Ute Vogt: „In unserem Antrag wird überzeugend dargelegt, dass wir zu Recht auf die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses pochen – unser wichtigstes parlamentarisches Minderheitenrecht“

In der Auseinandersetzung um die Zulässigkeit eines Untersuchungsausschusses zum badischen Kulturgüterstreit hat die SPD-Landtagsfraktion heute beim Staatsgerichtshof ihre Antragsschrift eingereicht. Die SPD will nach den Worten von Fraktionschefin Ute Vogt erreichen, dass die obersten Verfassungsrichter des Landes die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses für zulässig erklären und damit die CDU- und die FDP-Fraktion in die Schranken weisen. Für die SPD-Chefin ist der Gang vor den Staatsgerichtshof unausweichlich, da es über den aktuellen Anlass hinaus um die Wahrung grundlegender Rechte der parlamentarischen Minderheit gehe.

Die Ablehnung des Untersuchungsausschusses durch CDU und FDP im Landtag sei ein in dieser Form beispielloser Vorgang in der Parlaments- und Verfassungsgeschichte des Landes und verlange schon deshalb nach einer rechtlichen Klärung. In dem jetzt beim Staatsgerichtshof eingereichten Antrag werde überzeugend dargelegt, dass die SPD zu Recht auf die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses poche. „Wir wollen das wichtigste parlamentarische Minderheitenrecht nicht der Willkür der Mehrheit preisgeben“, so Vogt. Angesichts der „eher dürftigen rechtlichen Argumente“, mit denen der Untersuchungsausschuss abgelehnt worden sei, dränge sich der Verdacht geradezu auf, dass es CDU und FDP in Wirklichkeit darum ging, eine wirksame Aufklärung durch das Parlament zu verhindern.

Die SPD mache deshalb vor dem Staatsgerichtshof „ihr vornehmstes und zugleich weitreichendstes parlamentarisches Minderheitenrecht geltend, nämlich ihren Anspruch auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zum Handeln der Regierung gem. Art. 35 Abs. 1 der Landesverfassung.“ Konkret gehe es um den badischen Kulturgüterstreit, ge-nauer gesagt um „Das Handeln von Landesregierung und Landesbehörden beim Erwerb von Kunst- und Kulturgütern aus dem vermuteten oder tatsächlichen Eigentum des Hauses Baden“.

Die Landtagsmehrheit hat die Einsetzung eines entsprechenden Untersuchungsausschusses in der Sitzung des Landtags am 14.12.2006 für unzulässig erklärt. Begründung: Der Untersuchungsausschuss greife in den „Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung“ bzw. in laufende Verhandlungen und Entscheidungsvorbereitungen der Regierung ein.

Die SPD hält dem in ihrem Antrag zum Organstreitverfahren vor dem Staatsgerichtshof entgegen, dass spätestens der – nach intensiven Diskussionen nicht nur im Landtag, sondern auch und gerade in der Öffentlichkeit gefasste – Kabinettsbeschluss vom 9.10.2006 und die anschließende Bekanntmachung einen vorläufigen Abschluss des Regierungshandelns markieren. Das Regierungshandeln habe damit eine „Verantwortungsreife“ erreicht, die es der Landtagsmehrheit von CDU und FDP gebiete, dem sich aus Art. 35 Landesverfassung ergebenden Antrag der parlamentarischen Minderheit auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses zu entsprechen.

Vertreten wird die SPD-Landtagsfraktion in dem Organstreitverfahren durch Rechtsanwalt Professor Dr. Christian Kirchberg von der Karlsruher Anwaltskanzlei Deubner & Kirchberg. Der versierte Verfassungsrechtler leitet als Vorsitzender den Verfassungsrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer und wurde und wird von Bundestagspräsidenten unterschiedlicher politischer Couleur mit komplexen juristischen Verfahren u. a. zur staatlichen Parteienfinanzierung betraut.

Professor Kirchberg: „Die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses ist nicht nur zulässig, sondern kann von der SPD auch beansprucht werden“
Professor Kirchberg führte vor der Landespresse in Stuttgart aus, dass es bei der Frage der Zulässigkeit eines Untersuchungsausschusses entscheidend darauf ankommt, ob sich der Untersuchungsauftrag auf ein bereits abgeschlossenes Regierungshandeln oder zumindest auf ein Regierungshandeln bezieht, das zur „Verantwortungsreife“ gediehen ist und deshalb eine abschnittsweise Untersuchung durch einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss erlaubt bzw., wenn dies von der parlamentarischen Minderheit beansprucht wird, gebietet. Insoweit teile er die gutachtlichen Äußerungen der Landtagsverwaltung und die von Professor Kirchhof im Auftrag der CDU-Fraktion abgegebene Stellungnahme.

Für Professor Kirchberg kann es – im Unterschied zu Professor Kirchhof – keinen Zweifel geben, dass mit dem Kabinetts- bzw. Ministerratsbeschluss der baden-württembergischen Landesregierung vom 9.10.2006 die Meinungsbildung der Landesregierung und damit das Regierungshandeln sich in einer Weise konkretisiert und Gestalt angenommen hat, dass jedenfalls nunmehr eine auf die tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen und Konsequenzen dieser Entscheidung bezogene parlamentarische Kontrolle nicht nur erlaubt, sondern auf Antrag einer qualifizierten Parlamentsminderheit auch geboten ist bzw. beansprucht werden kann.

Ein geradezu klassischer Fall eines zumindest abschnittsweise abgeschlossenen Regierungshandelns
Professor Kirchberg sieht seine Einschätzung durch die tatsächliche Entwicklung, die zu dem Kabinettsbeschluss vom 9.10.2006 geführt hat, nicht nur bestätigt, sondern regelrecht unterstrichen. Denn das zunächst verlautbarte bzw. bekannt gewordene Vorhaben der Landesregierung, die streitigen Eigentumsansprüche des Hauses Baden durch den Verkauf der wertvollen, in der badischen Landesbibliothek gelagerten (mittelalterlichen) Handschriften im Gesamtwert von ca. 70 Mio. Euro gewissermaßen abzulösen, sei so massiv in die öffentliche, wissenschaftliche und schließlich auch politische Kritik geraten, dass die Landesregierung das Ruder herumreißen musste.

Auf der Grundlage des „Krisengipfels“ am 5.10.2006 habe die Landesregierung dann in aller Form wenige Tage später, nämlich am 9.10.2006, einen Kabinettsbeschluss gefasst, der ein vollkommen anderes Einigungs- und Finanzierungskonzept beinhaltete. Dieser Beschluss sei auch medial in aller Breite vermarktet und anschließend im Landtag von Baden-Württemberg sowohl von Ministerpräsident Oettinger als auch von Wissenschaftsminister Frankenberg und Justizminister Goll offensiv vertreten bzw. verteidigt worden.

Dazu seien dann die darauf Bezug nehmende Beschlussfassung der Landesstiftung Baden-Württemberg vom 17.10.2006 gekommen, für den Ankauf badischen Kulturguts 10 Mio. Euro zur Verfügung zu stellen, der Spendenaufruf des Ministerpräsidenten vom 23.10.2006, die gleichzeitige Einrichtung eines Spendenkontos durch das Wissenschaftsministerium und schließlich die Ankündigung, zur Gewinnung weiterer Mittel eine Spendengala in Karlsruhe zu Beginn des Jahres 2007 veranstalten zu wollen.

Professor Kirchberg hält vor diesem Hintergrund Professor Kirchhof entgegen: „In einem solchen Fall kann von einem unbeachtlichen, insbesondere der parlamentarischen Kontrolle (noch) nicht zugänglichen Zwischenschritt laufenden Regierungshandelns nicht mehr gesprochen werden. Im Gegenteil: die durch die massive Kritik am Verkauf der badischen Handschriften ganz offensichtlich in die Defensive gedrängte Landesregierung hat eindeutig eine Kehrtwende vollzogen und dies im Rahmen einer formellen Beschlussfassung, die sie dann mit allem Nachdruck und aller Konsequenz in der Öffentlichkeit ‚verkauft’ hat.“

Damit sei der geradezu klassische Fall eines zumindest abschnittsweise abgeschlossenen Regierungshandelns gegeben, der nach der Rechtsprechung und Literatur (bereits) die parlamentarische Kontrolle auch und gerade vermittels eines Untersuchungsausschusses erlaubt oder, auf Antrag einer qualifizierten Parlamentsminderheit, sogar gebietet.

Unbeachtlich: Vereinbarung mit dem Haus Baden noch nicht endgültig abge-schlossen
Dem Untersuchungsausschuss stehe auch nicht entgegen, dass die ins Auge gefasste Vereinbarung mit dem Haus Baden erst noch mit diesem endgültig abgeschlossen werden muss, wendet sich Professor Kirchberg gegen die entsprechende gutachtliche Äußerung von Professor Kirchhof. Dies sei vielmehr ein, wenn auch wichtiger Aspekt des Vollzuges der Grundsatzentscheidung des Kabinetts vom 9.10.2006 und könne bzw. müsse, falls dies erforderlich erscheinen sollte, als (weiterer) Abschnitt des Regierungshandelns ebenfalls der parlamentarischen Kontrolle unterworfen werden.

Das Fazit von Professor Kirchberg:
„Die Bemühungen in der von der CDU-Landtagsfraktion in Auftrag gegebenen gutachtlichen Äußerung von Professor Kirchhof, die Bedeutung des Ministerratsbeschlusses vom 9.10.2006 für die parlamentarische Kontrolle zu relativieren bzw. zu bagatellisieren, können in keiner Weise überzeugen. Der Organstreit-Antrag der SPD-Landtagsfraktion zur Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses ist nach alledem begründet.“

Helmut Zorell
Pressesprecher