Wolfgang Drexler: „Als moderner Industrie- und Forschungsstandort sind wir auf eine zukunftssichere Energieversorgung angewiesen – wegen der Arbeitsplätze und aus ökologischen Gründen“

MdL Thomas Knapp: „Die Energiewende ist machbar – das zeigen auch interne Berechnungen der Regierung“

Die SPD-Landtagsfraktion verlangt von der Landesregierung energische Schritte, um endlich die Energiewende auch in Baden-Württemberg einzuleiten. Viel zu lange schon ziehe sich die Regierung in ihr atompolitisches Schneckenhaus zurück und blockiere aus ideologischen Gründen den notwendigen Kurswechsel, sagte SPD-Fraktionschef Wolfgang Drexler. Die SPD dagegen setze auf den engagierten Umstieg auf erneuerbare Energien, die konsequente Energieeinsparung durch Altbaumodernisierung, den Ausbau der Kraftwärmekopplung und den Bau neuer Großkraftwerke.

Mit der rückwärts gewandten Politik Teufels werde der Energiestandort Baden-Württemberg systematisch heruntergewirtschaftet, so Drexler. Beim Verkauf der EnBW-Landesanteile an die EdF habe Teufel versprochen, Arbeitsplätze und damit Wertschöpfung trotz dieses umstrittenen Deals im Land zu halten. Tatsächlich aber zeichne sich mehr und mehr eine ganz andere Entwicklung ab: Die Arbeitsplätze in der baden-württembergischen Energiewirtschaft sind gefährdet, immer weniger Strom wird im Land selbst produziert. Mehr als 20 Prozent des verbrauchten Stroms werde mittlerweile außerhalb des Landes erzeugt, so Drexler.

Diese für den Energiestandort höchst gefährliche Entwicklung werde noch verschärft durch eine völlig unzureichende Unterstützung des Landes bei der Förderung der erneuerbaren Energien. Noch nicht einmal das selbst gesteckte Ziel, bis 2010 den Anteil dieser Energie zu verdoppeln, könne die Landesregierung damit auch nur annähernd erreichen. Der Einstieg in Windkraftnutzung und Kraftwärmekopplung werde verschlafen, die Geothermie ignoriert und die Biomassenutzung nur auf kleinster Sparflamme gefördert.

Als großen Erfolg wertete Drexler die Aufnahme der Großen Wasserkraft in das novellierte „Erneuerbare Energie Gesetz“ (EEG). Die Landes-SPD habe sich in Berlin intensiv um diese Änderung bemüht. Damit könne nun das Kraftwerk Rheinfelden durch Modernisierung und Austausch der Turbinen in den nächsten Jahren von 26 auf 116 MW erweitert werden. Damit würde allein Rheinfelden ein ganzes Prozent des Stromverbrauchs von Baden-Württemberg produzieren und zudem eine CO2-Einsparung von 600.000 Tonnen im Jahr herbeiführen – „ein enormer Schub für den Klimaschutz“, so Drexler. Er begrüßte die späte Wende der Landesregierung, die der Novellierung des EEG im Bundesrat in diesem Frühjahr nun doch zustimmen will, nachdem sie dieses erfolgreiche Gesetz bislang stets abgelehnt und bekämpft hatte.

Neue Kraftwerksstandorte planen
Die von der Landesregierung in Gang gesetzte Abwärtsspirale im Hinblick auf die Entwicklungsperspektiven für den Energiestandort Baden-Württemberg werde zusätzlich beschleunigt durch die Weigerung der Landesregierung, rechtzeitig neue Kraftwerksstandorte auszuweisen. Bis 2020 muss nach Angaben Drexlers etwa die Hälfte der Kraftwerke im Land aus Altersgründen ersetzt werden. Rund 10 Jahre müssten für Planung und Errichtung eines neuen Kraftwerkes veranschlagt werden, so Drexler. Wenn die Regierung hier nicht rasch handele, dann sei der Niedergang des Energiestandortes Baden-Württemberg nicht mehr aufzuhalten, mit allen negativen Konsequenzen für Arbeitsplätze und Wertschöpfung.

Als moderner Industrie- und Forschungsstandort sei Baden-Württemberg auf eine zuverlässige Energieversorgung angewiesen. Als reiches Land müssten wir uns der Herausforderung stellen, die uns Klimaschutz und Ressourcenknappheit auferlegten. Nach dem Ausstieg aus der Dinosauriertechnik Atomkraft müsse die Verbrennung der fossilen Energien (Erdöl, Erdgas, Kohle) kontinuierlich reduziert und die Nutzung erneuerbarer Energien energisch vorangetrieben werden. Gerade als Forschungsland dürften wir aber auch jene Energien nicht aus dem Auge verlieren, die erst übermorgen wichtige Säulen der Energieversorgung sein werden: die Brennstoffzellentechnologie, die Wasserstoffwirtschaft und die Tiefengeothermie.

Eine klimaschutzgerechte und nachhaltige Energiewirtschaft schaffe viele neue Arbeitsplätze, so Drexler, und eröffne unserem Land durch die Entwicklung innovativer Technologien ganz neue Exportchancen. Auf diese Wertschöpfung und die damit verbundenen Steuereinnahmen könnten wir nicht verzichten.
Drexler: „Die Energiewende ist auch in Baden-Württemberg nötig – und machbar. Dies zeigt nicht zuletzt die von der Landesregierung selber in Auftrag gegebene Studie eindrucksvoll und überzeugend. Dass die Regierung diese Ratschläge bisher hartnäckig in den Wind schlägt, ist ein mittlerer Gau für die energiepolitische Zukunft unseres Landes, für Arbeitsplätze und Wertschöpfung. Denn die Energiewende ist auch ein Jobmotor.“

Energiewende als Jobmotor
Es sei inzwischen unstrittig, so Drexler, dass im Zuge der Energiewende weit mehr neue Arbeitsplätze entstehen, als in Atom- und Kohlewirtschaft wegfallen. Nach einer Erhebung des Bundesumweltministeriums sind heute bereits ca. 130.000 Menschen mit Forschung, Herstellung, Entwicklung und Betrieb von Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien beschäftigt. So sind etwa 50.000 in der Biomasseenergie, weitere 18.000 in der Solarwirtschaft beschäftigt. Allein in der Windkraftbranche arbeiteten ca. 40.000 Menschen und damit mehr als im Bereich der Kernenergie mit rund 33.000 Beschäftigten.

Die Studie der Landesregierung rechne mit 14 Mrd. Euro jährlicher Investitionen im Energiesektor. Eine Investition dieser Größenordnung würde etwa 140.000 neue Arbeitsplätze im Land schaffen. Drexler: „Der Umbau der Energieversorgung bringt zusätzliche Wertschöpfung und zukunftssichere Arbeitsplätze.“

Atomausstieg – Alternativen für die Kraftwerksstandorte jetzt voranbringen
Fast 60% unseres Stroms wird in Atomkraftwerken erzeugt. Der Hitzesommer 2002 hat nach den Worten Drexlers gezeigt, dass die einseitige Abhängigkeit vom Atomstrom die Versorgungssicherheit nicht erhöht, sondern gefährdet. Im Zuge des Atomausstiegs werden auch im Land mehrere Reaktoren in den kommenden Jahren vom Netz gehen. Der Druckwasserreaktor Obrigheim (in Betrieb seit 1969) soll bis 2005 stillgelegt werden, Neckarwestheim 1 (Baujahr 1976) bis 2008.

Wer die Energiezukunft des Landes im Auge habe, müsse sich jetzt auch um die Nachnutzung des Kernkraftstandortes in Obrigheim kümmern, so Drexler. Ein modernes Gas- und Dampfturbinenkraftwerk, wie von der SPD vorgeschlagen, entstehe dort nicht von alleine. Die EnBW sei an einer solchen Investition von sich aus offenbar wenig interessiert, weil sie den Strom lieber billig von außerhalb zukaufen wolle. Und die Landesregierung habe sich im kürzlich verabschiedeten Haushaltgesetz für 2004 schlicht geweigert, die Förderung solcher Technologien angemessen aufzustocken.

Zwar ist an den Kraftwerksstandorten nicht mit einer steigenden Arbeitslosigkeit zu rechnen, da der Abbau eines Kernkraftwerkes technologisch sehr anspruchsvoll und sehr langwierig ist. Es müssten jedoch Anstrengungen unternommen werden, um auch auf längere Sicht neue Arbeitsplätze und neue Wertschöpfung in der betroffenen Region zu schaffen. So könnten zusätzlich zu einem GuD-Kraftwerk z. B. auch eine Rapsölveresterungsanlage und ein Biomassezentrum für Brennstoffe auf Holzbasis in Obrigheim errichtet werden.

Thomas Knapp: Die Energiewende ist machbar
Der energiepolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Thomas Knapp, wies darauf hin, dass inzwischen etliche Studien vorlägen, die für die notwendige Energiewende realistische Szenarien entwickelt hätten. Knapp bezog sich dabei u. a. auf die von der Landesregierung selbst in Auftrag gegebene und noch immer unter Verschluss gehaltene Studie von DLR, ZSW und ISI aus dem Jahr 2003. Demnach ist der Ersatz der Kernenergie auch in Baden-Württemberg möglich, ohne Klimaschutzziele aufzugeben. Dieser Umstieg müsse aber mit „sehr engagierten Anstrengungen in den klimastrategisch wichtigen Segmenten effizienter Stromeinsatz, Kraftwärmekopplung und erneuerbare Energien“ einhergehen. Und diese Anstrengungen, so die Studie weiter, müssten bereits jetzt beginnen wirksam zu werden, damit beim Abschalten der größeren Kernkraftwerke bereits genügend Vorleistungen erbracht seien. Bei verspätetem Einstieg bestehe die Gefahr, dass dann zu viele fossile Großkraftwerke errichtet werden müssten.

Bis 2020, also zwei Jahre bevor der letzte Kernkraftblock in Baden-Württemberg vom Netz geht, kann nach den vorliegenden Studien Strom aus erneuerbaren Energien in einer Größenordnung von 100 TWh/a bereitgestellt werden, wenn von der Landesregierung die dafür notwendigen Förderinstrumente eingesetzt würden. Mit zusätzlichen Leistungen aus dem Ausbau der Kraftwärmekopplung und durch Stromeinsparung kann der Atomstrom (160 TWh/a) demnach klimafreundlich ersetzt werden. Knapp: „Der Atomausstieg ist also ebenso machbar wie die gleichzeitige Reduzierung der Klimagase bis 2050 um 80 Prozent.“

Trotz des zunächst steigenden relativen Anteils der Gas- und Kohleverstromung sinkt die Gesamt-CO2-Emission im Land nach Angaben von Knapp, weil durch modernste Kraftwerke mit hohem Wirkungsgrad, den starken Ausbau der Kraftwärmekopplung und wegen eines überproportional zurückgehenden Energieverbrauchs im Wärmemarkt und bei Kraftstoffen die Klimagasemissionen und der Primärenergieverbrauch insgesamt sinken.

Landesregierung tut viel zu wenig für Klimaschutz
Der SPD-Energieexperte ließ keinen Zweifel daran, dass das ehrgeizige Ziel, Atomkraft zu ersetzen und dennoch die Klimaschutzziele einzuhalten, mit der derzeitigen Energiepolitik des Landes in weite Ferne rückt. Statt bisher nur 10 Mio. Euro müsse das Land zusätzlich zu den Anstrengungen des Bundes jährlich mindestens 17 Mio. Euro für die Förderung der Energieeffizienz und der erneuerbaren Energien einsetzen, von 2005 an sogar mindestens 35 Mio. Euro. Wie weit das Land hier hinterherhinke, zeige schon der Vergleich mit Bayern und NRW. Dort sei in den vergangenen Jahren pro Einwohner doppelt so viel an Fördermitteln aufgewendet worden wie in Baden-Württemberg.

Knapp: „Das Land muss in Ergänzung zu den Programmen der Bundesregierung den Ausbau der Kraftwärmekopplung über Demonstrationsanlagen fördern, den Bau großer Photovoltaikanlagen unterstützend flankieren und den Ausbau der Großen Wasserkraft vorantreiben. Innerhalb der Förderung der Kraftwärmekopplung sind die Biomasse und die Brennstoffzelle von besonderer Wichtigkeit. Drei neue Kraftwerke mit insgesamt 1,7 GW installierter Leistung sollten noch in diesem Jahrzehnt für die Grundlaststromproduktion vorhanden sein. Andernfalls müssten größere Strommengen importiert werden, was jedoch zu einem gravierenden Verlust der Bruttowertschöpfung im Land führe.“

Helmut Zorell
Pressesprecher