MdL Rainer Stickelberger: „Der öffentliche Dienst muss bürgerfreundlich, effektiv und zukunftsfähig gestaltet werden“

MdL Reinhold Gall: „Eine Neuordnung ist unabdingbare Voraussetzung für die Gewinnung von qualifizierten Nachwuchskräften“

Die SPD hat als erste Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg Eckpunkte für eine umfassende Dienstrechtsreform vorgelegt. Sie nutzt damit die neue Zuständigkeit der Länder für das Dienstrecht, die ihnen mit der Föderalismusreform übertragen wurde. „Der öffentliche Dienst muss bürgerfreundlich, effektiv und zukunftsfähig gestaltet werden“, sagte Rainer Stickelberger, rechtspolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, zu den Zielen der angestrebten Dienstrechtsreform.

Nach Ansicht von Reinhold Gall, innenpolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, eröffnet eine Neuordnung des öffentlichen Dienstes nicht nur den derzeitigen Landesbeamten große Chancen, sondern sie sei auch unabdingbare Voraussetzung für die Gewinnung von qualifizierten Nachwuchskräften.

Von der Reform wären 180.000 Landesbeamte betroffen. Nach den Plänen der SPD soll das Berufsbeamtentum auf hoheitliche Kernbereiche beschränkt werden. Außerdem soll das Laufbahnrecht geöffnet, die Mitbestimmung der Personalvertretungen bei der Besetzung von Führungspositionen gestärkt und die Bezahlung leistungsabhängiger Zulagen ermöglicht werden.

Beschränkung des Berufsbeamtentums auf hoheitliche Kernbereiche
Grundsätzliche Bedeutung misst die SPD-Landtagsfraktion der Frage zu, in welchen Bereichen der staatlichen Vor- und Fürsorge der Einsatz von Beamten tatsächlich geboten und daher unverzichtbar ist. „Wir bekennen uns zu einem starken, aber effektiven Staat, der sich auf seine Kernaufgaben konzentriert und seine finanziellen Mittel gebündelt einsetzt“, sagte Gall. In der Konsequenz bedeute dies eine Beschränkung des Beamtentums auf die Bereiche, in denen die Landesorgane hoheitlich tätig sind, nämlich innere Sicherheit, Justiz und Finanzverwaltung.

Nach den Worten Galls könnten durch eine Beschränkung in vielen Gebieten Doppelstrukturen abgebaut werden, beispielsweise bei der Wahrnehmung derselben Tätigkeit durch Beamte und Angestellte. Der SPD-Innenexperte zeigte sich überzeugt, dass auch Tarifangestellte für die erforderliche Zuverlässigkeit im gestaltenden und vorsorgenden Bereich staatlicher Aufgaben einstehen können.

Öffnung des Laufbahnrechts: Mehr Wechselmöglichkeiten schaffen
Eine große Chance für den öffentlichen Dienst sieht die SPD-Landtagfraktion in einer Öffnung des Laufbahnrechts. „Wir brauchen mehr Durchlässigkeit und Wechselmöglichkeiten zwischen dem öffentlichen Dienst und der Privatwirtschaft, aber auch innerhalb des öffentlichen Dienstes selbst“, sagte Stickelberger.

Insbesondere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die bereits in der Wirtschaft Erfahrungen gesammelt hätten, böten ein großes Potenzial. „Der öffentliche Dienst lebt ja nicht in einer abgeschotteten Welt, sondern agiert im Zusammenspiel mit der privaten Wirtschaft. Dort gemachte Erfahrungen sind ein unschätzbarer Vorrat für neue Impulse.“ Das „klassische Beamtenleben“ wird nach Einschätzung Stickelbergers den künftigen Anforderungen an den öffentlichen Dienst kaum mehr Stand halten können.

Aber auch innerhalb des Beamtentums seien flexiblere Regelungen erforderlich. „Es passt nicht mehr in die heutige Zeit, dass ein fachlich qualifizierter, erfahrener Beamter für bestimmte Aufgaben nicht eingesetzt werden kann, weil er vor Jahrzehnten kein Abitur abgelegt hat“, so Stickelberger.

Die SPD will Einsatzspektrum und Aufstiegschancen im öffentlichen Dienst von formalen Bildungsabschlüssen entkoppeln und stattdessen die fachliche Eignung, Befähigung und Leistung stärker gewichten. Fort- und Weiterbildungen könnten ebenfalls ein ausschlaggebendes Kriterium sein. „Freie Stellen im öffentlichen Dienst sollen nach den Anforderungen der beruflichen Tätigkeit und nicht in Abhängigkeit von Laufbahngruppen ausgeschrieben werden“, verlangte Stickelberger.

Der SPD-Rechtsexperte sprach sich dafür aus, auch den Wechsel aus dem öffentlichen Dienst in die Privatwirtschaft zu erleichtern. „Es ist nicht mehr zeitgemäß, Menschen über 30 oder 40 Jahre an den gleichen Arbeitgeber zu binden“, betonte Stickelberger. Wenn der öffentliche Dienst beruflich wie eine lebenslange Einbahnstraße erscheine, dann verliere das Beamtentum gerade bei jungen, sehr gut ausgebildeten Menschen erheblich an Attraktivität. „Wir müssen die Tür für sogenannte Cross-Over-Karrieren zwischen den Systemen öffnen“, sagte Stickelberger. Daher sei eine Nachversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung unter Einbeziehung der Zusatzversorgung bei einem Wechsel in die Privatwirtschaft ein Schritt in die richtige Richtung.

Führungspositionen auf Zeit bereichern Berufsperspektiven im öffentlichen Dienst
Die Schaffung von Führungspositionen auf Zeit ist nach den Worten Stickelbergers „ein schwieriges Feld“. Während die SPD-Landtagsfraktion dieses Instrument als eine Bereicherung der beruflichen Perspektiven im öffentlichen Dienst einschätze, habe das Bundesverwaltungsgericht in einem sogenannten Vorlagebeschluss rechtliche Bedenken geäußert. Demnach werde nun das Bundesverfassungsgericht darüber entscheiden, ob Führungspositionen auf Zeit eine erhöhte Gefahr für sachwidrige Beeinflussung und Ämterpatronage darstellen.

Abgesehen vom nicht völlig von der Hand zu weisenden Missbrauchspotenzial sieht Stickelberger in Führungspositionen auf Zeit zwei große Vorteile: „Zum einen macht die Aussicht, eine leitende Position mit großer Verantwortung lediglich für eine begrenzte Zeit übernehmen zu müssen, eine Bewerbung attraktiver. Und zum anderen haben häufigere Wechsel an der Spitze das Potenzial für neue Impulse und neue Motivation für die Mitarbeiter.“ Nicht zuletzt würden sich auch die realen Perspektiven für einen beruflichen Aufstieg entscheidend verbessern.

Führungspositionen: Personalvertretungen bei Mitbestimmung stärken
Bei der Besetzung von Führungspositionen im öffentlichen Dienst will die SPD die Mitbestimmungsrechte der Personalvertretungen stärken. Nach Ansicht von Stickelberger würde dies für eine höhere Akzeptanz von Auswahlverfahren und Personalentscheidungen bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sorgen.

Stickelberger: „Die Personalvertretungen können durch ihren engen Kontakt mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Führungsqualitäten und die soziale Kompetenz der Kandidaten sehr gut beurteilen und sind daher wertvolle Ansprechpartner bei Personalentscheidungen.“ Dieses Potenzial werde bislang nur unzureichend genutzt.

Bezahlung leistungsabhängiger Zulagen als zusätzliche Motivation
Stickelberger wies darauf hin, dass Dienstposten und Beförderungsämter bereits nach der bestehenden gesetzlichen Regelung nach „Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung“ vergeben werden. Damit stehe derzeit die Beförderung im Mittelpunkt einer Honorierung außerordentlicher Leistungen.

Für die vor einigen Jahren eingeführten Leistungsstufen, -prämien und -zulagen habe die Landesregierung entgegen ihrer Ankündigung kein Geld zur Verfügung gestellt. Stickelberger äußerte vor diesem Hintergrund Verständnis für das Misstrauen in der Beamtenschaft, wenn der Dienstherr zusätzliche finanzielle Leistungsanreize in Aussicht stelle.

Nichtsdestotrotz hält es die SPD für einen prinzipiell richtigen Ansatz, die Leistungsbereitschaft der Landesbeamten durch eine leistungsabhängige Zulage zu fördern. Dabei sei es unbestritten, dass das Leistungsfeststellungsverfahren objektiv nachvollziehbare Kriterien enthalten müsse, die vorab verbindlich festgelegt werden, und dass die Vergabe transparent und zeitnah erfolgen müsse.“ Stickelberger räumte ein, dass die Umsetzung leistungsabhängiger Zulagen keine leichte Aufgabe sein werde. Deshalb müsse bei ihrer Einführung auf größtmögliche handwerkliche Sorgfalt geachtet werden, sonst drohe man das eigentliche Ziel, nämlich eine höhere Motivation, zu verfehlen. „Leistungsabhängige Zulagen entfalten ihre positive Wirkung nur dann, wenn sie im Einklang mit dem Gerechtigkeitsempfinden der Beschäftigten gezahlt werden“, so Stickelberger.

Ein „gewisser Pferdefuß“ liegt nach Ansicht des SPD-Innenexperten Reinhold Gall außerdem darin, wie man unter Berücksichtigung der spezifischen beruflichen Anforderungen die Kriterien der Leistungsbemessung festlegt. „Es kann beispielsweise bei der Polizei nicht das Ziel sein, die Beamten zu besonders vielen Festnahmen zu motivieren. Es gilt vielmehr, ein sozial kompetenter Umgang mit den Bürgerinnen und Bürgern zu fördern“, unterstrich Gall. „Da ist allerdings die Messbarkeit schwierig.“

Grundsätzlich hält die SPD eine Einbeziehung der Betroffenen und der Personalvertretungen bei der Entwicklung und Durchführung der Bewertungs- und Belohnungssysteme für unabdingbar. Dies könne etwa in Form von Ziel- oder Dienstvereinbarungen geschehen. Voraussetzung sei eine Strukturierung der Auswahl- und Vergabeverfahren sowie eine Festlegung der Abstimmungs- und Kontrollmechanismen. Um einen positiven Ablauf zu gewährleisten, sollten alle verantwortlichen Vorgesetzten entsprechende Qualifikationsangebote wahrnehmen.

Pensionseintrittsalter: Anhebung nur im Gleichklang mit Renteneintrittsalter
Bei der Anhebung der Altersgrenzen für den Eintritt in die Pension widerspricht die SPD ganz entschieden der Ankündigung von Ministerpräsident Oettinger, hier früher als bei den Tarifbeschäftigten einzusteigen oder die Stufen zu verkürzen. „Die SPD trägt eine Anhebung des Pensionsalters nur im Gleichklang mit dem Renteneintrittsalter mit“, stellte Gall klar. Das zögerliche Verhalten der Landesregierung bei der Einrichtung eines Pensionsfonds dürfe jetzt nicht zu Lasten der Beamten gehen.

Nicht außer Acht gelassen werden sollten nach Ansicht der SPD diejenigen Berufsgruppen, für die bereits Sonderregelungen zum Pensionseintrittsalter bestehen, wie beispielsweise Polizei und Feuerwehr. Diese Sonderregelungen seien ja nicht grundlos eingeführt worden, sondern weil diese Mitarbeiter in ihrem Berufsalltag körperlichen Belastungen ausgesetzt seien, die man einem über 60-Jährigen nicht mehr zumuten könne.

Allerdings sei es im Interesse der Gesellschaft, dass erfahrene Beamte ihr Wissen an anderer Stelle einbringen und vor allem jüngeren Kollegen zur Seite stehen. „Jeder, der noch etwas Positives beitragen kann, sollte sich hierzu verpflichtet fühlen“, so Gall.

Dienstrechtsreform sichert Attraktivität des Landes als Arbeitgeber
Ein modernes Dienstrecht müsse jungen Menschen deutlich machen, dass das Land auch in Zukunft ein attraktiver Arbeitgeber ist. „Fachlich hervorragend qualifizierte Mitarbeiter mit hoher sozialer Kompetenz sind der Grundstock jedes wirtschaftlichen Unternehmens, aber auch des Landes Baden-Württemberg“, sagte Gall.

Im Wettbewerb um qualifizierte Mitarbeiter müsse das Land ein eigenes Profil als effizienter, leistungsstarker, wirtschaftlich und sozial verantwortungsvoller Sektor entwickeln. Dazu gehöre etwa eine weitergehende Flexibilisierung der Arbeitszeiten, die das Erwerbs- und Familienleben besser miteinander vereinbar machen. Auch an vermehrte Freistellungsmöglichkeiten sei zu denken, um den privaten Interessen der jungen qualifizierten Menschen gerecht zu werden. Hinzu kommen müssten angesichts der Altersstruktur im öffentlichen Dienst umfassende Angebote zur Fort- und Weiterbildung.


Martin Mendler
Stellv. Pressesprecher