Redemanuskript Andreas Stoch
TOP 1 – Solidarität mit Corona-Heldinnen und -Helden – auch nach der Krise!

am 7. Mai 2020

Frau Präsidentin,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

in der Tagesordnung der heutigen Sitzung steht, dass diese Debatte von der Fraktion der SPD beantragt wurde. Das ist formal richtig, aber inhaltlich nicht die ganze Wahrheit. Denn in Wahrheit wurde diese Debatte von Hunderttausenden Beschäftigten beantragt, die in diesem Land seit Wochen dafür sorgen, dass der Laden läuft, dass Menschen medizinisch versorgt und gepflegt und betreut werden, dass Waren rollen und Lebensmittel verfügbar sind, dass Müll entsorgt wird. Diese Debatte wurde beantragt von all den Menschen, die wir seit Wochen als die Heldinnen und Helden der Corona-Krise bezeichnen, denen wir Dankesbriefe schreiben, die wir loben, denen wir applaudieren. Wir von der SPD haben diese Debatte also nur stellvertretend auf die Tagesordnung gesetzt.

Was diese Menschen in unserem Land und für unser Land leisten, ist auch in diesem Parlament immer wieder betont und unterstrichen worden. Quer durch die Reihen, von den Mitgliedern der Landesregierung, der Fraktionen von Grünen, CDU und FDP. Und ich weiß, dass dieser Dank den Heldinnen und Helden dieser Krise gutgetan hat. Danke dafür an Sie alle, Danke aber vor allem an all die Menschen da draußen, die in diesen Zeiten ihre Frau und ihren Mann stehen!

Danke für den freundlichen Applaus. Aber da sind wir schon beim Thema. Denn von Applaus alleine lebt niemand. Nicht in diesem Plenum, in dem alle Kolleginnen und Kollegen mindestens auskömmlich versorgt sind. Nicht draußen im Land. Und ich halte es darum für mehr als berechtigt, wenn nach langen Wochen der Coronakrise ein Motto die Runde macht, dass von eben jenen Heldinnen und Helden dieser Krise stammt. Verkürzt kann man es so umschreiben: danke für Euren Applaus. Aber der Applaus alleine genügt nicht.

Herr Ministerpräsident, Ihnen und Minister Lucha liegt ein offener Brief von Betriebsräten, Personalräten, Mitarbeitervertretungen, Jugend- und Auszubildendenvertretungen aus dem Sozial- und Gesundheitswesen in Baden-Württemberg vor. Von den Interessenvertretern hunderttausender Beschäftigter in diesem Land. Und dieser Brief spricht eine sehr deutliche Sprache. Ich zitiere: „Leider erleben wir in der COVID-19-Krise überdeutlich, dass unsere Arbeit durch eine jahrzehntelang verfehlte und auf Effizienz und Wettbewerb getrimmte Gesundheits- und Sozialpolitik erschwert wird. Die Erkenntnis ist nicht neu, die Krise legt die Mängel frei.“ Zitat Ende.

Dieses Schreiben behandelt den Zustand, dass diese Beschäftigten schon vor der Coronakrise am Limit gearbeitet haben. Und dieses Schreiben fordert nicht nur einen effektiven Schutz für alle Patienten, Klienten und Pflegebedürftigen, sondern eben auch einen Schutz der Beschäftigten. Vor dem Virus, aber auch vor einer eminenten Überlastung durch auf Dauer verlängerte Schichten und Arbeitszeiten. Das Schreiben fordert effiziente Tests, und es fordert, dass eine Quarantäne auch für infizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gelten muss. Ich zitiere: „Krank ist krank“. Und ich ahne Schlimmes, wenn diese Selbstverständlichkeit extra betont werden muss! Das Schreiben geht noch viel weiter, bis hin zur Forderung, dass von Geschäftemachern gehortete Schutzausrüstung nicht zu Wucherpreisen angekauft, sondern beschlagnahmt werden sollte. Viel deutlicher kann ein Hilferuf nicht mehr sein!

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben aktuell eine erfreuliche Situation. Es scheint, als hätten wir die dynamische Entwicklung der Pandemie gestoppt, es scheint, wir haben die Lage so gut im Griff, wie man sie nur im Griff haben kann. Aber einmal mehr: Nun muss es weitergehen. Wir müssen über die aktuelle Notlage hinaus beraten, und die Landesregierung muss Konsequenzen ziehen.

Denn es ist doch offensichtlich, dass im Falle der Heldinnnen und Helden dieser Krise eine gewaltige Schere klafft. Eine Schere zwischen Anerkennung und Bezahlung, zwischen freundlichem Applaus und realen Arbeitsverhältnissen. Eine Schere zwischen Lob und Lohn. Zu Beginn der Pandemie ging es um schnelle und tatkräftige Schritte. Seitens der Politik, aber eben auch seitens der Beschäftigten, die einfach noch mehr Einsatz brachten, um die Krise zu meistern. Niemand hat in diesen ersten Wochen über Lohn und Arbeitsverhältnisse gesprochen, es wurde einfach gearbeitet, geholfen. Es wurde alles Nötige getan und noch viel mehr. Bis heute.

Aber nun beginnen wir langfristiger zu planen, nun geht es um die Zeit mit und auch um die Zeit nach der akuten Krise. Und nun ist es an der Zeit, die Weichen richtig zu stellen. Und dann ist es eben nicht genug, über Sonderzahlungen von ein paar hundert Euro zu reden. Dann müssen wir darüber reden, wo es bei der Arbeit in diesem Land im Argen liegt. Dann müssen wir darüber nachdenken, welchen Zustand wir herbeigeführt haben. Provokativ gefragt: Warum ist es uns so viel mehr wert, wenn jemand ein Kilo Metall hebt, als wenn er ein Kilo Mensch hebt?

Wir erleben, wie wir Steuer- und Abgabenzahlungen stunden können, wie wir fällige Hauptuntersuchungen bei Autos über Monate verschieben können. Wie bestimmte Ämter und Behörden ihre Leistungen auf ein Minimum beschränken können. Die Welt geht davon nicht unter. Aber die Welt würde untergehen, wenn Menschen nicht medizinisch versorgt und gepflegt werden könnten, wenn es keine Lebensmittel mehr zu kaufen gäbe. All das haben wir erlebt. Die Frage ist, ob wir etwas daraus lernen wollen.

Viele Berufe, denen wir seit Wochen Lob und Applaus zollen, sind im Niedriglohnsektor angesiedelt. Seit den späten 1990er Jahren haben wir in vielen dieser Bereiche eine regelrechte Tarifflucht erlebt. Die Löhne sanken und sanken, die Arbeitsbedingungen wurden schlechter und schlechter. Die Politik hat dieser Entwicklung zugeschaut, mancher sagte, der Staat könne nichts dagegen tun, andere sagten sogar, er solle nichts dagegen tun.

Wenn man in der SPD über die Finanzierung von Hilfen für die Heldinnen und Helden der Coronakrise nachdenkt, sprichtMarc Hauptmann von der Jungen Gruppe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion von „Rezepten aus der linken Mottenkiste“. Wie gesagt, manche wollen nichts aus dieser Krise lernen. Wir sollten aber daraus lernen. Wir müssen daraus lernen. Und wir können handeln, weil der Staat mehr wird handeln müssen als seit Jahrzehnten.

Es ist lange betont worden, dass wir erst am Anfang der Coronakrise stehen. Was die Gesundheit angeht, dürfen wir hoffen, dass wir inzwischen einen wichtigen Schritt weiter sind. Aber was die wirtschaftlichen Auswirkungen angeht, stehen wir tatsächlich erst am Anfang. Und es gilt, was ich schon gestern in der Aktuellen Debatte der CDU gesagt habe: Seien wir doch bitte schlau und verbinden wir unsere Hilfe gegen die Coronakrise mit einer Hilfe zum Besseren, mit einer Hilfe dazu, Fehlentwicklungen zu korrigieren!

Ich denke, es ist fair, wenn wir Hilfen oder mindestens die Höhe dieser Hilfen an Mindeststandards für die Beschäftigten knüpfen. An Tariftreue, an ausreichende Arbeitnehmervertretungen. Daran, dass die Kosten der Krise nicht auf Beschäftigte, auf Patienten und Pflegebedürftige abgewälzt werden. Dass Ausgliederungen rückgängig gemacht werden, wenn sie allein dem Ziel dienen, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für bessere Geschäftszahlen schlechter zu stellen.

Diese Landesregierung muss dafür eintreten, dass sich die Finanzierung unseres Gesundheitswesens nicht mehr an möglichst niedrigen Kosten, sondern an einer möglichst guten Versorgung orientiert. Wir müssen uns von den ruinösen Fallpauschalen verabschieden. Wir brauchen eine realistische Personalbemessung. In der Behindertenhilfe muss die unselige Wettbewerbsklausel vom Tisch! Und das sind nur einige Beispiele.

Wir erleben, dass massiv Staatshilfen eingefordert werden. Auch von Kliniken, die in privater Trägerschaft stehen. Auch von privaten Unternehmen. Auch von Einrichtungen, die sich mit Auslagerungen und Untergesellschaften ihre Refugien für Billiglohn geschaffen haben. All diese Arbeitgeber werden gesellschaftliche Solidarität einfordern. Und es ist doch nur gerecht, dass wir die Hilfe der Gemeinschaft daran knüpfen, dass auch diese Arbeitgeber zu ihrer gesellschaftlichen Solidarität stehen!

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden in der Politik noch viele Monate über die Auswirkungen der Coronakrise reden müssen. Vielleicht noch Jahre. Sorgen wir jetzt dafür, dass wir die richtigen Ziele setzen. Nicht ein Zurück in die Zeit davor, sondern ein Voran zu besseren Zuständen! Sorgen wir dafür, dass die massiven Hilfen des Staates nicht nur den Bilanzen, sondern auch den Beschäftigten helfen. Sorgen wir dafür, dass die Heldinnen und Helden der Coronakrise auf Dauer die Anerkennung genießen, die Ihnen gebührt. Auch die finanzielle Anerkennung. Wenn wir das schaffen, dann könnte es sein, dass eines Tages nicht wir den Heldinnen und Helden der Krise danken, sondern sie der Politik. Da wäre die richtige Antwort an diese Menschen. Wir haben es in der Hand.

Vielen Dank.

Es gilt das gesprochene Wort.

Ansprechpartner

Klose Fraktion
Roland Klose
Berater für Sozial- und Gesundheitspolitik