Fraktionschef Claus Schmiedel: „Die Regierung muss den Kinderschutz im Land jetzt verbindlich regeln“

Sozialexpertin Katrin Altpeter: „Wenn wir unsere Kinder insgesamt besser schützen, wird es auch weniger sexuelle Gewalt geben“

Die SPD-Fraktion will den Kinderschutz im Land mit einem umfassenden Paket erheblich verbessern. Aktueller Anlass sind die Meldungen über sexuelle Gewalt insbesondere an Schulen und in Heimen. Nach der Kriminalstatistik 2008 wurden in Baden-Württemberg knapp 1700 Kinder Opfer von sexuellem Missbrauch. Die Dunkelziffer ist aber deutlich größer. Um die Kinder auch gegen Vernachlässigung besser zu schützen, sollen staatliche Vorschriften verbindlicher und Schritte zur Prävention zielgerichtet ausgebaut werden. Gefordert wird etwa, die Hilfen für Familien in belastenden Lebenslagen deutlich zu vergrößern sowie ein erweitertes Führungszeugnis für alle Beschäftigten im Kinder- und Jugendbereich einzuführen. „Die Regierung muss den Kinderschutz im Land jetzt verbindlich regeln“, erklärt SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel. „Wenn das Land die Kinder insgesamt besser schützt, wird es auch weniger sexuelle Gewalt geben“, sagt die stellvertretende Fraktionschefin und Sozialexpertin Katrin Altpeter.

1. Ziele eines erweiterten Kinderschutzes in Baden-Württemberg
Die SPD-Fraktion will folgende Eckpunkte in einem neuen Kinderschutzgesetz regeln, wie sie bereits zum großen Teil in Rheinland-Pfalz umgesetzt wurden. Ein entsprechender Antrag ist im Landtag eingebracht.

a. Prävention:

• ein neues Leistungsangebot „Frühe Hilfen“ mit einer flächendeckenden und niedrigschwelligen Unterstützung für Familien in belastenden Lebenslagen, darunter der Ausbau von Familienbegleitern und Familienhebammen;

• die Einführung eines erweiterten Führungszeugnisses für alle Beschäftigten im Kinder- und Jugendbereich, worin über alle einschlägigen Straftaten auch im Bagatellbereich informiert wird. In Nordrhein-Westfalen gilt diese Regelung bereits ab Anfang Mai.

• eine stärkere Zusammenarbeit im Kinderschutz für alle damit befassten Berufsgruppen und Institutionen von Jugendhilfswerken bis zu privaten Kinderärzten und die Schaffung verbindlicher Netzwerke.

b. Intervention:

• veränderte und verdeutlichte Normen für Berufsgeheimnisträger – insbesondere für Ärzte, etwa zur Weitergabe der Krankengeschichte eines Kindes;

• mehr Handlungs- und Rechtssicherheit für die mit dem Kinderschutz befassten Professionen und Organisationen, etwa durch eine Verdeutlichung der Verfahrensabläufe: Wann werden die Eltern einbezogen, wann und an wen müssen die Informationen weitergegeben werden?

• die Weitergabe von Informationen über gefährdete Kinder bei einem Wohnortwechsel.

2. Kritik an Kinderschutzkonzept und -gesetz im Land
Die SPD hält das bisherige Kinderschutzkonzept und das Kinderschutzgesetz des Landes für völlig unzureichend. Das Konzept zähle lediglich die bestehenden Schutzprogramme auf. Das sei bei weitem nicht ausreichend. So soll ein neues Konzept darlegen, welche Ziele das Land überhaupt erreichen will. Zudem fehle bislang das Thema „Sexuelle Gewalt gegen Kinder“ völlig. „Wenn die Landesregierung die Kinder besser schützen will, muss sie noch gehörig nachlegen“, sagt Schmiedel.

Zudem „ist der Schutz der Kinder im bisherigen Gesetz bislang eine Farce“, erklärt Altpeter. Es regele lediglich die Aufgaben der Gesundheitsämter und verpflichte die Eltern, ihre Kinder an den Vorsorgeuntersuchungen teilnehmen zu lassen. Die Landesregierung müsse deshalb in einem neuen Kinderschutzgesetz ihren Widerstand gegen verbindlichere Formen der Zusammenarbeit etwa zwischen öffentlichen und freien Trägern der Jugendhilfe aufgeben. Ein Antrag der SPD-Landtagsfraktion war erst jüngst im Sozialausschuss des Landtags gescheitert, obwohl auch Kinderschutzexperten eine bessere Zusammenarbeit fordern. Andere Bundesländer – wie etwa Rheinland-Pfalz – verfügen bereits über eine entsprechende Norm in ihrem Gesetz. Dort werden die lokalen Netzwerke mit sieben Euro pro Kind unter sechs Jahren gefördert.

Bislang sei der Ausbau örtlicher Netzwerke zum Kinderschutz lediglich eine Empfehlung und rechtlich nicht verbindlich geregelt, weder die Gründung noch der Teilnehmerkreis der Netzwerke. Als Folge sei die Zusammenarbeit der Einrichtungen vor Ort unterschiedlich ausgebaut. Dabei halten Experten viele Pädagogen und Mitarbeiter von Schulen, Sportvereinen, Kindergärten oder auch Ärzte ohne entsprechende Ausbildung für überfordert, richtig mit vernachlässigten oder missbrauchten Kindern umzugehen. Sie müssten deshalb unbedingt von Fachkräften des Jugendamtes und anderer öffentlicher Stellen unterstützt werden. „Es darf keinem Pädagogen oder Sozialarbeiter überlassen bleiben, selbst über eine Zusammenarbeit mit dem Jugendamt zu entscheiden“, erklärt Altpeter. Solange verbindliche Regelungen in Schulen, Internaten und Heimen fehlten, würden die Täter beim bisherigen internen Umgang mit Verdachtsfällen bei sexueller Gewalt häufig mehr geschützt als die Opfer. Solche Verhaltensweisen ließen sich erst dann durchbrechen, wenn das Jugendamt einbezogen werden muss.

Altpeter verweist darauf, dass bereits der Paragraph 85 im Schulgesetz für Baden-Württemberg eine solche verbindliche Zusammenarbeit beschreibt: „Die Schule soll das Jugendamt unterrichten, wenn gewichtige Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass das Wohl eines Schülers ernsthaft gefährdet oder beeinträchtigt ist; in der Regel werden die Eltern vorher angehört. Zur Abwendung einer Kindeswohlgefährdung arbeiten Schule und Jugendamt zusammen.“ Die SPD-Fraktion fordert, eine solche Regelung auch für andere Bildungs- und Jugendhilfeträger einzuführen.

3. Prävention in Bildungseinrichtungen
Die SPD fordert das Kultusministerium auf, die Prävention zu verstärken und sie vor allem gesetzlich festzulegen. Das Land müsse vor allem die Weiterbildung der Pädagogen und Jugendarbeiter verbindlich vorschreiben. Bislang verteilt das Kultusministerium die Broschüre „Sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Jungen – eine Handreichung zur Prävention und Intervention an Kindertageseinrichtungen und Schulen“, um die fachlichen Standards zu diesem Thema zu beschreiben. Wenn Kultusministerin Schick aber als Reaktion auf die Vorfälle allein auf diese Broschüre hinweise, sei dies zu wenig. Schick müsse die Schulen dringend auffordern, die Empfehlungen anzuwenden. Zudem fehle in der Broschüre der Aspekt „sexuelle Gewalt durch Mitarbeitende“ völlig. „Das Land muss künftig darauf achten, dass in solchen Fällen immer die Interessen der Opfer gewahrt werden – nicht diejenigen der Einrichtungen“, erklärt Altpeter.

Stuttgart, 9. April 2010
Dr. Roland Peter
Pressesprecher