Redemanuskript Jonas Weber
Erste Beratung „Gesetz zur Änderung des Landtagswahlgesetzes“

am 09. Oktober 2019

Heute liegt bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr ein Gesetzentwurf zur Änderung des Landtagswahlrechts vor. Die Notwendigkeit einer Änderung ist dabei unbestritten.

Ungefähr gleiche Wahlkreisgrößen sind geboten um die Gleichwertigkeit des einzelnen Stimmgewichts der Wählerinnen und Wähler zu sichern und um gleiche Erfolgschancen der Bewerberinnen und Bewerber über alle Wahlkreise im Land hinweg sicherzustellen.

Im Wahlkreis Tübingen ist damit zu rechnen, dass zur nächsten Wahl die Wahlkreisgröße die maximal zulässige Abweichung vom Landesdurchschnitt von 25 Prozent nach oben überschritten wird, da die stimmberechtigte Bevölkerung dort wächst.

Die Notwendigkeit ist also da, hier sind das Bundeswahlgesetz und die Urteile des Staatsgerichtshofs die Leitlinien.

Bisher war es Usus und gute parlamentarische Gepflogenheit, dass die im Landtag vertretenen Parteien das Wahlrecht und auch die Wahlkreisabgrenzungen immer gemeinsam verhandelt haben. Gemeinsam besprechen und verhandeln hieß dabei zwar nicht immer, dass wir auch einer Meinung waren, aber man hat schon das Gespräch gesucht.

Ich schaue hier maßgeblich in Richtung Grüne als stärkste Fraktion:

Wenn sie nicht auf Kooperation und Verständigung angewiesen sind, lassen sie Traditionen und parlamentarische Gepflogenheiten links liegen, zeigen sie Parlament und Souverän die kalte Schulter. Denn es gab keine interfraktionellen Runden zu diesem Thema, es gab keine Verständigung der Fraktionen und es gab keine Bestrebungen der Regierungskoalition dies mit anderen Fraktionen zu besprechen und gemeinsam anzugehen.

Doch damit zum zweiten Punkt meiner Kritik:

Vielleicht gibt es auch einen Grund – eine Motivation für ihre Gesprächsverweigerung. Als Regierungsparteien bringen Sie nach dem Frühjahr 2019 nun bereits die zweite Änderung des Wahlrechts binnen eines Jahres ein. Erneut schaffen sie es nicht, ein inklusives Wahlrecht für alle einzuführen. Selbstverständlich hätten wir das in Gesprächen über das Wahlrecht eingefordert.

Artikel 29 der UN-Behindertenrechtskonvention – der Artikel zur Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben – sieht vor, dass Menschen mit Behinderungen ihre politischen Rechte, insbesondere das Wahlrecht, gleichberechtigt mit allen anderen wahrnehmen können müssen.

Bis heute ist dies in Baden-Württemberg nur unzureichend gewährleistet.

Wir werden dies so lange kritisieren, bis alle zu ihrem Recht kommen.

In Baden-Württemberg wurden und werden Menschen vom Wahlrecht ausgeschlossen – nur weil sie bestellte Betreuerinnen oder Betreuer, sogenannte Vormünder haben. Sie enthalten Bürgerinnen und Bürgern unseres Staates Menschenrechte und Bürgerrechte vor. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist ein handfester Skandal.

Immer noch halten sie an einem Provisorium fest. Ihr Provisorium mit dem sie diesen Menschen das Wahlrecht zugestehen hält dabei gerade einmal bis zur nächsten Landtagswahl – nicht länger!

Danach kehrt das Wahlrecht nach aktueller Gesetzeslage automatisch zum alten verfassungswidrigen Zustand der Wahlrechtsausschlüsse zurück.

Wir fordern sie also noch einmal auf den Weg frei zu machen für ein inklusives Wahlrecht! Wir stehen mit unserer Forderung nach einem inklusiven Wahlrecht nicht alleine dar. Bürgerrechtler, Behindertenverbände, die Bundesregierung, die Mehrzahl der anderen Bundesländer und schließlich auch der Gemeindetag sehen das ebenso.

In seiner aktuellen Stellungnahme zu ihrem Gesetzentwurf bittet der Gemeindetag sie sogar zu prüfen, ob die Aufhebung der Wahlausschlüsse – Zitat- „im Sinne der Rechtsklarheit nicht zielführend wäre mit dieser Gesetzesänderung bereits eine Anpassung an das Bundestagswahlrecht vorzunehmen“. Das Bundestagswahlrecht ist nämlich bereits inklusiv und für alle.

Doch nicht einmal das interessiert sie und verpasst damit wieder einmal eine Chance für ein modernes und inklusives Wahlrecht im Einklang mit Menschen- und Bürgerrechten.

Die Stellungnahme der Grünen zur Diskussion schlägt dem Fass den Boden aus! Dort heißt es: „Sie bedauern zutiefst, dass es nicht zu einer umfassenden Wahlrechtsreform kommt“.

Über die CDU steht dort: „Es ist bitter und enttäuschend, dass die CDU-Landtagsfraktion mit ihrer Blockadehaltung die längst überfällige Reform verhindert.“ Liebe CDU, wie lange wollen Sie sich so einen Umgang bieten lassen?

Und liebe Grüne: Wie doppelzüngig kann man sein, wenn die Landespartei das Handeln der eigenen Fraktion bedauert!

Was auf den zwei Seiten fehlt? Ein Wahlrecht für alle!

Es gilt das gesprochene Wort.

Ansprechpartner

Melbeck Fraktion
Malin Melbeck
Parlamentarische Beraterin für politische Planung und Strategie, Parlamentsrecht, Stellvertretende Fraktionsgeschäftsführerin