Fraktionschef Claus Schmiedel: „Die Landesregierung darf keine Abstriche an den Investitionen machen, weil sonst die Arbeitslosigkeit steigt“

SPD fordert neues Wirtschaftsprogramm 20-20-20, das nachhaltige Anreize für Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze setzt

Die SPD-Fraktion erwartet eine schnelle und vor allem tiefgreifende Reaktion der Landesregierung auf die schwere Wirtschafts- und Finanzkrise in Baden-Württemberg. Sie müsse angesichts des erwarteten starken Anstiegs der Arbeitslosigkeit endlich ihre zögerliche Haltung aufgeben und kraftvoll eingreifen. Baden-Württemberg befinde sich immer noch in der tiefsten Rezession seiner Geschichte. Selbst die Expertenkommission der Landesregierung geht davon aus, dass noch viele Menschen ihre Beschäftigung verlieren würden. „Wer die Zunahme der Arbeitslosigkeit verhindern will, muss jetzt zupacken“, erklärte deshalb SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel nach den Beratungen auf der Fraktionsklausur in Lörrach. Und: „Für die Menschen wird es schlimm kommen, wenn Oettinger weiterhin drängende Entscheidungen vor sich herschiebt.“

Die erste Prüfung für eine neue Qualität des Regierungshandelns bildet aus Sicht der SPD die Aufstellung des anstehenden Doppelhaushaltes 2010/11. Die Etatpolitik müsse unbedingt der derzeitigen Krise gerecht werden. Deshalb dürfe der Haushalt nicht das laufende Investitionsprogramm von Bund und Land konterkarieren. Jedes Sparmanöver führe dazu, die Aufträge für die Unternehmen zu reduzieren, ihre Substanz zu gefährden und damit die Arbeitslosigkeit zu steigern. „Oettinger muss angesichts der Krise seine Attitüde als Sparkommissar aufgeben“, sagte Schmiedel. Investitionen dürften nicht gekürzt werden, wenn gleichzeitig die Arbeitslosigkeit explodiere.

Zudem führe die Kürzung von Investitionen und Sanierungen letztlich dazu, dass die Kosten anstiegen und der Landesetat später umso mehr belastet werde. Allein bei den Landesgebäuden müssten jetzt schon acht Milliarden Euro für Sanierungen und Klimaschutz ausgegeben werden. Hinzu käme der Bedarf bei den Straßen, da die Landesregierung selbst rund 44 Prozent als akut sanierungsbedürftig einordnet. Diese Ausgaben zu vernachlässigen, sei nicht mehr verantwortbar: „Die Nettonullverschuldung ist deshalb nichts anderes als ein Etikettenschwindel“, erklärte Schmiedel. Er forderte die Landesregierung auf, im Landtag einen klaren Investitionshaushalt einzubringen, um damit die Sanierungen voranzutreiben und die Wirtschaft anzuregen. Das heiße zwar nicht, die Schulden aus dem Blick zu verlieren. Aber jetzt habe die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Vorrang.

Deshalb sei auch nicht zu fassen, dass die Landesregierung es nicht schaffe, den Haushalt so rechtzeitig im Parlament einzubringen, dass er fristgerecht verabschiedet werden könne. Finanzminister Stächele will die erste Beratung im Dezember sogar noch verschieben, so dass die parlamentarische Bearbeitung erst im Januar möglich werde. Baden-Württemberg stehe mit diesem zögerlichen Vorgehen im Ländervergleich einmal mehr auf den hinteren Plätzen: „Während andere Landesregierungen handeln, um in der Krise mit einem fertigen Haushalt vorangehen zu können, regiert Oettinger wie immer zögerlich und unentschieden“, sagte Schmiedel. Dabei warteten viele Akteure im Land, darunter vor allem die Kommunen, auf den neuen Etat, um Planungssicherheit zu erlangen. Die SPD fordert deshalb zügige Beratungen des Kabinetts, um den Haushalt im Landtag schnell verabschieden zu können.

Fehlendes Eigenkapital eines der größten Probleme
Als eines der größten Probleme für die baden-württembergische Wirtschaft stellt sich die Kreditklemme heraus, die sich immer mehr verschärft. Der Bund der Selbständigen hat im August bei einer Umfrage im Land festgestellt, dass 44 Prozent der Befragten den Kreditzugang als schwer oder sehr schwer bewertet hätten – gegenüber 36 Prozent vor einem Jahr. Auch Sparkassen-Präsident Heinrich Haasis habe dieses Problem für Baden-Württemberg bestätigt. „Dennoch machen Oettinger und Pfister einen fürchterlichen Eiertanz um die Kreditklemme“, betonte Schmiedel. Noch im August hätte Pfister zusammen mit seinem bayerischen Kollegen in München die EU und den Bund zu Gegenmaßnahmen gegen die Kreditklemme aufgefordert. Kaum zurück in Baden-Württemberg, werde das Problem geleugnet.

Ähnlich sei die Haltung der Regierung bei der Ausstattung der Unternehmen mit Eigenkapital. Die Alarmsignale für eine Überschuldung der Betriebe häuften sich. Schmiedel sieht im Land eine doppelte Eigenkapitalklemme, da Banken selbst nur über begrenztes Eigenkapital verfügten. Sie könnten den Unternehmen dadurch nur dann Geld zur Verfügung stellen, wenn die Firmen über ausreichende Sicherheiten verfügten. Dies sei aber ohne ausreichendes Eigenkapital nicht möglich. Schmiedel sieht deshalb die große Gefahr, dass gute Unternehmen vom Markt verschwinden – selbst wenn sie bei einem neuen Aufschwung wieder schnell gut dastehen würden. So warnte jetzt Siegfried Beck, Vorsitzender des Verbandes der Insolvenzverwalter, dass eine große Zahl eigentlich gesunder Unternehmen vor dem Konkurs stehe. Viele Firmen verfügten über keine Reserven mehr, um ans rettende Ufer zu gelangen. Maschinenbauer oder Zulieferer für die Autoindustrie seien etwa gefährdet, sagte Schmiedel.

Doch die Landesregierung werde nicht aktiv. Pfister ziehe sich auf angeblich existierende Programme zurück, obwohl sie gar nicht auf die Existenznöte der Firmen zugeschnitten seien, sagte Schmiedel. „Es zeigt sich immer mehr, dass die Landesregierung trotz der Krise nicht selbst aktiv werden will.“ Damit nehme sie den Anstieg der Arbeitslosigkeit in Kauf.

Die SPD setzt deshalb in Baden-Württemberg auf zwei Instrumente, die Mittelstandsanleihe und den Eigenkapitalfonds (Baden-Württemberg-Fonds). Bei der Mittelstandsanleihe könnten kleine und mittelständische Unternehmen Kapital über die LBBW erhalten. Schmiedel greift dabei einen Vorschlag des Bundesverbandes Öffentlicher Banken auf. Dabei müssten die LBBW und das Land für einen Teil des Ausfallrisikos bürgen, um den Anlegern klare Sicherheiten zu geben. Damit würde ein hochattraktives Wertpapier entstehen, über das den Firmen Kapital zufließen könne, sagte Schmiedel. Beim Baden-Württemberg-Fonds im Volumen von einer Milliarde Euro sei es aus Mitteln der Förderbank möglich, Unternehmen mit gesicherter Zukunft vorübergehend zu Kapital zu verhelfen – ohne den Steuerzahler zu belasten. Schmiedel verweist auf Frankreich, wo ein staatlicher Fonds ähnliche Ziele verfolge.

Die SPD fordert die Landesregierung auf, die Vorschläge angesichts der Krise unvoreingenommen zu prüfen und endlich selbst aktiv zu werden. „Wer noch länger wartet, bevor er selbst reagiert, muss sich bald gegenüber den Arbeitslosen verantworten“, sagte Schmiedel.

Neues SPD-Programm für Wirtschaft und Wachstum
Die SPD will mit einem neuen Wirtschaftsprogramm 20-20-20 mittelfristig starke Anreize für mehr Wachstum und Beschäftigung in Baden-Württemberg setzen. Angestrebt wird, bis zum Jahr 2020 den Anteil der Erneuerbaren Energien bei Strom, Verkehr und Wärme (Primärenergieverbrauch) auf 20 Prozent zu erhöhen. Gleichzeitig soll der gesamte Energieverbrauch im Land um 20 Prozent gesenkt werden. „Mit einem solchen Programm könnten wir die Wirtschaft gleichzeitig fördern und umbauen“, erklärte Schmiedel. Der energiepolitische Sprecher Thomas Knapp betonte: „Wir zeigen mit diesem Programm, wie sich gerade in Baden-Württemberg Wirtschaft, Energiepolitik und Umweltschutz hervorragend ergänzen könnten.“

Die SPD will dabei die überaus bescheidenen Ziele der Landesregierung in der Energiepolitik deutlich ausbauen. Der Anteil der Erneuerbaren Energien am Primärenergieverbrauch etwa liegt heute bei acht Prozent. Die Landesregierung will diesen Anteil bis 2020 gerade einmal auf 13 Prozent erweitern, während das Bundesumweltministerium von einem möglichen Plus auf 18 Prozent ausgeht. Und beim Primärenergieverbrauch gibt sich die Landesregierung sogar mit dem derzeitigen Zustand zufrieden, während das Bundesumweltministerium mindestens ein Minus von 13 Prozent anstrebt. „Diese mutlosen Ansätze demonstrieren einmal mehr, wie die Landesregierung die sich anbahnende Energiewende verschläft“, sagte Schmiedel.

Dabei seien die Ziele schon jetzt klar erkennbar. Knapp verwies auf eine völlig neue Studie des Bundesumweltministeriums. Die Experten haben berechnet, dass durch eine bessere Energieeffizienz bis 2020 bundesweit eine halbe Million Arbeitsplätze geschaffen und der Ausstoß von 77 Millionen klimaschädlichem Kohlendioxid vermieden werden kann. Allein in Baden-Württemberg würden Privathaushalte, Unternehmen und die öffentliche Hand dadurch fünf Milliarden Euro Kosten einsparen. Knapp rechnet damit, dass ein solches neue Wirtschaftsprogramm rund 70.000 zusätzliche Arbeitsplätze in Baden-Württemberg initiieren könnte.

Zur Umsetzung fordert die SPD, dass das Land in allen Energiebereichen in die Offensive gehe. Kommunen müssten angehalten werden, in neuen Baugebieten nur noch Energie-Plus-Häuser zuzulassen, die keine zusätzliche Energie mehr benötigen. Bei der Bioenergie könnten Städte und Gemeinden angehalten werden, die Abwärme der neuen Bioenergieanlagen für Industrie und Gewerbe zu nutzen. Der Fuhrpark der öffentlichen Hand müsste komplett auf Niedrig-Energie-Fahrzeuge umgebaut werden. Alle Gebäude und Investitionsbereiche müssten zügig energetisch saniert, gedämmt oder auf erneuerbare Energien umgestellt werden. Die SPD will den kompletten Energieverbrauch solcher Immobilien durch die neuen Mini-Blockheizkraftwerke von VW und Lichtblick oder die Brennstoffzelle stark reduzieren. Bei der Stromproduktion fordert die SPD den Bau neuer Windparks. Hier gebe es Informationen von Energieunternehmen, die bei einer Änderung des Landesplanungsgesetzes sofort investieren wollten. Die öffentliche Straßenbeleuchtung müsse auf LED-Technik umgestellt werden.

Um die Ziele zu erreichen, wären im Land Investitionen von rund vier Milliarden Euro pro Jahr erforderlich. Dazu müssten eigene Impulse des Landes bei der Sanierung oder der öffentlichen Beleuchtung erfolgen, vorhandene Investitionsbremsen wie bei der Windkraft aufgelöst und die vorhandenen Förderprogramme auf diese Ziele ausgerichtet werden.

„Baden-Württemberg muss sich mit einem eigenen Programm an die Spitze des Umbaus setzen“, forderte Schmiedel. Damit könne das Land die eigene Wirtschaft als bundesweiter Pionier einmal mehr massiv voranbringen. „Nur wer mutig vorangeht und sich in neuen Bereichen konsequent einbringt, erreicht einen neuen Aufbruch im Land“, erklärte Schmiedel.

Stuttgart, 18. September 2009
Dr. Roland Peter
Pressesprecher