Bildungsexperte Kaufmann: „Die Landesregierung betrachtet die beruflichen Schulen als Stiefkind ihrer Bildungspolitik“
SPD: Jede achte Stunden fällt aus oder wird nicht ordnungsgemäß gehalten – Landesregierung täuscht Öffentlichkeit mit Zahlenspielen
An den beruflichen Schulen in Baden-Württemberg fehlen nach Angaben des SPD-Bildungsexperten Gunter Kaufmann mehr als 2.000 Lehrerdeputate. Das geht aus der Antwort der Landesregierung auf einen Antrag der SPD-Landtagsfraktion hervor. „Es ist unglaublich, dass die Landesregierung hier bewusst das Risiko eingeht, die jungen Ba-den-Württemberger nicht ausreichend auszubilden“, erklärte Kaufmann. Und: „Die Lan-desregierung gefährdet damit die Zukunftschancen für viele Schüler an beruflichen Schu-len.“
Der Ausfall setzt sich aus drei Faktoren zusammen. Zum Ersten fallen an den beruflichen Schulen von vornherein 4,6 Prozent des Pflichtunterrichts flach, da die Landesregierung Pädagogen für 761 unbesetzte Lehrerdeputate nicht einstellt und ein strukturelles Defizit absichtlich in Kauf nimmt. Der Regierungsbezirk Karlsruhe nimmt nach der Statistik mit einem strukturellen Unterrichtsausfall von 6,1 Prozent die Spitze ein. Zweiter Faktor ist der Unterrichtsausfall, der aus Erkrankungen oder dienstlichen Verpflichtungen der Leh-rer resultiert. Dadurch fallen nach der Statistik landesweit 4,5 Prozent der Stunden aus, wie eine Stichprobe der Schulaufsicht in der 47. Kalenderwoche 2008 ergab. Dies ent-spricht einem zusätzlichen Defizit von 745 Deputaten. Dritter Faktor sind die Vertretungs-stunden, die nur dadurch abgehalten werden können, weil andere Pädagogen einsprin-gen. Ihr Unterricht entspreche aber in der Regel nicht dem ordentlichen Ablauf des Stun-denplans, erklärt die SPD. 3,6 Prozent aller Stunden entfällt auf diesen Faktor (596 De-putate).
Somit wird in den beruflichen Schulen des Landes 12,7 Prozent des Unterrichts nicht oder nicht ordnungsgemäß abgehalten, also jede achte Stunde. Dies entspreche mehr als 2000 Deputaten. Erschwerend komme hinzu, dass diese Statistik nur Durchschnitts-werte aufweise. Vor Ort fielen häufig noch deutlich mehr Stunden aus. Dies bedeute, dass in einzelnen Fächern durchaus ein halbes Jahr kein Unterricht stattfinde.
„Das ist ein verheerendes Ergebnis für die Bildungspolitik des Landes“, sagte dazu Kaufmann. Die Berufsschulen etwa seien besonders wichtig, wenn Baden-Württemberg die Qualität seiner Industrie halten wolle. Angesichts des Fachkräftemangels werde deut-lich, dass die Landesregierung die Ikone der Nullverschuldung vor sich hertrage, damit aber die Zukunftsfähigkeit des Landes gefährde. „Besonders schlimm ist es für die ein-zelnen Jugendlichen, wenn ihre Ausbildung angesichts der vielen fehlenden Stunden erheblich leidet“, betonte Kaufmann.
Die Landesregierung versuche aber kaum, effektiv gegenzusteuern. Stattdessen gehe Kultusminister Rau mit Zahlenspielen an die Öffentlichkeit, um die Mängel seiner Politik zu kaschieren. So sei die jetzt verkündete angebliche Neueinstellung neuer Lehrkräfte an den beruflichen Schulen schlichtweg der Versuch, die eigenen Maßnahmen ohne Aufse-hen zu korrigieren. Die Landesregierung habe erst im November 2008 wegen angeblich zurückgehender Schülerzahlen 200 Stellen gestrichen. Jetzt habe sie dies auf massiven Druck von SPD und Lehrerverbänden scheibchenweise wieder zurückgenommen. 190 Stellen sollen insgesamt wieder geschaffen werden. „Damit ist erst wieder die Ausgangs-lage vom Herbst 2008 erreicht worden, obwohl der Bedarf deutlich größer ist“, sagte Kaufmann. Die Situation an den beruflichen Schulen sei damit nur leicht verbessert wor-den. Der Experte für berufliche Bildung weist vor allem darauf hin, dass ein erheblicher Teil dieser 190 Stellen zum einen auf Verwaltungsaufgaben der Schulleitung entfalle. Zum anderen würden sie für zusätzliche Poolklassen an den Beruflichen Gymnasien ge-braucht, um die sogenannten „Doppelten Mittlere Reife-Jahrgänge“ wenigstens zum Teil auffangen zu können.
Damit bleibe die Situation an den beruflichen Schulen kritisch, sagte Kaufmann. Um Ver-besserungen zu erreichen, müsse die Landesregierung zumindest das strukturelle Defizit von vier Prozent der Deputate abbauen. Es könne nicht sein, dass Rau hier von vornher-ein mit weniger Unterrichtsstunden als notwendig plane, sagte Kaufmann. Das sei eine bewusste Benachteiligung dieser Einrichtungen. „Offensichtlich betrachtet die Landesre-gierung die beruflichen Schulen als Stiefkind ihrer Bildungspolitik.“
Dr. Roland Peter, Pressesprecher