Schulexperte Zeller: „Wir möchten, dass die Ausgliederung behinderter Mädchen und Jungen endlich aufhört“

Ziel ist ein gemeinsamer Unterricht von behinderten und nichtbehinderten Kindern – Die Klasse soll maximal 20 Kinder mit zwei Lehrern umfassen

Die SPD-Fraktion möchte erreichen, dass die Eltern behinderter Kinder künftig wählen können, ob sie ihre Mädchen und Jungen von klein auf in Regel- oder in Sondereinrichtungen unterrichten lassen. Die Eltern sollen darauf einen Rechtsanspruch erhalten.

Dies wird in einem Eckpunktepapier gefordert und soll im Schulgesetz verankert werden. Die Sozialdemokraten wollen damit erreichen, dass der Elternwille in dieser Frage künftig stärker berücksichtigt wird als bisher. Wenn Mütter und Väter heute wünschten, dass ein behindertes Kind in einer allgemeinen Schule aufgenommen werde, müssten sie einen unsinnigen Hürdenlauf hinter sich bringen. „Damit wird der Elternwille einmal mehr mit Füßen getreten“, sagte Norbert Zeller, Vorsitzender des Schulausschusses im Landtag.

Ziel ist letztlich, dass das Bildungssystem alle Kinder und Jugendliche in gemeinsamen Schulen zusammen führt. „Wir möchten, dass die Ausgliederung behinderter Mädchen und Jungen an Kindergärten und Schulen endlich aufhört“, erklärte Zeller. Schließlich hätten zahlreiche Beispiele längst gezeigt, wie sinnvoll das gemeinsame Lernen sei. Auch in Baden-Württemberg habe es einen Schulversuch gegeben, der in der Großen Koalition (1992-1996) an fünf Standorten gestartet worden sei. Damals habe das Land das gemeinsame Lernen von Kindern mit und ohne Behinderung erprobt. Die positiven Erkenntnisse aus diesen Versuchen seien aber nicht umgesetzt worden, sagte Zeller.

Er verwies zudem darauf, dass die Bundesregierung sich gegenüber den Vereinten Nationen dazu verpflichtet habe, die Mädchen und Jungen gemeinsam zu unterrichten. Die UN-Konvention über die Rechte behinderter Menschen gebe dem Staat in Artikel 24 einen klaren Auftrag. „Dieser Passus muss zwingend zu Änderungen im Schulgesetz Baden-Württembergs führen“, sagte Zeller.

Schulexperte Zeller beruft sich auch darauf, dass immer mehr Eltern behinderter Kinder einen gemeinsamen Unterricht mit nichtbehinderten Mädchen und Jungen wollten. Alle Beteiligten könnten von solchen sogenannten inklusiven Schulen profitieren, da diese Einrichtungen von der Besonderheit und den individuellen Bedürfnissen jedes Kindes ausgingen. Zudem lernten behinderte und nichtbehinderte Mädchen und Jungen so von klein auf den gemeinsamen Umgang miteinander. Der SPD geht es mit diesem Antrag deshalb auch darum, die Gesellschaft humaner zu machen.

Nach den Vorstellungen der SPD soll die Klassengröße bei einem solchen gemeinsamen Unterricht maximal 20 Kinder betragen, davon höchstens fünf behinderte. Außerdem gelte das Prinzip, den Unterricht gleichzeitig mit zwei Lehrern zu gestalten, sagte Zeller.

Demgegenüber lehne die Landesregierung das gemeinsame Lernen weiterhin strikt ab. Sie bestehe darauf, behinderte Kinder in eine Sonderschule zu schicken, wenn sie dem Bildungsgang der allgemeinen Schule nicht folgen könnten. „Die Landesregierung versteht deshalb Unterschiedlichkeit nicht als Chance, sondern als Störfaktor“, betonte Zeller. Dabei sei das Lernangebot an Sonderschulen im Vergleich zu anderen Schultypen reduziert. Zudem erhalte der weit überwiegende Teil der Schüler keinen qualifizierten Abschluss. Das wirke stigmatisierend, erklärte Zeller.

Derzeit schaffe die Landesregierung die wenigen Integrativen Schulentwicklungsprojekte (ISEP) auch noch ab. Stattdessen wolle sie sogenannte Außenklassen ausbauen, die von den Sonderschulen an allen Schularten gebildet werden könnten. Doch diese Außenklassen blieben auch an den neuen Standorten immer Teil der jeweiligen Sonderschule, erklärte Zeller. Damit würden die Kinder mit Behinderungen lediglich punktuell und abhängig vom Integrationswillen der Pädagogen gemeinsam unterrichtet.

Eckpunkte der SPD-Fraktion

Die Eckpunkte der SPD umfassen folgende weitere Punkte des gemeinsamen Lernens von behinderten und nichtbehinderten Kindern.

•Kindergarten und allgemeine Schule müssen befähigt werden, Kinder individuell und entsprechend ihrer Veranlagung zu fördern durch eine zieldifferente Arbeitsweise. Alle Kinder lernen voneinander und gemeinsam vom Kindergarten bis zur Sekundarstufe II.

•Die sonderpädagogische und therapeutische Förderung behinderter Kinder und Jugendlicher ist Bestandteil der pädagogischen Konzepte aller Kindergärten und Schulen. Die pädagogischen und therapeutischen Kräfte arbeiten im Team. Jedem Kind wird die Möglichkeit eingeräumt, an allen Aktivitäten des Kindergartens und der Schule teilzuhaben.

•Allgemeine, inklusiv arbeitende Schulen sind gebundene Ganztagsschulen. Sie sollen möglichst wohnortnah angeboten werden. Zur Erfüllung ihrer Aufgabe erhalten sie die dafür notwendige personelle und sächliche Ausstattung.

•Für Erzieherinnen und Erzieher sowie Lehrkräfte müssen Fortbildung, Begleitung und Unterstützung zur Umsetzung eines inklusiven Bildungsanspruches bereitgestellt werden.

•Die Erzieherausbildung sowie alle Lehramtsstudiengänge müssen an die Anforderungen einer inklusiven Bildung angepasst werden.


Dr. Roland Peter
Pressesprecher