Redemanuskript Andreas Stoch
Aktuelle Debatte CDU „Europa richtig machen“

am 8. Mai 2019

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen,

wenn die CDU diese aktuelle Debatte unter dem Titel „Europa richtig machen“ anberaumt hat, dann hat sie das ja zunächst einmal richtig gemacht. Kurz vor der Europawahl darf man ruhig über Europa reden.

Noch schöner wäre es allerdings, wenn wir nicht nur in diesem Haus darüber reden würden, sondern auch draußen im Land. Da ist nämlich Wahlkampf.

Und während die CDU diese heutige Debatte angeregt hat, haben wir alle zur Kenntnis genommen, dass die Bundeskanzlerin als wichtigste CDU-Politikerin der Republik keinerlei Wahlkampf betreibt. Nicht für Europa an sich. Nicht mal für die die CDU. Gar nicht.

Das wirklich Schlimme aber ist nicht einmal, dass die Bundeskanzlerin zu Europa nichts mehr zu sagen hat. Das wirklich Schlimme ist, dass diese Tatenlosigkeit, dieses Zaudern symptomatisch ist. Zitat gefällig? „Es fehlen die größeren Überlegungen und Visionen. Es dominiert das kleine Karo.“ Das hat Günther Oettinger gesagt, und leider hat er Recht.

Immer mehr Politikern reicht der Horizont nur noch bis zum Gartenzaun., und dann geht es um angstgetriebene Themen wie Grenzsicherung und Arbeitsmigration und die alte Mär von Deutschland als Zahlmeister Europas wird wieder durch die Gegend gezogen. Die Krümmung von Gurken hinterher. Und dann ist es eben nicht nur bei Populisten wohlfeil, ein bisschen über die EU zu lästern: Brüssel halt!

Dabei ist so etwas nicht einmal mehr volkstümelnd, sondern nur noch von gestern. Eine Studie der Heinrich-Böll-Stiftung aus dem April 2019 zeigt etwas ganz anderes: Über 75% der Deutschen wünschen sich ein kooperatives und aktives Auftreten Deutschlands in der EU, über 76% sind der Meinung, dass Deutschland seine Ziele eher mit als ohne die EU erreichen kann, 66% glauben, dass Deutschland wirtschaftlich mehr Vor- als Nachteile von der EU hat. Und über 90% der Deutschen wünschen sich mehr gemeinsame Ausgaben der EU-Partner, ganz besonders für Klima- und Umweltschutz, Forschung und Bildung, Sicherheit sowie Arbeit und Soziales. Ich weiß, dass diese Regierung nicht viel von Volksbegehren hält. Aber das ist, was das Volk begehrt, wenn man es fragt.

Ja, es gibt Menschen, die genug haben von Europa. Aber die allermeisten Menschen in diesem Land haben noch nicht genug Europa. Sie wollen sogar mehr Europa, ein Europa, das mehr kann und das mehr können darf. Das mehr können muss.

Doch wenn eine Minderheit lauter ist als die Mehrheit, dann ist dieses Europa gefährdet. In Großbritannien sehen wir, was passiert, wenn Menschen auf Lügen hereinfallen. Viele haben dort geglaubt, sie hätten zu viel Europa. Jetzt merken sie, dass Ihnen ohne Europa nicht viel bleiben wird.

Europa hat Feinde, sie sind laut und aggressiv, sie sind ausdauernd und gut vernetzt. Darum braucht Europa nicht nur eine Mehrheit, die nichts gegen Europa hat, braucht nicht nur eine Mehrheit, die seine Vorzüge schätzt. Europa braucht Menschen, die für Europa eintreten.

Und eigentlich wäre das eine Aufgabe für die politisch wichtigsten Menschen in diesem Land. In Frankreich klappt das, wir bleiben stumm.

Ich habe gesagt, die Bundeskanzlerin ist in dieser Hinsicht ein schlechtes Beispiel. Offenbar auch für den Ministerpräsidenten. Er hat auch nichts gegen Europa, aber im Alltag gibt es nur Abwehr und Bedenken und Sorge. Subsidiarität wird zur Allzweckwaffe gegen jede Idee, und Europa ist jenseits der Sonntagsreden nur dazu dienlich, dass man einen Sündenbock hat, wenn man einen braucht.

Noch einmal: Die Menschen in unserem Land sind da viel weiter, und es müssen nicht einmal erfahrene Menschen sein.

Die Schülerinnen und Schüler, die freitags für Klimaschutz auf die Straße gehen, tun das natürlich kreuz und quer durch Europa. Ihnen sind Grenzen genauso egal wie Politiker, die sie als Schulschwänzer bezeichnen. Und es ist Ihnen egal, welcher Kleinstaat mit dem Finger auf den anderen Kleinstaat zeigt. Sie wollen Lösungen, und sie wissen, dass es beim Klimaschutz nur gemeinsame Lösungen geben kann. Kommende Woche ist hier im Haus der internationale EU-Jugendtag. Reden sie mal mit den Teilnehmern. Die wissen, dass wir andere Probleme haben als die angebliche Islamisierung des Abendlandes.

Wir sind Politiker, und wir müssten eigentlich noch mehr wissen. Müssten wissen, dass wir gegen Kriminalität und Terrorismus nur gemeinsam vorgehen können, mit einer wesentlich besser verzahnten europäischen Sicherheitsarchitektur. Wir sollten wissen, dass wir es nur gemeinsam schaffen, dass internationale Konzerne bei uns gerechte Steuern zahlen. Wir sollten wissen, dass wir nur gemeinsam europäische Standards beim Sozialsystem und beim Mindestlohn erreichen.

In Baden-Württemberg sollten wir sogar noch mehr wissen. Weil wir mitten in Europa liegen, weil wir über unsere Grenzen Partnerschaften pflegen, weil wir Fachkräfte brauchen und weil wir nicht nur Autos und Maschinen, sondern zum Beispiel auch unsere duale Ausbildung exportieren können. Wenn Deutschland laut „Ja“ zu Europa sagen sollte, dann müsste Baden-Württemberg am laustesten und deutlichsten „Ja!“ sagen. Dann muss sich auch eine Landesregierung hinstellen und klar Farbe bekennen. Für Europa und gegen die Feinde Europas. Für mehr Europa an all den Stellen, wo Politik unterhalb der europäischen Ebene gar nichts mehr nützt. Und gegen Kleinstaaterei und Nationalismus. Und dann muss auch Baden-Württemberg in Kauf nehmen, dass die eine oder andere Kompetenz auch einmal mit Europa geteilt werden muss.

Diesen Mut hatte die Generation, die das vereinte Europa schuf, diesen Mut sollten wir auch haben. Und wenn unsere Nachbarn in Frankreich auf Ihre europapolitischen Vorstöße hin keinen Muckser aus Berlin hören, könnten sie doch wenigstens aus Stuttgart ein Signal bekommen. Der Ministerpräsident ist sonst doch auch nicht Berlin-hörig!

„Europa richtig machen“. Sie wollen wissen, wie das geht? Wenn wir Europa machen, dann machen wir es richtig. Nicht mit Angst und Skepsis, sondern mit Mut und Zuversicht.

Es gilt das gesprochene Wort.

Ansprechpartner

Nicolas Fink
Stellvertretender Fraktionsvorsitzender

Max Yilmazel
Berater für Finanzpolitik, Europa und Internationales