Wolfgang Drexler: „Rund 10 Prozent der Steuermehreinnahmen wollen wir für vordringliche Zukunftsaufgaben verwenden, die große Masse aber für die Haushaltskonsolidierung“

Auf ihrer Klausurtagung in Karlsruhe hat die SPD-Landtagsfraktion ein umfangreiches Programm für Wachstum und Beschäftigung in Höhe von 550 Mio. Euro beschlossen. Es ist auf die gesamte kommende Legislaturperiode ausgelegt. Finanziert wird es aus den Steuermehreinnahmen, die dem Land von 2006 bis 2011 aufgrund der Steuerrechtsänderungen der neuen Bundesregierung zufließen. Baden-Württemberg erzielt nach Berechnungen der SPD in diesen fünf Jahren Mehreinnahmen von rund 5 Mrd. Euro. Allein durch die Abschaffung der Eigenheimzulage werden zusätzlich rund 600 Mio. Euro in die Landeskasse gespült, die von der SPD nun für ihr „Programm für Wachstum und Beschäftigung“ mobilisiert werden. Damit soll sichergestellt werden, dass der Bau- und Handwerksbereich auch künftig investive Impulse erhält. Außerdem will die SPD in zentrale Aufgaben der Gesellschaftspolitik investieren, um die Zukunftsfähigkeit des Landes zu sichern, so SPD-Fraktionschef Drexler.

Die SPD will mit ihrem Programm die Beschäftigungschancen älterer Arbeitnehmer mit 50 Mio. Euro fördern, die Kleinkindbetreuung mit 150 Mio. Euro ausbauen und die Ausbildungschancen Jugendlicher mit 100 Mio. Euro verbessern. Mit 50 Mio. Euro soll der Forschungstransfer von den Hochschulen zur Wirtschaft angekurbelt werden. Für die überfällige Sanierung maroder Hochschulgebäude will die SPD 100 Mio. Euro locker machen. Der Schienen- und Busverkehr soll mit 50 Mio. Euro ausgebaut und mit ebenfalls 50 Mio. Euro der daniederliegende Landesstraßenbau wiederbelebt werden.

Drexler: „Wir brauchen dringend neue Impulse für den Mittelstand und für die Verkehrsinfrastruktur. Wir müssen aber auch schnell handeln, damit möglichst alle Jugendlichen eine echte Chance auf einen Ausbildungsplatz bekommen und ältere Arbeitnehmer nicht länger zum Freiwild eiskalter Management-Strategien werden. Auch der Ausbau der Kinderbetreuung ist nicht nur sozial- und familienpolitisch geboten, er wird zudem auch die Beschäftigungsquote vieler oft hoch qualifizierter Frauen verbessern.“

Der Großteil der in den kommenden Jahren insgesamt eingehenden Steuermehreinnahmen, etwa 90 Prozent, soll nach den Vorstellungen der SPD-Fraktion jedoch zur Konsolidierung des Landeshaushaltes verwendet werden. Das Ziel sei, so Drexler, dass das Land von 2011 an keine neuen Schulden mehr aufnimmt.

Das 550-Mio-Euro-Programm für Wachstum und Beschäftigung im Einzelnen

I. 50 Mio. Euro für die Beschäftigungssicherung älterer Arbeitnehmer und für neue Beschäftigungschancen älterer Arbeitsloser
Allein in den baden-württembergischen Schlüsselindustrien der Metallbearbeitung, des Maschinenbaus, des Fahrzeugbaus und der Elektrotechnik sind 200.000 Menschen beschäftigt, die über keinen Berufsabschluss verfügen. Sie sind meist die ersten Opfer von Verlagerungen oder Rationalisierungen, vor allem die älteren Beschäftigten.

Um die Beschäftigungsquote älterer Arbeitnehmer zu sichern, will die SPD mit insgesamt 25 Mio. Euro Projekte unterstützen, mit denen die Betroffenen für qualifiziertere Tätigkeiten im Betrieb weitergebildet werden. Dabei soll das Land 50 Prozent der Kosten übernehmen. Den Rest müssen die betroffenen Betriebe beisteuern. Die Weiterbildungstarifverträge der IG Metall Baden-Württemberg und der IG BCE könnten mit einem solchen Landesprogramm endlich mit Leben gefüllt werden.

Die SPD will aber auch denjenigen helfen, die in der Vergangenheit Opfer des Personalabbaus wurden. „Die Bekämpfung der Langzeitarbeitslosigkeit Älterer muss ein landespolitischer Schwerpunkt der Arbeitsmarktpolitik werden“, so Drexler. Die SPD schlägt vor, die Leistungen der Eingliederung für ältere Arbeitslose aus Mitteln des Landes und/oder des Europäischen Sozialfonds (ESF) zu ergänzen. Dafür sollen in der kommenden Legislaturperiode 25 Mio. Euro bereitgestellt werden. Sie sollen, in enger Abstimmung mit den verantwortlichen SGB II-Akteuren, vor allem dort eingesetzt werden, wo durch eine verstärkte Förderung zusätzliche Effekte erzielt, also die Aktivierungsquote erhöht oder besonders benachteiligte Zielgruppen gefördert werden können.

Drexler: „Günther Oettinger verlangt von älteren Arbeitnehmern Lohnverzicht, weil angeblich ab 40 die Leistungsfähigkeit abnimmt. Diesem zynischen Vorschlag setzen wir ein eigenes Programm zur Förderung älterer Arbeitnehmer entgegen.“

II. 150 Mio. Euro für den Ausbau der Kinderbetreuung: 4.200 neue Krippenplätze
Mit einem 150-Mio-Euro-Ausbauprogramm will die SPD in den nächsten fünf Jahren das bisher in Baden-Württemberg völlig unzureichende Betreuungsangebot für Kleinkinder bis zum Alter von drei Jahren entscheidend verbessern. Dieses Programm umfasst zwei Komponenten.

Zum einen soll der bisher vom Land gezahlte Betriebskostenzuschuss für Krippen von 10 auf 30 Prozent angehoben werden. Dadurch werden die Kommunen entlastet, die vom Land beim dringend notwendigen Ausbau des Betreuungsangebotes für Kleinkinder weit gehend allein gelassen werden. Entlastet werden aber auch die Eltern, die für diese Form der Kinderbetreuung zum Teil sehr hohe Elternbeiträge bezahlen müssen.

Mit der Erhöhung des Betriebskostenzuschusses wird die Krippenförderung endlich der Kindergartenförderung gleichgestellt. Die SPD hält es für eine durch nichts zu rechtfertigende Diskriminierung der Kleinkindbetreuung, dass die Landesregierung Kinderkrippen nicht in derselben Höhe fördert wie Kindergärten.

Mit dem Ausbauprogramm der SPD sollen in den nächsten Jahren aber auch zusätzliche Betreuungsplätze geschaffen werden. Die SPD will 4.200 neue Plätze für Kleinkinder bis zum Alter von drei Jahren einrichten und damit das derzeitige Betreuungsangebot um 75 Prozent erhöhen. Derzeit gibt es im Land für rund 5.600 Kinder Plätze in Kinderkrippen. Mehr Krippenplätze verbessern die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Und es bekommen auch mehr Kinder als bisher die Chance einer gezielten frühkindlichen Förderung und Bildung durch ein qualitativ gutes Betreuungsangebot.

III. 100 Mio. Euro für mehr Ausbildungsplätze
Jahr für Jahr gehen fast 30.000 Jugendliche bei der Lehrstellensuche leer aus und landen dann, bestenfalls, in schulischen Warteschleifen. Und die Bugwelle von Bewerbern, die sich immer wieder erfolglos um einen Ausbildungsplatz beworben haben, wächst weiter. Die Landesregierung rührt keinen Finger für diese jungen Leute. Die SPD will deshalb mit einem speziellen Förderprogramm zusätzliche Ausbildungsplätze schaffen und die Chancen Jugendlicher auf berufliche Teilqualifizierungen erweitern. Auf der Basis des äußerst erfolgreichen Landesprogramms von 1975 bis 1989 sollen Zuwendungen des Landes an Ausbildungsbetriebe gehen, die die Ausbildungschancen von Problemgruppen durch zusätzliche Ausbildungsplätze in bestimmten Engpassregionen verbessern.

Zudem soll durch eine stärkere Förderung von Ausbildungsverbünden das vorhandene Lehrstellenpotenzial besser ausgeschöpft und erweitert werden. In Regionen mit überdurchschnittlichem Mangel an Ausbildungsplätzen, für Berufsfelder mit absehbarem Facharbeitermangel und für Problemgruppen von Jugendlichen sollen auch außerbetriebliche Ausbildungsplätze durch freie Träger und Kammern geschaffen werden.

Nach dem Vorschlag der SPD soll auch das Berufsvorbereitungsjahr (BVJ) weiterentwickelt werden. Demnach schließt sich an ein Vollzeit-Berufsschuljahr ein Praxisjahr in einem Betrieb oder einer überbetrieblichen Ausbildungsstätte an. Diese Ausbildung soll mit der Zertifizierung als Fachkraft abgeschlossen werden. Die SPD verlangt auch die Anerkennung von Abschlüssen berufsqualifizierender vollzeitschulischer Bildungsgänge durch die Wirtschaft, ihre Anrechnung auf die Duale Ausbildung und die Begrenzung der Ausbildungsdauer in anerkannten Ausbildungsberufen.

IV. 50 Mio. Euro für einen wettbewerbsfähigen Mittelstand
Die politische Diskussion über die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Arbeitsplätze in der baden-württembergischen Industrie konzentriert sich fast immer auf die Lohnkosten, obwohl diese nur noch rd. 25% der gesamten Kosten im verarbeitenden Gewerbe ausmachen. Ein ganz anderer Kostenblock spielt für die Industrie jedoch inzwischen eine wesentlich größere Rolle, nämlich die Material- und Energiekosten. Sie machen im Durchschnitt rd. 40% der Gesamtkosten aus, so dass ein effizienterer Einsatz von Material und Energie einen viel größeren Beitrag zur Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen leistet als Lohndrückerei, wie dies auch Ministerpräsident Oettinger mit Lohnsenkungen durch Arbeitszeitverlängerung vorschlägt.

Das Haupthemmnis für die Erschließung des Einsparpotenzials bei Material und Energie liegt nach einschlägigen Studien (Arthur D. Little GmbH, Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie) darin, dass das „Wissen um Effizientsteigerungspotenziale“ nicht schnell genug von den Hochschulen zur mittelständischen Wirtschaft kommt.

Hier sieht die SPD-Landtagsfraktion einen dringenden Bedarf für ein Landesprogramm zur Steigerung der Material- und Energieeffizienz in kleinen und mittleren Betrieben. 50 Mio. Euro will die SPD in der kommenden Legislaturperiode dafür investieren.

Mit einem ersten Effizienz-Check können die Unternehmen die relevanten Stoffströme und den Stand der Technik in der Produktion erfassen lassen. Voraussetzung für eine Förderung ist eine Mitarbeiterzahl von weniger als 500 sowie eine größtmögliche Unabhängigkeit von einer Konzernstruktur. Bis zu 80% der Beratungskosten sollen übernommen werden, vom Initialgespräch bis zur konkreten Maßnahmenplanung.

Mit einem jährlichen Budget von 10 Mio. Euro liegt das SPD-Programm im Rahmen vergleichbarer Projekte in Schweden, Großbritannien und in Nordrhein-Westfalen.

V. 100 Mio. Euro für die Sanierung maroder Hochschulgebäude
Die bauliche Situation an unseren Hochschulen ist katastrophal. Der Landesrechnungshof hat in einer alarmierenden Stellungnahme die anhaltende Vernachlässigung der Erhaltungs- und Sanierungsinvestitionen durch die Landesregierung angeprangert und den Sanierungsbedarf allein für die neun Universitäten auf 2,4 Milliarden Euro beziffert.

Von abblätterndem Putz, undichten Dächern, improvisierten Foliendächern über Steuerungsanlagen, sicherheitsproblematischen Laboratorien und von Gebäuden, die vor dem Abriss stehen, weil die Sanierung nicht mehr möglich ist, wird berichtet. Diese Zustände sind das Resultat einer seit Jahrzehnten von der CDU verantworteten Hochschulpolitik, die die Substanzerhaltung sehenden Auges vernachlässigt.

Wolfgang Drexler: „In Wahrheit sagt das Bild des Konstanzer Professors, der das eindringende Regenwasser mit einem ausgeklügelten System um seinen Schreibtisch und seine Bücherstapel herum in Eimer leitet, mehr über die Hochschulpolitik der Landesregierung aus als teure Öffentlichkeitsarbeit in amerikanischen Wissenschaftsmagazinen. Unter solchen Voraussetzungen wird schon mittelfristig die internationale Konkurrenzfähigkeit unserer Hochschulen Schaden nehmen.“

Die SPD-Fraktion will mit einer Summe von 100 Millionen Euro die überfällige Sanierung der Hochschulbauten angehen.

VI. Förderung des Schienen- und Busverkehrs mit 50 Mio. Euro
Nach den kontinuierlichen Kürzungen in den Jahren zuvor hat die CDU/FDP-Koalition 2005 die originären Landesmittel bei der ÖPNV-Förderung ganz zusammengestrichen. Sie beschränkt sich ausschließlich noch darauf, Bundesmittel weiterzuleiten. Die Folge: Im letzten Jahr standen für die Infrastruktur- und Fahrzeugförderung bei Bussen und Bahnen nur noch 65 Prozent des Betrages von 1996 zur Verfügung. Da auch die Fördersätze reduziert wurden, scheitern viele Gemeinden an der Kofinanzierung für dringend benötigte Projekte. Gleichzeitig werden zugesagte Förderbeträge immer später ausgezahlt, so dass den Kommunen erhebliche Vorfinanzierungskosten entstehen.

Da absehbar ist, dass die Fördermittel des Bundes in Zukunft nicht mehr in gleicher Höhe steigen, will die SPD-Landtagsfraktion, dass wieder originäre Landesmittel in Höhe von 50 Mio. Euro für den Schienen- und Busverkehr eingesetzt werden.

VII. 50 Mio. Euro für den Landesstraßenbau
Das Landesstraßennetz in der Verantwortung der Landesregierung ist in einem besorgniserregend schlechten Zustand. Schlaglöcher und Winterschäden werden nur noch notdürftig geflickt, Erhaltungsmaßnahmen immer weiter hinausgeschoben.
Nach dem eigenen Maßstab der Landesregierung, festgelegt im aktuellen Generalverkehrsplan für Baden-Württemberg, hätten in den vergangenen vier Jahren jährlich 189 Mio. Euro in den Aus- und Neubau sowie den Erhalt der Landesstraßen investiert werden müssen, insgesamt also 756 Mio. Euro. Tatsächlich aber hat die Landesregierung mit 346 Mio. Euro noch nicht einmal die Hälfte der erforderlichen Mittel bereitgestellt.

Um den fortschreitenden Verfall der Landesstraßen abzuwenden, will die SPD zusätzlich 50 Mio. Euro für den Landesstraßenbau zur Verfügung stellen.

Helmut Zorell
Pressesprecher