Rechtsextremismusexperte Stephan Braun: “Wir müssen genau hinsehen, aufklären und die Auseinandersetzung suchen“

Stephan Braun, Rechtsextremismus-Experte der SPD-Fraktion, ist einer der Herausgeber des neuen Werkes über die „Strategien der extremen Rechten“. Braun stellte das jetzt im Verlag für Sozialwissenschaften veröffentlichte Buch heute zusammen mit Martin Gerster, ebenfalls Herausgeber und SPD-Bundestagsabgeordneter, Helmut Rannacher, dem früheren Chef des Landesamtes für Verfassungsschutz, sowie dem Politikwissenschaftler Alexander Geisler als drittem Herausgeber vor.
Rannacher zeigte anhand des Buches, wie stark die Rechtsextremisten auch in Baden-Württemberg inzwischen neue Strategien und Bereiche aufgreifen. Themen wie die soziale Frage, Hartz IV oder die Kapitalismus- und Globalisierungskritik werden sogar teilweise von den Linken übernommen. „Der Rechtsextremismus befindet sich erkennbar in einer Phase der Modernisierung. Seine Strukturen und Strategien verändern sich in Richtung einer sozialen Bewegung, ohne dass schon alle Kriterien einer solchen erfüllt wären“, schreibt der Autor Dirk Borstel in dem Buch. „Wir müssen von den gängigen Klischees eines Rechtsextremisten lösen“, sagte Rannacher deshalb. Und: „Weder der gescheitelte blonde Junge noch der glatzköpfige Skin oder Neonazi sind heute zwingend die typischen Gestalten der rechtsextremen Szene, sondern das kann auch ein Typ mit Palästinensertuch um den Hals und eigentlich autonomem, jugendlichem Outfit sein.“ Selbst der ehemalige Verfassungsschützer betonte, gelegentlich sei „erst auf den zweiten Blick zu erkennen, aus welcher politischen Ecke das Ganze kommt und welch taktischer Hintergrund dem zu Grunde liegt.“ Parolen wie „Gegen Krieg und Kapitalismus“ oder „Freiheit für alle – aus dem System ausbrechen“ sollten zusammen mit einem äußerst aktionsorientierten Vorgehen vor allem junge, systemkritische Menschen anziehen. Rannacher sprach von einem möglichen Generations- und Stilwechsel im neonazistischen Spektrum, denn die Mehrzahl der Mitglieder dieser Szene sei zwischen 15 und 20 Jahre alt, die führenden Aktivisten zwischen 18 und 25.
In Baden-Württemberg sei dieses Vorgehen besonders deutlich bei den sogenannten „Autonomen Nationalisten“, die Ästhetik und Aktionsformen von der radikalen Linken übernommen hätten. Das bekannte Bild der „Schwarzen Blöcke“ aus den Reihen der linksextremistischen Autonomen findet sich so auch auf der anderen Seite: schwarz gekleidet, vermummt und militant. Das Landesamt für Verfassungsschutz schätzt, dass im Land bereits etwa 20 Prozent der Neonazis den Autonomen Nationalisten zuzurechnen seien.

Stephan Braun: Anwälte der extremen Rechten
Stephan Braun stellte seinen Beitrag über 15 „Anwälte der extremen Rechten“ vor, in dem er zusammen mit Anton Maegerle auch auf mehrere Juristen aus Baden-Württemberg eingeht. Da die Anwälte die Rechtsextremen nicht nur vor Gericht vertreten würden, sondern sie auch schulten, könnten die braunen Anhänger ihr Verhalten bei Verhaftungen oder bei Vernehmungen durch die Polizei einüben. Braun und Maegerle weisen nach, dass sich etliche Anwälte der extremen Rechten selbst klar in rechten Netzwerken verorten.
Zu den Anwälten gehört Dr. Dr. Thor von Waldstein. Er unterhält in Mannheim eine der führenden Binnenschiffahrtskanzleien Deutschlands, vertrat aber schon den amerikanischen Holocaustleugner Fred Leuchter und den Geschichtsrevisionisten und Verleger Wigbert Grabert. Ein weiteres Beispiel ist die ursprünglich aus Stuttgart stammende Gisa Pahl. Sie erstellt Rechtsratgeber, die speziell auf die Szene zugeschnitten sind. Pahl gehört zum Gründungskreis des Deutschen Rechtsbüros, das sich als Kommunikations- und Informationszentrum der rechtsextremen Szene-Juristen versteht.
Besonders prägnant ist der auf Internet-Scheidungen spezialisierte Reutlinger Anwalt Steffen Hammer, der auch Mitglieder der Szene in Strafrechtsprozessen vertritt. Hammer gilt seit mehr als 20 Jahren als Kopf und Frontsänger der rechtsextremen Skinheadband „Noie Werte“ aus dem Großraum Stuttgart. Diese Band stammt aus dem Umfeld der verbotenen Blood & Honour-Bewegung und verfügt über ein Netzwerk von Skandinavien bis Australien. Ihre Zielgruppe versteht die Texte sehr genau. Wenn Hammer auf Konzerten das Lied „Alter Mann von Spandau“ spielt, weiß das Publikum, dass der Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß gemeint ist. Viele Fans recken dann den rechten Arm zum Hitlergruß. Braun fordert: „genau hin zu sehen, aufzuklären und die Auseinandersetzung zu suchen“.

Martin Gerster: Die Unterwanderung von Fußballvereinen
Martin Gerster stellte vor, wie die Rechten Fußballvereine nutzten und sie als Strategieelement unterwanderten. Diese Idee der extremen Rechten, sich im vorpolitischen Raum festzusetzen um Einfluss als Teil der Alltagskultur zu gewinnen, nehme in ihrem strategischen Waffenarsenal einen festen Platz ein. „Speziell der Fußball bietet den Akteuren dieses politischen Spektrums eine Bühne, um sich durch Selbstinszenierungen Medienaufmerksamkeit zu sichern“, sagte Gerster. Darüber hinaus versuchten Rechtsextremisten gezielt, Vereinsstrukturen zu unterwandern oder sogar durch eigene sportliche Angebote Nachwuchs anzuwerben. Politik und Sportverbände hätten aber reagiert und zumindest in den oberen Ligen seien rechtsextreme Parolen weitgehend aus den Stadien verschwunden.
Dies sei nicht zuletzt der engagierten ehrenamtlichen Arbeit in Fanprojekten und anderen Initiativen zu verdanken, erklärte Gerster: „Ihnen wurde in Baden-Württemberg allzu lange die notwendige politische Unterstützung verweigert.“ Von der Qualität der in Baden-Württemberg geleisteten Fanarbeit konnte sich Gerster im Dezember 2007 beim Fanprojekt des Karlsruher SC selbst überzeugen. Allerdings habe das Land den Kommunen in Mannheim und Karlsruhe seinen Komplementäranteil von 60.000 Euro pro Projekt zunächst verweigert. „Es ist beschämend, dass es das Land mehrere Jahre lang nicht schaffte, die Fanprojekte zu unterstützen“, urteilte Gerster. Dabei sei schon 1993 in Vereinbarungen des Nationalen Konzepts Sport und Sicherheit (NKSS) beschlossen worden, Fanprojekte zu gleichen Teilen durch Land, Kommune und DFB zu fördern. Doch erst 2009 sei das Land auf massiven Druck auch der SPD-Landtagsfraktion in dieses Finanzierungsmodell eingestiegen. „Es ist schade, dass Fanprojekte gerade in Baden-Württemberg so stiefmütterlich behandelt worden sind“, sagte Gerster.
Vorgesehen seien jetzt vom Land Ausgaben von 180.000 Euro. Damit könne neben Mannheim und Karlsruhe lediglich ein weiteres Fanprojekt etwa beim Hauptanwärter Stuttgart gefördert werden. Gerster sieht aber dringenden Bedarf für die Fanarbeit auch im Bereich Gewaltprävention etwa in Reutlingen, Hoffenheim und Ulm.

Dr. Roland Peter, Pressesprecher