Wolfgang Drexler: „Die flächendeckende Einführung einer generellen Kosten- und Leistungsrechnung in der gesamten Landesverwaltung ist nicht sachgerecht und entwickelt sich finanziell zu einem Fass ohne Boden“

Nils Schmid: „Wir brauchen jetzt eine Bewertungsphase, um maßgeschneiderte Modelle statt Zwangsjacken für die Verwaltung zu entwickeln“

Die SPD-Landtagsfraktion fordert die Landesregierung mit Nachdruck auf, die Einführung der „Neuen Steuerungsinstrumente“ (NSI) in der Landesverwaltung zu stoppen und damit eine Phase der Neubewertung und Neuausrichtung zu ermöglichen. Die bisherigen Erfahrungen mit der Einführung neuer Steuerungsinstrumente in der Landesverwaltung von Baden-Württemberg zeigen nach Auffassung von Fraktionschef Wolfgang Drexler, dass der flächendeckende, generelle und schnelle Einsatz der Kosten- und Leistungsrechnung nicht sachgerecht ist. Dieser Weg führe nach allen bisherigen Erfahrungen nicht zu den erhofften Effizienzgewinnen. Im Gegenteil: die Gefahr sei groß, dass durch NSI sogar dauerhafte Mehrbelastungen an Personal und Finanzen entstehen und dass die Einführungskosten von rd. 330 Mio. € bei weitem nicht ausreichen, argumentiert Drexler. Der Rechnungshof habe die Kosten des Projekts einschließlich der so genannten Beistellkosten der Ministerien, d. h. der nicht direkt auf NSI gebuchten Kosten der Einführung der neuen Steuerung, sogar auf mindestens 550 Mio. € geschätzt.

Wolfgang Drexler: „Wenn der NSI-Projektzug im jetzigen Tempo und im vorgegebenen alten Gleis weiterrast, fährt er an die Wand und hinterlässt ein Millionengrab. Die Landesregierung muss deshalb die für Februar/März geplante flächendeckende Einführung der 2. Stufe von NSI aussetzen und die Weichen neu stellen.“

NSI ja, aber nicht so – ein spezifisch baden-württembergischer Irrweg
Drexler betonte, dass die SPD-Fraktion die Modernisierung und Flexibilisierung des Haushaltsrechts und des Haushaltsvollzugs nachdrücklich unterstützt. Auch eine ganze Reihe von Maßnahmen im Zusammenhang mit der Einführung von NSI zählten dazu, so etwa die Einführung eines elektronischen Haushaltsmanagementsystems, die Anlagenbuchhaltung und die Verstärkung der dezentralen Budgetverantwortung zur Eindämmung des bekannten Dezemberfiebers und zur Stärkung der Eigenverantwortlichkeit der Mitarbeiter vor Ort.

In weiten Teilen der Landesverwaltung, insbesondere im klassisch hoheitlichen Bereich wie bei der Polizei, führe die generelle Einführung der Kostenträgerrechnung derzeit jedoch zu mehr Bürokratie und binde zusätzlich Personal und Finanzmittel. Andere Bundesländer, wie Rheinland-Pfalz oder Bayern, hätten sich aufgrund der unterschiedlichen Eignung der verschiedenen Bereiche einer Landesverwaltung richtigerweise zu einer nach Behörden differenzierten und abgestuften Vorgehensweise entschlossen. „Baden-Württemberg muss seinen Alleingang aufgeben, weil er sich als teurer Irrweg herausgestellt hat“, so Drexler.

Auch der Rechnungshof des Landes habe unlängst auf einer Anhörung der SPD-Fraktion dafür plädiert, NSI mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten einzuführen und nur bei fachlich geeigneten Behörden den weiteren Ausbau von NSI, insbesondere bei der Kosten- und Leistungsrechnung, zu forcieren. Drexler warnte CDU und FDP nachdrücklich vor einer „Augen-zu-und-durch-Strategie“ beim NSI-Projekt, nur um das Gesicht zu wahren. „Dies kann sich das Land weder finanziell noch gegenüber den betroffenen Landesbediensteten leisten.“

Gravierende Fehler bei der Einführung – mangelnde Akzeptanz
Durch die Art und Weise, wie die Landesregierung das NSI-Projekt behandelt hat, ist bei den Beschäftigten des Landes nach den Worten von Wolfgang Drexler viel an ursprünglicher Akzeptanz für die Modernisierung der Verwaltung verloren gegangen. Die unmittelbare Verbindung von NSI mit dem Abbau von 3500 Personalstellen ohne eine Strukturreform der Verwaltung, fehlerhafte und teilweise unsinnige Schulungen und die Unfähigkeit, den Sinn vieler NSI-Neuerungen zu erklären, habe bei den Beschäftigten verständlicherweise beträchtlichen Unmut gegen neue Steuerungsinstrumente insgesamt ausgelöst. „Ohne die Akzeptanz und positive Mitarbeit der Beschäftigten ist eine Neuausrichtung des Verwaltungshandelns aber nicht möglich“, so Drexler.

SPD: Mehr als ein Jahr intensive Beschäftigung mit NSI
Die SPD-Landtagsfraktion hat sich seit über einem Jahr mit Inhalten und Problemen bei der Einführung der neuen Steuerungstechniken in der Landesverwaltung intensiv auseinandergesetzt. Neben der Mitarbeit im Unterausschuss NSI gab es zahlreiche Gespräche mit Behördenleitern, Personalvertretungen und Berufsverbänden zu diesem Thema. Und das für NSI federführend zuständige Finanzministerium wurde in die SPD-Fraktion zu einem Vortrag mit Diskussion zu dem Projekt aus Sicht der Landesregierung eingeladen. Als Zwischenergebnis hat die SPD im vergangenen Sommer eine parlamentarische Initiative zu NSI gestellt, die sich insbesondere mit dem unseriösen Refinanzierungskonzept sowie mit den Beteiligungsrechten der Personalräte beschäftigte. Jetzt im Januar wurde von der SPD-Fraktion eine hervorragend besuchte Anhörung zu NSI durchgeführt, auf der der Rechnungshof, Behördenleiter, Personalvertretungen, Gewerkschaften und Berufsverbände beteiligt waren.

Aus dieser intensiven Beschäftigung mit dem Thema NSI zieht die SPD mit der heutigen Pressekonferenz und einem neuen parlamentarischen Antrag ein vorläufiges Resümee.

Nils Schmid: Landesregierung soll alle vertraglichen Verpflichtungen offen legen
Nils Schmid, finanzpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, erläuterte die parlamentarische Initiative seiner Fraktion zur Neuausrichtung des NSI-Projektes für das Land Baden-Württemberg. Schmid forderte die Landesregierung auf, alle bislang eingegangenen vertraglichen Verpflichtungen zur Einführung von NSI offen zu legen und dabei auch die Lizenz- und Beratungsdienstleistungsregelungen mit SAP darzulegen. Es gehe darum, unverzüglich den Handlungsspielraum des Landes für Veränderungen beim NSI-Projekt auszuloten.

Notwendig sei eine gründliche Evaluierung der bisherigen Erfahrungen mit der Einführung des Funktionsumfangs I der NSI in der Landesverwaltung. Dabei gehe es u. a. um die Auswertung der Einführung der Anlagenbuchhaltung, des Haushaltsmanagementsystems sowie der Kostenarten- und Kostenstellenrechnung in den jeweiligen Behörden- und Fachverwaltungstypen. Nach Einschätzung von Schmid, die auf den bisherigen Erfahrungen im Land sowie der Praxis in anderen Bundesländern beruht, eignet sich zumindest zur Zeit nur ein Teil der Landesverwaltung für weitergehende NSI-Schritte, wie sie die Landesregierung im Funktionsumfang II mit der Kostenträgerrechnung, der kostenträgerbezogenen Zeit- und Mengenerfassung (KZM) und des darauf aufbauenden Controlling vorsehe.

Bayern und Rheinland-Pfalz machen es besser
Eine Studie des bayerischen Finanzministeriums kommt zu der wohlbegründeten Auffassung: „Die Einführung einer flächendeckenden Kosten- und Leistungsrechnung für die Bayerische Polizei ist nicht sinnvoll.“ (Empfehlung Nr. 67, Bayerisches Staatsministerium der Finanzen, Untersuchung der Verwaltung der Bayerischen Polizei vom Mai 1998). In Bayern werde deshalb jeder einzelne Bereich der Landesverwaltung speziell auf seine Eignung für die Kosten- und Leistungsrechnung (KLR) untersucht, sagte Schmid.

Rheinland-Pfalz gehe von einer sukzessiven, freiwilligen KLR in geeigneten Bereichen aus. Die Analyse der „Leistungsbezogenen Haushaltsplanaufstellung“ des Kantons Zürich im Unterausschuss NSI des Landtags von Baden-Württemberg habe ergeben, dass in Zürich trotz der Ablösung der Kameralistik durch die Doppik im Jahr 1979 bis heute noch keine Kosten- und Leistungsrechnung im Einsatz ist. Diese Beispiele machen für Schmid deutlich, dass bei der Einführung von neuen Steuerungsinstrumenten in der öffentlichen Verwaltung gerade im Interesse der Verbesserung von Effizienz und Wirtschaftlichkeit sehr bedacht, differenziert und zielorientiert vorgegangen werden muss.

Jetzt umsteuern: Maßgeschneiderte Modelle statt Zwangsjacken!
Nils Schmid: „Die überhastete und rasenmäherhafte Vorgehensweise in Baden-Württemberg beim NSI-Projekt verläuft nach dem Motto ‚Als sie das Ziel aus den Augen verloren, verdoppelten sie ihre Anstrengungen’. Damit muss jetzt Schluss sein. Wir brauchen nun eine Bewertungsphase, um maßgeschneiderte Modelle statt Zwangsjacken für die Verwaltung zu entwickeln. Notwendig ist eine für den jeweiligen Fachbereich sachgerechte Neukonzeption von NSI auf der Grundlage einer ressort- und aufgabenspezifischen Evaluierung.“

Mit der Umsetzung der im Parlamentsantrag der SPD formulierten Forderungen und der Neuausrichtung des NSI-Projektes könne ein Neuanfang zur Modernisierung der Landesverwaltung doch noch gelingen. Obwohl die Landesregierung schon einen beträchtlichen Flurschaden angerichtet habe, sei es noch nicht zu spät, mit einer neuen Konzeption neue Steuerungsinstrumente erfolgreich zum Vorteil des Landes und der Beschäftigten umzusetzen.

Helmut Zorell

Pressesprecher