Hier geht es zur PDF-Version: Positionspapier_Fachkräftegewinnung

Der Fachkräfte- und Arbeitskräftemangel ist in immer mehr Bereichen spürbar. Die Situation wird sich in den nächsten Jahren zuspitzen, weshalb rasch entsprechende Gegenmaßnahmen ergriffen werden müssen. Vor diesem Hintergrund ist es richtig, dass die SPD-geführte Bundesregierung im Oktober 2022 eine
Fachkräftestrategie vorgelegt hat. Diese Strategie beinhaltet eine Vielzahl von wichtigen Vorhaben zu einer zeitgemäßen Ausbildung, einer gezielten Weiterbildung, einer Hebung von Arbeitspotenzialen und einer Erhöhung der Erwerbsbeteiligung, einer Verbesserung der Arbeitsqualität und einem Wandel der Arbeitskultur sowie zu einer modernen Einwanderungspolitik und einer Reduzierung der Abwanderung.

Teil der modernen Einwanderungspolitik sind das kürzlich verabschiedete Chancen-Aufenthaltsrecht und die Novellierung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes, das noch im ersten Quartal 2023 von der Bundesregierung beraten werden soll und für das Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) im November 2022 Eckpunkte vorgelegt hat.

Aber auch das Land ist gefordert, eigene Maßnahmen zu ergreifen, zumal Prognosen besagen, dass im Jahr 2035 rund 863.000 Fachkräfte in Baden-Württemberg fehlen werden. Deshalb hatte die SPD-Landtagsfraktion im September 2022 ein Papier vorgelegt, in dem skizziert wurde, welche Antworten auf den Fachkräftemangel erforderlich sind und was das Land unternehmen muss, um dem Mangel zu begegnen. Die bereits vorgeschlagenen Maßnahmen werden um die jetzt notwendige Flankierung der bundesgesetzlichen aufenthalts- und zuwanderungsrechtlichen Regelungen durch das Land ergänzt.

In folgenden Bereichen sehen wir auf Landesebene Handlungsbedarf:

1. Investitionen in Weiterbildung und Qualifizierungsmaßnahmen
2. Stärkung der Ausbildung mit einer Ausbildungsplatzgarantie
3. Landesprogramm zur Anwerbung ausländischer Fachkräfte
4. Unbürokratischere und schnellere Anerkennung im Ausland erworbener Qualifikationen
5. Abschaffung der internationalen Studiengebühren
6. Abschaffung der Kitagebühren und Ausbau der Betreuungskapazitäten in der Kita
7. Gleichklang mit dem Bund bei der Einwanderung

Im Detail sehen unsere Vorschläge wie folgt aus:

1. Investitionen in Weiterbildung und Qualifizierungsmaßnahmen

Wir müssen unser heimisches Arbeitskräftepotenzial nutzen. Dafür müssen wir in Qualifizierung und Weiterbildung investieren: Ungelernte Kräfte müssen qualifiziert, Menschen ohne Arbeit in eine Beschäftigung gebracht und Beschäftigte, deren Arbeitsstellen wegfallen können, müssen weitergebildet werden. Laut einer erst unlängst von der Agentur für Arbeit Baden-Württemberg vorgestellten Datenauswertung eines Expertengremiums besteht in Baden-Württemberg ein Fachkräftepotential von bis zu 110.000 Vollzeitäquivalenten durch den Ausbau von Aus- und Weiterbildung sowie Qualifizierung und durch die Verringerung von Ausbildungs- und Studienabbrüchen. Als einen ersten Schritt fordern wir von der Landesregierung einen Weiterbildungsfonds mit einem Budget von 20 Mio. Euro, der insbesondere Beschäftigten in kleineren und mittleren Unternehmen zugutekommen soll. Dieser Fonds ist ein wichtiger Beitrag, um die Transformation in kleinen und mittleren Betrieben zu unterstützen und die Beschäftigung zu sichern. Außerdem müssen weitere Maßnahmen für Geringqualifizierte ergriffen werden. Wir wollen die Potentiale dieser Gruppe nutzen, indem einerseits die Qualifizierung forciert wird, aber auch Instrumente entwickelt werden, um für die Dauer von Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen direkte finanzielle Unterstützungsleistungen des Landes zur Verfügung zu stellen. Auch das Potential von Langzeitarbeitslosen ist dabei zu berücksichtigen. Die in der Landeskompetenz liegenden Ausbildungen für Helferberufe sind so auszurichten, dass mit ihnen der Übergang zu einer verkürzten Fachkraftausbildung möglich bzw. attraktiv wird. Aktuell brauchen wir das zwingend für die Pflegeassistenz.

2. Stärkung der Ausbildung mit einer Ausbildungsplatzgarantie

Die Bedeutung der beruflichen Ausbildung muss gestärkt werden: eine Ausbildung muss genauso attraktiv wie ein Studium werden. Wir unterstützen die hierzu ergriffenen Maßnahmen der Landesregierung, sehen aber weiteren Handlungsbedarf. Auch zu Beginn dieses Ausbildungsjahres hatten viele Schülerinnen und Schüler mit Hauptschulabschluss noch keinen Ausbildungsplatz, obwohl es mehr Ausbildungsplätze als Bewerberinnen und Bewerber gab. Auch leistungsschwächere Jugendliche haben das Recht auf eine Ausbildung und werden für den Arbeitsmarkt benötigt. Deshalb ist eine Ausbildungsplatzgarantie – wie sie im Übrigen auch im Koalitionsvertrag von Grün-Schwarz steht – nach wie vor notwendig. Es gibt eine hohe Anzahl an potenziellen Auszubildenden, die schon länger ohne Ausbildungsplatz blieb. Wir müssen uns um diese Gruppe stärker kümmern. Deshalb setzen wir uns dafür ein, dass die Ausbildungsbetriebe, die einen bislang über ein Jahr lang unversorgten jungen Menschen in Ausbildung bringen, hierfür nach erfolgreichem Abschluss des ersten Lehrjahrs eine Ausbildungsprämie erhalten sowie die Zusicherung der bedarfsorientierten pädagogischen Begleitung der Ausbildung über vom Land finanzierte Pädagoginnen und Pädagogen. Weitere Informationen zu unseren Forderungen im Bereich der Ausbildung befinden sich in unserem Papier „Berufliche Bildung zukunftssicher aufstellen!“ aus dem Mai 2022.

3. Landesprogramm zur Anwerbung ausländischer Fachkräfte

Das Land muss ein eigenes Programm zur Anwerbung von ausländischen Fachkräften auflegen, das in Zusammenarbeit mit den kommunalen Landesverbänden unter Beteiligung von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände entwickelt und durchgeführt wird. Wir müssen gezielt und mit direkter Ansprache im Ausland nach Fachkräften suchen – das Aufhängen von „The Länd“ Plakaten genügt bei Weitem nicht. Das Programm soll mit Ländern und Städten im Ausland durchgeführt werden, zu denen Baden-Württemberg schon enge Beziehungen z.B. im Wege von Städtepartnerschaften pflegt. Ziel ist es, ausländische Fachkräfte durch Fachkräftebotschafter in ihrem Heimatland gezielt für bestimmte Berufe in Baden-Württemberg zu gewinnen und sie und ihre Familien unter anderem bei der Erledigung von Behördengängen, Wohnungssuche und Sprachkursen zu unterstützen.

4. Unbürokratischere und schnellere Anerkennung im Ausland erworbener Qualifikationen

Menschen mit ausländischen Berufsqualifikationen in geregelten Berufen ist ein zeitnaher, qualifizierter Eintritt in den Arbeitsmarkt nur dann möglich, wenn ihre Abschlüsse und Qualifikationen unbürokratisch und schnell anerkannt werden. Wir müssen im Land dafür sorgen, dass die anerkennenden Stellen in den Regierungspräsidien mit ausreichend Personal ausgestattet sind und die Strukturen, insbesondere die Zuständigkeiten, eindeutig geklärt sind. Aktuell dauern die Anerkennungsverfahren immer noch zu lange. Zudem müssen die Beratungskapazitäten für die Anerkennungsverfahren gestärkt werden.

5. Abschaffung der internationalen Studiengebühren

Wir fordern von der Landesregierung die Abschaffung der Studiengebühren für internationale Studierende. Die Studiengebühren führen zu Nachteilen der Hochschulen im Wettbewerb um ausländische Studierende, wirken abschreckend und sind sozial diskriminierend. Die Landesregierung steckt 21 Mio. Euro in eine Kampagne, um im Ausland Werbung für Baden-Württemberg zu machen, und gleichzeitig heißt sie ausländische Studierende mit Studiengebühren „willkommen“. Dieser Widerspruch muss endlich aufgelöst werden.

6. Abschaffung der Kitagebühren und Ausbau der Betreuungskapazitäten in der Kita

Um dem Fachkräftemangel zu begegnen, muss die Landesregierung die Vereinbarkeit von Familie und Beruf stärker fördern. Wir wollen den Erwerbsanteil von Frauen steigern. Wir fordern die Kita Gebühren abzuschaffen, die zu oft als Zugangshürde wirken. Außerdem müssen die Betreuungskapazitäten in der Kita ausgebaut werden, denn aktuell kann vielen Kindern keine ausreichende Betreuung angeboten werden. Gerade Mütter müssen daher oft länger als geplant zu Hause bleiben. Für die Familien bedeutet das finanzielle und berufliche Unsicherheit – den Müttern droht darüber hinaus die Altersarmut. Um dem Fachkräftemangel in Kitas effektiv entgegenzuwirken sind zahlreiche Maßnahmen notwendig. Diese sind in unserem Papier „Für gute Kitas. Für starke Kinder und Familien. “ aus dem September 2022 ausgearbeitet.

7. Gleichklang mit dem Bund bei der Einwanderung

Wir werden den Fach- und Arbeitskräftemangel nicht ohne qualifizierte Zuwanderung lösen können. Die Bundesagentur für Arbeit geht davon aus, dass Deutschland eine jährliche Nettozuwanderung von ca. 400.000 Menschen braucht, um den demografischen Wandel auszugleichen. Der Bund hat die Notwendigkeit, Zuwanderung, Aufenthalt und Staatsbürgerschaft unter dieser Prämisse neu zu regeln, erkannt und unter Federführung von Arbeitsminister Hubertus Heil und Innenministerin Nancy Faeser ein Paket vorgelegt, um eine qualifizierte Einwanderung zu ermöglichen und zudem die Anerkennung von ausländischen Qualifikationen neu zu regeln.

Zentraler Baustein zur Fachkräftegewinnung ist die Novellierung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes. Hierzu hat Hubertus Heil im November 2022 Eckpunkte vorgelegt. Die erforderlichen Gesetzesänderungen sollen im ersten Quartal 2023 ins Kabinett eingebracht werden. Die Fachkräfteeinwanderung wird zukünftig auf drei Säulen beruhen: einer Fachkräftesäule, einer Erfahrungssäule und einer Potenzialsäule. Neu geregelt werden soll insbesondere, dass bei Drittstaatsangehörigen mit zweijähriger Berufserfahrung und einen in ihrem Herkunftsland staatlich anerkannten mindestens zweijährigen Berufsabschluss auf eine formale Anerkennung ihres Abschlusses verzichtet wird. Bei IT-Fachkräften wird unter anderem auf den Nachweis von Deutschkenntnissen verzichtet. Wer noch keinen deutschen Arbeitsvertrag hat, kann unter bestimmten Voraussetzungen mit einer Chancenkarte zur Arbeitssuche nach Deutschland kommen. Mit diesen drei Säulen soll die Attraktivität Deutschlands als Arbeitsort gesteigert werden.

Ein weiterer Bestandteil ist das Chancen-Aufenthaltsrecht. Mit dieser Neuregelung erhalten geduldete Menschen, die seit über 5 Jahren straffrei in Deutschland leben, eine auf 18 Monate befristete Aufenthaltserlaubnis, um die Voraussetzungen für ein dauerhaftes Bleiberecht in Deutschland zu erfüllen. Baden-Württemberg profitiert in besonderem Maße von dieser Neuregelung. Bis zu 25.000 Menschen in Baden-Württemberg könnten von der Neureglung profitieren. In Baden-Württemberg leben geduldete Menschen durchschnittlich seit 6,4 Jahren in Deutschland und sind durchschnittlich 28,4 Jahre alt. Das Potenzial, das in diesen Menschen für den Arbeitsmarkt liegt, ist enorm. Die Landesregierung muss deshalb unverzüglich dafür Sorge tragen, dass das Chancen-Aufenthaltsrecht seine Wirkung in Baden-Württemberg voll entfalten kann. Dazu gehört, dass sie gezielte Informationskampagnen betreibt, um auf die Möglichkeiten der Neuregelung aufmerksam zu machen. Es müssen außerdem die Neuregelung flankierende Verwaltungsvorschriften erlassen werden, um die Wirksamkeit des Chancen-Aufenthaltsrechts voll zu entfalten. Um den zu erwartenden Mehraufwand effizient zu bewältigen, müssen die Ausländerbehörden mit ausreichend Ressourcen ausgestattet werden. Dazu gehört neben finanziellen und personellen Ressourcen insbesondere auch die Bereitstellung von Handreichungen und Informationsmaterial in Ergänzung zu klaren Verwaltungsvorschriften, durch welche die Kommunen in einer effizienten und rechtssicheren Umsetzung der Rechtsvorschriften unterstützt werden sollen.

Das Land muss alle landesrechtlichen Regelungsmöglichkeiten ausschöpfen, um zielgerichtete reguläre Migration von Fach- und Arbeitskräften nach Baden-Württemberg zu fördern. Diese müssen auf bundesrechtliche Reformbestrebungen abgestimmt sein und diese verstärken. Deutschland ist schon lange ein Einwanderungsland und Baden-Württemberg profitiert in besonderem Maße von Einwanderung. Wir begrüßen deshalb nachdrücklich die geplante Erleichterung der Einbürgerungsvoraussetzungen. Denn nur, wenn Zugewanderten perspektivisch volle Teilhabe ermöglicht wird, kann Deutschland im Wettbewerb mit anderen führenden Industrie-und Wirtschaftsnationen im Werben um ausländische Fach-und Arbeitskräfte bestehen. Zur gezielten Anwerbung von Fach- und Arbeitskräften soll die Landesregierung ein Portal schaffen, auf dem sich sowohl internationale Fach- und Arbeitskräfte als auch Unternehmen und öffentliche Einrichtungen registrieren können. Auf diese Weise können zielgerichtet Bedarfe ermittelt und gesteuert werden. Orientierungspunkt hierfür kann etwa das „Express-Entry-System“ Kanadas sein. Wir wollen prüfen, inwiefern im Rahmen der bundesgesetzlichen Lage – etwa durch ermessenslenkende oder -ersetzende Verwaltungsvorschriften – Erleichterungen bei der Visumserteilung in der Verwaltungspraxis in Baden-Württemberg für die in diesem Portal registrierten Menschen eingeführt werden können.

Ansprechpartner

Sven Plank
Berater für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus