Wolfgang Drexler: „Im Arbeitsleben, beim Wohnen und im Sport genauso wie in der Gesundheitsversorgung muss sich die Landespolitik der Herausforderung stellen“

Marianne Wonnay: „Wir brauchen bessere Beschäftigungschancen für ältere Menschen“

Die Menschen in Baden-Württemberg werden immer älter. Diesen demografischen Wandel will die SPD aktiv gestalten und hat dazu auf ihrer Klausurtagung in Freudenstadt ein umfangreiches Eckpunktepapier erarbeitet. Ziel ist es nach den Worten von Fraktionschef Wolfgang Drexler, ein solidarisches Zusammenleben der Generationen in Baden-Württemberg zu ermöglichen. Dieses Ziel sei nur zu erreichen, wenn die Landespolitik auf die Kompetenzen und Erfahrungen der älteren Menschen in unserem Land zurückgreife. Erforderlich sei also nicht eine Politik „für“ ältere Menschen, sondern eine Politik mit den älteren Menschen, sagte Drexler. Notwendig seien grundlegende Strukturveränderungen etwa im Arbeitsleben, beim Wohnen und in vielen Bereichen der öffentlichen Infrastruktur.

Die SPD werde deshalb die Forderungen ihres Eckpunktepapiers auf zahlreichen öffentlichen Veranstaltungen zur Diskussion stellen und das Ergebnis in die parlamentarischen Beratungen im Landtag einbringen. Am Vormittag gab es dazu auf der Klausurtagung mit dem DGB-Landesvorsitzenden Rainer Bliesener bereits einen ersten intensiven Meinungsaustausch.

In der Vergangenheit lebten in Baden-Württemberg stets mehr junge als ältere Menschen. Seit der Jahrtausendwende hat sich dies geändert. Die gesamte Landespolitik müsse sich der Tatsache stellen, dass in Baden-Württemberg seit dem Jahr 2000 mehr ältere als junge Menschen leben, und dass dieser Anteil älterer Menschen in den nächsten Jahrzehnten kontinuierlich zunimmt, sagte Drexler.

Als völlig verfehlt bezeichnete Drexler reißerisch aufgemachte Schlagzeilen über einen angeblichen „Krieg der Generationen“. Im Alltag gebe es vielmehr zahllose Beispiele gelebter Generationensolidarität. „Die Älteren übertragen heute schon zu Lebzeiten einen beträchtlichen Teil ihres Einkommens und Vermögens auf die jüngere Generation und erbringen in beträchtlichem Maße Dienstleistungen, zum Beispiel bei der Betreuung von Enkelkindern. Auf der anderen Seite wird heute der größte Teil der pflegebedürftigen Älteren im häuslichen Umfeld von jüngeren Angehörigen betreut.“

Ältere Menschen engagierten sich überdurchschnittlich in der Familie und im Ehrenamt. Studien hätten ergeben, dass durch das regelmäßige familiäre Engagement, etwa bei der Pflege von Angehörigen oder in der Kinderbetreuung und durch ehrenamtliches gesellschaftliches Engagement von älteren Menschen jährlich Leistungen in einem Wert von rund 40 Milliarden Euro erbracht werden.
Derzeit leben in Baden-Württemberg rund 10,56 Millionen Menschen. Ins Gewicht fällt insbesondere die Veränderung der Altersstruktur. Heute sind 22 Prozent der Einwohner Baden-Württembergs unter 20 Jahre alt, 55 Prozent sind zwischen 20 und 60 Jahre und 23 Prozent älter als 60 Jahre. Im Jahr 2050 werden schätzungsweise 16 Prozent der Einwohner Baden-Württembergs jünger als 20 Jahre sein, 48 Prozent werden zwischen 20 und 60 Jahre und rund 36 Prozent älter als 60 Jahre. Das Durchschnittsalter der Baden-Württembergerinnen und Baden-Württemberger wird von derzeit rund 40 Jahren auf rund 50 Jahre im Jahr 2050 ansteigen, ein Wert, der im Land zurzeit selbst im „ältesten“ Kreis, dem Stadtkreis Baden-Baden, mit einem Durchschnittsalter von 45,5 Jahren nicht annähernd erreicht wird.

Einzelheiten zum Positionspapier der SPD-Fraktion
Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende und familienpolitische Sprecherin der Fraktion, Marianne Wonnay, erläuterte vor der Presse Einzelheiten des Positionspapiers.

1. Beschäftigungschancen älterer Menschen fördern
2. Bürgerschaftliches Engagement unterstützen
3. Wohnen im Alter
4. Mobilität im Alter
5. Sport im Alter
6. Hilfen im Vorfeld der Pflegebedürftigkeit
7. Bedarfsgerechte ambulante und stationäre Pflegeeinrichtungen
8. Hilfen für Altersverwirrte und Demenzkranke

Beschäftigungschancen älterer Menschen fördern
Neue Ideen werden künftig in die Betriebe nicht mehr überwiegend nur durch junge Berufseinsteiger kommen, sondern zunehmend durch ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, deren Ideenreichtum und Qualifikationen durch lebenslanges Lernen und kontinuierliche betriebliche Fort- und Weiterbildung zu sichern ist. Dazu seien jedoch veränderte innerbetriebliche Weiterbildungsstrategien erforderlich. Während heute etwa 36 Prozent der 35- bis 49-Jährigen an beruflichen Weiterbildungsmaßnahmen teilnähmen, liege dieser Anteil bei den 50- bis 64-Jährigen nur bei etwa 18 Prozent, erläuterte Wonnay. Besonders ungelernte bzw. geringqualifizierte ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssten qualifiziert werden. Auf Landesebene könnten solche Qualifizierungsmaßnahmen aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds gefördert werden.

In Deutschland sind im internationalen Vergleich überdurchschnittlich viele Menschen im Alter zwischen 55 und 64 Jahren nicht mehr erwerbstätig. Der Anteil der nicht mehr Erwerbstätigen in dieser Altersgruppe liegt in Deutschland bei 61,2 Prozent, im OECD-Durchschnitt liegt er bei 52,1 %. Ursache dafür ist vor allem die von der Kohl-Regierung in den achtziger und neunziger Jahren gezielt geförderte Frühverrentungspolitik.

Bürgerschaftliches Engagement älterer Menschen unterstützen und fördern
„Das Engagement älterer Menschen ist aus unserer Gesellschaft nicht wegzudenken. Auch im Rentenalter sind ältere Menschen aktiv und setzen sich für die Gesellschaft ein“, so Wonnay. Längst seien sie nicht nur im klassischen Ehrenamt bei Wohlfahrtsverbänden und in Vereinen tätig, sondern auch in selbstgestalteten Initiativen. Bürgerschaftliches Engagement müsse generationenübergreifend gefördert werden. „Dies ist eine gesellschaftspolitische Querschnittsaufgabe, bei der alle staatlichen Ebenen mit Verbänden, Vereinen und Selbsthilfeinitiativen zusammenwirken müssen.“

Baden-Württemberg brauche deshalb endlich ein Gesamtkonzept der Landesförderung, das die Bereiche Bürgerschaftliches Engagement, Ehrenamt und Selbsthilfe umfasst. Notwendig sei auch eine bessere ressortübergreifende Koordination aller Aktivitäten bei der Förderung des bürgerschaftlichen Engagements.

Die SPD fordert zudem, dass die Beteiligungsrechte der Kreis- und Stadtseniorenräte bei kommunalpolitischen Entscheidungen in der Gemeinde- und Landkreisordnung verbindlich geregelt werden.

Wohnen im Alter
In Baden-Württemberg steigt der Bedarf an zusätzlichem Wohnraum, weil sich die Zahl der in einem Haushalt lebenden Personen weiter verringert, aber auch wegen der wachsenden Wohnflächenausstattung je Einwohner. „Wir brauchen in den nächsten zehn Jahren jährlich 50.000 neue Wohnungen“, so Wonnay. Aufgrund des demografischen Wandels ändere sich auch die Struktur des Wohnungsbedarfs. Für schätzungsweise zwei bis drei Prozent der über 60-Jährigen werden nach Wonnays Angaben betreute Seniorenwohnungen benötigt.

„Ältere Menschen wollen so lange wie möglich in ihrer eigenen Wohnung leben. Allerdings ist zurzeit schätzungsweise jede dritte Wohnung durch ihre Lage oder ihre Einrichtung nicht für ein Leben im Alter geeignet. In vielen Fällen lässt sich dem Wunsch nach dem Wohnen in den eigenen vier Wänden durch den altengerechten Umbau der Wohnung oder durch den Umzug in eine altengerechte Wohnung in derselben Gemeinde verwirklichen. Dabei brauchen ältere Menschen Beratung und Unterstützung.“

Die SPD fordert deshalb den Ausbau der kommunalen Wohnberatungsstellen für ältere Menschen. Derzeit gibt es in Baden-Württemberg 43 Wohnberatungsstellen in 34 Stadt- und Landkreisen. Träger sind Seniorenräte, Kommunen oder Wohlfahrtsverbände, wie zum Beispiel das Rote Kreuz. Notwendig ist aber auch eine landesweite Vernetzung dieser Beratungsstellen. „Es war falsch, dass die Landesregierung im Nachtragshaushalt 2003 die Zuschüsse für die Zentrale Wohnberatungsstelle gestrichen hat. Wir fordern, dass diese Streichung wieder rückgängig gemacht wird.“

Mobilität im Alter
Dem Ziel einer möglichst barrierefreien Umwelt muss durch verstärkte Anstrengungen zum barrierefreien Bauen und zur barrierefreien Gestaltung öffentlicher Räume und Verkehrsmittel Rechnung getragen werden. Barrierefreiheit sei dabei kein spezifisches Anliegen älterer Menschen, sondern auch im Interesse von Kindern oder von Menschen mit Behinderungen. Die SPD fordert, dass die Vorschriften der Landesbauordnung konsequent umgesetzt werden. Zur Rücksichtnahme auf die Lebensbedürfnisse alter Menschen gehöre auch, durch verkehrspolitische Maßnahmen ihren Aktionsradius zu erhalten, zum Beispiel durch verkehrsberuhigte Zonen und einen funktionierenden öffentlichen Personennahverkehr.

Sport im Alter
Viele Menschen in Baden-Württemberg engagieren sich in den Sportvereinen des Landes. Die Beteiligung am Sport ist aber vom Lebensalter abhängig und wird damit in den kommenden Jahren erheblich vom demografischen Wandel beeinflusst. Bei den meisten Sportarten steigt die Zahl der Aktiven bis zum Alter von etwa 21 Jahren stark an, um dann allmählich abzufallen. Es gibt jedoch bereits heute Sportarten, wie zum Beispiel Gymnastik oder Wandern, bei denen die Beteiligung mit dem Lebensalter zunimmt.

Die SPD fordert, dass die Sportvereine im Land darin unterstützt werden, gezielte Angebote für ältere Menschen zu entwickeln und die ehrenamtlichen Übungsleiter entsprechend weiterzubilden. Auch die Förderung des Sportstättenbaus im Land muss Konsequenzen aus der Tatsache ziehen, dass in Zukunft die Bedeutung altersgerechter Sportarten weiter zunehmen wird. „Notwendig ist eine örtliche Sportstättenentwicklungsplanung, die die veränderte Alterszusammensetzung der Sportlerinnen und Sportler berücksichtigt.“

Hilfen in Vorfeld und Umfeld der Pflegebedürftigkeit
Die meisten pflegebedürftigen Menschen werden zu Hause gepflegt. Die Angehörigen brauchen im Vorfeld und Umfeld der Pflege nicht nur Hilfe und Unterstützung durch ambulante Dienste, sondern vor allem Beratung. Die Informations-, Anlauf- und Vermittlungsstellen (IAV-Stellen) im Land sind bei der Vermittlung von Hilfe vor Ort und der Beratung von Angehörigen auch bundesweit zu einem Vorbild geworden. Dass die Landesregierung die Landesförderung der IAV-Stellen seit 1998 eingestellt hat, ist für die SPD ein schwerer Fehler. Die SPD will durch eine neukonzipierte Landesförderung sicherstellen, dass sich die bisherigen IAV-Stellen zu trägerübergreifenden Beratungsstellen für Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen weiterentwickeln können.

Bedarfsgerechte ambulante und stationäre Pflegeeinrichtungen
Pflegebedürftigen Menschen in Baden-Württemberg ein Leben in Würde und Selbstbestimmung zu ermöglichen, ist vor dem Hintergrund des demografischen Wandels eine der zentralen landespolitischen Zukunftsaufgaben. Die Zahl allein lebender Menschen und dauerhaft kinderloser Paare wird zunehmen. Aufgrund dieser veränderten Familien- und Haushaltsstrukturen und der Alterung der familiären Pflegepersonen wird die Nachfrage nach professioneller Pflege und (teil)stationärer Betreuung stark ansteigen.

Das Land trägt dabei insbesondere für die Entwicklung der Pflegeheime eine besondere Verantwortung, da das baden-württembergische Landespflegegesetz die Förderung von Pflegeheimen als eine gemeinsame Aufgabe von Land, Stadt- und Landkreisen und Gemeinden definiert. Es ist bereits jetzt absehbar, dass künftig mehr Menschen als bisher in stationären Pflegeinrichtungen versorgt werden müssen.

Derzeit gibt es in Baden-Württemberg rund 63.000 Pflegeheimplätze, 13.000 Plätze in Altenheimen und Altenwohnheimen, 2.800 Tagespflegeplätze, 1.800 Kurzzeitpflegeplätze und rund 25.000 betreute Seniorenwohnungen. In den nächsten zehn Jahren wird der zusätzliche Bedarf an Pflegeheimplätzen in den Städten und Gemeinden, je nach den örtlichen Voraussetzungen, um schätzungsweise 16 bis 37 Prozent ansteigen.

Die Landesregierung hat bisher kein Konzept vorgelegt, wie dieser landespolitischen Herausforderung angemessen Rechnung getragen werden kann. Um den Bedarf zu decken, müssen in den nächsten zehn Jahren mindestens 10.000 zusätzliche stationäre Pflegeplätze geschaffen werden. Um dies zu gewährleisten, müsste das Land den Bau von Pflegeheimen jährlich mit rund 63,5 Millionen Euro fördern. Tatsächlich steht jedoch seit Jahren weitaus weniger Geld zur Verfügung. Die SPD fordert, dass die Pflegeheimförderung des Landes langfristig bedarfsgerecht gesichert wird.

Zudem werden im Land bis zum Jahr 2010 rund 6.000 neue Pflegefachkräfte in der ambulanten und stationären Pflege benötigt. Tatsächlich aber stagniert die Zahl der Ausbildungsplätze in der Alten- und Krankenpflege seit langem auf einem viel zu niedrigen Niveau. Die SPD fordert deshalb eine Ausbildungsoffensive zur Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze.

Hilfen für altersverwirrte und demenzkranke Menschen
Demenzielle Erkrankungen gehören schon heute zu den häufigsten und schwersten Beeinträchtigungen im Alter. Derzeit sind in Baden-Württemberg etwa 120.000 Menschen von mittleren bis schweren demenziellen Erkrankungen betroffen. Um die Lebenssituation dieser Menschen zu verbessern, müssen neue Wohnformen und neue Betreuungsmodelle entwickelt werden. Die SPD fordert zudem mehr Rehabilitationsangebote für demenzkranke Menschen.

Die im Landespflegeplan formulierten Ziele für die Qualifizierung stationärer Pflegeeinrichtungen müssen auch umgesetzt werden. Dies erfordert insbesondere die flächendeckende Umsetzung eines abgestuften Hilfesystems mit gerontopsychiatrisch ausgerichteten Tages-, Nacht- und Kurzzeitpflegeangeboten, Demenzwohngruppen mit differenzierten stationären Leistungsformen, die Sicherstellung einer ortsnahen Grundversorgung mit überregionalen Spezialangeboten, die Bildung gerontopsychiatrischer Schwerpunkte und die Entwicklung und Erprobung neuer Elemente der Hilfestruktur, wie etwa das Hausgemeinschaftskonzept.

Bisher gibt es im Land erst 70 Betreuungsgruppen für gerontopsychiatrisch erkrankte Personen, auf rund 150.000 Einwohnerinnen und Einwohner im Land kommt also eine Betreuungsgruppe. Damit ist das Land nach den Worten von Marianne Wonnay von einem flächendeckenden Angebot weit entfernt. „Ziel muss es sein, das Angebot an Betreuungsgruppen so auszubauen, dass im Land auf 40.000 Einwohnerinnen und Einwohner eine Betreuungsgruppe kommt.“ Dies erfordere die Schaffung von rund 190 neuen Betreuungsgruppen.

Helmut Zorell
Pressesprecher