Spitzenkandidat Schmid: „Die SPD wird in den ersten sechs Monaten nach dem Regierungsantritt wichtige bildungspolitische Weichen stellen“

Schulexperte Zeller: „Die Schließungs-Ministerin Schick hat im Land leider ganze Arbeit geleistet“

Nils Schmid, SPD-Spitzenkandidat und Fraktionsvizechef, sowie SPD-Schulexperte Norbert Zeller haben heute vor der Presse ein Jahr nach dem Amtsantritt eine Bilanz der Arbeit von Kultusministerin Schick gezogen. Zudem legte die SPD-Landtagsfraktion ihr schulpolitisches Sofortprogramm für die ersten sechs Monate nach einem Regierungsantritt vor. Sie will die schlimmsten Baustellen im Schulbereich schnell angehen mit den Themen Ganztagsschulen, innovative Schulkonzepte, Inklusion und Unterrichtsausfall.

Zick-Zack-Kurs als Programm: Das ist nach Ansicht von Schmid und Zeller der Tenor in der Bildungspolitik von Ministerin Schick und Ministerpräsident Mappus. Beide setzten offensichtlich auf die Vergesslichkeit der Bürger, wie sich besonders bei der Werkrealschule zeige. „Der Zick-Zack-Kurs der Kultusministerin bei den Werkrealschulen hat einen großen Schaden in den Kommunen angerichtet“, wirft Schmid ihnen vor. Er macht Marion Schick dafür verantwortlich, dass bereits bei 83 Hauptschulen im Land seit Einführung der Werkrealschulen eine Schließung beschlossen sei. „Die CDU im Land und Schick persönlich haben das Ende dieser Schulstandorte herbeigeführt, als sie ihre Fixierung auf zweizügige Werkrealschulen durchdrückten“, sagt Schmid. Nach dem jetzigen Stand habe einmal mehr ein Gericht korrigierend eingreifen müssen und die Bildung einzügiger Werkrealschulen in allen Klassenstufen gebilligt. Dies sei nach den vorangegangenen juristischen Niederlagen gerade für das Kultusministerium äußerst peinlich. „Bis zu diesem Urteil hat die Schließungs-Ministerin Schick im Land leider ganze Arbeit geleistet“, sagt Zeller.

Noch schlimmer sei, dass der Zusammenhang von sozialer Herkunft und Bildungserfolg gerade in Baden-Württemberg weiter unverantwortlich hoch sei. „Die Landesregierung ist daran gescheitert, allen jungen Menschen im Land bessere Bildungschancen zu ermöglichen“, sagt Schmid. Deshalb gebe es an vielen Stellen sofortigen Handlungsbedarf. „Die SPD wird in den ersten sechs Monaten nach dem Regierungsantritt wichtige bildungspolitische Weichen stellen“, betont der Spitzenkandidat.

Das Sechs-Monats-Programm der SPD für die Schulen

1. Rechtanspruch auf Genehmigung innovativer Schulkonzepte

Die SPD-Landtagsfraktion will Schulstandorte wohnortnah erhalten durch ein breites Angebot an Abschlüssen und eine bessere individuelle Förderung. Ziel ist, die Schule „im Dorf zu lassen“. Gerade für den ländlichen Raum bietet ihr Konzept auch pädagogisch große Chancen. „Die SPD wird zum Schuljahr 2011/12 im Schulgesetz regeln, dass innovative Konzepte, die Kinder besser individuell fördern und sie länger gemeinsam lernen lassen, einen Anspruch auf Genehmigung erhalten“, unterstreicht Norbert Zeller. Anstöße aus den Kommunen könnten pragmatische lokale Lösungen ermöglichen. Dazu gehöre die Option, an allen Hauptschulstandorten auch den echten Realschulabschluss anzubieten.

Die SPD sichert den Städten und Gemeinden zumindest ab 5.000 Einwohnern zu, Standort einer weiterführenden Schule zu bleiben. Voraussetzung sei die Einrichtung einer Gemeinschaftsschule mit längeren gemeinsamen Lernzeiten für alle Kinder. Die SPD stützt sich dabei auf das Schulentwicklungsgutachten des Wissenschaftlers Tino Bargel (Universität Konstanz). Er hat errechnet, dass gut zwei Drittel der Kommunen im Land eine Schule mit Sekundarstufe I behalten könnten, sofern sie eine Gemeinschaftsschule einrichteten. Sollte es das dreigliedrige Schulsystem allerdings weiter geben, bleibe ein weiterführender Schulstandort nur bei einem Drittel bestehen.

Die Schick-Bilanz: Demgegenüber sei die Kultusministerin nicht bereit, die Weichen für eine innovative Schulentwicklung zu stellen. „Die Ministerin setzt die verbohrte Politik ihres Vorgängers fort: Schulen mit neuen Konzepten, die der ideologischen Haltung der CDU widersprechen, werden abgebügelt“, sagt Zeller. Die Landesregierung verhindere so die Schulentwicklung und bremse das Engagement sowie die Kompetenz der Akteure vor Ort aus.

Nach neuen Zahlen des Statistischen Landesamtes hält die neue Werkrealschule den Schülerrückgang an den Haupt-/Werkrealschulen nicht auf. Sie ändere also nichts an den grundlegenden Problemen des dreigliedrigen Schulsystems. „Die Werkrealschule ist nichts anderes als ein Etikettenschwindel: Lediglich das Türschild Hauptschule wird durch das Schild Werkrealschule ersetzt“, erklärt Zeller. Inhaltlich gebe es zwischen den verbleibenden Hauptschulen und den Werkrealschulen ohnehin keinen Unterschied. Sie müssten beide nach demselben Bildungsplan arbeiten.

2. Die Qualität der „Ganztagsschulen-Light“ deutlich verbessern

Die SPD-Landtagsfraktion begrüßt zunächst, dass die CDU ihre bisherige Blockade-Politik bei den Ganztagsschulen endlich aufgegeben habe. „Mappus und Schick haben offenbar bemerkt, dass in der Bildung auch die Qualität eine Rolle spielt und nicht nur die Quantität“, sagt Schmid. Eine solche Schulart auf den Unterricht von Ehrenamtlichen und zumeist Nicht-Pädagogen aufzubauen, sei zwar billiger, aber langfristig alles andere als sinnvoll. „Der Umbau hätte aber längst beginnen können, wenn sich die CDU nicht von Beginn an gegen den pädagogischen Ausbau der Ganztagsschulen gesträubt hätte“, sagt Zeller. Allerdings müsse die Landesregierung darin einwilligen, bei einer Aufnahme der Ganztagsschulen im Schulgesetz die Kosten für die Betreuung während des Mittagessens und für Bildungsangebote nachmittags durch Pädagogen zu übernehmen.

Dagegen will die SPD ein wohnortnahes Angebot echter Ganztagsschulen im ganzen Land aufbauen, insbesondere bei Grundschulen. Dabei bräuchten die Schulen allerdings dringend zusätzliches pädagogisches Personal vom Land. Die SPD wird als Regierungsfraktion einen Mittel-Pool einrichten, der je nach Schulart, Größe und Ganztagskonzept den Schulen ein Budget im Umfang von acht bis zwölf Lehrerwochenstunden pro Ganztagsklasse zur Verfügung stellt. Darüber hinaus sei die Schulsozialarbeit Bestandteil jeder Ganztagsschule. „Für die SPD ist klar: Schulsozialarbeit gehört zum pädagogischen Konzept und damit auch in Landesverantwortung. Wir werden das Land zu einem Drittel an der Finanzierung beteiligen“, unterstrich Zeller.

Mit einer solchen Ausstattung könnten die Ganztagsschulen den Tagesablauf neu strukturieren, sich vom starren 45-Minuten-Schema lösen und in einem pädagogischen Konzept Phasen des Lernens, der Bewegung, der Projektarbeit und der Erholung verbinden. Auch das Mittagessen gehört aus SPD-Sicht zum pädagogischen Konzept in echten Ganztagsschulen. Das Land und die Schulträger sollen sich künftig die Kosten für das Mittagessen teilen, so dass der Eigenanteil der Eltern auf einen Euro pro Mittagessen begrenzt wäre. „Es geht auch darum, die Eltern finanziell zu entlasten“, erläutert Zeller.

Schick-Bilanz: Auch hier zeigt sich der Zick-Zack-Kurs nach dem gestrigen Ergebnis.
Ursprünglich wollte die Ministerin die Lehrerwochenstunden der „Alterlass-Ganztagsschulen“ ab dem Schuljahr 2010/11 sogar kürzen. Erst nach massiven Protesten der Schulen und Eltern wurde dies um ein Jahr ausgesetzt. Demgegenüber soll es jetzt wenigstens eine Zunahme der Wochenstunden für die Grundschulen geben. Inhaltlich ist das Ganztagsmodell der Landesregierung bisher gekennzeichnet durch klassische Halbtagsschule am Vormittag, ergänzt um ein Mittagessen und ehrenamtliche Betreuung am Nachmittag. „Diese Schmalspur-Variante ist nicht geeignet, die Bildungschancen der jungen Menschen entscheidend zu verbessern“, kritisierte Zeller. Die Schulen kämen derzeit nicht darum herum, ehrenamtliche Jugendbegleiter oder Lehrbeauftragte für ihr Ganztagskonzept einzusetzen, für die die Kommunen und vor allen Dingen die Eltern dann auch noch bezahlen müssen. Kommunen und Eltern seien zum Ausfallbürgen für das Land geworden. „Beim Ausbau der Ganztagsschulen schmückt sich die Landesregierung größtenteils mit fremden Federn“, so Zeller.

3. Inklusion gemäß UN-Konvention im Schulgesetz regeln

Die SPD will zum einen den Anspruch der Kinder, auch in der Regelschule umfassend sonderpädagogisch gefördert und unterstützt zu werden, im Schulgesetz verankern. Zum anderen soll die Inklusion als Strukturprinzip an den Schulen in die Fläche gebracht werden, verbunden mit einer neuen Lehr- und Lernkultur.

Im ersten Schritt soll erreicht werden, dass möglichst viele Schulen bei entsprechendem Bedarf sofort inklusiv arbeiten können, und dass Eltern wohnortnah in jeder Schulstufe ein inklusives Angebot vorfinden. „Die SPD wird spätestens zum Schuljahr 2012/13 die echte Wahlfreiheit der Eltern verbindlich einführen“, unterstreicht Zeller. An Schulen, die inklusiv arbeiten, liegt nach dem Willen der SPD die Klassengröße künftig bei 20 Schülern, darunter maximal fünf behinderte Kinder. Hier gelte das 2-Pädagogen-Prinzip. Im Gegenzug sollen sich die Sonderschulen für nicht behinderte Kinder öffnen.

Die Schick-Bilanz: Die Kultusministerin halte bei der Inklusion an der Politik ihres Vorgängers fest und verfolge den Weg der Einzelintegration behinderter Kinder. Das Schulgesetz werde dann erst zum Schuljahr 2013/14 geändert. „Das kommt viel zu spät: Die positiven Erfahrungen des gemeinsamen Unterrichtens von Kindern mit und ohne Behinderungen sind längst bekannt“, sagt Zeller. Auch müsse sich Schick dringend davon verabschieden, dass die Inklusion kostenneutral zu verwirklichen sei. „Das ist zumindest in der Anfangsphase schlichtweg unmöglich.“ Wenn sich die Landesregierung nicht schnell zu den notwendigen Qualitätsstandards und den entsprechenden Unterstützungsleistungen im Schulgesetz bekenne, dann werde keine landesweit vergleichbare und qualitativ hochwertige inklusive Schulentwicklung in Baden-Württemberg stattfinden.

4. Unterrichtsaufall durch zusätzliche Krankheitsstellvertreter bekämpfen

Der unverantwortlich hohe Unterrichtsausfall bleibe eine Dauerbaustelle der Bildungspolitik im Land. Die SPD will zusätzliche Krankheitsstellvertreter einstellen, um den Unterrichtsausfall zu bekämpfen. Ihre Zahl soll mit einem Plus von 33 Prozent auf 1.650 Deputate erhöht werden. Entsprechende SPD-Anträge lehnten CDU und FDP bei den Haushaltsberatungen ab. „CDU und FDP wollen den Unterrichtsausfall an den Schulen weiterhin viel zu wenig eindämmen“, sagt Zeller. Im Schuljahr 20/11 fielen deshalb über 1,2 Millionen Unterrichtsstunden in den allgemein bildenden Schulen ersatzlos aus. Dabei sei zu berücksichtigen, dass das Kultusministerium Vertretungsstunden, die oftmals fachfremd erteilt werden, Stillarbeit und die Zusammenlegung von Klassen nicht als Unterrichtsausfall wertet. Die tatsächliche Zahl der nicht erteilten oder fachfremd gehaltenen Schulstunden liege also deutlich höher. „Krankheitsstellvertretungen fehlen an allen Ecken und Enden“, erklärt Zeller deshalb. Die Zahl der fest installierten Krankheitsstellvertreter von 1.266 Stellen reiche vorne und hinten nicht aus. Bei knapp 100.000 Lehrkräften in den öffentlichen allgemein bildenden Schulen liegt die Quote bei gerade einmal 1,3 Prozent. Zudem werden Krankheitsstellvertreter infolge der Mangelsituation an Schulen oft sogleich für den regulären Unterricht eingeplant und stehen im Krankheitsfall nicht mehr zur Verfügung.

Schick-Bilanz: Die SPD kritisiert besonders, dass die Landesregierung trotz dieser prekären Lage die Mittel für Krankheitsstellvertretungen im Haushalt von 16 auf 13,4 Millionen Euro pro Jahr kürzte. Zudem reduzierte sie die Mittel für die Lehrbeauftragten um ein Drittel von drei auf zwei Millionen Euro pro Jahr. Infolgedessen müssten viele Schulen individuelle Förderangebote etwa im musisch-künstlerischen Bereich wegfallen lassen.

Stuttgart, 10. Februar 2011
Dr. Roland Peter
Pressesprecher