Bildungsexperte Kaufmann: „Rau macht seit Jahren falsche Ankündigungen zu den Lehrerstellen an den beruflichen Schulen“
Die schwierige Situation an den beruflichen Schulen ist der Öffentlichkeit bekannt geworden, nachdem die Opposition das Kultusministerium mehrmals gezwungen habe, die Fakten auf den Tisch zu legen. Jetzt zeige sich endgültig, dass die bisherigen Erklärungen von Kultusminister Helmut Rau sowohl zu aktuellen Neueinstellungen von Lehrern, als auch über die tatsächliche Lage seit 2006 vollkommen falsch gewesen seien, erklärte Gunter Kaufmann, Sprecher für berufliche Bildung: „Rau hat immer wieder Nebelkerzen geworfen, um die Schwierigkeiten zu verschleiern.“
Die SPD-Fraktion sieht dafür zwei klare Anhaltspunkte. Zum einen zeige der Blick in die vergangenen drei Jahren, dass die Zahl der Lehrerstellen trotz enormer Zuwächse an Schülern praktisch konstant geblieben sei. Die Zahlen des Statistischen Landesamtes verdeutlichen, dass die Schülerzahl an beruflichen Schulen seit 2006 um mehr als 12.000 zugenommen habe. Diesem Zuwachs stehen sage und schreibe 5 (in Worten: fünf) zusätzliche Lehrerstellen gegenüber. (siehe Tabelle Seite 2)
„Damit ist endgültig erwiesen, dass Rau die beruflichen Schulen als Stiefkind behandelt“, sagte Kaufmann. Es sei nicht zu glauben, dass ein Kultusminister in dieser Art auf den großen Schülerzuspruch reagiere. Bislang gehörten die beruflichen Schulen zu den Pluspunkten des baden-württembergischen Bildungswesens. „Dieser Weg Raus führt dazu, dass diese Schulen ins Hintertreffen geraten.“ Dies müssten viele Realschüler heute schon büßen. Rau verwehre ihnen einen Platz an den beruflichen Gymnasien, obwohl sie den notwendigen Notenschnitt aufwiesen.
Entwicklung der Schüler und Lehrerstellenzahlen an öffentlichen beruflichen Schulen in Baden-Württemberg
SchuljahrSchülervolle Lehrerstellen
2006/07 365.065 17.402,5
2007/08 371.614 17.402,5
2008/09 377.246 17.407,5
Quelle: Statistisches Landesamt Baden-Württemberg, Staatshaushaltsplan
Dass der Kultusminister die schwierige Situation kaum verbessern wolle, zeige sein aktuelles Verhalten. Seit Monaten versuche Rau mit ständig wechselnden Botschaften zur Lehrerversorgung, die kritische Unterrichtssituation an den beruflichen Schulen zu beschönigen. Die heutige Bilanz dieser Ankündigungen zeige, dass Rau zwar Lehrerstellen verschiebe, aber kaum für neue sorge, erklärte Kaufmann. Die Chronik lege offen, dass Rau mit seinen Ankündigungen „absichtlich regelrechte Nebelkerzen geworfen hat“.
Die Chronik der Ankündigungen von Kultusminister Rau zu den beruflichen Schulen:
•Herbst 2008: Die Landesregierung erklärt, an den beruflichen Schulen würden 200 Stellen weniger benötigt. Daraufhin beschließt Rau, den beruflichen Schulen im kommenden Schuljahr sofort 90 Stellen zu streichen.
•Dezember 2008: Rau kündigt die Einrichtung von 15 sozialwissenschaftlichen Gymnasien an. Allerdings: Es gibt dafür keine zusätzlichen Lehrerstellen. Die notwendigen Lehrkräfte werden aus anderen Bereichen der beruflichen Schulen abgezogen. Rau deklariert dies beschönigend als Substitution.
•Februar 2009: Rau verkündet stolz, dass zum kommenden Schuljahr 45 Stellen geschaffen würden. Damit könne der zusätzliche Bedarf durch den „doppelten Mittlere-Reife-Jahrgang“ an beruflichen Gymnasien abgefedert werden. Anders ausgedrückt: Es werden 45 Stellen weniger gestrichen als ursprünglich vorgesehen.
•April 2009: Rau kündigt weitere 45 zusätzliche Deputate für die beruflichen Schulen an. Das heißt: Die geplante Stellenstreichung vom Herbst 2008 wird rückgängig gemacht. Doch es wurde keine einzige Lehrerstelle zusätzlich geschaffen. Dabei hatte der Verband der Berufsschullehrer nachgewiesen, dass 116 zusätzliche Stellen notwendig gewesen wären, um im Schuljahr 2008/09 die gleiche Unterrichtsversorgung wie im Vorjahr zu realisieren. Das strukturelle Unterrichtsdefizit stieg daher auf 4,7 Prozent.
•29. April 2009: CDU und FDP lehnen im Schulausschuss den Antrag der SPD ab, durch die Bereitstellung der notwendigen personellen Ressourcen jedem Schüler, der die Aufnahmevoraussetzungen für ein berufliches Gymnasium erfüllt, auch einen entsprechenden Platz zu garantieren.
•19. Mai 2009: Rau verkündet in einer Pressemitteilung weitere 100 neue Deputate für die beruflichen Schulen. Der Druck der Opposition im Schulausschuss und in den Plenardebatten zeigt Wirkung: Zum ersten Mal werden den beruflichen Schulen tatsächlich zusätzliche Deputate für die Unterrichtsversorgung versprochen. Allerdings wären davon nur 50 Stellen neu. Die anderen 50 Stellen sollen den allgemeinbildenden Schulen entzogen werden und führen somit dort zu einer Verschlechterung der Unterrichtsversorgung.
•2. Juni 2009: Weil es so schön war, verkündet Rau per Pressemitteilung erneut die Schaffung von 100 Deputaten für die beruflichen Schulen. Allerdings handelt es sich dabei um dieselben Stellen wie in der Pressemeldung vom 19. Mai 2009.
Unterm Strich blieben folglich trotz unzähliger Jubelankündigungen lediglich 50 echte zusätzliche Stellen für den Unterricht an den beruflichen Schulen. Kaufmann ist sich sicher, dass ohne den massiven Gegenwind von SPD, Lehrern und Eltern keine einzige dieser Stellen geschaffen worden wäre. Es handele sich aber immer noch um Veränderungen im Promillebereich. „Dass Rau die Öffentlichkeit immer wieder mit seinen Ankündigungstricks täuscht, ist für niemanden hinnehmbar“, sagte Kaufmann. Die Landesregierung müsse sich fragen, ob sie tatsächlich auf diese Weise agieren wolle. „Das Vertrauen in die Politiker wird durch ein solches Vorgehen aufs Neue stark beschädigt“, unterstreicht Kaufmann. Das schade unserer Demokratie insgesamt.
Stuttgart, 22. Juni 2009
Dr. Roland Peter
Pressesprecher