Wolfgang Drexler: „Die Weigerung der Landesregierung, die Kommunen bei der frühkindlichen Sprachförderung zu unterstützen, ist ein familien- und bildungspolitischer Skandal“

Marianne Wonnay: „Sprachförderung muss mit dem ersten Kindergartentag beginnen“

Die Landtags-SPD wirft der Landesregierung schwere Versäumnisse bei der frühkindlichen Sprachförderung vor. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Drexler bezeichnete es als, so wörtlich, „Skandal“, dass die Landesregierung entgegen jahrelangen Ankündigungen noch immer kein Konzept für das drängende Problem der frühkindlichen Sprachförderung vorgelegt habe. Dies wiege umso schwerer, da die Landesregierung in ihrer Antwort auf einen SPD-Antrag nun selbst eingeräumt hat, dass bei jedem vierten Kind in Baden-Württemberg bei der Einschulung eine „verzögerte Sprachentwicklung“ zu beobachten ist. Von den rund 300.000 baden-württembergischen Kindergartenkindern benötigen demnach etwa 75.000 eine gezielte Sprachförderung.

Die Regierung habe dafür aber nicht nur kein Konzept, so Drexler, sondern wälze die Kosten für diese Sprachförderung auch noch einseitig auf die Kommunen ab. Die SPD fordert demgegenüber die finanzielle Beteiligung des Landes. „Dies ist eine bildungspolitische Aufgabe, für die das Land eine Mitverantwortung trägt.“ Das Land müsse sich zum einen an den Kosten für die Fortbildung der Erzieherinnen beteiligen und zudem deutlich mehr Geld für ergänzende vorschulische Sprachfördermaßnahmen aus dem Landeshaushalt zur Verfügung stellen.

Es gehe nicht an, so Drexler, dass die Landesregierung den Kommunen im Kindergartengesetz seit Jahresanfang die Sprachförderung als neue Aufgabe auferlegt habe, sich nun aber ihrer verfassungsmäßigen Pflicht entziehe, den Kommunen die Mehrkosten dafür zu erstatten. „Die Weigerung der Landesregierung, die Kommunen bei der frühkindlichen Sprachförderung finanziell zu unterstützen, ist nicht nur ein familien- und bildungspolitisches Armutszeugnis, sondern steht auch im Widerspruch zu Artikel 71 der Landesverfassung.“ Danach muss das Land den Gemeinden die Kosten für die durch Landesrecht neu übertragenen Aufgaben erstatten.


Der SPD-Fraktionsvorsitzende warf der Landesregierung in diesem Zusammenhang Wortbruch vor: „Immer wieder hat Teufel den Eltern und den Kommunen versprochen, die Sprachförderung finanziell zu unterstützen. So hat die Landesregierung beispielsweise im Juli 2002 in einer Vereinbarung mit den Kommunen zugesagt, dass das Land die Sprachförderung „finanziell in angemessener Weise“ unterstützen wird (Pressemitteilung des Staatsministeriums vom 17. Juli 2002). Geschehen sei bisher jedoch nichts. Im Gegenteil: „Die Landesregierung flüchtet sich nun aus ihrer Verantwortung und behauptet, für diese Aufgabe seien allein die Kommunen zuständig.“

Die SPD hat demgegenüber bereits bei den Haushaltsberatungen vorgeschlagen, mit dem Erlös aus dem Verkauf von Landesbeteiligungen und der Auflösung der Landesstiftung Landesschulden abzubauen und die eingesparten Zinsen zur Finanzierung der Sprachförderung zu verwenden. Drexler: „Eine Landesregierung, die bei den sog. Neuen Steuerungsinstrumenten fast 500 Mio. Euro buchstäblich zum Fenster hinauswirft und die sogar für private Sternengucker locker 600.000 Euro aus der Kasse holt, kann nicht behaupten, für die Sprachförderung, eine der wichtigsten Landesaufgaben, kein Geld übrig zu haben.“

Interministerielle Arbeitsgruppe: Außer Spesen bisher nicht viel gewesen
Drexler warf der seit dem Juli 2002 tagenden interministeriellen Arbeitsgruppe (Kultusministerium, Sozialministerium und Innenministerium), die ein Sprachförderkonzept für den vorschulischen Bereich erarbeiten sollte, vor, bisher keine greifbaren Ergebnisse vorgelegt zu haben.

Der SPD liege ein interner Bericht der interministeriellen Arbeitsgruppe vom März 2004 vor, aus dem hervorgeht, dass zwischen der Landesregierung, den kommunalen Landesverbänden und Kindergartenträgern zwar über inhaltliche Fragen der Sprachförderung ein Konsens erzielt wurde. Die Finanzierungsfrage dagegen ist nach diesem Bericht noch völlig ungeklärt. Auf die parlamentarische Anfrage der SPD, wann das Sprachförderkonzept endlich vorgelegt werde, habe die Landesregierung nichts sagend geantwortet, das Konzept werde ‚unmittelbar nach Fertigstellung vorgelegt’ (!) (Drs. 13/2883). Wann dies erfolge, sei nach wie vor offen. Drexler: „Damit wird die längst überfällige Sprachförderung im Kindergarten auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben.“

Marianne Wonnay: Sprachförderung im Kindergarten von Anfang an
Die stellvertretende Vorsitzende und familienpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, Marianne Wonnay, erläuterte auf der Landespressekonferenz in Stuttgart Einzelheiten des Sprachförderkonzeptes ihrer Fraktion.

Die Kernforderungen: Sprachförderung muss bereits zu Beginn des Kindergartenbesuches ansetzen und darf nicht erst im letzten Kindergartenjahr starten. Zudem muss die Sprachförderung flächendeckend alle Kinder erfassen, die eine Förderung brauchen und diese Förderung muss dann auch auf der Grundlage eines Erziehungs- und Bildungsplanes erfolgen. Wonnay: „Kinder sind in den ersten Lebensjahren besonders lernfähig. Insbesondere die Sprachlernfähigkeit ist ab dem dritten Lebensjahr besonders ausgeprägt. Aus diesem Grund muss Sprachförderung im Kindergarten früh anfangen.“

Im Kindergarten ist nach Auffassung der SPD zudem eine kontinuierliche Sprachstandserfassung durch die Erzieherinnen und Erzieher notwendig, das heißt eine regelmäßige und systematische Beobachtung und Dokumentation des Sprachverhaltens. Dies erfordere entsprechend qualifizierte Fachkräfte, so Wonnay.

Fort- und Weiterbildungsoffensive für die Kindergarten-Fachkräfte
Eine Fort- und Weiterbildungsoffensive für die Kindergarten-Fachkräfte sei deshalb zwingend erforderlich. Zusammen mit den Kommunen müsse das Land ein Fortbildungsprogramm auflegen, damit im Kindergarten Defizite in der Sprachentwicklung frühzeitig erkannt und entsprechende Fördermaßnahmen eingeleitet werden können.

Der Gemeindetag beziffert die Kosten für diese Fort- und Weiterbildungsoffensive auf rund 8 Millionen Euro. Die SPD spricht sich dafür aus, dass das Land davon ein Drittel, also rund 2,7 Millionen Euro übernimmt.

Ergänzende vorschulische Sprachfördermaßnahmen aus dem Landeshaushalt
Damit alle Kinder mit Sprachdefiziten und Entwicklungsverzögerungen im Kindergarten eine gezielte Förderung erhalten, fordert die SPD deutlich mehr Mittel für ergänzende vorschulische Sprachfördermaßnahmen aus dem Landeshaushalt. Zu diesem Zweck soll ein bereits bestehendes Förderkonzept des Landes ausgebaut werden, und zwar die sog. vorschulischen Sprachfördermaßnahmen im Rahmen der Hausaufgaben-, Sprach- und Lernhilfen. Dieses Programm sieht bisher pro Woche mindestens zwei Förderstunden in Kleingruppen von bis zu acht Kindern vor.

Im Etat des Sozialministeriums sind für dieses Programm derzeit Mittel in Höhe von knapp vier Millionen Euro veranschlagt. Für eine flächendeckende Sprachförderung reichen diese Mittel nach den Worten von Marianne Wonnay bei weitem nicht aus. Zudem richteten sich die bisherigen Förderangebote nur an Kinder aus Spätaussiedler- und Ausländerfamilien. Es sei jedoch unbestritten, so Wonnay, dass in steigendem Umfang auch Kinder aus deutschen Familien Sprachdefizite aufweisen.

Die SPD fordert deshalb, für alle 75.000 Kinder mit einem ergänzenden Förderbedarf ein Sprachförderangebot im Umfang von mindestens drei Stunden pro Woche vorzusehen.

Die Ausbildung der Erzieherinnen und Erzieher neu ordnen
Damit Erzieherinnen und Erzieher Sprachdefizite frühzeitig erkennen und entsprechende Fördermaßnahmen veranlassen können, muss nach Ansicht der SPD die Ausbildung grundlegend neu geordnet werden. Im Unterschied zu anderen Bundesländern – wie etwa Hessen, Niedersachsen oder Sachsen – hat Baden-Württemberg bei der Reform der Erzieherinnenausbildung diese Chance verpasst. Es blieb bei einer vierjährigen Ausbildungsdauer, lediglich das Vorpraktikum wurde durch ein Berufskolleg ersetzt.

Die SPD dagegen beharrt auf einer ganz neuen Ausbildungsstruktur. Aufbauend auf einem zweijährigen Berufskolleg für Sozialpädagogik soll sich eine dreijährige Ausbildung anschließen. Der Abschluss soll die Fachhochschulreife beinhalten.

Wonnay: „Der Erzieherinnenberuf muss endlich seinen Sackgassencharakter verlieren und qualifizierten Erzieherinnen und Erziehern auch die Chance zu einem Hochschulstudium eröffnen.“

Helmut Zorell

Pressesprecher