Arbeitsmarktexperte Rudolf Hausmann: „Dass die Landesregierung die Folgen einer Zerschlagung für die Arbeitslosen und die Beschäftigten der Jobcenter vollkommen außer acht lassen will, ist unverantwortlich“

Die SPD-Fraktion kritisiert kurz vor der möglicherweise entscheidenden Sondersitzung der Arbeits- und Sozialministerkonferenz am kommenden Dienstag die Absicht der Landesregierung, die Jobcenter zu zerschlagen. Ziel der Landesregierung ist, die Aufgaben zwischen Kommunen und Arbeitsagentur vollständig zu trennen (Begriffserklärung siehe unten). Sie stehe aber mit dieser Absicht unter allen anderen Bundesländern vollkommen isoliert da, erklärte der arbeitsmarktpolitische Fraktionssprecher Rudolf Hausmann. Lediglich die schwarz-gelbe Bundesregierung teile den Kurs von Ministerpräsident Oettinger und seines designierten Nachfolgers Mappus. „Dass die Landesregierung die Folgen einer derartigen Entscheidung für die Arbeitslosen und die Beschäftigten der Jobcenter vollkommen außer acht lassen will, ist unverantwortlich“, sagte Hausmann. In Baden-Württemberg sind mehr als 450.000 Personen auf diese Hilfen angewiesen, darunter etwa 150.000 Kinder und Jugendliche.

Die SPD fordert deshalb eine Verfassungsänderung. Danach würden Bund, kommunale Spitzenverbände und Arbeitsagentur lediglich noch Zielvorgaben machen, so dass die Arbeit eines Jobcenters weitgehend flexibel ablaufen kann. „Da die Kommunen die Situation vor Ort am besten kennen, würde den Arbeitslosen mit einer solchen Lösung am besten geholfen werden“, sagte Hausmann.

Nach der bisherigen Regelung werden die Leistungen für Arbeitssuchende (Hartz IV) zumeist über Arbeitsgemeinschaften gewährt, bei denen die Bundesagentur für Arbeit und die Kommunen verbindlich zusammenwirken. Dies wurde von den Bundesverfassungsrichtern als nicht verfassungskonform betrachtet. Daraufhin kam eine Nachfolgeregelung in der Großen Koalition nicht zustande, da die CDU/CSU-Bundestagsfraktion einen Kompromissvorschlag des damaligen Bundesarbeitsministers Scholz (SPD) und der Bundesländer ablehnte. Dieser Vorschlag wurde Ende November erneut von den Sozialministern von 15 Bundesländern bekräftigt, während Baden-Württemberg sich der Stimme enthielt. Damit hätten selbst die bisherigen Bündnispartner Bayern und Sachsen die Linie des baden-württembergischen Sozialministeriums verlassen, sagte Hausmann.

In Baden-Württemberg hätten der Städtekreistag sowie die AWO und andere Wohlfahrtsverbände den Regierungsplänen widersprochen. Der Landkreistag spricht sich zwar weiterhin für eine alleinige kommunale Durchführung der Hilfen aus. Dieses Modell scheine jedoch nicht durchsetzbar, sagte Hausmann. Ebenso wenig sei zu erwarten, dass die Anzahl der Optionskommunen erhöht werde, wie es der Landkreistag erwarte. Grundsätzlich wende sich die Vertretung der Landkreise aber auch dagegen, die Trägerschaft zu trennen.

SPD will Mischverwaltung ermöglichen
Die SPD fordert deshalb im Verein mit allen anderen Bundesländern eine Verfassungsänderung, um eine Mischverwaltung von Bundesagentur und Kommunen zu ermöglichen. Dabei sollen zum einen die kommunalen Kompetenzen ausgeweitet werden. Ein weiteres Ziel ist, die Ein-Euro-Jobs durch eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu ersetzen.

Damit sei es möglich, die bisherigen günstigen Lösungen für die Betroffenen in den Jobcentern weiterzuführen. Ansonsten würde das Kernstück einer der größten Sozialreformen in der deutschen Geschichte, der Grundsatz „Leistungen aus einer Hand“, parteipolitischem Geplänkel geopfert, sagte Hausmann. Die Arbeitslosen müssten dann bei zwei Behörden Anträge stellen, um eine Leistung zu erhalten. Dabei wäre es vollkommen beliebig, wie die Zusammenarbeit der Behörden künftig abliefe. Schlimmstenfalls könnten sich die Leistungsbescheide sogar widersprechen und die in Not geratenen Menschen gerieten in die Mühlsteine der Verwaltungsbürokratie.

Für die Verwaltungen bedeute die getrennte Trägerschaft zwei Verwaltungsapparate, doppelte Aktenführung und erhebliche Mehrkosten, sagte Hausmann. Die Arbeitsgemeinschaften müssten derzeit Kräfte investieren, um die Verwaltungen zu trennen, statt sich in der Wirtschafts- und Finanzkrise hauptsächlich um die steigende Arbeitslosigkeit zu kümmern. Zudem seien in der regionalen Arbeitsmarktpolitik keine verbindlichen Absprachen zwischen Kommunen und Bundesagentur für Arbeit vorgesehen. Darüber hinaus betreffe diese Entscheidung auch die Beschäftigten in den Jobcentern. „Sie wissen nicht, wie es nach der Übergangszeit bis 1. Januar 2011 weitergeht“, sagte Hausmann. Das führe jetzt schon zu einer hohen Fluktuation in einem Bereich, der nur mit hoher Sachkompetenz zu bearbeiten sei. „Die Absicht der Landesregierung, die Jobcenter aus sachlich offenkundig völlig uneinsichtigen Gründen zu zerschlagen, wird von der SPD abgelehnt“, sagte Hausmann. Und: „Wir dürfen hier keine theoretischen Grundsatzdiskussionen führen, sondern müssen an die Betroffenen denken.“

Die Position der SPD wird von Kommunen mit Arbeitsgemeinschaften wie Mannheim und Pforzheim unterstützt. Dort regt sich heftiger Protest gegen die schwarz-gelben Plane. Der Mannheimer Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz bezeichnet sie als „Katastrophe“ und „Desaster“. Bei ihrer Umsetzung würde die Unterstützung für die Arbeitslosen in Strukturen zurückfallen, die teurer, bürgerunfreundlicher und uneffektiv seien. Eine ganzheitliche Hilfe sei nicht mehr möglich.

Die Kommunen haben vor allem Bedenken, dass die Hilfebedürftigen wieder von Amt zu Amt geschoben werden sollten. Damit entstünden erneut Verschiebebahnhöfe, die die Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe gerade überwunden hatte. Unterschiedliche Bescheide erschwerten auch die Widerspruchs- und Klagewege – sowohl von den Ämtern als auch von Betroffenen. Damit könne sich die ohnehin schon angespannte Situation bei den Sozialgerichten weiter verschärfen.

Stuttgart, 11. Dezember 2009
Dr. Roland Peter
Pressesprecher

Erläuterungen:
Arge: Kommunen und Bundesagentur arbeiten im Jobcenter zusammen. Jeder Arbeits-lose hat einen einzigen Ansprechpartner bei Arbeitslosen- und bei Wohngeld (Gemeinsame Stellung des Personals und Vergabe sämtlicher Leistungen sowie gemeinsame Arbeitsvermittlung).

Optionskommune: Die Hilfe kommt hier allein aus der Hand der Kommunen ohne die Arbeitsagentur mit eigenem Personal.

Getrennte Aufgabenverantwortung: Zuständig für Beschäftigte mit längerer Arbeitszeit als drei Stunden am Tag ist die Arbeitsagentur; falls nicht, vor allem bei Menschen mit Problemen, ist die Kommune zuständig.