Wolfgang Drexler: „Die Vergabepraxis der Landesregierung ist skandalös – von der Flut der Gutachten ganz zu schweigen“

Nils Schmid: „Die Landesregierung hat die Ausnahme zur Regel gemacht und vergibt fast nur noch freihändig“

Die Regierungsantwort auf den Antrag der SPD zur Vergabe von Gutachten, Studien und sonstigen Dienstleistungen Dritter ist nach den Worten von SPD-Fraktionschef Wolfgang Drexler ein einziger Offenbarungseid. Entgegen dem öffentlich verbreiteten Eindruck müsse der Steuerzahler in Baden-Württemberg mit großen Summen für eine wahre Flut von Gutachten aufkommen, wobei vor allem das Ministerium für Umwelt und Verkehr und das Wirtschaftsministerium auf sich aufmerksam machten. So hat z. B. Umweltminister Müller ein Gutachten zur Badegewässerrichtlinie für den stolzen Preis von 350.000 Euro ohne jede Ausschreibung vergeben. Wirtschaftsminister Döring gab zum Preis von fast 40.000 Euro ein Gutachten über erneuerbare Energien in Auftrag, das „aufgrund angespannter Haushaltssituation“ aber gar nicht umsetzbar ist, wie Döring selber einräumen muss.

Einen „ganz dicken Hund“ nannte Drexler die Ausgaben für Rechtsgutachten bei der Landesstiftung. So entstanden bei der Stiftung allein im Jahr 2003 Rechts- und Steuerberatungskosten für die Prüfung der Gemeinnützigkeit der Projekte in Höhe von 659.000 Euro. Weitere 905.000 Euro wurden für ein Gutachten des Unternehmensberaters Berger bezahlt, in dem die „Förderfelder für eine gemeinnützige Landesstiftung“ ermittelt wurden. Drexler: „Dieselbe Regierung, die sich immer damit brüstet, mit dem Stiftungsmodell dem Fiskus ein Schnippchen zu schlagen, wirft Steuergelder für die Rechtsberatung dieser unsäglichen Stiftung buchstäblich mit vollen Händen zum Fenster hinaus.“

Ins Auge sticht vor allem, dass der ganz überwiegende Teil der Gutachten und Studien ohne jegliche öffentliche Ausschreibung an Dritte vergeben wird. Als „Gipfel der Unverfrorenheit“ kritisierte Fraktionschef Wolfgang Drexler, dass die Landesregierung sämtliche Informationen über die Auftragnehmer dem Landtag vorenthält.

Drexler: „Die Vergabepraxis der Landesregierung ist skandalös und die Heimlichtuerei in Bezug auf die Auftragnehmer lässt nur einen Schluss zu: die Regierung hat gewaltig Dreck am Stecken und will die Aufklärung darüber verhindern.“

Verweigert werden die Namen der Auftragnehmer mit dem fadenscheinigen Hinweis auf den Datenschutz. Vor etwa 1 ½ Jahren allerdings, in der Antwort auf einen entsprechenden Antrag der Grünen, hatte die Regierung solche Datenschutzbedenken noch nicht. Damals wurden alle Auftragnehmer namentlich genannt. Die SPD wird sich deshalb die generelle Anonymisierung nicht gefallen lassen. Drexler forderte die Regierung auf, dem Landtag umgehend die entsprechenden Informationen nachzureichen, damit das Parlament seiner Kontrollfunktion auch nachkommen kann.

Drexler: „Wir erinnern uns alle noch sehr genau, wie gerade Ministerpräsident Teufel und Wirtschaftsminister Döring seinerzeit bei der Bundesagentur für Arbeit darauf gedrängt haben, alle Namen von Gutachtern offen zu legen, alle Fakten auf den Tisch zu legen. Genau das fordern wir von der Landesregierung auch.“

In ihrem am 4. Februar dieses Jahres eingebrachten Antrag hat die SPD-Fraktion von der Landesregierung Auskunft darüber verlangt, welche Gutachten und Studien seit dem Jahr 2002 in Auftrag gegeben wurden und welche Kosten dafür jeweils angefallen sind, aufgeschlüsselt nach Ministerien, Auftrag und Auftragnehmer. Außerdem wollte die SPD z. B. erfahren, welche weiteren externen Beratungsdienstleistungen in dieser Legislaturperiode für welche Zwecke an welche Auftragnehmer vergeben worden sind, wie hoch die Ausgaben für externe Dienstleistungen im Landeshaushalt seit dem Jahr 2001 gewesen sind und wie hoch die Ausgaben für externe IuK-Dienstleistungen in den Jahren seit 2001 jeweils waren, welche einzelnen Aufträge dabei vergeben wurden und wer die Aufträge jeweils erhalten hat.

Gefragt wurde auch nach den Kosten, die bei der Landesstiftung zum Beispiel für die Prüfung der Gemeinnützigkeit von Projekten angefallen sind und nach den Kosten für externe Dienstleistungen bei dem NSI-Projekt.

Überblick: Gutachten und externe Beratungsdienstleistungen
In den beiden Jahren 2002 und 2003 hat die Landesregierung insgesamt 354 Gutachten und sonstige externe Beratungsdienstleistungen an Dritte vergeben im Gesamtwert von 11,76 Mio. Euro. Lediglich in 10 Fällen fand ein öffentliches Ausschreibungssverfahren statt, d. h. in weniger als 3 Prozent der Fälle.

Im Jahr 2002 hat die Landesregierung in insgesamt 187 Fällen Gutachten (einschließlich externer Beratungsdienstleistungen) vergeben mit einem Gesamtvolumen von rund 7,18 Mio. Euro. Öffentlich ausgeschrieben wurde lediglich in 6 Fällen, das entspricht einer Quote von 3,2 Prozent. Im Jahr 2003 wurden 167 Gutachten (einschl. externer Beratungsdienstleistungen) vergeben mit einem Gesamtvolumen von rund 4,58 Mio. Euro. Öffentlich ausgeschrieben wurde nur in 4 Fällen, dies entspricht einer Quote von lediglich 2,39 Prozent.

Außerdem wurden in den Jahren 2002 und 2003 Dienstleistungen an Dritte vergeben, insbesondere für den IuK-Bereich, im Gesamtwert von 393,43 Mio. Euro, davon 193,77 Mio. Euro im Jahr 2002 und 199,66 Mio. Euro im Jahr 2003 (Antwort der Regierung auf Frage 4 der SPD-Fraktion).

SPD-Fraktionschef Drexler wies vor der Presse darauf hin, dass seine Fraktion die Regierungsantwort bisher wegen der Kürze der Zeit nur einer ersten kursorischen Prüfung habe unterziehen können. Die Regierungsvorlage werde aber in den kommenden Wochen noch gründlich ausgewertet, vor allem im Hinblick auf den riesigen IuK-Bereich. Auch bei den Gutachten werde noch detailliert zu prüfen sein, ob die Vergabe an Externe wirklich begründet war, auch im Hinblick auf die Verwaltungsreform, und ob bestimmte Gutacher womöglich aus parteipolitischen Gründen bevorzugt wurden. Um diese notwendige parlamentarische Kontrolle vornehmen zu können, müsse die Landesregierung schnellstmöglich die Namen der Gutacher mitteilen, so Drexler.

Es sei ein bemerkenswerter Vorgang, so der SPD-Fraktionschef, dass Professoren oft genug fürstlich für Gutachten bezahlt werden, obwohl sie diese Arbeit nach den gesetzlichen Vorschriften unentgeltlich für das Land erbringen müssten.

Inakzeptabel: öffentliche Ausschreibungen systematisch umgangen
Nach der Vergabeordnung des Bundes, die insoweit auch für das Land gilt, ist ab einer Summe von 200.000 Euro Auftragsvolumen für Liefer- und Dienstleistungsaufträge eine EU-weite Ausschreibung zwingend vorgeschrieben. Das Land Baden-Württemberg hat darüber hinaus mit der „Beschaffungsanordnung“ für seinen Bereich zusätzliche Schwellenwerte eingezogen. Danach kann bei einem Auftragsvolumen bis 10.000 € generell freihändig vergeben werden, bei einem Auftragsvolumen bis 40.000 € kann generell beschränkt ausgeschrieben werden. Für die Vergabe an Freiberufler gilt: unterhalb von 200.000 Euro kann generell freihändig vergeben werden.

In zahlreichen Äußerungen hat die Landesregierung nach den Worten von Wolfgang Drexler den Eindruck erweckt, dass bei der Vergabepraxis des Landes die Ausschreibung die Regel, die freihändig Vergabe die Ausnahme ist, auch für Aufträge mit geringem Volumen. Die Praxis stelle sich nun aber genau andersherum dar: Die freihändige Vergabe ist die Regel! Die Ausschreibung bleibt die absolute Ausnahme, wobei sich die Regierung, soweit sie überhaupt eine Begründung liefert, großzügig auf Ausnahmeregelungen beruft.

So beruft sich die Regierung besonders gern auf spezielles Fachwissen der Gutachter, an die Aufträge freihändig vergeben wurden. Sie legt aber nicht dar, dass dieses notwendige Fachwissen nur bei diesem einen Unternehmen vorliegt. In den Bestimmungen zur Vergabe von Leistungen (VOL/A) heißt es aber ausdrücklich: “Es ist aktenkundig zu machen, weshalb von einer Öffentlichen oder Beschränkten Ausschreibung abgesehen worden ist.“ Diese klare Vorgabe sei von der Regierung in keiner Weise eingehalten worden, so Drexler. In den meisten Fällen fehle eine solche Begründung in der Antwort auf den SPD-Antrag.

Die jetzt durch den Antrag der SPD offen gelegte Praxis der Landesregierung zeige, so Drexler, dass selbst in den Fällen, in denen die Auftragswerte über 10.000 Euro liegen, fast nie ausgeschrieben wurde. Von den aufgelisteten 354 Auftragsvergaben des Landes in den Jahren 2002 und 2003 sind 304 Vergaben und damit mehr als 85 % – freihändig vergeben worden.

Drexler: „Eine solche Vergabepraxis stinkt zum Himmel, denn sie öffnet Vetterleswirtschaft und Filz Tür und Tor.“

Nils Schmid: Wie die Ausnahme zur Regel gemacht wird – Beispiele
Nils Schmid, finanzpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, machte an einigen ausgewählten Beispielen der Auftragsvergabe des Landes deutlich, wie die Regel der öffentlichen Ausschreibung in der Praxis umgangen wird.

So habe das Wirtschaftsministerium im Jahr 2002 ein Gutachten für 37.700 Euro über Privatisierungsmöglichkeiten von Landesvermögen freihändig vergeben mit der Begründung, das beauftragte Unternehmen verfüge über spezielle Fachkenntnisse (S. 8). Das beauftragte Unternehmen Ernst & Young schreibt in diesem Gutachten: „Angesichts der äußerst knappen zur Verfügung stehenden Zeit und der sehr eingeschränkt vorhandenen Informationen über die Gesellschaften war lediglich eine vorläufige Beurteilung der Veräußerbarkeit und der potenziellen Veräußerungserlöse der Beteiligungen möglich“ (Gutachten S.5). Das zuständige Finanzministerium meinte damals, es besitze alle relevanten Informationen und der von ihr jährlich erstellte Beteiligungsbericht biete mehr Informationen als dieses Gutachten.

In der hier einschlägigen Verdingungsordnung für Leistungen (VOL Teil A), auf das sich das Ministerium in seiner Begründung offensichtlich bezieht, heißt es unter § 3 Nr. 4 a „Freihändige Vergabe soll nur stattfinden, wenn für die Leistung aus besonderen Gründen (z. B. besondere Erfahrungen, Zuverlässigkeit) nur ein Unternehmen in Betracht kommt.“ Diese Vorschrift bedeute also nicht, so Schmid, dass für freihändige Vergabe das Vorhandensein spezieller Fachkenntnisse ausreiche, sondern es müsse dargelegt werden, dass nur dieses eine Unternehmen über das entsprechende Fachwissen verfüge. „Genau das hat Döring aber nicht nachweisen können.“

Dem Wirtschaftsministerium ist im Jahr 2001 die Gestaltung und das Layout einer Broschüre zum barrierefreien Bauen 69.356 Euro wert, ein Auftrag, der ohne Ausschreibung freihändig vergeben wurde. (S. 88) Und noch zwei weitere Beispiele unter vielen aus dem Wirtschaftsministerium: Das Ministerium vergab 2003 ohne Ausschreibung ein Projekt zur regionalen Clusterverteilung in Baden-Württemberg für 38.280 Euro an eine Fachfirma mit der schlichten Begründung, hierfür sei eine spezielle Expertise notwendig. Im selben Jahr bestellte das Wirtschaftsministerium ohne Ausschreibung ein Gutachten zu regionalen Standortfaktoren in Baden-Württemberg für 68.266 Euro und begründet die freie Vergabe mit den speziellen Kenntnissen des Wirtschaftsforschungsinstituts (S. 49).

Überhaupt falle auf, so Schmid, dass gerade das Wirtschaftsministerium, das fachlich für das Vergabewesen und das Wettbewerbsrecht zuständig sei, bei seinen eigenen zahlreichen Auftragsvergaben in den allermeisten Fällen freihändig ohne Ausschreibung vergeben habe.

Das Staatsministerium habe in den Jahren 2002 und 2003 freihändig jeweils eine Umfrage zur Landespolitik bei einem Demoskopischen Institut in Auftrag gegeben für 58.686 Euro bzw. für 87.812 Euro. Auch dem Staatsministerium müsste aber bekannt sein, dass es nicht nur ein Demoskopisches Institut in Deutschland gibt, das eine landespolitische Umfrage durchführen kann, so Schmid, auch wenn es nicht vom Bodensee stamme.

Im Bereich des Wissenschaftsministeriums ist die Besetzung einer Pressesprecherstelle an der Universität Konstanz für 18.770 Euro beratend an eine Fachfirma frei vergeben worden mit der Begründung einer besonderen Eilbedürftigkeit. Schmid: “Es ist geradezu abenteuerlich, dass eine Universität angeblich nicht in der Lage ist, die Ausschreibung und Besetzung einer Pressesprecherstelle selbst zu bewerkstelligen.“

Das Kultusministerium hat ein fünfjähriges Projekt für die Jahre 2001 bis 2005 zur wissenschaftlichen Begleitung „Fremdsprache in der Grundschule“ bei jährlichen Kosten von 150.000 Euro, also insgesamt 750.000 Euro, freihändig ohne Ausschreibung an einen Professor vergeben mit der schlichten Begründung, der Professor bringe ideale Voraussetzungen für diese Arbeit mit. (S. 85)

Das Innenministerium hat zweimal eine Studie zur Situation ehrenamtlicher Feuerwehrangehöriger, für 18.386 Euro im Jahr 2002 und für 73.491 Euro im Jahr 2003, freihändig an ein Fachinstitut vergeben. In der Regierungsantwort findet sich keine Begründung für dieses Vergabeverhalten des Ministeriums (S. 5, S. 75). Dabei sei, so Nils Schmid, in der Vergabeordnung ausdrücklich vorgeschrieben, dass im Falle einer freihändigen Vergabe jeweils aktenkundig zu machen sei, warum auf eine öffentliche Ausschreibung verzichtet wurde.

Weitere Beispiele aus dem Innenministerium: Das Ministerium vergab freihändig zwei Gutachten zur Verwaltungsreform für jeweils 22.400 Euro an einen Professor, und zwar zur Flurneuordnung und zur Versorgungsverwaltung (S. 46). Auch hier gibt das Ministerium keine Begründung für diese Verhaltensweise. Ohne ausreichende Begründung freihändig vergeben wurden z.B. auch zwei Gutachten zum Preis von 140.650 Euro und 30.041 Euro im Zusammenhang mit der Ausschreibung und Erteilung der Spielbankenerlaubnisse Baden-Baden und Konstanz.

Das Ministerium für Umwelt und Verkehr begründet beispielsweise die freihändige Vergabe des 183.400 Euro teuren Gutachtens über die Neuorganisation der Reaktorsicherheitsabteilung im UVM lediglich mit dem „Renommee“ der ausgewählten Consulting Firma (S. 22). Ohne jede Begründung freihändig vergeben wurden etwa ein Gutachten zum Preis von 150.000 Euro über kommunale Klärwerke (S. 26) und ein Gutachten über Stauvermeidung im Wert von 172.840 Euro (S. 106). Die freihändige Vergabe eines Gutachtens zu Mobilität und Sport für 50.000 Euro wurde mit der besonderen Fachkunde und Erfahrung des Auftragnehmers begründet, ohne aber die Frage zu beantworten, ob diese besondere Fachkunde sonst nirgends vorhanden ist (S. 60).

Das Sozialministerium listet unter anderem eine freihändige Vergabe an eine ärztliche Stelle für ein Gutachten zu Teleradiologieprojekten für 28.955 Euro auf, ohne diese Vergabe zu begründen.

Nils Schmid: „Die Liste dieser freihändigen Vergabepraxis ließe sich beliebig fortsetzen. Es ist offensichtlich, dass sich die Landesregierung einen feuchten Kehricht um die eigenen Vorschriften schert, wenn es um die Vergabe lukrativer Aufträge und Gutachten geht. Dieses Verhalten widerspricht dem Grundsatz der Transparenz und ist mit dem gerade vom Wirtschaftsminister gerne postulierten Wettbewerbsgedanken unvereinbar. Der Verdacht liegt nahe, dass diese Vergabepraxis – zumindest auch – dazu dient, die jeweils eigene Klientel mit Aufträgen zu versorgen und vor Wettbewerb zu schützen.“

Helmut Zorell
Pressesprecher