Wolfgang Drexler: „Längeres gemeinsames Lernen nützt allen Schülern – den Schwachen und den Starken“

MdL Norbert Zeller: „Unsere Kinder brauchen eine bessere individuelle Förderung“

Eigene Anhörungen der SPD-Fraktion zu Pisa-Konsequenzen

Nach der Vorlage eines Eckpunktepapiers zu den Konsequenzen aus Pisa im vergangenen November hat die SPD-Landtagsfraktion jetzt eine erste grundlegende Weichenstellung vorgenommen. Auf ihrer Klausurtagung in Schwäbisch Gmünd hat sich die Fraktion nach Angaben des Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Drexler für eine sechsjährige Grundschulzeit und ein daran anschließendes zweigliedriges Schulsystem mit Regionalschulen und Gymnasien entschieden. Von ausschlaggebender Bedeutung für mehr schulischen Erfolg im internationalen Vergleich ist dabei eine verstärkte individuelle Sprachförderung. Mit diesem Konzept will die SPD-Fraktion Druck machen, damit die Landesregierung aus den schlechten Pisa-Befunden endlich die Konsequenzen zieht und die notwendigen Reformen anpackt.

Die Grundschulen würden von der eliten-orientierten Kultusministerin in Baden-Württemberg bisher ohnehin schon vernachlässigt, kritisierte Drexler. Baden-Württemberg habe an den Grundschulen die schlechteste Schüler-Lehrer-Relation aller Bundesländer. Fraktionschef Drexler wies auch noch einmal darauf hin, dass die Leistungsunterschiede in keinem anderen Land so groß sind wie in Deutschland, dass fast ein Fünftel aller 15-Jährigen in Baden-Württemberg nicht einmal über elementare Lesekompetenz verfügt und dass in keinem vergleichbaren Land die soziale Herkunft die Bildungschancen der Kinder so stark bestimmt wie in Deutschland. Pisa habe aber auch gezeigt, dass das gegliederte deutsche Schulwesen anderen Systemen nicht überlegen ist, integrative Schulsysteme vielmehr gleichzeitig eine breite Bildungsbeteiligung und ein hohes Bildungsniveau bewirken.

Unterstützung für die 6-jährige Grundschule und ein zweigliedriges Schulsystem verspricht sich die SPD auch vom Pisa-Koordinator der OECD, Andreas Schleicher. Schleicher hatte jüngst in einem Streitgespräch mit Kultusministerin Schavan das gegliederte deutsche Schulsystem massiv in Frage gestellt. „Ich bezweifle, dass Deutschland langfristig sein größtes Problem – der überragende Einfluss der Herkunft eines Schülers auf seine Leistungen – im gegliederten System lösen kann“ (Die Zeit vom 5.12.2002).

Verbindliche Sprachstandsdiagnosen und individuelle Förderung
Drexler warf Kultusministerin Schavan Konzeptionslosigkeit bei der Sprachförderung vor. Sie habe zwar interministerielle Arbeitsgruppen eingerichtet, ein Konzept zur individuellen Sprachförderung aber habe die Landesregierung bis heute nicht. Die SPD-Fraktion setzt dagegen auf verbindlichen Sprachstandsdiagnosen für alle Fünfjährigen, damit die Kinder entsprechend ihrer individuellen Sprachfähigkeit verpflichtend gefördert werden können. So soll sichergestellt werden, dass in Zukunft alle ABC-Schützen vom ersten Schultag an dem Unterricht folgen können. Einen entsprechenden Antrag hat die SPD-Fraktion jetzt im Landtag eingebracht.

Pisa und auch die Ergebnisse einer Studie der Stadt Mannheim vom November des vergangenen Jahres bestätigten den akuten Handlungsbedarf im Elementarbereich. Nach den Ergebnissen in Mannheim verfügt jeder dritte ABC-Schütze nicht über ausreichende Deutschkenntnisse, um dem Unterricht folgen zu können.

CDU kneift – eigene öffentliche Anhörungen der SPD-Fraktion
„Die PISA-Studie liegt seit über einem Jahr vor – getan hat sich im Land bisher so gut wie nichts“, monierte SPD-Fraktionschef Wolfgang Drexler. Enttäuscht ist Drexler auch darüber, dass CDU-Fraktionschef Oettinger offenbar unter dem Druck der Kultusministerin seine frühere Zusage zurückgezogen hat, im Schulausschuss des Landtags fünf gemeinsame öffentliche Anhörungen zu den Konsequenzen aus der PISA-Studie unter den formalen Bedingungen einer Enquetekommission durchzuführen. Die CDU habe damit die Chance vertan, gemeinsam zu Verbesserungen für unsere Schulen zu kommen.

Für die Detailumsetzung ihres neuen schulpolitischen Konzepts will die SPD-Fraktion nun eigene Anhörungen veranstalten und den Rat von Experten einholen. Fraktionschef Wolfgang Drexler kündigte an, in den nächsten Monaten fünf eigene Anhörungen der SPD-Fraktion zu zentralen Punkten aus der PISA-Studie durchzuführen: Elementarbildung/Stärkung der Grundschule; Längere gemeinsame Lernzeiten; Schule – Haus des Lernens; Lehreraus- und Fortbildung; außerschulische Jugendbildung.

Norbert Zeller: Frühe Auslese ist ein Modell der Vergangenheit
Eine sechsjährige Grundschule erspart nach Ansicht von Norbert Zeller, bildungspolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion, den Kindern den Schulwechsel zu einem für ihre Entwicklung ungünstigen Zeitpunkt. „Sechsjährige Grundschulen schaffen gute Voraussetzungen für eine altersgerechte Pädagogik“. Anstelle von frühem Selektions- und Übergangsstress stehen die individuelle Förderung und das längere gemeinsame Lernen im Mittelpunkt. „Wir wollen nicht, dass Kinder bereits mit zehn Jahren in unterschiedliche Schulformen sortiert werden und mit Etiketten wie „typische Hauptschüler“ oder „typische Gymnasiasten“ versehen werden“, betonte der SPD-Schulexperte, „Individuelles Lernen, kleine Klassen und eine bessere Sprachkompetenz lassen sich mit einer sechsjährigen Grundschule besser verwirklichen.“

Darüber hinaus ließen sich soziale Kompetenz, Demokratiefähigkeit und Solidarität besser entwickeln im Umgang mit Menschen, die anders sind. Erfolgreiche Pisa-Länder hätten durchweg längere gemeinsame Lernzeiten. Dazu zählten auch Ganztagsschulen. Zeller betonte, dass die SPD am Ziel, ein flächendeckendes Angebot für alle Schularten zu schaffen, festhält, während Kultusministerin Schavan Ganztagsschulen nur in kleiner Zahl für Hauptschulen in sozialen Brennpunkten zulassen will.

Regionalschulen: mehr Bildungsgerechtigkeit und wohnortnahe Schulstandorte
Als weiteren Baustein für das Ziel, längeres gemeinsames Lernen zu ermöglichen, sieht das SPD-Konzept vor, Real- und Hauptschulen zu Regionalschulen zusammenzuführen. Ziel der Regionalschulen ist es, das Bildungsangebot im ländlichen Raum zu stärken und zu erweitern, um damit dem Wunsch der Eltern nach einem qualifizierten und wohnortnahen mittleren Bildungsabschluss zu entsprechen. Auch Schüler mit Behinderungen sollen in Regionalschulen integriert werden.

Die Regionalschule ist nach den Vorstellungen der SPD eine Schule der Sekundarstufe I und vergibt folgende Abschlüsse:
• die Qualifikation der Berufsreife nach Klasse 10 (Hauptschulabschluss),
• den qualifizierten Sekundarabschluss I (Realschulabschluss).
Zugleich kann nach Abschluss der 10. Klasse unter bestimmten Notenvoraussetzungen die Übergangsberechtigung in die gymnasiale Oberstufe erworben werden. Regionalschulen leisten nach Ansicht der SPD-Fraktion gerade auch im ländlichen Raum einen wichtigen Beitrag, um Jugendlichen einen höheren Schulabschluss zu ermöglichen. „Regionale Schulen sind auch ein Garant für mehr Bildungsgerechtigkeit.“

Norbert Zeller: „Schavan lässt schon jetzt aus Kostengründen prüfen, ob kleine Hauptschulen geschlossen werden können. Besser wäre es, sie würde die Einführung von Regionalschulen unterstützen, damit der ländliche Raum gestärkt und nicht geschwächt wird.“

Reform der Lehreraus- und -fortbildung
Überfällig ist nach Ansicht der SPD-Fraktion auch eine Reform der Lehreraus- und
-fortbildung, die Theorie und Praxis von Anfang an besser verzahnt. Er kündigte für die kommenden Wochen dazu ein eigenes SPD-Konzept an.

Helmut Zorell

Pressesprecher