Wolfgang Drexler: „Angesichts der Schlusslichtposition des Landes bei der Kinderbetreuung hilft Schönreden nicht mehr weiter“

Marianne Wonnay: „Die Öffentlichkeit, die Eltern und die Kindergartenträger wurden von der Regierung getäuscht“

Die SPD-Landtagsfraktion fordert eine sofortige Revision des Kindergartengesetzes. Die Mängel des seit Jahresanfang geltenden novellierten Kindergartengesetzes seien so offenkundig, dass längeres Abwarten nicht mehr zu verantworten sei, sagte der Vorsitzenden der SPD-Fraktion, Wolfgang Drexler. Auch die neuesten, vergleichenden Zahlen des Statistischen Bundesamtes über die Kinderbetreuungsangebote in den Bundesländern, wo Baden-Württemberg nahezu durchweg die Rote Laterne habe, unterstreiche die Dringlichkeit einer Neuregelung. Zudem habe das erst nach In-Kraft-Treten des Kindergartengesetzes bekannt gewordene Rechtsgutachten der Kommunalen Landesverbände schwere rechtliche Mängel offen gelegt, die weit über juristische Detailfragen hinaus auch politischen Sprengstoff enthielten. Auch die so wichtige Sprachförderung komme nur sehr schleppend voran.

Wolfgang Drexler: „Angesichts der Schlusslichtposition des Landes bei der Kinderbetreuung und angesichts der eklatanten Mängel des Kindergartengesetzes muss die Landesregierung handeln. Die Politik des Schönredens hilft jetzt nicht mehr weiter. Baden-Württemberg braucht dringend ein umfassendes Kindertagesbetreuungsgesetz.“

Wirtschaftsminister Döring habe vor wenigen Tagen immerhin eingeräumt, dass die Betreuungssituation im Land ‚alles andere als erfreulich’ sei und deshalb gefordert, wir müssten jetzt „eine Aufholjagd starten“. Zu Recht habe Döring in seiner Reaktion auf die Zahlen des Statistischen Bundesamtes darauf hingewiesen, dass die Kinderbetreuung für die Wirtschaft „eine zentrale Frage“ sei. „Unser Land hat in der Tat so viele hochqualifizierte Frauen wie nie zuvor, und deshalb ist es eine ganz entscheidende Frage der Zukunftssicherung, dass Männer und Frauen Beruf und Familie miteinander vereinbaren können“, so der SPD-Fraktionschef.

Das zum Jahresanfang novellierte Kindergartengesetz verhindere eine familiengerechte Kinderbetreuung, so Drexler. Denn die Kommunen seien finanziell gar nicht in der Lage, die mit dem notwendigen Ausbau des Betreuungsangebotes verbundenen Mehrkosten allein zu schultern, wie dies im Gesetz festgeschrieben wurde.

„Die Landesregierung hat den Ausbau der Kinderbetreuung aus ideologischen Gründen seit Jahren blockiert. Und jetzt sollen die Kommunen den Scherbenhaufen zusammenkehren, ohne dass sich die Landesregierung auch nur mit einem müden Euro daran beteiligt. Dies ist eine Frechheit gegenüber den Kommunen, eine Unverschämtheit gegenüber den betroffenen Eltern und ihren Kindern und unverantwortlich gegenüber der Wirtschaft, die auf eine bessere Kinderbetreuung baut.“

Betreuungsplätze fehlen an allen Ecken und Enden
In Baden-Württemberg ist das Kinderbetreuungsangebot nach den Worten von Wolfgang Drexler in keiner Weise bedarfsgerecht. Es fehlten Betreuungsplätze für Kleinkinder bis zum Alter von drei Jahren, Ganztagsbetreuungsplätze und Betreuungsplätze für Schulkinder. Nach den Erhebungen des Statistischen Bundesamtes gibt es im Land für je 1.000 Kleinkinder nur 23 Betreuungsplätze, im Bundesdurchschnitt sind es 85. Für je 1.000 Schulkinder im Alter von 6 bis 14 Jahren gibt es nur 23 Betreuungsplätze, im Bundesdurchschnitt jedoch 58. Eklatante Defizite bestehen auch bei Ganztagsbetreuungsangeboten: Während im Bundesdurchschnitt fast drei Viertel aller Kinderkrippen (71,7 Prozent) ganztags geöffnet haben, sind es in Baden-Württemberg noch nicht einmal die Hälfte (44,0 Prozent).

Auch für Kindergartenkinder fehlen Ganztagsbetreuungsplätze. Im Land bieten nicht einmal ein Zehntel aller Kindergärten (7,1 Prozent) eine Ganztagsbetreuung mit Mittagessen an, bundesweit haben mehr als ein Drittel (36,4 Prozent) der Kindergärten ein solches Angebot.

Wir brauchen: Ein echtes Kindertagesbetreuungsgesetz!
Damit die unhaltbare Situation bei der Kinderbetreuung in Baden-Württemberg rasch zum Besseren gewendet werden kann, ist nach den Worten von Wolfgang Drexler ein umfassendes Kindertagesbetreuungsgesetz unerlässlich. Es müsse alle Kinderbetreuungsangebote für Kinder bis zum Alter von 14 Jahren umfassen. Anders als die Landesregierung befürworte die SPD beim Ausbau des Betreuungsangebots eine faire Lastenteilung zwischen Land und Kommunen. Das Land müsse den Kommunen deshalb zusätzliche Mittel für den Ausbau des Kinderbetreuungsangebots zur Verfügung stellen.

Die SPD hat dafür ein klares und einfaches Finanzierungskonzept vorgelegt. „Wir verwenden den Erlös aus dem Verkauf von Landesbeteiligungen und der Auflösung der Landesstiftung für den Schuldenabbau, von den eingesparten Zinsen investieren wir jährlich ungefähr 90 Mio. Euro in die Zukunft unserer Kinder“, so der SPD-Fraktionschef.

Marianne Wonnay: Viele Kindergärten benachteiligt – Eltern wurden getäuscht!
Seit dem In-Kraft-Treten des novellierten Kindergartengesetzes erhält die SPD-Landtagsfraktion nach den Angaben der stellvertretenden Vorsitzenden und familienpolitischen Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, Marianne Wonnay, Protestbriefe aus allen Teilen des Landes, die allesamt eine Verschlechterung der Fördersituation für viele Einrichtungen beklagten. „Das neue Kindergartengesetz führt zu massiven Benachteiligungen für Waldorf-, Montessori-, Wald- und Betriebskindergärten.“

Nach dem alten Förderrecht erhielten diese Kindergärten mit einer besonderen pädagogischen Prägung und einem überörtlichen Einzugsbereich einen Landeszuschuss für ihre Gruppen, und zwar unabhängig davon, ob die Sitzgemeinde einen Komplementärzuschuss bezahlte. Seit Jahresanfang erhalten diese Einrichtungen nur noch dann eine Förderung, wenn sie in den Bedarfsplan der Sitzgemeinde aufgenommen werden, was nur in wenigen Fällen geschehen ist. Außerdem lehnen es viele Gemeinden aus nachvollziehbaren Gründen ab, die Kosten für die Betreuung von Kindern aus anderen Gemeinden zu übernehmen, solange sich das Land überhaupt nicht daran beteiligt. Da sich häufig auch die Herkunftsgemeinden weigern, für die Kosten aufzukommen, führt dies nach Wonnays Worten zu massiven Benachteiligungen dieser Einrichtungen.

Obwohl die SPD von Anfang an vor dieser Fehlentwicklung warnte, hatte Sozialminister Repnik bei den Gesetzesberatungen im Landtag wörtlich behauptet, ‚Einrichtungen mit gemeindeübergreifendem Einzugsgebiet werden durch das neue Recht nicht benachteiligt’ (vgl. Plenarprotokoll 13/41, S. 2799 vom 26.03.2003). „Nun ist das Gegenteil eingetreten. Die Öffentlichkeit, die Eltern und die Kindergartenträger wurden schlicht und einfach getäuscht“, so Wonnay.

Um die Situation von Kindergärten mit einer besonderen pädagogischen Prägung und einem überörtlichen Einzugsbereich rasch zu verbessern, muss den Standortgemeinden ein Anspruch auf Erstattung der Kosten gegenüber der Wohngemeinde der Kinder eingeräumt werden, fordert deshalb die SPD.

Völlig unzureichende Sprachförderung – Teufels Wortbruch
Neben dieser Schlechterstellung vieler Träger, so Wonnay weiter, weise das Kindergartengesetz auch schwer wiegende inhaltliche Mängel auf. „Rund ein Viertel aller Kindergartenkinder benötigen eine gezielte Sprachförderung, aber es geschieht so gut wie nichts.“ Zwar erwähne das novellierte Kindergartengesetz die Sprachförderung als Aufgabe, die Landesregierung weigere sich jedoch, die Kommunen bei der Erfüllung dieser bildungspolitischen Zukunftsaufgabe zu unterstützen. Wonnay: „Angesichts der Bedeutung der frühzeitigen Sprachförderung für den späteren Bildungsweg der Kinder ist dies ein familien- und bildungspolitisches Armutszeugnis – und ein klarer Wortbruch dazu.“

Denn im Vorfeld der Gesetzesberatungen hatte Teufel etwas anderes versprochen. In der Vereinbarung zwischen der Landesregierung und den Kommunalen Landesverbänden zur Kindergartenfinanzierung vom Juli 2002 hatte Ministerpräsident Teufel zugesagt, die Sprachförderung finanziell in angemessener Weise zu unterstützen (vgl. PM des Staatsministeriums vom 17. Juli 2002).

Die Weigerung der Landesregierung, sich an der Finanzierung der frühkindlichen Sprachförderung zu beteiligen, sei nicht nur politisch falsch, sondern darüber hinaus auch rechtlich fragwürdig. Das erst kürzlich bekannt gewordene, von den Kommunalen Landesverbänden in Auftrag gegebene Rechtsgutachten der Professoren Schoch und Wieland zur Sprachförderung im neuen Kindergartengesetz stellt dazu fest (S. 115/116):
„Kaum als bloße ‚Klarstellung’ im neuen Kindergartenrecht kann (…) die Festschreibung der Sprachförderung erachtet werden. Im bisherigen Recht war dazu keine Regelung getroffen gewesen. (…) Für die Kommunen handelt es sich um eine neue Aufgabe. (…) Nach Artikel 71 Abs. 3 S. 1 LV BW kann den Gemeinden (…) durch Gesetz die Erledigung bestimmter Aufgaben übertragen werden. (…) Die Aufgabenbelastung als solche ist dem Landesgesetzgeber zuzuordnen.“

Wonnay: „Im Klartext heißt dies, dass die Landesregierung nach der Landesverfassung verpflichtet ist, den Kommunen für die Erfüllung der neuen Aufgabe der Sprachförderung einen finanziellen Ausgleich zu gewähren.“

Die SPD will, dass die Sprachförderung von Anfang an erfolgt, also im ersten Kindergartenjahr. Durch Beobachtung und Dokumentation der Sprachentwicklung im Kindergarten könnten Defizite frühzeitig erkannt werden. Sprachförderung könne im Kindergarten kontinuierlich in den Alltags- und Spielsituationen erfolgen. Zudem könnten die Eltern in die Sprachförderung einbezogen und deren Kompetenzen gezielt genutzt werden. Dazu müssten in den Kindergärten die erforderlichen Rahmenbedingungen, auch mit Blick auf die Aus- und Fortbildung der Erzieherinnen, geschaffen werden.

Schulkindbetreuung: Das Land steht – auch rechtlich – in der Pflicht
Kritik übte Wonnay auch an der Haltung der Regierung zur Schulkindbetreuung. Obwohl das Land bei den Betreuungsangeboten für Schulkinder eine Schlusslichtposition einnehme, weigere sich die Landesregierung, die Kommunen beim Ausbau dieser Betreuung zu unterstützen. Auch hier komme das Rechtsgutachten von Schoch und Wieland zu dem Ergebnis, dass diese Position rechtlich unhaltbar ist. Die Gutachter vertreten die Auffassung, dass die Schulkindbetreuung in die Verantwortung des Staates fällt. Dies hat die Landesregierung bisher stets geleugnet, nun aber räumt sie mit gewundenen Worten Klärungsbedarf und „gegebenenfalls Handlungsbedarf“ ein:

‚Die Landesregierung wird die Aussagen zur Schulkindbetreuung in dem umfassenden Rechtsgutachten zunächst sorgfältig prüfen und bewerten. Auch muss in Gesprächen zwischen den betroffenen Ministerien und möglicherweise den kommunalen Spitzenverbänden geklärt werden, ob gegebenenfalls weiterer Handlungsbedarf bei der Betreuung von Schulkindern besteht’. (Antwort auf den SPD-Antrag zu den Konsequenzen des Rechtsgutachtens, Drs. 13/2899, S. 3)

Marianne Wonnay: „Vor dem Hintergrund all dieser Defizite und rechtlichen Mängel ist eine sofortige Revision des Kindergartengesetzes unumgänglich.“

Helmut Zorell
Pressesprecher