Bildungssprecher Mentrup: „Träger, Fachkräfte und Eltern vor Ort fühlen sich von der Landesregierung alleine gelassen“

Die SPD-Landtagsfraktion fordert von der Landesregierung, deutlich stärkere Verantwortung für die frühkindliche Bildung zu übernehmen. Obwohl die Zahl der Baustellen im Elementarbereich zunehme, lege die Landesregierung ihre Hände in den Schoß, kritisierte der bildungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Frank Mentrup: „Träger, Fachkräfte und Eltern vor Ort fühlen sich von der Landesregierung alleine gelassen.“ Die Folgen seien dramatisch: Ministerpräsident Oettinger und Kultusminister Rau würden bewusst in Kauf nehmen, dass das große Potenzial der besonders lernintensiven ersten Lebensjahre bei den Kindern nicht ausgeschöpft werde. Zudem sei die Gefahr groß, dass die Qualität der frühkindlichen Bildungsangebote von der Kassenlage der Kommunen abhänge und dadurch ungleiche Verhältnisse entstünden. „Die Landesregierung verspielt hier die Chancengleichheit für alle Kinder“, erklärte Mentrup: „Das kann sich Baden-Württemberg nicht leisten.“

Mentrup forderte, dass die Landesregierung schnell mit den kommunalen Landesverbänden über eine Beteiligung verhandeln müsse: „Beim Doppelhaushalt 2009/10 kommt es zum Schwur.“ Dann werde sich zeigen, ob sich das Land zu seiner finanziellen Mitverantwortung bekenne. Akuten Handlungsbedarf sieht Mentrup an vier Baustellen in der frühkindlichen Bildung.

Baustelle 1: Kleinkindbetreuung – Ausbaupläne und tatsächliche Nachfrage nach Betreuungsplätzen
Kinder ab dem ersten Geburtstag erhalten ab dem Jahr 2013 einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz. Bis dahin soll für 35 Prozent aller Kleinkinder bis zum Alter von drei Jahren ein Betreuungsplatz geschaffen werden. Im Dezember 2007 hat sich das Land mit den kommunalen Landesverbänden auf die Finanzierung des Ausbauprogramms (Investitions- und Betriebskostenförderung) und auf einen Stufenplan bis zum Jahr 2013 verständigt.

Mentrup hält diese Vereinbarung für überholt, da die Nachfrage nach Betreuungsplätzen für Kinder unter drei Jahren deutlich größer sei als angenommen. In einem gemeinsamen „Brandbrief“ des Städtetages und des Gemeindetages an Ministerpräsident Oettinger erklärten die kommunalen Landesverbände am 9. Juni 2009: „Es zeigt sich bereits jetzt, dass die Nachfrage nach Betreuungsplätzen für Kinder unter drei Jahren die früheren Erwartungen weit übersteigt.“ Infolgedessen sei die beim Abschluss der Vereinbarung zwischen dem Land und den Kommunen vom 21. Dezember 2007 angenommene Zusatzbelastung von 800 Millionen Euro pro Jahr nicht mehr realistisch, erklärte der Bildungsexperte.

Die Forderungen der SPD
o Deutlich höhere Landesbeteiligung an den Ausbaukosten für Krippenplätze über das bereits Zugesagte hinaus
o Bereits im Jahr 2011 einen Betreuungsplatz für jedes dritte Kind bereitstellen

Baustelle 2: Orientierungsplan – verbindliche Einführung zum Kindergartenjahr 2009/10

Der Orientierungsplan für die Kindertageseinrichtungen wird zum Kindergartenjahr 2009/2010 verbindlich für alle Einrichtungen in Baden-Württemberg eingeführt, gilt allerdings nur für die drei- bis sechsjährigen Kinder. Der Plan gelte zwar als gute inhaltliche Grundlage für die frühkindliche Bildung. „Wenn der Orientierungsplan aber flächendeckend und qualitätsvoll umgesetzt werden soll, müssen die Rahmenbedingungen verbessert werden“, sagte Mentrup. Die Fachkräfte engagierten sich zwar in hohem Maße. Mentrup hält aber die Personalausstattung für viel zu gering. Es fehlten Zeiten für die Vor- und Nachbereitung und auch die Fortbildungsangebote reichten bei weitem nicht aus. Dies würden auch die kommunalen Landesverbände so sehen. Sie erklärten in ihrem Schreiben an die Landesregierung, „dass neben der Notwendigkeit einer besseren Qualifizierung des Personals die bisher zugrunde gelegten Mindeststandards nicht mehr ausreichen, um den Vorgaben des Orientierungsplans gerecht zu werden.“ Allerdings sei der Plan, wenn sich Oettinger mit den kommunalen Landesverbänden am 20. Oktober 2009 zu einem Gespräch treffe, bereits seit einigen Wochen verbindlich eingeführt. Damit sei klar, dass die Landesregierung die Umsetzung eines Plans verbindlich vorgeschrieben habe, ohne Mindeststandards festzulegen – von der Mitfinanzierung des Landes ganz zu schweigen, erklärte Mentrup. „Dieses Vorgehen verdeutlicht, dass die Landesregierung egal ist, wie der Plan umgesetzt wird – Hauptsache, sie kann die Einführung als Erfolg feiern“, sagte der Bildungsexperte.

Die SPD fordert eine breit angelegte Qualitätsoffensive in den Kindertageseinrichtungen. Ziel müsse sein, die Personalausstattung mit Fachkräften zu verbessern und die Fachkräfte höher zu qualifizieren. Das Land solle sich an den finanziellen Mehraufwendungen beteiligen und die Verantwortung für die Umsetzung des Orientierungsplans sowie den dafür notwendigen Rahmenbedingungen nicht allein den Kommunen zuschieben, forderte Mentrup.

Die Forderungen der SPD:
o Bessere Personalausstattung mit Fachkräften: in einem Stufenplan soll die Fachkraft-Kind-Relation auf einen Mindeststandard von 1:12 angehoben werden
o Gesetzliche Grundlage für die verbindliche Einführung des Orientierungsplans
o Gültigkeit des Orientierungsplans für den gesamten Bereich der 0-6-Jährigen
o Land und Träger vereinbaren ein Qualitätssicherungskonzept zur Umsetzung des Orientierungsplans o Schrittweise Beitragsfreiheit des Kindergartens

Baustelle 3: Sprachförderung – Ankündigung des Landes, Sprachförderangebote für alle Kinder vorzuhalten

Die Landesregierung hat angekündigt, für alle Kinder mit Sprachförderbedarf ein entsprechendes Förderangebot bereitzustellen und die Finanzierung sicherzustellen. Die inhaltliche und finanzielle Abwicklung der Sprachförderung im Land erfolgt über das Programm „Sag´ mal was“ der Landesstiftung. Hierfür wurden für das Jahr 2009 acht Millionen Euro bereitgestellt. Voraussetzung für die Antragsstellung ist die zum 1. Januar 2009 eingeführte zweistufige Einschulungsuntersuchung (ESU), für die die Gesundheitsämter zuständig sind.

Allerdings musste Sozialministerin Stolz in der Plenarsitzung vom 18. Juni 2009 einräumen, dass im Jahr 2009 aufgrund personeller Engpässe bei den öffentlichen Gesundheitsämtern höchstens 90 Prozent der Kinder nach der neuen ESU untersucht werden könnten. Diese Untersuchung ist aber Voraussetzung, um bei der Landesstiftung einen Antrag auf Sprachförderung stellen zu können. Andere Diagnoseverfahren als in der ESU vorgesehen, dürfen für die Antragsstellung nicht verwendet werden.

„Diese Vorgaben führen dazu, dass viele Kinder mit Sprachproblemen nicht gefördert werden“, sagte Mentrup. Schließlich habe die Landesregierung in der Antwort auf eine SPD-Anfrage eingeräumt, dass 12,7 Prozent der Anträge, die bei der Landestiftung gestellt wurden, im Programmjahr 2008/09 abgelehnt wurden. Infolge dessen erhielten jetzt schon 8,3 Prozent der Kinder mit Förderbedarf keine Sprachförderung (Drucksache 14/4280). Mentrup schätzt deshalb, dass im Jahr 2009 voraussichtlich bis zu 12 Prozent der Kinder mit Sprachproblemen nicht unterstützt werden könnten. Hinzu kommt, dass die Förderrichtlinien verschärft wurden und nur noch 5-jährige Kinder am „Sag mal was“-Programm teilnehmen dürfen.

„Wenn man weiß, wie wichtig die Sprachförderung für die weitere Bildungskarriere ist, stehen wir hier vor einer Bankrotterklärung der Kultusministers“, sagte Mentrup. Die Eltern hätten keine Gewissheit, ob ihr Kind tatsächlich rechtzeitig vor der Einschulung sprachlich gefördert werde. „Die Politik Raus macht die Chancengleichheit für viele Kinder zunichte.“ Wenn die personellen Ressourcen bei den Gesundheitsämtern und bei der Landesstiftung nicht ausreichten, um alle Kinder angemessen und im bisherigen Rahmen zu fördern, müsse die Landesregierung nachlegen. „Oettinger ist hier im Wort, Eltern und Kindern zu helfen“, sagte Mentrup.

Die Forderungen der SPD
o Integrierte Sprachförderung von Beginn des Kindergartens an
o Verlässliche Finanzierung der Sprachförderung über den Landeshaushalt
o Vorübergehende Zulassung verschiedener Verfahren zur Sprachstandsdiagnose für die Antragsstellung beim „Sag´ mal was“-Programm der Landesstiftung

Baustelle 4: Qualifikation und Bezahlung von Erziehern und Erzieherinnen – parteiübergreifendes Ja zu Höherqualifizierung, alles andere ist ungewiss

Da die Qualität der Kindertageseinrichtungen von Engagement und Qualifikation der Erziehern und Erzieherinnen abhänge, müsse die Aus- und Fortbildung weiter verbessert werden. Die SPD fordert seit langem, die Ausbildung mittelfristig auf Hochschulniveau anzuheben. Diese Forderung sei über alle Parteigrenzen hinweg unstrittig. Tatsächlich wurden zum Wintersemester 2007/08 an den Pädagogischen Hochschulen und (Fach)Hochschulen des Landes 275 Studienanfängerplätze für Studiengänge der frühkindlichen Bildung eingerichtet. Schrittweise sollen weitere Plätze zur Verfügung gestellt werden. Das bedeutet, dass bereits im Sommer 2010 die ersten Absolventen der neuen Studiengänge die Hochschulen verlassen. Bisher sei aber völlig offen, wo diese Absolventen überhaupt eingesetzt würden und was sie verdienen sollten, erklärte Mentrup.

Die Forderungen der SPD
o Bessere Bezahlung der Erzieherinnen und Erzieher: Sie sollen künftig in EG 9 des TVöD eingruppiert werden (rund 2.237 € brutto in der Grundstufe)
o Ausbildung der Erzieherinnen und Erzieher schrittweise auf Hochschulniveau anheben; damit einhergehend bessere Bezahlung der Hochschulabsolventen mit besonderen Anforderungen und Qualifikationen: Sie sollen künftig in EG 10 des TVöD eingruppiert werden (rund 2.533 € brutto in der Grundstufe)

Stuttgart, 27. Juli 2009
Dr. Roland Peter
Pressesprecher