Von MdL Wolfgang Drexler, Erster stv. Landtagspräsident, und MdL Dr. Nils Schmid, stv. Fraktionsvorsitzender und finanzpolitischer Sprecher

I. Derzeitige Diskussion über Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern
Zwei aktuelle Beispiele zeigen, dass sich der Geist der Föderalismusreform I im Getümmel des politischen Alltags schnell verflüchtigt:

a) Nichtraucherschutz und die Angst vor dem „föderalen Flickenteppich“
Zuerst diskutiert in Berlin der Bund sechs Wochen lang, bis er merkt, dass er überhaupt keine Zuständigkeit besitzt. Anschließend sitzen die 16 Bundesländer, obwohl jedes einzelne Bundesland die alleinige Zuständigkeit hat, mit dem Bund in einer Arbeitsgruppe zusammen und arbeiten einen Kompromissvorschlag aus. Dann erklären Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen und jetzt auch Baden-Württemberg, dass sie möglicherweise reine „Raucherkneipen“ zulassen wollen. Dieser unausgereifte Kompromiss widerspricht dem Leitgedanken einer stärkeren Eigenverantwortung der Länder in ihrem Zuständigkeitsbereich.

Föderalismus bedeutet das Zulassen von Unterschieden, den Wettbewerb um die besten Lösungen, über die dann die Bürgerinnen und Bürger ihr Urteil bei Wahlen fällen können. Im Gegensatz zu solchen „verzwungenen“ Einheitslösungen tritt die SPD unverändert für ein generelles Rauchverbot – auch in Gaststätten – ein.

b) Kinderkrippen, Zuständigkeiten und die Finanzierungsfrage
Das Kinder- und Jugendhilfegesetz des Bundes (SGB VIII) bildet den rechtlichen Rahmen für die Arbeit von Kindergärten und Kinderkrippen. Auch nach der Föderalismusreform hat der Bund weiter die Gesetzgebungszuständigkeit in der Kinder- und Jugendhilfe. Der von der SPD geforderte Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung für alle Kinder vom 1. Geburtstag an muss im SGB VIII verankert werden. Dort ist bereits jetzt der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ab dem vollendeten dritten Lebensjahr enthalten.
Der Bund kann im SGB VIII mit Zustimmung des Bundesrates die Vorgaben für die Betreuung von Kleinkindern verändern, da es sich um keine neue Aufgabe im Sinne des neugefassten Art. 84 GG handelt („Aufgabenübertragung“), sondern um eine materiell-rechtliche Änderung einer bereits bestehenden Aufgabe in der Zuständigkeit der Kommunen. Der Bund soll allerdings zusammen mit den Ländern den Kommunen die zusätzlichen finanziellen Mittel zukommen lassen, die sie für die Bewältigung dieser ausgeweiteten Aufgabe zusätzlich brauchen. Dafür muss das Grundgesetz aber nicht geändert werden.

Unser Vorschlag: Erhöhung des direkt an die Kommunen gehenden Anteils am Mehrwertsteueraufkommen. Bisher erhalten die Kommunen 2,2 Prozent des Umsatzsteueraufkommens. Dieser Anteil ist der Höhe nach nicht im GG festgelegt, sondern durch Bundesgesetz mit Zustimmung der Länder.
Der Einnahmeausfall bei Bund und Ländern aufgrund der Abtretung von Anteilen aus der Einkommensteuer an die Kommunen kann beispielsweise durch die Kappung beim Ehegattensplitting ausgeglichen werden.

II. Diskussion über Kfz-Steuer
Unsere Position haben wir schon in der Föderalismuskommission I dargelegt. Wir wollen, dass dem Bund von den Ländern die Kfz-Steuer übertragen wird und die Länder dafür die Versicherungssteuer als reine Ländersteuer erhalten. Das Problem ist, dass die Versicherungssteuer ca. 1,5 Milliarden Euro pro Jahr mehr erbringt. Es gibt zwei Lösungsmöglichkeiten.

a) Entweder die Länder erhalten die Versicherungssteuer und behalten die 1,5 Milliarden Euro mehr und können dann den Kommunen dieses Geld geben, um den Versorgungsgrad bei den Kinderkrippen auf mindestens 30 Prozent zu erhöhen und eine Qualitätsverbesserung vorzunehmen.

b) Oder – eine schlechtere Variante, weil sie die Finanzverflechtung wieder erhöht: Es gibt als Ausgleich für die Kfz-Steuer eine Beteiligung der Länder am Erlös der Mineralölsteuer.

Dieses Thema sollte gleich am Anfang der Föderalismuskommission entschieden werden, damit der Bund in diesem Jahr noch einen Lösungsvorschlag zur Kfz-Steuer erarbeiten kann.

III. Vorbemerkung zur Herangehensweise in der Föderalismuskommission II
Schwierig wird es, in der Föderalismuskommission II über den Länderfinanzausgleich, der bis 2019 festgelegt ist, zu verhandeln. Das Thema Länderneugliederung sollte nicht angesprochen werden. Die SPD-Landtagsfraktion empfiehlt dem Ministerpräsidenten als Co-Vorsitzendem der Kommission, als Moderator aufzutreten. Deshalb sollten von Seiten des Ministerpräsidenten jegliche Angriffe auf die Finanzsituation anderer Länder unterbleiben. Flapsige Bemerkungen, wie „er sehe nicht ein, dass Deutschland an die EU Strafen zahle, nur weil Wowereit in Berlin fröhlich Party macht“, helfen in schwierigen Verhandlungen nicht weiter. Es muss zuerst erreicht werden, dass es eine einheitliche Länderposition zur Veränderung der Finanzbeziehungen gibt.

IV. Forderungen an die Föderalismuskommission II

1. Zentrale Forderung: Mehr Steuerautonomie für die Länder
Die Länder haben ein halbiertes Budgetrecht, weil sie stets nur über die Ausgabenseite des Haushalts entscheiden können. Dies schwächt ihre politische Gestaltungskraft. Ein lebendiger Gestaltungsföderalismus setzt aber ein höheres Maß an Finanzautonomie der Länder voraus. Nicht nur in Staaten mit alten föderativen Traditionen, wie in den USA oder in der Schweiz, sind eigenständige Steuergestaltungsrechte der Einzelstaaten bzw. Kantone selbstverständlich, sondern auch die neu geschaffenen Regionen in klassischen Zentralstaaten, wie beispielsweise Spanien, verfügen in der Steuergestaltung mittlerweile schon über mehr Kompetenzen als die deutschen Bundesländer. Inzwischen haben selbst die Regionen im traditionell zentralistischen Frankreich das Recht, Steuersätze bei der Mineralölsteuer zu bestimmen.

In Deutschland verfügen die Kommunen, die zur Staatlichkeit der Länder gehören, über eigene Steuergestaltungsrechte (Hebesatzrechte bei der Gewerbesteuer und Grundsteuer, außerdem so genannte Bagatellsteuern, wie die Hundesteuer, Zweitwohnsteuer oder Vergnügungssteuer), während die Länder über keine eigenen Gestaltungsrechte verfügen, mit Ausnahme des Hebungsrechts für die Grunderwerbssteuer durch die Föderalismusreform I.

Im Einzelnen schlägt die SPD-Landtagsfraktion vor:
a) Hebesatzrechte der Länder für die Steuern, deren Aufkommen vollständig den Ländern zusteht (Erbschaftssteuer, Feuerschutzsteuer, Biersteuer, Lotteriesteuer, ggf. Kfz-Steuer und Vermögensteuer).

b) Zuschlagsrechte der Länder auf die Einkommensteuer
Bislang haben weder die finanzstarken noch die finanzschwachen Länder einen ökonomischen Anreiz für steuerliche Mehreinnahmen, weil jede Mehreinnahme nahezu vollständig im Finanzausgleich abgezogen wird. Am Beispiel der Steuerverwaltung wird dies deutlich: Bei einer Stärkung der Steuerverwaltung zur Sicherung einer ordnungsgemäßen Besteuerung behält das Land maximal 10 Prozent der Mehreinnahmen, muss aber 100 Prozent der Personalkosten tragen.

Bei den Gestaltungsrechten der Länder bei den Steuern muss klargestellt sein, dass sie sich beim Länderfinanzausgleich nicht auswirken. Dies kann nach einem Gutachten des Bundesministeriums für Finanzen (Kommissionsdrucksache 50 der ersten Föderalismusreform) dann ohne Probleme sichergestellt werden, wenn die Bemessungsgrundlage der Steuern einheitlich bleibt. Dann wird der jetzige Satz als Verteilungsschlüssel in den Länderfinanzausgleich genommen, ähnlich wie im kommunalen Finanzausgleich bei der Gewerbesteuer. Das Bundesfinanzministerium spricht dabei von Normierung von Steuern im bundesstaatlichen Finanzausgleich.

Wenn ein Land seine Steuern über die Norm anhebt, darf es den Zusatzertrag in Gänze behalten, senkt ein Land unter die Norm, dann zahlt es im Länderfinanzausgleich die Differenz bis zum Normaufkommen drauf. Schon auf diese Weise wird ein Steuerdumping auf jeden Fall verhindert.

c) Neuverteilung der Gemeinschaftssteuern
Die Aufteilung der Gemeinschaftssteuern und hier insbesondere der Umsatzsteuer ist die Stellschraube zur Anpassung der Finanzströme an geänderte Aufgaben der Ebenen Bund, Länder und Kommunen. Grundsätzlich sollte der Anteil an der Mehr-wertsteuer zugunsten der Länder und ggf. der Kommunen (siehe Kinderkrippen) verändert werden, da die Aufgaben in der Betreuung und der Bildung an Bedeutung gewonnen haben und in Zukunft noch weiter gewinnen werden. Gleichzeitig kann über diese Stellschraube eine mögliche Finanzierungslücke des Bundes oder der Länder bei der Neuordnung der Finanzströme ausgeglichen werden (vgl. oben Steuertausch).

d) Bereitschaft zur Diskussion über eine Bundessteuerverwaltung, um einheitlichen und gerechten Vollzug von Steuergesetzen zu gewährleisten.

2. Abschaffung weiterer Mischfinanzierungen
Mischfinanzierungen verwischen die Verantwortlichkeiten zwischen den Ebenen und schwächen die Parlamente, da sie nur noch zwischen allen Beteiligten abgestimmte und quotierte Listen abnicken können. Daher tritt die SPD-Landtagsfraktion für die weitgehende Abschaffung der verbleibenden Gemeinschaftsaufgaben und Mischfinanzierungen ein:

• Auflösung der Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz
• Auflösung der Gemeinschaftsaufgabe Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur
• Auflösung der Mischfinanzierung beim Bafög hin zum Bund (soziale Transferleistungen sollten generell vom Bund bereit gestellt werden)
• Klare Zuordnung der Forschungsgemeinschaften zu Bund und Ländern

3. Verschuldungsregeln effektiver gestalten
Die bestehenden Grenzen für die Verschuldung von Bund und Ländern haben sich als wenig wirksam herausgestellt. Bei aller Schwierigkeit, überhaupt Regeln zu finden, die gleichermaßen ökonomisch begründbar und in der Praxis durchsetzbar sind, ist hier Handeln unbedingt angezeigt. Denn die Verschuldung eines Landes berührt über die Mechanismen des Länderfinanzausgleichs auch die vergleichsweise solide wirtschaftenden Länder. Um die Verschuldungsregeln effektiver gestalten zu können, sind zumindest drei Minimalschritte notwendig:

Minimalschritt eins: Verschärfung bestehender Kreditaufnahmeregeln
Beim Kredit-Investitions-Junktim müssen die Ist-Investitionsausgaben zugrunde gelegt werden und Doppelzählungen von Investitionsausgaben auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene ausgeschlossen werden. Darüber hinaus sollten nur die Nettoinvestitionen mit Verschuldung belegt werden dürfen und nicht die Erhaltungsinvestitionen, da die Erhaltungsinvestitionen kein neues Vermögen schaffen, sondern bereits vorhandenes wertmäßig erhalten.

Bei der Ausnahmebestimmung im Fall einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts ist die komplette Streichung oder zumindest nur eine bundesweite Erklärung zuzulassen, so dass nicht jedes Bundesland für sich allein entsprechend der Haushaltslage die Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts erklären kann.

Minimalschritt zwei: Aufstellung von echten Vermögensbilanzen
Um mehr Transparenz und damit verbunden einen höheren Handlungsdruck zu erzeugen, sind die in der Verfassung angelegten Vorschriften zur Vermögensbilanz des Staates (Art. 114 GG) endlich ernst zu nehmen und doppisch ausgerichtete Bilanzen von Bund und Ländern aufzustellen (d. h. auch Einbeziehung der Pensionsverpflichtungen).

Minimalschritt drei: Neubestimmung der Kreditobergrenze nach den Kriterien von Maastricht
Die Kriterien von Maastricht sollten auch für jedes einzelne Bundesland gültig sein und nicht nur für den Gesamtstaat. Dies bedeutet, dass die Verschuldung eines Landes (Schuldenstand) nicht über 60 Prozent des anteiligen BIP liegen darf und die jährliche Neuverschuldung nicht über 3 Prozent BIP. Auf diese Weise wird dafür Sorge getragen, dass die Schuldenstandsquote (Anteil der Schulden am regionalen BIP) in der Regel nicht weiter zunimmt (da die Staatseinnahmen brutto aus Wachstum und Inflation im Durchschnitt nicht unter drei Prozent liegen werden), sondern mittelfristig abgebaut wird.

Formale Hürde durch Bindung der Kreditaufnahme an 2/3-Mehrheit
Als weitere Erschwernis ist die Einführung von qualifizierten Mehrheiten bei jeglicher oder bei über die Investitionsausgaben hinausgehender Kreditaufnahme denkbar.

4. Frühwarnsystem oder Haushaltsnotlagenregime einführen
Aufgrund der föderalen Verflechtungen liegt es im gemeinsamen Interesse von Bund und Ländern, Haushaltskrisen oder gar extreme Haushaltsnotlagen erst gar nicht entstehen zu lassen. Daher sind verbesserte Abstimmungsprozesse zwischen Bund und Ländern erforderlich.

Das Spannungsverhältnis zwischen der Eigenverantwortung und Eigenstaatlichkeit eines Landes und der finanzpolitisch notwendigen Einmischung des Bundes (Bundesregierung, Bundesrat) in Form von Empfehlungen oder gar Sanktionen kann durch die Stärkung der Steuerautonomie der Bundesländer zumindest abgemildert werden. So hat beispielsweise Berlin von der neuen Möglichkeit zur Steuergestaltung nach der Föderalismusreform I bereits Gebrauch gemacht und für Berlin die Grunderwerbsteuer erhöht. Die Einrichtung eines Bundes-Sparkommissars sollte zur Aufrechterhaltung eines funktionierenden Föderalismus nach Möglichkeit vermieden werden.

Helmut Zorell
Pressesprecher