Spitzenkandidat Nils Schmid: „Nur wenn wir die Baden-Württemberger künftig bei Großprojekten besser mitnehmen, werden sie umgesetzt – und nur dann kann das Land seinen hohen Standard bei der Infrastruktur halten“

Konzeptinitiator Rainer Prewo: „Das SPD-Verfahren würde sicherstellen, dass die Bürger tatsächlich frühzeitig einbezogen wären – und nicht erst dann, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist“

Die SPD-Fraktion zieht jetzt konkrete Schlüsse aus dem Konflikt um Stuttgart 21. Sie legt als erste Fraktion Vorschläge vor, wie zum einen die Bürger an den Entscheidungen über Großprojekte besser beteiligt werden können. Zum anderen könnten so die Verfahren beschleunigt werden. „Die SPD will Bürger künftig stärker und von Anfang an einbeziehen, um eine bessere Akzeptanz von Großprojekten zu erreichen“, erklärt Nils Schmid, SPD-Spitzenkandidat und Fraktionsvizechef. Und: „Für die SPD ist klar: Es gibt künftig entweder mehr Bürgerproteste oder mehr Bürgerbeteiligung.“ Damit gehe die SPD einen anderen Weg als die CDU, wie das Grundsatz-Papier von Bundesinnenminister Thomas De Maizière aufzeige. Darin würden die Bürger nicht stärker einbezogen, sondern ausgeschlossen. Sein geplantes "Gesetz zur Vereinheitlichung und Beschleunigung von Planfeststellungsverfahren" würde den Behörden die Möglichkeit geben, auf öffentliche Erörterungen zu verzichten. Schmid fordert Ministerpräsident Mappus deshalb auf, sich zu distanzieren: „Wenn Mappus seine Ankündigungen zur Bürgerbeteiligung ernst meint, muss er die Basta-Politik des CDU-Innenministers sofort und eindeutig zurückweisen.“

Die SPD-Fraktion will die Planungskultur in Baden-Württemberg weiterentwickeln und zu einem für alle Mitbürger offenen Verfahren ausbauen, erläuterte der SPD-Abgeordnete Rainer Prewo als Autor des Vorschlags. So könne ein erster Schritt gelingen, um das Vertrauen der Bürger in die repräsentative Demokratie zurückzugewinnen. Prewo ist wirtschaftspolitischer Sprecher der Fraktion und kennt als langjähriger Oberbürgermeister von Nagold die Nachteile bei der bisherigen Beteiligung von Bürgern im Planungsprozess. Er will deshalb das Raumordnungsverfahren als erste Stufe der Planung zu einem öffentlichen Prozess mit Bürgerbeteiligung aufwerten: also zu einem Raumordnungs- und Bürgerbeteiligungsverfahren. Die Bürger sollen demnach sowohl an der Planung landesweit bedeutsamer Infrastrukturprojekte beteiligt werden als auch die Möglichkeit erhalten, ein Volksbegehren zu starten. Denkbar wäre auch eine bindende Volksabstimmung über die Beteiligung des Landes an solchen Bauvorhaben. Diese Neugestaltung soll zudem die Verfahren beschleunigen und die Effizienz der Verwaltung deutlich steigern. Prewo verweist als Beispiel auf die Entscheidungen in der Schweiz etwa beim Gotthard-Tunnel.

Die erste Stufe des Konzepts: umfassende Information der Bürger in einem neu gestalteten Raumordnungsverfahren. Bei einem wichtigen Infrastrukturprojekt des Landes erhalten alle Bürger bereits in einem frühen Stadium durch ein neutral moderiertes Anhörungsverfahren die Gelegenheit, das Vorhaben gründlich kennenzulernen – mit Blick auf die geplanten Bauwerke, Ziele, Kosten und die voraussichtliche Finanzierung. Selbst mögliche Alternativen sollen vorgestellt werden. Kurz gesagt: Alle projektrelevanten Informationen wären jederzeit für jedermann öffentlich zugänglich. „Der Bürger kann nach unserer Konzeption sicher sein, alle wichtigen Aspekte eines Projektes auch wirklich frühzeitig zu erfahren“, sagt Prewo. Der Einsatz moderner Medien und des Internets wäre dabei vorteilhaft. Die zuständige Behörde müsste danach das Ergebnis der Anhörung in ihrem Raumordnungsverfahren berücksichtigen.

Der Vorteil wäre, dass die Verpflichtung der Behörden, sich mit den Argumenten der Bürger verbindlich auseinanderzusetzen, deutlich vorgezogen werden würde. Bislang geschieht dies vor allem bei der Planfeststellung, wenn die Verwaltung die betroffenen Verbände und Bürger anhört. Die SPD will aber schon vorher im Raumordnungsverfahren den Bürgern das Recht geben, sich zu äußern – und zwar allen Bürgern, nicht nur den betroffenen Anwohnern. Bei diesem Verfahren muss der Projektträger klare Antworten geben: Was ist geplant? Welche Ziele werden damit verfolgt? Welche Bauwerke sollen an welchem Ort entstehen? Welche Kosten werden eingeplant? Wer ist an der Finanzierung beteiligt? Welche Alternativen sind möglich? „Dieses Verfahren würde sicherstellen, dass die Bürger tatsächlich frühzeitig einbezogen wären – und nicht erst dann, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist“, sagt Prewo.

Zweite Stufe: die umfassende Bürgerbeteiligung. Sobald das Vorhaben auf der Grundlage des Raumordnungsverfahrens beschlossen ist, hätte der Bürger das entscheidende Wort. Voraussetzung: Das Land müsste an diesem Projekt beteiligt sein. Dann könnte das Vorhaben einem Volksbegehren und einer Volksabstimmung unterworfen werden – und die Bürger könnten auch über Alternativen abstimmen. Allerdings müsste der Landtag dafür die direkte Bürgerbeteiligung auf Landesebene um diesen Punkt erweitern – und sie erleichtern. Die SPD würde dabei als Regierungsfraktion auf ihren von Schwarz-Gelb abgelehnten Gesetzentwurf zurückkommen und die Zahl der erforderlichen Unterschriften für ein erfolgreiches Volksbegehren deutlich auf 5 Prozent der Wahlberechtigten absenken, also auf rund 375.000 Signaturen. Zudem sollen Regierung und Landtag die Möglichkeit haben, selbst eine Volksabstimmung herbeizuführen. „Dieses Verfahren verpflichtet die Träger dazu, Inhalte, Ziele und Kosten ihres Projekts transparent darzustellen und zu kommunizieren“, unterstreicht Schmid.

Der SPD ist es wichtig, dass nach einem erfolgreichen Raumordnungsverfahren und einer Volksabstimmung auch für die Träger Sicherheit bestehen würde: Solange Vorhaben nicht mehr wesentlich verändert werden, könnten sie im Verwaltungsverfahren nicht mehr abgelehnt werden. Prewo betont, dass der Prozess der Planfeststellung dadurch beschleunigt werden und nicht länger als neun Monate dauern würde: „Wir hätten damit erreicht, dass sich in diesem Stadium kein Investor mehr Sorgen um sein Projekt machen müsste.“ Investitions- und Planungssicherheit sind hier die Stichwörter.

Umgekehrt müsste auch der Projektträger vor Einleitung einer Planfeststellung erklären, welchen Zeitraum er für die Umsetzung seines Vorhabens braucht und wie er es finanziert. Prewo erwartet, dass dann auch das derzeitige Phänomen der Planfeststellungen „auf Halde“ beendet werden würde. Schließlich gibt es im Land rund 100 Planfeststellungsbeschlüsse, die seit Jahren auf ihre Umsetzung warten. „Mit diesem Vorschlag der SPD könnte nicht nur die Bürgerbeteiligung grundlegend verbessert, sondern auch die Effizienz der Verwaltung deutlich gesteigert werden“, unterstreicht Prewo.

Die SPD sieht deshalb große Chancen durch den Ausbau der Beteiligungskultur: „Nur wenn wir die Baden-Württemberger künftig bei Großprojekten besser mitnehmen, werden sie umgesetzt – und nur dann kann das Land seinen hohen Standard bei der Infrastruktur halten“, sagt Schmid. Insofern sei eine bessere Beteiligung der Bürger Voraussetzung dafür, den heutigen hohen Lebensstandard zu erhalten.

Stuttgart, 27. Januar 2011
Dr. Roland Peter
Pressesprecher