Bildungsexperte Gunter Kaufmann: „Dieser dramatische Unterrichtsausfall macht deutlich, dass die neue Kultusministerin vor großen Herausforderungen steht. Nur mit raschem Handeln lassen sich die anstehenden Probleme lösen.“

Die SPD-Landtagsfraktion kritisiert scharf den Unterrichtsausfall an den beruflichen Schulen im Land. Aus der Antwort des vorherigen Kultusministers Rau auf eine parlamentarische Initiative der SPD ergibt sich, dass 12,5 Prozent des Unterrichts ausfällt oder nicht ordnungsgemäß gehalten wird. Das entspricht jeder achten Stunde. „Dieser dramatische Unterrichtsausfall macht deutlich, dass die neue Kultusministerin allein mit Reden über Probleme sicher keinen Erfolg haben wird“, kritisierte der Fraktionssprecher für berufliche Bildung, Gunter Kaufmann. Er begrüßte, dass Ministerin Schick die berufliche Ausbildung zu einem Schwerpunkt ihrer Arbeit machen wolle. Kaufmann sei aber gespannt, wie sie das Defizit an Lehrerstellen an den beruflichen Schulen beseitigen werde. Allein in diesem Schuljahr fehlten an den beruflichen Schulen in Baden-Württemberg mehr als 2000 Lehrer. Als Folge der Ausfälle mussten die Pädagogen an den beruflichen Schulen nach Berechnungen der Lehrerverbände bislang über 18.000 Deputatsstunden an Überstunden leisten.

Kaufmann hält es für entlarvend, dass die Landesregierung von vornherein nicht genug Lehrkräfte einplane, um eine volle Unterrichtsversorgung zu gewährleisten. „Die Landesregierung gefährdet durch eine kalkulierte Mangelversorgung die Ausbildung unserer jungen Menschen und deren beruflichen Zukunftschancen“, erklärte Kaufmann. Wenn die neue Ministerin wirklich Verbesserungen erreichen und nicht nur als gute Marketingexpertin wirken wolle, müsse sie hier schnellstens eingreifen. „Hier geht es sowohl um eine gute Zukunft für unsere Jugend als auch darum, den Unternehmen gute Fachkräfte zur Verfügung zu stellen“, sagte Kaufmann.

Der Unterrichtsausfall an den beruflichen Schulen setzt sich aus drei Faktoren zusammen. 4,5 Prozent des Unterrichtsausfalls in diesem Schuljahr ergeben sich daraus, dass die Landesregierung bei diesem strukturellen Defizit 749 rechnerisch notwendige Lehrerstellen von vornherein nicht finanziert. Zweiter Faktor ist der Unterrichtsausfall durch Erkrankungen oder dienstliche Verpflichtungen der Lehrer. Landesweit 3,6 Prozent der Stunden fallen dadurch aus, wie eine Stichprobe der Schulaufsicht in der 47. Kalenderwoche des vergangenen Jahres ergab. Zusätzliches Defizit: 599 Stellen. Dritter Faktor sind die Vertretungsstunden, wenn Lehrer den Unterricht für ihre abwesenden Kollegen halten. 4,4 Prozent aller fehlenden Stunden entfallen darauf, also 732 Deputate. Hier verwies Kaufmann darauf, dass dieser Unterricht eigentlich zum Ausfall hinzugezählt werden müsse, da ein ordentlicher Ablauf des Stundenplans nicht gewährleistet sei. Diese Zahlen seien insgesamt schon skandalös. „Zu bedenken ist aber auch, dass es sich um Durchschnittswerte handelt: Einige Schulen stehen also noch schlechter da“, sagte Kaufmann. In einigen Fällen fände in bestimmten Fächern auch schon ein halbes Jahr lang kein Unterricht statt.

„Obwohl das Problem seit Jahren besteht, steuert die Regierung nicht ausreichend dagegen“, erklärte Kaufmann. Die Schüler litten unter den ausfallenden Unterrichtsstunden, die Lehrer unter ständigen Überstunden. Gleichzeitig benötige die Wirtschaft gut und umfassend ausgebildete Absolventen. Schließlich stiegen nicht nur die Anforderungen in vielen Berufen, es drohe auch ein Fachkräftemangel. „Wir erwarten viel von den Schülern unserer beruflichen Schulen“, erklärte Kaufmann. Aber anstatt die Qualität in den Schulen sicherzustellen, gefährde die Landesregierung die Zukunft des Industriestandorts und die unserer jungen Menschen. „Das ist ein ganz schlechtes Zeugnis für die Bildungspolitik in Baden-Württemberg“, sagte Kaufmann.

Tatsächlich seien in diesem Schuljahr an beruflichen Schulen 100 Stellen neu geschaffen. Kaufmann hält dies angesichts von mehr als 2000 fehlenden Deputaten aber für völlig unzureichend: „Das ist lediglich ein Tropfen auf dem heißen Stein.“ Um echte Verbesserungen zu erreichen, müsse die Landesregierung zumindest das strukturelle Unterrichtsdefizit von 4,5 Prozent abbauen. Der SPD-Politiker widersprach Überlegungen der Landesregierung, wonach sich das Problem durch den demografisch bedingten Schülerrückgang von allein lösen werde. „Das ist reine Augenwischerei“, so Kaufmann. Da vor dem Hintergrund der Wirtschaftskrise immer mehr junge Menschen Vollzeitbildungsgänge anstatt Teilzeitschulen besuchen würden, werde der Lehrerbedarf nicht automatisch sinken. „Mehr Vollzeitbildungsgänge bedeuten einen grundsätzlichen Mehrbedarf an Lehrern“, erklärte der Bildungsexperte. „Die Landesregierung muss endlich einen grundlegenden Richtungswechsel vollziehen, sonst wird sich an der schlechten Situation an den beruflichen Schulen nichts ändern.“

Stuttgart, 28. Februar 2010
Dr. Roland Peter
Pressesprecher