Redemanuskript Andreas Stoch
Regierungsinformation zur aktuellen Lage hinsichtlich der Ausbreitung des Coronavirus

am 4. März 2020

Sehr geehrte Frau Präsidentin,

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Mit dem Coronavirus steht heute ein Thema auf der Tagesordnung, das die Nachrichten beherrscht und uns alle beschäftigt. Und es ist ein Thema, von dem wir vor einem guten Vierteljahr noch nicht das Geringste wussten. Und das vor etwas mehr als einem Vierteljahr auch noch gar nicht existierte.

Man hätte in den vergangenen Wochen also kaum mehr tun können, als getan wurde und immer noch getan wird. Es gilt aufzuklären, es gilt zu beraten, es gilt, medizinisches Wissen zu bündeln und medizinische Betreuung bereit zu stellen.

Und es gilt, sich für alle Fälle vorzubereiten. Mit Vernunft und Vorsicht, ohne Panik. Mit Zusammenarbeit und Tatkraft.

All das geschieht im Land. Dafür darf man der Landesregierung und besonders dem Haus von Gesundheitsminister Lucha danken. Danken darf man auch allen Ärzten, Helfern, Pflegern in Kliniken, Praxen und Heimen, danken darf man Lehrerinnen und Lehrern an Schulen, Erzieherinnen und Erziehen in Kitas, Verantwortlichen nicht nur in den Verwaltungen, nicht nur in Firmen und Betrieben, sondern auch in Vereinen und bei Veranstaltern, die besonnen und sorgfältig abwägen, was man in diesen Tagen vielleicht besser einschränken oder sogar ganz bleiben lassen sollte. Danken darf man schließlich auch den Medien, die sehr unaufgeregt und mit einer deutlichen und hilfreichen Betonung auf sinnvolle Vorsichtsmaßnahmen berichten und berichtet haben.

Ich wünsche uns allen, dass wir den Coronavirus im Griff halten und ihn vollends in den Griff bekommen, ich wünsche allen Betroffenen gute Besserung und allen Ärzten, Helfern und Angehörigen viel Kraft und Geduld.

Ich wünsche uns allen aber auch, dass wir aus der aktuellen Situation mehr lernen als einfache und effektive Hygieneregeln, die ja nicht nur bei diesem neuartigen Virus, sondern auch bei jeder Grippewelle sinnvoll sind.

Ich wünsche uns, dass wir unsere Augen öffnen für Konsequenzen. Über den Tag hinaus, an dem wir hoffentlich bald feststellen werden, dass die Fallzahlen wieder sinken und das Virus den Rückzug antritt. Und ich wünsche mir, dass wir uns Fragen stellen, über diesen Tag hinaus.

Denn schon jetzt, nach nur wenigen Wochen, erkennen wir, dass unsere medizinische Vorsorge an manchen Punkten deutlich dünner gestrickt ist, als es uns vielleicht bewusst war. Wir müssen erleben, wie wir uns vor einem in China ausgebrochenen Virus genau deswegen schlechter schützen können, weil uns Medikamente oder Medizinprodukte aus China fehlen. Wir erleben, wie verletzbar eine globale Medizinwirtschaft durch die globale Ausbreitung eines Virus ist.

Und so sollten wir uns die Frage stellen, ob es immer klug ist, bei Medikamenten oder Medizinprodukten nur auf Discounterpreise zu achten. Du ob es nicht klüger wäre, manche Fertigung zumindest in Teilen rückzuverlagern.

Wir sollten uns auch die Frage stellen, warum manche europäischen Nachbarländer ein deutlich dichteres und leistungsfähigeres Netz an Infektionsstationen in ihren Kliniken vorhalten, auch wenn diese Stationen im Regelfall nie auch nur halbvoll belegt sein können. Die Nachbarländer sind nicht reicher als unser Land. Aber sie leisten sich diese Vorsorge.

Und wir sollten uns fragen warum in unserem Land schon in kurzfristigen, mit Bedacht erstellten Plänen sehr schnell mit Tausenden Ärzten im Ruhestand kalkuliert werden muss, die für die medizinische Betreuung einspringen sollen. Und es sollte uns zu denken geben, wenn Arztpraxen sich schon jetzt fragen müssen, was sie tun sollen, falls Ihnen der nötige Schutz ausgeht.

Noch einmal: Wir haben unsere gesundheitliche Vorsorge bestimmt oft genug in Augenschein genommen. Jetzt aber kommt Wind auf, und wir merken: Sie ist an manchen Stellen sehr dünn gestrickt.

Nicht nur sozialdemokratische Minister in der Bundesregierung haben dieser Tage darüber gesprochen, wie wir Unternehmen helfen können, die durch die Folgen des Coronavirus in Schwierigkeiten geraten. Auch der Ministerpräsident hat das gestern getan. Und ich kann Ihnen versichern: Die SPD will ein Gemeinwesen, dass sich kümmert. Und wenn es notwendig ist, zu helfen, werden Sie die SPD an Ihrer Seite haben. Und wir begrüßen es, wenn die Landesregierung sich über Instrumente wie Hilfen beim Kurzarbeitergeld oder der Sicherung der Liquidität Gedanken macht. Und vorsorglich darüber nachdenken will, wie wir das finanzieren können.

Doch wir sollten eben auch darüber nachdenken, wie ein Gemeinwesen, das sich kümmert und kümmern soll mit seinem Gesundheitswesen umgeht. Es ist noch keinen Monat her, da stand in diesem Haus bei Fragen der Gesundheit wieder nur das Geld, das Sparen im Vordergrund. Wenn uns allein die bisherigen Erfahrungen mit dem Coronavirus hier eine Lektion wären, wenn wir in Zukunft beim Gesundheitswesen wieder zuerst über die Gesundheit nachdenken, dann hätten wir dieser schlimmen Geschichte wenigstens einen guten Effekt abgerungen.

Es gibt viele löbliche Gründe dafür, dass in diesem Land kein wütender Mob vor Klinken steht und vom Coronavirus infizierte Mitmenschen beschimpft, wie es in der Ukraine geschehen ist.

Es gibt auch viele löbliche Gründe dafür, dass in diesem Land keine unsinnigen Märchen im Umlauf sind wie in den USA, wo große Fernsehsender behaupten, der Coronavirus sei dadurch entstanden, dass Chinesen angeblich Fledermaussuppe essen. Und es gibt zum Glück auch viele gute Gründe, warum Menschen bei uns nicht ernsthaft überlegen, gegen das Virus mit Chlorbleiche zu gurgeln. In den USA macht das ernsthaft die Runde, leider.

Und es gibt auch gute Gründe, dass in unserem Land niemand ernsthaft behauptet, das Virus sei nur eine Erfindung der Obrigkeit, wie es im Iran passiert, wo viele Menschen ihrer Regierung offenbar nichts mehr außer Lügen zutrauen.

Dass es bei uns anders ist, dafür gibt es viele Gründe, wie gesagt. Ein ganz wichtiger Grund aber ist, dass wir in unserem Land den Staat als Gemeinwesen sehen, und dass wir diesem Gemeinwesen vertrauen.

Deswegen ist es wichtig, alle Fragen zu beantworten, die uns gestellt werden:

Sind unsere Pandemiepläne in den kommunalen Gesundheitsämtern überall aktualisiert und kompatibel mit dem Pandemieplan für Baden-Württemberg? Wie funktioniert die Informationsweitergabe an den Schulen, und wie ist die Information von Eltern koordiniert? Gibt es ein Netzwerk von Kompetenzzentren und Spezialkliniken und wie kommunizieren diese miteinander?

Und je mehr sich das Virus ausbreitet, umso mehr stellt sich auch die Frage, wie die nächsten Schritte aussehen: Was folgt auf die „Containment“-Strategie? Und wie weit wird darüber schon mit allen Akteuren gesprochen? Wie sieht die Planung aus, sollte BW zum Risikogebiet erklärt werden? Sind die Gesundheitsämter personell gut genug aufgestellt? Wie ist der Stand der Vorbereitung von Altenheimen und Altenpflegeheimen? Sind die Kapazitäten für Betten für Patienten mit infektiösen Krankheiten ausreichend, wenn es zu einem sprunghaften Anstieg der Fälle kommt?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe vorher über die unglaublich wichtige Rolle gesprochen, die das Vertrauen in unser Gemeinwesen spielt. Dieses Vertrauen dürfen wir nicht verspielen.

Der Coronavirus ist in der jüngeren Geschichte beispiellos, und es verbietet sich, den Finger zu heben und Versäumnisse anprangern zu wollen. Noch vor Kurzem kannte niemand dieses Problem, keiner von uns.

Nun aber kennen wir das Problem, und in diesem Land traut man uns zu, daraus Konsequenzen zu ziehen. Mehr noch. Man VERTRAUT darauf, dass wir Konsequenzen ziehen.

Ich wünsche uns allen, dass wir das Virus überwinden. Ich wünsche uns aber auch, danach nicht wieder zur Tagesordnung überzugehen. Wir erleben jetzt, was das Gemeinwesen kann, wenn es gefordert ist, das Gemeinwohl und unsere Gesundheit zu sichern.

Vergessen wir das nicht. Und sorgen wir dafür, dass das Vertrauen in das Gemeinwesen eine gesunde Grundlage hat.

Vielen Dank

Es gilt das gesprochene Wort.

Ansprechpartner

Klose Fraktion
Roland Klose
Berater für Sozial- und Gesundheitspolitik