SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel: „Die Landesregierung betreibt beim Naturschutz Etikettenschwindel, um ihre Untätigkeit zu verschleiern“

Naturschutzpolitischer Sprecher Nik Sakellariou: „Ein Nationalpark würde den Ruf des Schwarzwaldes als Naturlandschaft von außerordentlichem Rang verstärken und damit auch dem Tourismus in der Region helfen“

Die SPD will mehr Moore im Land erhalten und die Bannwälder ausweiten

Die SPD-Landtagsfraktion fordert die Landesregierung dazu auf, ihre Aktivitäten im Naturschutz erheblich zu verbessern. Dass der Bereich bei Schwarz-Gelb kaum auf Interesse stoße, habe Ministerpräsident Mappus demonstriert, als er den Schutz von Wäldern und Wiesen in seiner Regierungserklärung völlig übergangen habe. „Um ihre Untätigkeit zu verschleiern, betreibt die Landesregierung beim Naturschutz Etikettenschwindel“, erklärt Fraktionschef Claus Schmiedel. Dass die SPD-Fraktion das Thema demgegenüber für besonders wichtig hält, möchte sie durch Nikolaos Sakellariou als naturschutzpolitischen Fraktionssprecher demonstrieren, den Schmiedel heute vorstellte. Der Rechtsanwalt ist Landeschef der Naturfreunde Württemberg und wurde erst in diesen Tagen nach dreijähriger Amtszeit als Vorsitzender des Verbands mit 11.000 Mitgliedern wiedergewählt. Bemerkenswert dabei, dass bei dieser Wiederwahl nur ein einziger der 139 Delegierten gegen ihn stimmte.

Schmiedel sieht den Etikettenschwindel im Naturschutz vor allem bei den sieben Naturparks im Land, die einen Flächenanteil von fast 40 Prozent des Landes einnehmen. Trotz ihrer Bezeichnung nützten sie dem Naturschutz in Wirklichkeit wenig, sondern es gehe dabei um die Förderung des Tourismus. „Broschüren und Schilder haben mit effektivem Schutz von Umwelt und Natur nichts zu tun“, sagt Schmiedel. Er nennt als weiteres Beispiel die sogenannten Plenum-Gebiete, benannt nach den Projekten des Landes zur Erhaltung und Entwicklung von Natur und Umwelt. Das klinge ebenfalls nach Naturschutz, umfasse aber vor allem Förderprogramme für Landwirtschaft und ebenfalls Tourismus. Schon vor Jahren kritisierte selbst der Rechnungshof, dass aus den Plenum-Mitteln Schweineställe gebaut wurden. Doch nach wie vor fließt der größte Teil der Fördermittel in Hofläden, Maschinenschuppen und Schaubäckereien. Solche Ausgaben könnten ohne Frage nützlich sein, sagt Schmiedel, aber Naturschutz sehe anders aus. Er verwies auch auf das neue Biosphärengebiet, für das die Landesregierung viel zu geringe Ausgaben bereitstelle. Die hierfür eingesetzten Mittel gingen zu Lasten des Naturschutzes vor Ort, erklärte Schmiedel.

Wie sehr Baden-Württemberg zurückliege, zeige sich etwa daran, dass das Land bei realen Naturschutzgebieten im Vergleich der 16 Bundesländer weit hinten liegt – beim Anteil an der Landesfläche auf Platz 12 und bei der durchschnittlichen Größe der Naturschutzgebiete auf Platz 13. Die SPD fordert deshalb zum Umzusteuern auf. „Die Landesregierung muss dazu beitragen, dass wertvolle Biotope erhalten bleiben und der Artenschwund gestoppt wird“, fordert Schmiedel.

Beispiel: Strategie zur Biodiversität
Sakellariou nennt als weiteres Beispiel für die mangelhafte Naturschutzpolitik die Strategie zur Biodiversität. Hier habe die Landesregierung schon vor zwei Jahren vollmundig ein neues Vorgehen verkündet und wie immer viel Papier veröffentlicht. Die SPD hält die tatsächliche Wirkung ihrer Politik aber für gering. Auch die Spitzen der Umweltverbände im Land sind übereinstimmend der Meinung, dass die Landesregierung mit ihrer Strategie nach diesem langen Zeitraum kaum etwas erreicht habe.

Das zeige besonders die für einen effektiven Arten- und Biotopschutz wichtige Umsetzung des EU-Programms „Natura 2000“. Hierzu müsse die Landesregierung für alle Gebiete Managementpläne erstellen, um den jeweiligen Schutzzweck zu erfüllen. Ziel sei eben kein Naturschutz unter einer Käseglocke, sagt Sakellariou. Gerade deshalb müsse im Einzelnen festgelegt werden, was in den Gebieten jeweils erlaubt ist und was nicht – und was zum Erreichen eines Schutzzieles zu tun sei. Dabei gehe es oft um den Schutz einer bestimmten Tier- oder Pflanzenart. Der Rückstand bei der Planung sei aber mittlerweile so offensichtlich, dass die Regierung selbst ihr Schneckentempo zugeben muss. Schwarz-Gelb will inzwischen einen Zeitraum von zehn bis zwölf Jahre in Anspruch nehmen, um die benötigten Pläne zu erstellen. Zudem räumt die Landesregierung ein, für die Umsetzung des Konzepts deutlich zu geringe Ausgaben eingeplant zu haben. Es habe zwar wenige Mittelaufstockungen gegeben, doch die gingen zu Lasten des ehrenamtlichen Naturschutzes vor Ort. „Die Landesregierung zeigt mit ihrer Politik, dass sie Natura 2000 für unwichtig hält“, erklärt Sakellariou. Die SPD fordert deshalb Ministerpräsident Mappus dringend dazu auf, das Natura 2000-Konzept voranzubringen. „Das Schlimme ist: Je mehr Zeit die Landesregierung für ihre Vorarbeiten in Anspruch nimmt, desto mehr wertvolle Natur geht verloren“, betont Sakellariou.

Beispiel: Schutz der Moore
Der naturschutzpolitische Sprecher hält auch den bisherigen Schutz der Moore im Land mit besonders vielen seltenen und geschützten Tier- und Pflanzenarten für verbesserungswürdig. Schließlich sei die Kartierung der Moorflächen inzwischen über 20 Jahre alt und entsprechend überholt. So manches angebliche „Moor“ entpuppe sich bei näherem Hinschauen als gewöhnlicher Maisacker, im günstigeren Fall als Grünland. Das bedeute nicht nur, dass der tatsächliche Zustand der Umwelt im Land viel schlechter sei als in dem veralteten Kataster beschrieben. Sakellariou hält es für besonders problematisch, dass ehemalige Moore ohne dieses realistische Kataster landwirtschaftlich bebaut würden, obwohl Moorböden extrem nährstoffarm und sauer seien. Die Landwirte benötigen deshalb viel mehr Dünger als auf anderen Böden. Sakellariou verweist auch darauf, dass ehemalige Moore und Torfböden klimaschädliches Kohlendioxid in hohem Maße ausgasen würden, wenn sie allmählich austrocknen und sich zersetzen.

Eine landwirtschaftliche Nutzung lohne sich also kaum, schade aber Natur und Klima zugleich. „Wenn die Landesregierung tatsächlich Natur- und Klimaschutz betreiben will, muss sie sich um die Moore kümmern“, betont Sakellariou. Und: „Auch hier betreibt die Landesregierung bisher nur Etikettenschwindel, wenn sie sich auf schöne Vorzeigeobjekte wie das Wurzacher Ried oder die Moore um den Federsee konzentriert, aber ansonsten die Moore zu wenig beachtet.“

Die SPD fordert deshalb, die Renaturierung und Wiedervernässung solcher Flächen endlich stärker voranzutreiben. Mit einer parlamentarischen Initiative soll erreicht werden, dass die Moorkartierung aktualisiert wird und die Mittel im Haushalt für Flächenkäufe zu Naturschutzzwecken in diesen Bereich gelenkt werden. Darüber hinaus will die SPD eine Konzeption erreichen, um den Zeitraum festzulegen, wann bestimmte Moore wieder hergestellt werden könnten.

Beispiel: Ausweitung der Bannwälder
Sakellariou verweist zudem auf einen weiteren Naturschatz des Landes: die Bannwälder. Das sind Waldgebiete mit hohem Naturschutzwert, in denen keinerlei Nutzung stattfinden darf. In solchen Bannwäldern darf die Natur sich ungestört entwickeln, und es entstehen neue Urwälder. Die SPD fordert, die Gebiete mit Bannwäldern erheblich auszuweiten. Während die nationale Biodiversitätsstrategie 5 Prozent der Waldfläche dafür vorsieht, sind in Baden-Württemberg gerade einmal 0,6 Prozent vorhanden. Hier gilt noch immer das Programm der Landesregierung für Waldschutzgebiete von 1992, in dem nur 2 Prozent Bann- und Schonwälder insgesamt angestrebt wurden (In Schonwäldern ist eine Holznutzung unter Auflagen erlaubt). Die SPD fordert, diesen Anteil dringend auf das nationale Ziel aufzustocken.

Dieses Vorhaben würde erleichtert, sagt Sakellariou, wenn die Landesregierung endlich den Mut aufbrächte, auch im Schwarzwald ein Großschutzgebiet einzurichten. „Dieser Schritt ist für das waldreiche und größte Gebirge des Landes überfällig und würde auch Tieren wie dem Luchs zugutekommen“, betont der Sprecher. Schließlich gebe es durch die vorhandenen Naturschutzgebiete und die Naturparke wenigstens eine gute Ausgangsbasis, um einen größeren Nationalpark mit unterschiedlichen Schutzzonen zu schaffen. „Ein Nationalpark würde den Ruf des Schwarzwaldes als Naturlandschaft von außerordentlichem Rang verstärken und damit auch den Gemeinden und dem Tourismus in der Region helfen“, betont Sakellariou.

Stuttgart, 21. Mai 2010
Dr. Roland Peter
Pressesprecher