dienstleistungsbereichen, in den vergangenen zehn Jahren dramatisch angestiegen sind. Legal arbeitende Betriebe sähen sich dadurch auf kriminelle Weise brutal vom Markt verdrängt. Das Steueraufkommen werde durch solche hochkriminelle Praktiken drastisch geschmälert, den Sozialversicherungen würden Gelder in Milliardenhöhe entzogen.

Schäden in Milliardenhöhe
Nach einem Bericht des Bundesministeriums der Finanzen vom Jahr 2000 über das Ausmaß und die volkswirtschaftlichen Auswirkungen der illegalen Beschäftigung führt diese Kriminalität zur Vernichtung von ca. 500.000 Arbeitsplätzen, zu einem jährlichen Verlust von etwa 64 Milliarden Euro Steuereinnahmen und rund 56 Milliarden Euro Sozialversicherungsbeiträgen. Für Baden-Württemberg, so Drexler, müsse deshalb von Schäden in zweistelliger Milliardenhöhe ausgegangen werden.

Drexler: „Gerade jetzt, wo unsere Sozialsysteme auf dem Prüfstand stehen und den Beschäftigten harte Einschnitte zugemutet werden, haben wir keinerlei Verständnis dafür, dass die Landesregierung dem kriminellen Treiben bei den Arbeitsdelikten untätig zusieht, statt den Abzockern und Betrügern das Handwerk zu legen.“

Gute Ansätze sind auf der Strecke geblieben
Unter großem Aufwand habe der frühere Innenminister Birzele zusammen mit dem Landeskriminalamt schon 1994 eine neue Konzeption zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität ausarbeiten lassen, so Drexler. An regionalen Brennpunkten der illegalen Beschäftigung sollten spezielle, Behörden übergreifende Ermittlungsgruppen von Polizei, Staatsanwaltschaft, Arbeitsämtern, Hauptzollämtern und Finanzämtern eingerichtet werden. Solche Behörden übergreifende Ermittlungsgruppen stünden heute allenfalls noch auf dem Papier und würden, wenn überhaupt, nur noch von Fall zu Fall, nicht aber ständig in Aktion treten, so die Klagen der Kripo gegenüber der SPD-Fraktion.

Zwar habe die amtierende Landesregierung in ihren „Hinweisen zur Bekämpfung der Schwarzarbeit“ vom 8. April 2000 angekündigt, dass der Schwarzarbeit mit allen wirtschafts- und sozialpolitischen sowie ordnungs- und strafrechtlichen Mitteln konsequent entgegengewirkt werden müsse und dazu zuverlässige Ermittlungen zum Nachweis von Schwarzarbeit, der Schwarzarbeiter und ihrer Auftraggeber erforderlich seien. Die Realität indes, so die übereinstimmenden Klagen der Polizei, sehe anders aus. Wegen fehlender personeller Ressourcen seien systematische Ermittlungen, auch und gerade bei aufwändigen Fällen mit Bezug zur Organisierten Kriminalität, allenfalls noch in Fällen von großer öffentlicher Aufmerksamkeit möglich.

Mit einer großen parlamentarischen Anfrage und Expertenanhörungen will die SPD-Landtagsfraktion die Landesregierung nun unter Druck setzen und zum Umsteuern zwingen.

Die Polizei bringt Geld – und muss dennoch Stellen streichen
Der Innenminister kann sich nach Ansicht von Wolfgang Drexler nicht mit der lapidaren Standard-Entschuldigung aus der Affäre ziehen, es sei kein Geld für Personal vorhanden. Die extrem hohen volkswirtschaftlichen Schäden und die Plünderung der Sozialkassen würden eine Verstärkung des Personals gerade in der derzeitigen Umbruchphase der Sozialsysteme in jedem Fall rechtfertigen. Außerdem habe die Polizei zusammen mit den Staatsanwaltschaften allein im vergangenen Jahr durch Vermögensabschöpfung insgesamt rund 8 Millionen Euro zugunsten der Staatskasse endgültig einziehen können. „Dieses Geld wird zum Stopfen von Haushaltslöchern missbraucht, statt die Polizeiarbeit zu stärken.“

Noch im Mai 2000 habe sich diese Landesregierung mit einer Bundesratsinitiative zur Eindämmung illegaler Betätigung im Baugewerbe gebrüstet und dabei darauf hingewiesen, dass durch die vorgeschlagenen Maßnahmen „höhere Einnahmen für die Haushalte der Verfolgungsbehörden zu erwarten“ seien. Drexler: „Wo ist dieses Geld eigentlich geblieben?“

Angesichts der sozialstaatswidrigen Ermittlungsdefizite bei der Bekämpfung der illegalen Beschäftigung in Baden-Württemberg hat die SPD-Fraktion nach den Worten von Wolfgang Drexler keinerlei Verständnis dafür, dass der Innenminister im Zuge der unsinnigen Verwaltungsreform widerstandslos der Forderung des Ministerpräsidenten nachgegeben hat, bei der Polizei 800 Stellen beim Tarifpersonal zu streichen und jetzt auch noch weitere 600 Stellen beim Polizeivollzug.

Wolfgang Drexler: „Eine erfolgreiche Polizeiarbeit wird von dieser Landesregierung systematisch zerschlagen, mit schlimmen Konsequenzen für die Motivation der Beschäftigten und verhängnisvollen Folgen für die Verbrechensbekämpfung.“

Günter Fischer: „Die Kleinen werden gehängt, die Großen lässt man laufen“
Der Polizeisprecher und parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Günter Fischer, war nach seinen eigenen Worten „erschrocken“ über die Berichte, die er aus der Polizei über die Schwierigkeiten bei Ermittlungen zur illegalen Beschäftigung erhalten hat. Mittlerweile lägen ihm Stapel von Unterlagen vor, die zu der zwingenden Schlussfolgerung führten, dass die Polizei aufgrund mangelnder Personalressourcen landesweit diesen Deliktsbereich, vor allem wenn es um neue, schwierige Fälle geht, nicht mehr aufklären kann.

Es sei an Heuchelei kaum zu überbieten, wenn die Landesregierung im Sommer dieses Jahres vollmundig die Einrichtung einer Task Force zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität verkünde, dann aber im Alltag die unabdingbare Ermittlungsarbeit der Polizei blockiere, womöglich gar bewusst behindere. Das Ergebnis dieses Ermittlungsnotstandes bei der Bekämpfung illegaler Beschäftigung ist für Fischer geradezu ein „Affront gegen den Rechtsstaat“, das Vertrauen der Bevölkerung in funktionierende Verfolgungsbehörden werde massiv untergraben.

Bei jedem kleinen Taschendieb verlange Innenminister Schäuble unter dem großmäuligen Motto „Null Toleranz für Kriminelle“ die volle Wucht der Strafverfolgung, bei Schwerstkriminellen im Bereich der sog. Arbeitsdelikte aber werde die Polizei an erfolgreichen Ermittlungen systematisch gehindert. Völlig zu Recht klagten deshalb Kripobeamte gegenüber der SPD-Fraktion über die fatalen Folgen einer solchen Politik: ‚Die Kleinen werden gehängt, die Großen lässt man laufen’.

Mit großer Sorge habe er bei seinen Gesprächen gerade bei jungen Beamtinnen und Beamten feststellen müssen, wie sehr deren Rechtsempfinden und Motivation unter derartigen Ermittlungsbedingungen litten.

Arbeitsdelikte in Baden-Württemberg
Wie notwendig Ermittlungen gegen offenkundig hochgradig professionell agierende Kriminelle auf dem Feld der illegalen Beschäftigung sind, mit deutlich erkennbaren Schnittstellen zur Organisierten Kriminalität, ergibt sich für Polizeiexperte Fischer allein schon aus der offiziellen Statistik des Innenministeriums zur Wirtschaftskriminalität. Allein die im Jahr 2002 von der Polizei ermittelten Fälle im Bereich der sog. Arbeitsdelikte (Illegale Beschäftigung, Arbeitsvermittlungsbetrug, Sozialversicherungs- und Sozialleistungsbetrug) haben danach einen nachgewiesenen Schaden in Höhe von rund 35,6 Millionen Euro verursacht.

Fischer: „Und dies ist nur das ermittelte Hellfeld. Das Dunkelfeld ist gerade bei diesem Deliktsbereich um ein vielfaches größer. Man kann sich leicht vorstellen, was da noch ans Licht kommen würde, wenn die Polizei in ihrer Ermittlungsarbeit nicht gehindert, sondern unterstützt würde.“

Amtsmüder Schäuble als williger Vollstrecker der Verwaltungsreform
In Kenntnis dieser tatsächlichen Arbeitsverhältnisse sind die vom offensichtlich amtsmüden Innenminister angekündigten Stellenstreichungen bei der Polizei nach den Worten von Günter Fischer „unverantwortlich und geradezu eine Einladung an alle professionellen Kriminellen“. Durch die Vorgabe, im Rahmen der Verwaltungsreform im Nichtvollzugsbereich der Polizei eine Effizienzrendite von 20 %, d.h. etwa 800 Stellen, zu erzielen, werde der Streifendienst wieder zurück an die Schreibtische beordert und die Ermittlungsarbeit der Polizei drastisch eingeschränkt. Die nun von der Landesregierung angekündigte Streichung weiterer 600 Stellen im Vollzugsbereich werde nur dazu beitragen, die Sicherheit der Kriminellen im Land zu erhöhen, so Fischer sarkastisch.

Nachdem der Ministerpräsident nur durch großen Widerstand von außen davon abgebracht werden konnte, seine Schnapsidee, die Polizei in die Land- und Stadtkreise einzugliedern, umzusetzen, versuche er es der Polizei jetzt mit einer Abstrafaktion heimzuzahlen. Effizient arbeitende und funktionierende Organisationseinheiten – allerdings ohne große Lobby vor Ort – würden zerschlagen und der Starrköpfigkeit Teufels geopfert.

Fischer warnt insbesondere im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität ausdrücklich davor, die Struktur der Autobahnpolizei zu zerschlagen: „Die Autobahnen entwickeln sich immer mehr zu Transitstrecken für Kriminelle und erfordern daher eine leistungsfähige, strategisch und taktisch einheitlich ausgerichtete Polizeiarbeit.“

Selbst die baden-württembergische Wirtschaft fordere die Erhaltung der jetzigen Struktur, da eine Zerschlagung und Integration in die Kreisdienststellen ihren Ansprüchen in keiner Weise gerecht werde. Empört zeigte sich der Polizeisprecher der SPD darüber, dass das ausführliche und sachlich sehr gut begründete Alternativkonzept der Autobahnpolizei von Schäuble und Teufel einfach bei Seite gefegt wurde. Andere gleichfalls unsinnige Verwaltungsreformpläne – wie beispielsweise die Eingliederung der Verkehrsinspektion mit Sitz in Hechingen – seien demgegenüber „von jetzt auf nachher“ gekippt worden, nachdem sich der Ministerpräsident höchstpersönlich mit einem Veto eingemischt hatte. „Das Hin und Her der Landesregierung zeigt deutlich, nach welch’ unqualifizierten Kriterien die Teufelsche Verwaltungsreform gestrickt ist“, so Fischer.

Fischer verlangt deshalb von Teufel und Innenminister Schäuble, von unsinnigen Organisationszerschlagungen Abstand zu nehmen, oder zumindest die sachverständigen Alternativkonzepte der Polizei zu berücksichtigen.

Fischer: „Unter Innenminister Birzele hat Baden-Württemberg erstmals in seiner Geschichte Rang 1 als sicherstes Bundesland erreicht. Sein inzwischen amtsverdrossener Nachfolger ist auf dem besten Weg, zusammen mit einem starrsinnigen Ministerpräsidenten das hohe Niveau der inneren Sicherheit im Land zu verspielen und die Polizei zum Spielball haushälterischer Kleinkrämer und organisationspolitischer Amateure zu machen. Dies hat jetzt schon schlimme Folgen für die Ermittlungsarbeit der Polizei und wird auf Dauer das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in den Rechtsstaat untergraben.“

Helmut Zorell
Pressesprecher