1. Ausgangssituation

Hier geht es zur PDF-Version: Positionspapier_WohnraumgewinnungBW

Der Satz, Wohnen sei die soziale Frage unserer Zeit, ist keine leere Phrase. Er spiegelt die Realität – nicht nur, aber besonders in Baden-Württemberg: Hier sind die Mieten in allen Regierungsbezirken des Landes in den letzten zehn Jahren angestiegen. Laut Statistischem Landesamt wurden die Nettokaltmieten allein in den sechs Jahren zwischen 2015 und 2021 um durchschnittlich 11% erhöht. Mehr als die Hälfte der bundesweit teuersten Mietstädte liegt in BW. Der Bedarf nach bezahlbarem Wohnraum im Land wird aus unterschiedlichen Gründen mittelfristig nicht ab-, sondern zunehmen. Die Lage an den Wohnungs- und Mietmärkten in BW wird sich demzufolge absehbar nicht entspannen. Demografie und Fachkräftemangel wirken sich auch auf den Wohnungsmarkt aus. Aufgrund der demografischen Entwicklung werden in den nächsten Jahren viele Menschen aus der Berufstätigkeit aussteigen, deswegen aber nicht ihren Wohnort wechseln wollen. Es werden also Arbeitsplätze frei, für die Fachkräfte gebraucht werden – und zwar zusätzlich zu denen, die schon jetzt dringend benötigt werden. Expert*innen
sind sich daher einig: Nur, wenn es gelingt, Fachkräfte anzuwerben, wird der wirtschaftliche Motor Baden-Württembergs am Laufen gehalten.

Wer als Fachkraft angeworben wird, bringt legitime Bedürfnisse mit:

Bezahlbarer Wohnraum, eine soziale Infrastruktur, die auch Kindertagesstätten und Schulen beinhaltet, kurze und effiziente Wege zu Arbeit und Einrichtungen der Nahversorgung. Kurz: Die Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum, der infrastrukturell gut ausgestattet und angebunden ist, wird weiter steigen. Menschen in der nachberuflichen Lebensphase werden außerdem andere, neue Bedürfnisse entwickeln: Nahversorgung, Pflegeeinrichtungen, barrierefreies Wohnen – all das wird in einem bisher nicht dagewesenen Umfang notwendig werden, und zwar sowohl in Gebieten, in denen Flächen und Wohnraum schon jetzt knapp sind, als auch in kleineren und mittleren Gemeinden und im ländlichen Raum. Hinzu kommt, dass die Landesregierung eine Netto-Null beim Flächenverbrauch bis 2035 beschlossen hat. Dieses Ziel ist auch aus unserer Sicht erstrebens- und unterstützenswert. Ein schonender Umgang mit Flächen hat vor allem in Anbetracht des Klimawandels und dessen Folgen hohe Priorität und ist gerade im Zusammenhang mit dem neu aufzustellenden Landesentwicklungsplan eine wichtige Aufgabe. Diesen vielfältigen Bedürfnissen und Erkenntnissen muss die Wohnungs- und Baupolitik in BW in den nächsten Jahren gerecht werden. Damit dies gelingt, bedarf es einer klugen Analyse der aktuellen Situation, zielgerichteter Kritik am aktuellen Vorgehen der Landesregierung und guten Ideen für die Zukunft.

Die grün-schwarze Landesregierung hat 2021 ein eigenes Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen (MLW) geschaffen. Damit einhergehen sollte eine Priorisierung dieses Politikfeldes und eine klare Verantwortungsübernahme des Landes. Bisher ist aber zu wenig passiert. Die Mittel für die Wohnraumförderung sind in den letzten zwei Jahren hier im Land zwar angestiegen – hier hat aber die Bundesregierung mit massiv erhöhten Mitteln einen deutlichen Anteil getragen. Die Tatsache, dass die Fördervolumina des letzten Wohnraumförderprogramms bei der L-Bank bereits im August 2022 ausgeschöpft waren, zeigt, dass die Landesregierung den Bedarf unterschätzt und offenbar nicht gut kalkuliert hat. Hierdurch ergibt sich die Erhöhung der Mittel im Doppelhaushalt 23/24 als logische und notwendige Konsequenz. Die hohe Nachfrage und die Bewilligungen der Mittel bedeuten aber auch, dass viele Projekte in den nächsten Jahren realisiert werden, also konkret: Dass neuer Wohnraum entstehen wird. Das ist notwendig und daher zu begrüßen – allerdings nicht ausreichend.

Wir fordern die Landesregierung dazu auf, mit Mut und mehr Engagement von Landesseite den Krisen am Wohnungsmarkt in Baden-Württemberg zu begegnen. Was bisher geschieht, ist zu wenig. Die Landtagsfraktion der SPD hat daher einen Maßnahmen- und Forderungskatalog zusammengestellt, der aufzeigen soll, was getan werden kann – und muss.

Unsere Forderungen in Kürze:

  • Innenentwicklung priorisieren und fördern
  • Entsiegelung und Konversion vorantreiben, Flächen sparen
  • Sozialen Wohnungsbau massiv vorantreiben
  • Soziale Aspekte integrieren

2. Maßnahmenkatalog: Das wollen wir

2.1 Innenentwicklung und Innovation vor Außenentwicklung

Klassische Instrumente ergänzen
Um Wohnraum zu gewinnen, müssen zuerst vorhandene Potenziale erhoben, erkannt und ausgeschöpft werden. Klassische Instrumente wie Nachverdichtung und Aufstockung müssen häufiger zum Einsatz kommen. Wir fordern die Landesregierung auf, die entsprechenden Genehmigungsverfahren zu vereinfachen. Aufstockungen von Wohngebäuden müssen in einem gewissen Umfang möglich werden, ohne dass zuerst ein neuer Bebauungsplan genehmigt werden muss. Die Landesregierung muss außerdem im großen Stil zusätzliche finanzielle Anreize wie Zinszuschüsse schaffen, die das Nachverdichten und den Lückenschluss attraktiver machen und damit das Schaffen zusätzlichen Wohnraums lohnenswert. Weniger Breite, mehr Höhe – das ist das Motto, das bei Nachverdichtungsmaßnahmen gelten muss. Hier müssen unterschiedliche Aspekte zusammengedacht werden. Wenn etwa ein Wohngebäude mit zwei zusätzlichen Geschossen aufgestockt wird und in diesem Zuge einen Fahrstuhl erhält, steigt die Wohnqualität für alle Bewohner*innen und gleichzeitig ist ein barrierearmer Zugang ermöglicht. Auf diese Weise entsteht nicht nur zusätzlicher, sondern auch altersgerechter Wohnraum. Bekannte Instrumente müssen also nicht nur häufiger genutzt, sondern auch erneuert und ergänzt werden. Wir wollen außerdem eine stärkere Förderung von Kooperationsprojekten, etwa zwischen Institutionen wie Kirchen, die in vielen Gemeinden Land besitzen, und sozialen Trägern. So können gemeinwohlorientierte, an Bedarfen und Bedürfnissen ausgerichtete Wohnkonzepte entstehen, die Teilhabe, Bezahlbarkeit und Daseinsvorsorge verbinden.

Schonend mit Flächen umgehen
Ein schonender Umgang mit der Ressource Fläche in der Zukunft muss angestrebt werden, ohne dass die Schaffung von Wohnraum darunter leidet. In diesem Zusammenhang muss auch das Thema Einfamilienhäuser und Doppelhaushälften diskutiert werden: Aufgrund der demografischen Entwicklung und wachsender (Neu-)Baugebiete wird sich das Angebot von Einfamilienhäusern und Doppelhaushälften absehbar weiter erhöhen. Wenn allerdings jede neue Generation ihren nachvollziehbaren Anspruch auf Wohnraum im Bau von Einfamilien- und Doppelhaussiedlungen verwirklicht, wird das Angebot bald die Nachfrage übersteigen. Einfamilienhäuser und Doppelhaushälften sind Wohnraum für einen Lebensabschnitt: Wer eine Familie gründen will, braucht den entsprechenden Platz. Später aber, wenn die Kinder ausgezogen sind und für viele Menschen spätestens mit dem Ende der Erwerbstätigkeit ein neuer Lebensabschnitt beginnt, ist das Einfamilienhaus oft nicht mehr der adäquate Wohnraum. Nicht selten bleiben ältere Paare oder Menschen, die alleine leben, aber in ihren Häusern oder großen Wohnungen. Und nicht selten wird der viele Platz als Belastung empfunden – aufgrund der hohen Kosten, die damit verbunden sind, aufgrund weiter Wege oder weil der Wohnraum nicht altersgerecht gestaltet ist. Gleichzeitig gibt es immer mehr Familien, die keinen adäquaten oder bezahlbaren Wohnraum mehr finden. Diesem Ungleichgewicht kann Abhilfe geschaffen werden. Wenn in Ortsmitten und Zentren durch Nachverdichtung und Umwandlung Wohnraum geschaffen wird und dort die nötige soziale und Pflegeinfrastruktur vorhanden ist, können Einfamilienhäuser am Ortsrand für diejenigen frei werden, die sie im Namen tragen: Familien. Solche Innenentwicklungspotenziale müssen priorisiert werden, bevor über das Erschließen neuer Wohngebiete am Ortsrand nachgedacht wird.

Das Motto muss auch in dieser Beziehung lauten: Innenentwicklung vor Außenentwicklung. Die Landesregierung muss hierfür Programme entwickeln, die z.B. in Form von Wohnungsbörsen Tauschwillige miteinander in Kontakt bringen und Sanierungen von freigewordenen und übernommenen Immobilien unterstützen. Das MLW muss endlich Ideengeber sein und den Kommunen das nötige Know-how ebenso wie die Ressourcen zur Verfügung stellen, die sie brauchen.

Zweckentfremdung und Leerstand landesweit bekämpfen
Parallel zu den angeführten Innenentwicklungsmaßnahmen zur Schaffung neuen Wohnraums müssen Zweckentfremdung und Leerstand landesweit systematisch erhoben und überwunden werden. Nicht nur in Ballungszentren und auf ohnehin angespannten Wohnungsmärkten stellen diese Phänomene ein Problem dar, sondern auch in kleineren Städten und Dörfern. Bisher sind Zweckentfremdungssatzungen voraussetzungsvoll, sie können nicht ohne weiteres von Gemeinden erlassen werden. Wir wollen aber Gemeinden und Kommunen landesweit in die Lage versetzen, Zweckentfremdung zu verhindern und Leerstand zu bekämpfen. Gemeinden, deren Wohnungsmarkt noch nicht angespannt ist und die noch keinen akuten Wohnraummangel haben, sollen proaktiv handeln können. Das Land muss endlich Regeln schaffen, die den Kommunen ein weitsichtiges Handeln ermöglichen.

Wir fordern deshalb die Landesregierung dazu auf, die gesetzliche Grundlage für eine landesweite Bekämpfung von Zweckentfremdung zu schaffen. In Zukunft müssen Wohnraummangel und Zweckentfremdung flächendeckend verhindert werden, bevor die Situation am Wohnungsmarkt angespannt ist. Wer proaktiv handelt, verhindert Spannungen und muss nicht im Nachhinein die Menschen entlasten!

2.2. Entsiegelung, Umwandlung und Flächenverbrauch

Flächenverbrauch: Bewusstsein schaffen
Es ist wichtig, dass auch im Bereich des Wohnraums Bewusstsein für Verbrauch und tatsächlichen Bedarf geschaffen wird. Denn überdurchschnittlich viel Raum zu bewohnen (im Jahr 2021 betrug die durchschnittliche Wohnfläche pro Einwohner*in 47 qm) kann nicht nur zur Herausforderung im Alter werden. Auch aus sozialen und ökologischen Gründen muss der Flächenverbrauch, ähnlich wie der Verbrauch von Wasser, sauberer Luft oder anderen knappen Ressourcen, mehr Beachtung finden. Wer viel Fläche verbraucht, hat einen größeren CO2-Fußabdruck und belastet Umwelt und Gesellschaft sowohl direkt, z.B. über Strom- und Heizkosten, als auch indirekt, über Inanspruchnahme von Flächen, die andere nicht nutzen können.
Flächenschonendes Bauen und Wohnen muss erstrebenswert sein und gefördert werden. Ein schonender Umgang mit Flächen muss beim Konzipieren einzelner Wohneinheiten Priorität haben, sodass der Flächenverbrauch pro Kopf nicht weiter steigt. Kluge und innovative Ideen sollten stärker Berücksichtigung finden. Die Nutzung von Gemeinschaftsflächen in Mehrfamilienhäusern etwa hat nicht nur flächenschonende, sondern auch soziale Aspekte. Eine gemeinsame Kultur des Teilens auch beim Wohnen zu fördern, ist Teil von zukunftsweisendem Planen und Bauen. Die bereits angeführte Lehre des präventiven Handelns gilt für bereits bestehenden, aber nicht genutzten Wohnraum ebenso wie für noch unbebaute und ungenutzte Flächen: Ein schonender Umgang mit Flächen muss auch dort Priorität haben, wo sie theoretisch nicht knapp sind. Auch dort, wo Flächen vorhanden sind, muss schonend mit ihnen umgegangen werden. Das heißt konkret: Auch in Dörfern und im ländlichen Raum im Ortskern nachverdichten und im Innenbereich Wohnraum schaffen, bevor neue Baugebiete erschlossen werden!

Entsiegelung und Umwandlung
Selbstverständlich wird eine echte Wohnraumoffensive nicht ohne das Bauen neuer Wohngebäude und mit zusätzlicher Flächeninanspruchnahme auskommen. Wenn neue Flächen erschlossen werden, so muss dies allerdings in Anbetracht vieler Aspekte geschehen, die zu einem schonenden Umgang mit der Ressource Fläche mahnen: Starkregenereignisse, extreme Temperaturen und Dürren sind schon längst auch in Deutschland reale Konsequenzen des Klimawandels. Diesen Phänomenen muss auch stadt- und bauplanerisch begegnet werden – die notwendigen Voraussetzungen hierfür muss die Landesregierung schaffen. Wir brauchen Ausgleichsflächen, die bei Starkregen Wasser aufnehmen können, Bäume, die Schatten spenden und die Temperatur senken und Windschneisen, die ebenfalls das Mikroklima in Innenstädten und Ortsmitten regulieren. Auch hier fordern wir von der Landesregierung ein innovatives Vorgehen. Entsiegelung ist das Stichwort: In BW sind zahlreiche versiegelte Flächen vorhanden, deren ursprünglicher Nutzungszweck im Laufe der Zeit entfallen ist. Das können Industriebrachen sein, alte Bürogebäude oder Lagerhallen, aber auch Parkplätze, die inzwischen nicht mehr genutzt werden. Solche Flächen dürfen nicht einfach brachliegen! Sie bieten Potenzial und müssen entsiegelt oder umgewandelt werden. Hierfür muss die Landesregierung Prämienmodelle und Beratungsangebote entwickeln, die Anreize schaffen und den Kommunen das Vorgehen erleichtern. Andere Bundesländer wie etwa Bayern sind hier bereits Vorreiter. Kommunen, die Flächen entsiegeln und umwandeln, müssen die hierfür anfallenden Kosten bis zu 50% vom Land erstattet bekommen. Nur so entsteht der Anreiz, brachliegende Flächen zu identifizieren und einer neuen Nutzung zuzuführen. Wir fordern außerdem, dass das Land hier mit gutem Beispiel vorangeht und zunächst landeseigene Flächen sichtet und geeignete Bereiche einer Entsiegelung oder Umnutzung zuführt. Flächen können umgewandelt und erneut bebaut, andere können entsiegelt und anschließend einer naturnahen Nutzung zugeführt werden und dienen so als Ausgleichsflächen. Die Entsiegelung unnötig versiegelter Flächen leistet so einen Beitrag beim anzustrebenden Kreislaufwirtschaften mit Flächen.

Serielles Bauen
Für Neubauten gilt: Es muss möglichst viel Wohnraum auf möglichst wenig Fläche geschaffen und hierfür müssen möglichst wenige und klimaschonende Rohstoffe eingesetzt werden. Geschossbau muss priorisiert werden, es müssen möglichst recyclebare Baustoffe zum Einsatz kommen und energieeffizientes Wohnen soll Priorität haben. Serielles Bauen, gerade bei neu zu erschließenden Wohngebieten, ist, neben den Vereinfachungen in der Herstellung und den damit einhergehenden Kostenvorteilen, außerdem eine ressourcen- und damit klimaschonende Methode.

2.3. Sozialer Wohnungsbau: Fördern, Schaffen und Halten

Aufgrund der ökonomischen Folgen von Pandemie und Kriegsgeschehen ist nicht nur die baden-württembergische Wirtschaft unter Druck geraten, sondern auch viele Privathaushalte. Absehbar werden keine großen Trendwenden zu erwarten sein, darauf muss die Politik im Land reagieren. Die Zahl der wohngeldberechtigten Haushalte ist zu Beginn dieses Jahres angestiegen – und es ist nur richtig, wenn auch die Zahl derer, die ein Recht auf eine geförderte Wohnung haben, ansteigt. Immer mehr Menschen mit mittleren Einkommen können sich die teils horrenden Mieten im Land nicht mehr leisten – vom Eigentum ganz zu schweigen, dessen Erwerb durch gestiegene Zinsen und Inflation ohnehin für viele in weite Ferne gerückt ist. Wir fordern mehr bezahlbaren Wohnraum im Land, und das heißt auch: Mehr Geld vom Land für dessen Förderung und mehr Engagement vom Land bei dessen Bau. Nur, wenn mehr bezahlbarer Wohnraum in BW entsteht, sind die Preise auf den Wohnungsmärkten einigermaßen stabil zu halten. Die Bundesregierung teilt dieses Ziel – und lässt ihren Worten auch Taten folgen. Sie hat über das neu
geschaffene Bundesministerium für das kommende Jahr 2,5 Milliarden Euro allein für den sozialen Wohnungsbau an die Länder freigegeben. Bis 2026 wird dieser Betrag jährlich ansteigen, bis Mittel in Höhe von insgesamt 14,5 Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau geflossen sein werden. Im Zuge der Maßnahmen, die das Bündnis bezahlbarer Wohnraum gemeinsam verabschiedet hat, ist der Bund diese Verpflichtung eingegangen. Die Länder müssen diese Mittel bedarfsgerecht kofinanzieren. Es ist aus zwei Gründen von großer Bedeutung, dass dies auf Landesebene zugesichert wird: Erstens bedarf es einer landesseitigen Kofinanzierung, damit die vom Bund gewährte Hilfe überhaupt abgerufen werden kann. Sie
muss außerdem landesseitig ergänzt werden, damit sie ihre Kraft entfalten und wirklich etwas verändern kann. Der Bedarf an gefördertem und damit bezahlbarem Wohnraum ist darüber hinaus hier in BW besonders groß. Sozialer Wohnungsbau muss aktiver von der Landesregierung mitgestaltet werden, als bisher: Das Land muss auch selbst bauen. So wird unter anderem dazu beitragen, dass Mietspiegel auf Niveau gehalten werden. Eine Neue Wohngemeinnützigkeit ist in diesem Zusammenhang ein wirksames wohnungspolitisches Instrument und eine Möglichkeit, Sozialwohnungen dauerhaft in ihrer Bindung und damit bezahlbar zu halten. Das Land könnte die selbst gebauten Wohnungen in diesen Status der Gemeinnützigkeit überführen und würde damit vielen Menschen nicht nur Bezahlbarkeit, sondern auch Sicherheit und eine Perspektive bieten. Die Landesregierung muss mehr tun, als nur Förderprogramme für private Investor*innen aufsetzen. Wohnungsbau gehört zur Daseinsvorsorge und fällt damit in ihren Zuständigkeitsbereich. Wir wollen, dass das Land endlich aktiver Player beim Schaffen von Wohnraum wird.

2.4. Lebenswerte Städte und Ortskerne: Gegen die Einsamkeit, für das Miteinander

Wir müssen das Thema Wohnen endlich auch in Verbindung mit sozialen Aspekten denken und uns fragen, wie das Zusammenleben einer Gesellschaft, das Miteinander, auch bei der Wohnungs- und Baupolitik, und nicht zuletzt bei der Planung ganzer Quartiere und Viertel mitgedacht werden kann. Einsamkeit, nicht nur, aber auch im Alter, wird in unserer Gesellschaft zunehmend zum Problem. Viele Menschen sind im Alter zunehmend allein – weil Partner*innen und Freund*innen versterben, aber auch, weil oft die Mobilität durch Krankheiten oder Alterserscheinungen eingeschränkt ist oder die Wege weit und beschwerlich sind. Wohnen im Alter kann ein Einsamkeitsreiber sein. Auch, aber nicht nur im Zuge der Pandemie hat dieses Phänomen in der Psyche vieler Menschen bereits jetzt großen Schaden angerichtet. Wir denken Fragen des guten Lebens bei Fragen des guten Wohnens mit. Die Verantwortung liegt hier bei einer Landesregierung, die eine an den Bedürfnissen der Menschen orientierte Baupolitik fördern muss. Wir brauchen Lebenswerte Innenstädte, die nicht nur zum Konsumieren und Einkaufen, sondern auch zum Verweilen einladen, in denen sich Menschen zuhause fühlen können und die zugänglich sind für alle. Wir müssen uns fragen, wie wir Innenstädte und Ortsmitten zu Räumen der Begegnung und der Kommunikation machen können, in denen Austausch stattfindet. Öffentliche Räume müssen, neben Einkaufsmöglichkeiten und Nahversorgungsangeboten, auch gemeinnützige Angebote bieten und wieder zu Orten des sich-Aufhaltens und des sich-Begegnens werden. Gerade, da letztere grundlegend für den sozialen Zusammenhalt und Solidarität sind. Wir fordern die Landesregierung daher auf, soziale Aspekte wie Teilhabe, Zugänglichkeit und Versorgung bei ihren Bestrebungen, den Innenstädten aus der Krise zu helfen,
zu berücksichtigen.

3. Fazit: Wohnen und Bauen sind nicht nur soziale, sondern Verteilungsfragen

Zur Beantwortung einer der drängendsten sozialen Fragen unserer Zeit sind, das wurde aufgezeigt, verschiedene Mittel gefragt. Für Baden-Württemberg, wo sich das Problem an Wohnungs- und Mietmärkten besonders drängend zeigt, haben wir hier einige Lösungsansätze dargestellt: Wir brauchen eine Priorisierung der Innen- vor der Außenentwicklung, eine kluge Nutzung vorhandener Potenziale und Angebote, präventive Politik bei Leerstand ebenso wie beim Neubau, einen schonenden Umgang mit Flächen, mehr Engagement vom Land bei Förderung und Schaffung bezahlbaren Wohnraums und die Erkenntnis, dass Fragen der Wohnungs- und Mietenpolitik immer auch soziale, und damit Verteilungsfragen sind. Wohnraum ist ein hohes Gut, das gerecht verteilt werden muss und nicht vollständig den Kräften des Marktes überlassen werden darf. Es darf nicht einfach das höchste Angebot belohnt, es darf nicht nach dem Windhundprinzip vorgegangen werden. Wer an welchem Ort, zu welchem Preis und mit welcher Anbindung und Versorgung wohnt, ist eine politische und der Zugang zu angemessenem, bezahlbarem Wohnraum ist eine Frage von würdevollem Leben und Teilhabe. Die Frage nach Wohnfläche ist also eindeutig Teil der Verteilungsfrage, es geht um Daseinsvorsorge auf der einen sowie Fragen der Ermöglichung eines guten und würdevollen Lebens auf der anderen Seite. Damit ist die Bereitstellung von angemessenem Wohnraum eine staatliche Aufgabe, die wir mit einem hohen Maß an Verantwortung, Weitsicht und Solidarität gestalten wollen

Ansprechpartner

Daniel Born
Stellvertretender Landtagspräsident

Sven Plank
Berater für Wirtschaft, Arbeit, Tourismus