Redemanuskript Sabine Wölfle
Frauenpolitische Debatte aus Anlass des Internationalen Frauentages

am 11. März 2020

Frau Präsidentin,

liebe Kolleginnen und Kollegen,

letzten Sonntag wurde weltweit der Internationale Frauentag gefeiert. Im Jahr 1922 wurde dieser erstmalig einheitlich in verschiedenen Ländern begangen.

Nun konnte man Anfang dieser Woche lesen, dass weltweit Frauen ihren 100 Jahre langen Kampf für Gleichstellung als beendet erklärt haben und verkündeten ihre Erfolge, wie

–           Lohngleichheit für gleiche und gleichwertige Arbeit
–           gerechte Verteilung der Familienarbeit zwischen Mann und Frau und damit
–           gleiche Renten
–           gleiche Karrierechancen
–           Parität in den Führungsetagen der Wirtschaft
–           Familiengerechte Arbeitszeiten für Väter und Mütter
–           Politische Beteiligung in allen Bereichen analog des Frauenanteils in der Gesellschaft

All diese errungenen Erfolge sind das Ergebnis von weltweiter Bewusstseinsmachung sowie vom Kampf für Gleichberechtigung und Gleichstellung. – Wir Frauen können stolz auf uns sein, wir haben es geschafft!

Bei mir im Ort war sogar der Blumenladen geöffnet, damit man den Frauen zum Frauentag, ähnlich wie beim Muttertag, Blumen schenken konnte. Es war ja ein Freudentag.

Halt, Stopp! Ich fürchte, ich habe das nur geträumt. Ein schöner Traum. Nach dem Aufwachen holte mich die Realität leider wieder ein. Noch immer erleben Frauen weltweit Benachteiligung, Diskriminierung, Sexismus. Jeden Tag. Auch wenn sich in den letzten 100 Jahren viel verändert hat, sind die Probleme noch da. Und wo es Verbesserungen zu verzeichnen gibt, sind die weniger aus Einsicht und Freiwilligkeit entstanden, sondern weil Frauen beharrlich dafür gekämpft haben und es oftmals nicht ohne Druck durch gesetzliche Vorgaben möglich wurde.

Die Probleme sind längst erkannt. In netten Sonntagsreden, vor allem beim Internationalen Frauentag, werden diese auch immer benannt. Wenn es aber um die Beseitigung geht, herrscht Schweigen. Wer hier dauerhaft auf Freiwilligkeit setzt, wird sehen, dass sich nichts ändert.

Was aber muss sich ganz konkret ändern:

Frauen kümmern sich in der Mehrheit neben Vollzeit- oder Teilzeitjob um die Familie, um die Kinder oder um pflegebedürftige Angehörige. Im Schnitt arbeiten Frauen damit täglich 90 Minuten mehr als Männer. Frauen sind dadurch im Verdienst, in der Rente und auch in der persönlichen Karriereplanung benachteiligt. Wenn man diese Benachteiligung vor dem Hintergrund betrachtet, dass Frauen deutlich mehr von Armut bedroht sind als Männer – jede fünfte Frau im Alter über 65 Jahren sowie ein noch größerer Teil der Alleinerziehenden – ist dies einfach nicht mehr hinnehmbar.

Frauen bei gleicher Ausbildung und Qualifikation verdienen immer noch weniger als Männer. Daran sieht man, dass auch nach 100 Jahren eine geschlechterspezifische Ungleichheit vorhanden ist. Ich weiß wovon ich spreche. Als meine Tochter zehn Jahre alt war und ich als Alleinerziehende in Vollzeit als Führungskraft gearbeitet habe, Verantwortung für zwei Abteilungen mit 15 Mitarbeitern plus Azubis trug, habe ich per Zufall mitbekommen, dass ein Kollege, welcher eine Abteilung mit einer Vollzeit und einer Teilzeitkraft leitete, 500 DM mehr verdiente als ich. Meine empörte Nachfrage beim Geschäftsführer ergab, dass man ja bei Männern immer im Auge habe soll, dass Männer in der Regel die Hauptverdiener seien und daher mehr verdienen müssten. Ich fand das damals eine interessante Feststellung, vor allem deshalb, weil besagter Kollege gar keine eigene Familie hatte und noch zu Hause wohnte.

Aber diese Einstellung ist leider auch heute noch verbreitet. Deswegen war es richtig, dass die SPD in der Bundesregierung 2018 das Entgelttransparenzgesetz durchgesetzt hat. Leider wird davon zu wenig Gebrauch gemacht. Nur wenige Frauen haben diesen Gehaltsvergleich angefordert. Und warum ist das so? Die Frauen unter uns ahnen es. Es ist die Angst vor Nachteilen am Arbeitsplatz. Ist die Frau alleinerziehend, pflegt die eigene Mutter, hat vielleicht nur dort eine annehmbare Miete, wird sie die Auseinandersetzung mit ihrem Arbeitgeber scheuen.

Das Gesetz geht in die richtige Richtung, muss aber deutlich nachgebessert werden. Die Rahmenbedingungen für die Erwerbstätigkeit von Frauen stimmen nach wie vor nicht. Fast jede dritte Frau arbeitet in Teilzeit, nicht immer, weil sie das will, sondern oftmals, weil sie neben der Familienarbeit einen Vollzeitjob nicht ausüben kann. 40 % der alleinerziehenden Frauen beziehen Hartz IV und das oftmals trotz gutem Abschluss und Ausbildung sowie zusätzlich zu einem Erwerbseinkommen. Sogar die OECD bemängelt die Einkommenssituation in Deutschland durch die Benachteiligung von Frauen. In unserem Bundesland kommt noch ein eher traditionelles Familienbild hinzu. Daher tragen wir weiterhin in vielen Bereichen noch immer die rote Laterne.

Was muss sich ändern? Es kann nicht sein, dass berufstätige Frauen den größten Teil ihres Einkommens für die Kinderbetreuung ausgeben müssen. Neben immer stärker steigenden Mieten, teurem ÖPNV und auch an viele Berufe nicht angepasste Öffnungszeiten in den Kitas, aber auch fehlende verlässliche Ganztagsschulen, ist dies oftmals ein Hinderungsgrund, überhaupt arbeiten zu gehen. Wir fordern daher als SPD die Gebührenfreiheit für die Kinderbetreuung und flächendeckend verlässliche Ganztagesangebote mit pädagogischem Personal. Warum sollte ein Mutter von zwei Kleinkindern in Stuttgart arbeiten gehen, wenn sie allein bis zu 1.000 Euro für die Kinderbetreuung zahlen muss?

Wir haben aktuell die am besten ausgebildete Frauengeneration überhaupt. Ich nenne mal ein paar Fakten: Etwa zwei Drittel der Studierenden in der Humanmedizin sind Frauen. Der Anteil steigt seit Jahren. Aber auf der Karriereleiter spiegelt sich das nicht wieder. Mit jeder Stufe wird die Luft dünner. Allein bei den Oberarztstellen ist nur jede dritte von einer Frau besetzt, bei den leitenden Positionen nur jede zehnte. Fragt man nach, und das habe ich in der letzten Legislaturperiode in einer parlamentarischen Initiative getan, bekommt man die Antwort, die Frauen würden an den Auswahlkriterien scheitern. Ja, kein Wunder. Diese Kriterien sind nämlich nur auf Männer ausgerichtet und passen einfach nicht. Diese Liste kann man in alle Richtungen weiterführen bis hin zu Nobelpreisträgerinnen.

Mein Antrag damals wurde übrigens bundesweit beachtet, Ärztinnen aus dem ganzen Bundesgebiet haben mir damals ihre Erfahrungen geschildert. Ich habe mit meiner Anfrage also voll ins Schwarze getroffen. Auch hier liegen die Ursachen in den Rahmenbedingungen.

Es bedarf mehr Unterstützung bei der Pflege von Angehörigen und der Betreuung der Kinder. Das wir als Gesellschaft es einfach so hinnehmen, dass Frauen erst wegen der Kinder die Unterbrechung ihres Erwerbslebens haben, dann womöglich später wieder einsteigen und bei Pflegebedürftigkeit der Eltern wieder zurückstecken müssen und dann am Ende mit einer Armutsrente belohnt werden – das ist ein permanenter Skandal!

Ich bin froh, dass meine Kolleginnen und Kollegen aus der Bundestagsfraktion zumindest mal den freien Fall des Rentenniveaus aufhalten konnten und der jetzt bei 48 % festgeschrieben ist. Das ist aber nur der erste Schritt. Auch die neue Grundrente wird vielen Frauen helfen. Wir brauchen aber eine generelle Rentenreform, die Frauen nicht weiter benachteiligt.

Schauen wir mal in unserem Bundesland die Hausaufgaben der Landesregierung an. Hier ist bei den Karrierechancen und dem beruflichen Aufstieg z.B. im öffentlichen Dienst deutlich Luft nach oben. Hier könnte man als guter Arbeitgeber der freien Wirtschaft gegenüber klare Zeichen setzen. Denn die werden sich sicher nicht bewegen, wenn das Land hier nicht beispielgebend vorangeht. Denn es geht auch hier im gewohnten Schneckentempo voran. Das zum Ende der letzten Legislaturperiode 2016 verabschiedet Chancengleichheitsgesetz liegt im Dornröschenschlaf, weil die Evaluation erst kurz vor der nächsten Landtagswahl kommen soll und damit die Lösung der Probleme der nächsten Landesregierung vor die Tür gekippt wird. Und warum? Weil sich die Häuser nicht einig sind, weil man die Chancengleichheitsbeauftragten noch immer nicht ihre Arbeit machen lässt. Ich weiß wovon ich hier rede. Regelmäßig treffe ich mich mit den Beauftragten und es ist geradezu hanebüchen, was ich da zu hören bekommen. Das Gesetz war bereits 2016 das Produkt endloser Kompromisse. Wenn aus diesem zahnlosen Tiger nicht endlich eine durchsetzungsbereite Raubkatze werden soll, sehe ich für die nächsten Jahre schwarz.

Ein weiteres Problem weltweit, aber auch direkt bei uns, möchte ich zum Schluss auch noch ansprechen: Gewalt gegen Frauen

Hier höre ich seit neun Jahren, in denen ich für meine Fraktion fachlich zuständig bin, immer nur nette Betroffenheitsreden und wenn es um echte Verbesserungen geht, ist angeblich nicht genug Geld da; alles andere ist immer wichtiger.

Ja, die Mittel wurden im letzten Haushalt aufgestockt. Aber es reicht vorne und hinten nicht. Die Beratungsstellen sind völlig unterfinanziert, die Aufgaben und die Aufwände sind in den letzten fünf Jahre massiv gestiegen. Wir brauchen dringend mehr Frauenhausplätze!

Der Schutz von Frauen und Kindern vor Gewalt muss uns mehr wert sein, als dass was das Land hier macht.

Hier wird von Landesseite jedem alles versprochen, jeder bekommt ein bisschen mehr. Aber strukturell bleibt die Tatsache, dass wir nicht ausreichend Schutz bieten können. Obwohl das Land eine umfangreiche Bedarfsanalyse in Auftrag gegeben hat, werden finanziell nicht die notwenigen Konsequenzen gezogen.

Daher bin ich dankbar, dass Bundesministerin Giffey auch hier aktiv wird und der Bund sich an der Finanzierung beteiligen will. Das aber entbindet Land und Kommunen nicht von der eigenen Verantwortung!

Zu diesem Bereich gehört auch die sexuelle Ausbeutung von Frauen durch Zwangsprostitution. Die Umsetzung des Prostituiertenschutzgesetzes ist nicht optimal, aber mir und meiner Partei geht es noch um etwas Anderes: Die Tatsache, dass über 90 % der Frauen nicht freiwillig in der Prostitution arbeiten, ist ein gesellschaftspolitischer Skandal. Wir überlassen diese Frauen skrupellosen Verbrechern, die deren Körper ausbeuten, verkaufen und am Ende auf den Müll werfen. Die SPD Baden-Württemberg ist vorangegangen und hat hierzu einen Beschluss gefasst, der ein wichtiger Anfang ist. Frauen und ihre Körper kann man nicht kaufen. Der Käufer, also der Freier, muss dafür bestraft werden.

Der Internationale Frauentag erinnert jedes Jahr auch an diese Frauen, die weltweit ausgebeutet werden und die dringend unserer Hilfe bedürfen.

Ich träume also weiter – in der Hoffnung, dass sich immer mehr Männer anschließen und Frauen gleichgestellt und gleichwertig leben können, vor Ausbeutung und Diskriminierung geschützt werden.

Es gilt das gesprochene Wort.

Ansprechpartner

Klose Fraktion
Roland Klose
Berater für Sozial- und Gesundheitspolitik