Entschließung der für Medienfragen zuständigen Abgeordneten der SPD-Fraktionen des Bundes, des Abgeordnetenhauses, der Bürgerschaften, der Landtage sowie im Europäischen Parlament anlässlich ihrer gemeinsamen Sitzung am 15./16. November 2004 in Stuttgart

1. Die medienpolitischen Sprecherinnen und Sprecher der SPD-Fraktionen des Bundes, des Abgeordnetenhauses, der Bürgerschaften, der Landtage sowie im Europäischen Parlament haben sich anlässlich ihrer gemeinsamen Sitzung in Stuttgart mit der wirtschaftlichen Situation und den Perspektiven des öffentlich-rechtlichen Rundfunks befasst. Sie begrüßen, dass die Sender in Leitlinien ihren Auftrag und ihre Ziele präzisieren und Maßnahmen zur strukturellen Fortentwicklung mit dem Ziel der zielgerichteteren Verwendung der Rundfunkmittel im Sinne des Grundversorgungsauftrages eingeleitet haben.

2. Sie stellen fest, dass die Ministerpräsidenten sich über die Höhe der Rundfunkgebühren in der Gebührenperiode 2005-2009 verständigt haben. Sie erwarten, dass das verfassungsrechtlich geforderte und staatsvertraglich verankerte Verfahren der Gebührenfestsetzung beachtet wird und die Arbeit der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) auch künftig die Grundlage für Entscheidungen zur Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bleibt. Insbesondere das Verhalten der CDU/CSU-geführten Länder ist geeignet, die KEF zu gefährden und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zusätzlichen Risiken auszusetzen.

3. Sie fordern von den öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstaltern, den Prozess der Strukturreformen voranzutreiben mit dem Ziel, das öffentlich-rechtliche Profil weiterhin zu schärfen. Sie erwarten deutliche Schritte zur Fortsetzung der Qualitätssicherung.

4. Sie fordern die Rundfunkveranstalter auf, trotz schwieriger gewordener Rahmenbedingungen ihren Kultur- und Bildungsauftrag und ihre kulturellen Aktivitäten uneingeschränkt wahrzunehmen.

5. Die medienpolitischen Sprecherinnen und Sprecher erkennen in den Online-Aktivitäten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks einen unverzichtbaren Beitrag zur Sicherung eines kostenfreien, jedermann zugänglichen Informationsangebots im Netz, und insoweit auch einen Weg zur Zukunftssicherung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Dieser Beitrag besteht in werbe- und gewaltfreien Angeboten. Damit wird dem veränderten Medienkonsumverhalten Rechnung getragen.

STUTTGARTER ERKLÄRUNG II
Perspektiven der europäischen Medienpolitik

Entschließung der für Medienfragen zuständigen Abgeordneten der SPD-Fraktionen des Bundes, des Abgeordnetenhauses, der Bürgerschaften, der Landtage sowie im Europäischen Parlament anlässlich ihrer gemeinsamen Sitzung am 15./16. November 2004 in Stuttgart

Anlässlich ihrer gemeinsamen Sitzung in Stuttgart haben sich die medienpolitischen Sprecherinnen und Sprecher mit den Perspektiven der europäischen Medienpolitik angesichts aktuell bei der EU-Kommission anhängiger Verfahren befasst.

Die medienpolitischen Sprecherinnen und Sprecher stellen fest:

1. Dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk kommt als Garant für eine freie und individuelle Meinungsbildung, für Qualität und Vielfalt des Angebots und damit für die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft eine Schlüsselfunktion zu. Er leistet einen wesentlichen Beitrag für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und für die soziale und kulturelle Identifikation in der Gesellschaft. Deshalb räumt das Amsterdamer Protokoll von 1997 allein den Mitgliedstaaten das Recht und die Pflicht ein, den Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu definieren, und zwar unabhängig vom Verbreitungsweg.

2. In Deutschland hat sich mit der hier bestehenden dualen Rundfunkordnung eine Struktur herausgebildet, die zu einem vielfältigen und qualitätvollen Angebot beiträgt. Das duale System hat sich als in besonderem Maße geeignet erwiesen, Meinungsfreiheit, Meinungsvielfalt und Medienpluralismus zu sichern. Im Ergebnis verfügt Deutschland über das weltweit vielfältigste und attraktivste Rundfunkangebot. Deutlich wird damit aber auch, dass der Rundfunk kulturpolitisch zu den zentralen Faktoren für die weitere Entwicklung der Gesellschaft zählt. Die duale Rundfunkordnung in Deutschland ist eine kulturelle Errungenschaft, die durch das Gemeinschaftsrecht und die Politik in der Europäischen Union nicht gefährdet werden darf.

3. Festzustellen ist eine zunehmende technische Konvergenz der Medien, insbesondere im Bereich breitbandiger Online-Angebote. Der PC dient heute, neben seinen hergebrachten Funktionen, auch als Radio- und Fernsehempfänger, DVD- und Festplattenrekorder und als zentrale Einheit einer Heimkinoanlage. Neben einer rasant wachsenden Verbreitung von – zunehmend breitbandigen – Internetanschlüssen ist ein tiefgreifend verändertes Mediennutzungsverhalten gerade unter jungen Leuten zu beobachten. Sie erwarten von den Sendern ihrer Wahl ein begleitendes Web-Angebot mit multimedialen Inhalten.
Dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk kommt deshalb auch im Online-Bereich eine besondere Verantwortung im Hinblick auf Qualität, Validität und Verlässlichkeit der Berichterstattung zu. Ohne die Teilhabe an den neuen Verbreitungswegen würde der öffentlich-rechtliche Rundfunk umgekehrt mit Reichweitenverlusten konfrontiert und langfristig in seiner Existenz gefährdet werden, weil er die Mediennutzer der Zukunft nicht mehr erreichen könnte.

Diesen Entwicklungen wird nur ein funktionaler und technikneutraler, allein auf die Art und mögliche Nutzungsform der Inhalte und Angebote abstellender Rundfunkbegriff gerecht, wie er dem Amsterdamer Protokoll zugrunde liegt. Gerade deshalb sehen es die medienpolitischen Sprecherinnen und Sprecher als unabdingbar an, klarzustellen, dass davon auch Online-Angebote erfasst sind. Es liegt in der alleinigen Kompetenz der Mitgliedstaaten, festzulegen, ob und in welchem Umfang der öffentlich-rechtliche Rundfunk im Online-Bereich tätig sein kann.

4. In Teilen der Europäischen Kommission ist demgegenüber die Tendenz erkennbar, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in erster Linie unter marktwirtschaftlichen Aspekten zu betrachten und ihm insbesondere beim Online-Angebot und bei der Digitalisierung unter Wettbewerbsgesichtspunkten eigene Aktivitäten nur im Falle von „Marktversagen“ zuzugestehen; also nur dann, wenn kommerzielle Anbieter diese Angebote nicht erbringen können. Mit dieser Lesart würde die Kommission sich über den Umweg des Wettbewerbsrechts ihr nicht zustehende Kompetenzen im Medienbereich verschaffen und den Regelungsgehalt des Amsterdamer Protokolls im Bereich der Verbreitungswege der Zukunft aushöhlen. Zugleich würde sie den öffentlich-rechtlichen Rundfunk an Verbreitungstechniken der Vergangenheit binden und von der Zukunft der Medien ausschließen.
Die medienpolitischen Sprecherinnen und Sprecher begrüßen vor diesem Hintergrund ausdrücklich den Vorstoß der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, Staatsministerin Christina Weiss, im Rat der Minister für Kultur und Audiovisuelles der Europäischen Union eine Debatte über die Entwicklungsmöglichkeiten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks im digitalen Zeitalter zu führen.

Sie ermutigen Staatsministerin Weiss, diesen Vorstoß mit dem Ziel konsequent weiterzuverfolgen, zu einer neuen, das Amsterdamer Protokoll bekräftigenden und im Hinblick auf die technischen Veränderungen in der Medienwelt weiterentwickelnden Ratsresolution zu kommen. Mit dieser Resolution muss die Klarstellung verbunden sein, dass Online-Angebote und neue digitale Verbreitungswege und Angebote vom Amsterdamer Protokoll erfasst sind.

Die medienpolitischen Sprecherinnen und Sprecher appellieren an die Fraktionsvorsitzenden, ihre Ministerpräsidenten aufzufordern, sich ebenfalls in diesem Sinne zu positionieren, ihr Medienrecht im Hinblick auf die in dieser Erklärung genannten Ziele zu überprüfen und den Vorstoß des Bundes mit allen Kräften zu unterstützen.

STUTTGARTER ERKLÄRUNG III

Entschließung der Konferenz der kultur- und medienpolitischen Sprecher/innen der SPD-Fraktionen des Bundes, des Abgeordnetenhauses, der Bürgerschaften und der Landtage sowie im Europäischen Parlament – Sitzung am 16. November 2004 in Stuttgart

I. Transparenz bei Call-In-Sendungen und TV-Gewinnspielen

1. Angesichts stagnierender Werbeeinnahmen setzt sich im Programm des privaten Fernsehens über Zuschauer-Call-In-Sendungen und TV-Ge¬winn¬spielen eine weitere Form der Ertragssteigerung durch.

2. Diese Entwicklung ist nicht zu beanstanden, solange diese Programmformate gegenüber den Fernsehzuschauern Transparenz bezüglich der Kosten, Spielregeln und Gewinnchancen und insgesamt Rechtssicherheit gewährleisten.

3. Die Landesmedienanstalten werden aufgefordert, den Landesgesetzgebern Vorschläge zu unterbreiten, um Regulierungsdefizite zum Schutz der Fernsehzuschauer abzubauen.

II. Transparenz und Regulierung bei Premium-SMS

1. Immer mehr Anbieter setzen auf so genannte Premium-SMS, um Dienstleistungen im Internet und vor allem in der mobilen Kommunikation abzurechnen. Neben der Zahlungsmöglichkeit per Internet oder per Telefonrechnung ist damit eine neue Form der Ertragssteigerung entstanden.

2. Diese Entwicklung ist nicht zu beanstanden, solange die Anbieter von Premium-SMS-Produkten gegenüber den Nutzern höchstmögliche Transparenz bezüglich des Anbieters sowie der Kosten, der Dauer und der Art des Angebots (Abo, mehrfach hochtarifierte Kurznachrichten u. a.) und insgesamt Rechtssicherheit gewährleisten.

3. Der Bundesgesetzgeber wird aufgefordert in der Novelle der Verordnungen zum Telekommunikationsgesetz eine Sperrverpflichtung für Premium-SMS in Anlehnung an die Regelung für Sprachtelefoniedienste zu verankern sowie für eine gesetzliche Regelung zu sorgen, die die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post in die Lage versetzt, bei Missbrauch von Premium-SMS einzugreifen.

Helmut Zorell
Pressesprecher