Redemanuskript Peter Hofelich
Gesetz über die Feststellung des Staatshaushaltsplans von Baden-Württemberg für die Haushaltsjahre 2020/21

am 18. Dezember 2019

Sehr geehrte Frau Präsidentin,

liebe Kolleginnen und Kollegen,

die vergangenen Wochen der Haushalts-Einbringung und –Beratung haben einen Haushalt des Landes Baden-Württemberg, eines ‚Staates‘, für 2020 und 2021 gezeigt, der viel Geld und wenig Gestaltungswillen hatte. 15 Monate vor der Landtagswahl geht es eben nicht mehr um eine gemeinsame Richtung, sondern um jeweilige parteiegoistische Marschrichtung.

Aber eigentlich war es ja – haushalterisch betrachtet – seit 2016 nie anders. Wer in der komplementären Koalition zweier konservativer Parteien mit Nebenabsprachen beginnt, der wird auch irgendwann zwangsläufig mit gambischen Bienen enden.

Auch wenn es nicht viele schreiben, erleben tun wir es alle: Wir leben in unserem stolzen Land zunehmend in byzantinischen Verhältnissen! Dass dafür die Person des Ministerpräsidenten ursächlich ist, ist offenkundig. Er präsidiert, statt zu regieren. Und darunter breiten sich die politischen Biotope aus. Man muss sich nur diesen Haushalt anschauen.

Und wo er regiert, macht er es präsidial. Das Staatsministerium zieht die interessanten Themen an sich, unter dem natürlich unschlagbaren Vorwand der Querschnittsthematik. Siehe Zukunft des Automobils. Siehe Künstliche Intelligenz.

In den USA ist er auf den Geschmack gekommen: Er ist der ‚Governor‘. Der Rest ist Mangelwirtschaft und bei den Ressorts: Unterrichtsausfall, Wohnungsmangel, Arbeitsplatzrisiko. Die Liste ist lang.

Es ist aber die Liste der Lebenswirklichkeit der Baden-Württemberger. Aber das schert die konservative Koalition nicht. Grün-Schwarz schwimmt im Geld. Doch ganz in konservativer Tradition lindert die Regierung, aber sie löst nicht.

Dies, Kolleginnen und Kollegen, ist das ‚Netto‘ dieses heute endgültig zu beschließenden Haushalts. Grün-Schwarz hat Geld der Bürger, aber keine Lösungskompetenz für die Bürger. Unsere SPD-Fraktion hat Rückschau und Ausschau zum Doppelhaushalt gehalten. Hier sind in drei unserer Standpunkte:

Erstens: das Haushaltsverfahren

Unser Vorsitzender des Finanzausschusses hat es bereits ausgesprochen und Veränderungen angemahnt: Eingehende Regierungs-Anträge bis kurz vor Mitternacht des nächsten Ausschusstages, gedrängte Beratungen eigentlich nicht genügend vorbereitbarer Haushalts-Sachverhalte, Anträge der Regierungsfraktionen, die längst in den Haushaltsentwurf hätten eingearbeitet werden können, ich füge hinzu: eine Debattenkultur der Regierungsfraktionen, die nicht argumentiert, sondern schweigt und dann exekutiert, eine Finanzministerin, die nicht interveniert und begründet, sondern passiv verfolgt, das ist nicht hinnehmbar. Die Beratungen des Haushalts 2020/21 Baden-Württemberg markieren einen Tiefpunkt im Königsrecht des Parlamentes.

Dazu kommen rechtlich und politisch fragwürdige Grenzüberschreitungen. Nehmen wir den Begriff der Fraktionsgelder. Über Jahre hinweg die verbrämte Gelegenheit für Regierungsfraktionen, mit geringen Haushaltsspielräumen noch im Entwurf Versäumtes auszubügeln. Heute bei Grün-Schwarz eine quasi institutionelle eigene Haushalts-Stelle.

Originaltext Stuttgarter Nachrichten vom 10.12.: „Aus der Fraktionskasse spendiert die CDU-Fraktion nun zwei Millionen für den Schwimmunterricht“. Originalton aus dem Kreistag meines Heimatkreises zur Mitfinanzierung eines Geoparks: „Die Regierungsfraktionen von CDU und Grünen haben uns brieflich die Finanzierung über Fraktionsmittel zugesagt. Dafür sind wir sehr dankbar. Der Landtag wird dies dann abschließend beschließen“. Auf den Punkt gebracht: Der Verstoß wird durch stilles Einverständnis zur Regel. Weitere Beispiele ließen sich anfügen, insbesondere das Anhäufen von nicht näher bestimmten oder beschlossenen Reserven für künftige Wohltaten. Das Durchstechen von Kabinettsvorlagen, wodurch die Öffentlichkeit morgens aus der Zeitung mehr erfährt als das Parlament. Wir haben eine Verwilderung der Sitten in der Ordnung unseres Haushaltes, die zum Himmel schreit!

Und das Ganze in einem indiskutablen Prozedere: Würde die Landtagsverwaltung die Oppositionsfraktionen nicht pro-aktiv informieren, wären wir oft parlamentarisch gar nicht beratungsfähig.

Zweitens: der Umgang mit unserer kommunalen Selbstverwaltung

Deutschland ist 1945 von unten nach oben aufgebaut worden. Erst der Überlebenswille der Menschen und ihre Selbsthilfe, dann die kommunale Selbstverwaltung, dann die Staatlichkeit der Länder in den Besatzungszonen, dann die Bundesrepublik. Von unten nach oben. Nicht andersrum.

Der Ministerpräsident und die Finanzministerin haben das offenbar vergessen. Herr Kretschmann beschwert sich über Einflussnahmen des Bundes, er führt aber die Gemeinden unseres Landes am grünen Gängelband. Die kühle Obrigkeitsattitüde, mit welcher seitens der Landesregierung in Verhandlungen mit den Kommunen agiert wird, zuletzt in der gemeinsamen Kommission, hat nun aber auch gar nichts mit der selbstverwaltenden und freiheitlichen DNA unseres Bundeslandes zu tun.

Zu den nun ‚auf den letzten Drücker‘ vorgelegten und heute abzustimmenden Ergebnissen der gemeinsamen Finanzkommission haben wir deshalb eine sehr klare Position: Wir begrüßen alle erzielten Fortschritte. Sie sind auf Druck der kommunalen Seite und der SPD entstanden. Die Regierung Kretschmann und deren wortkarge Finanzministerin konnten ihre eigene ‚finale‘ Haltelinie nicht halten. Zurecht.

Wir fordern den Sozialminister aber auf, beim BTHG für die freien Träger die 15 Millionen Euro, für die er sich bei der Kundgebung feiern ließ, auch bereitzustellen und nicht bloß die plötzlich nur nachgeschobenen vier Millionen Euro. Hierzu haben wir selbstverständlich einen entsprechenden Antrag gestellt.

Wir fragen uns auch, was wir von der jetzt angekündigten Einführung eines Flächenfaktors bei den Kommunen halten sollen. Hier scheint der Weg vom Koalitionsvertrag über fraktionsinterne Papiere und die Presse bis zur hektischen Regelung am Gesetzgeber Landtag schnurstracks vorbei zu führen. Ein erneuter Stilbruch und Regelverstoß. Für heute kann ich sagen: es gibt nichts Abstimmungsfähiges. Da kann man sich ja nur enthalten.

Wir sind aber auch der Meinung, dass den Kommunen endlich wieder mehr vom Kuchen, der allerweilen verteilt wird, abzugeben. Und zwar ganz ohne neue Instrumente, die es nicht benötigt, sondern schlichtweg über eine höhere Zuführung für alle – flächenmäßig große wie kleine Kommunen. Hier eine Spaltung zu betreiben ist eindeutig das falsche Signal.

Gerne aber auch was zum – halbwegs erkennbaren – Inhalt: Die SPD-Landtagsfraktion ist im Rahmen regionaler Strukturpolitik für Hilfen benachteiligter Gebiete. Das Auseinanderdriften von Lebenswirklichkeiten und deren kommunale Gegenfinanzierung beschränkt sich aber nicht auf die Kriterien ‚Ländlicher Raum‘ und ‚Fläche‘. Eine strukturschwache Kommune am Rande eines Verdichtungsraums kann ebenso hilfsbedürftig sein, wie eine Kommune im ländlichen Raum mit großem Feldwege- oder Straßennetz. Ganz zu schweigen von der lokalen Wirtschaftskraft. Grün-Schwarz hat leider einen ‚Tunnelblick‘ für den ländlichen Raum, der bei weitem nicht die ganze Lebenswirklichkeit Baden-Württembergs darstellt. Deshalb: Ja zur Hilfe, nein zur Gießkanne!

Es ist halt so: wenn schon die Grünen die Linien der Politik bestimmen und die CDU dabei schleichend domestizieren, dann will die CDU halt wenigstens die ein oder andere Trophäe zum Vorzeigen für ihre verunsicherte Wählerschaft. Sie werden verstehen: wir assistieren dabei nicht! Wir helfen lieber konkret.

Generell gilt:Die Haltung zu Anliegen der Lebenswirklichkeit, wie etwa zur Dynamisierung der Mittel für Schulsozialarbeit, zeigt, dass die Regierung Kretschmann konservativ abwehrt, statt progressiv gestaltet. „Wie der Herr so’s Gscherr“.

Drittens: die Projekte

Der Haushalt wird heute mit den Stimmen von Grün-Schwarz beschlossen. Die Opposition kann normalerweise konstatieren, dass nie ein Haushalt ohne ein Ja zu einem Oppositionsantrag den Plenarsaal verlassen hat – aber diesmal sieht es so aus. Grün-schwarzes Dominanz-Gehabe. Lieber reicht man für die dritte Lesung noch Anträge eilig nach. Beispiel: Flächenfaktor – Kein Konzept, kein Warum jetzt.

Umgekehrt wissen wir heute schon, dass Grün-Schwarz mit ihren von den Bürgern verliehenen Geld-Reserven in den nächsten 15 Monaten noch manches nachholen wird, was sie jetzt bei der fehlenden Zustimmung zu Oppositionsanträgen versäumt hat: für Alltags-Mobilität mit einem 365 Euro Ticket mehr zu tun, für Weiterbildung im Strukturwandel mit einem Fonds für kleine und mittlere Unternehmen mehr zu tun, für die Tages- und Kurzzeitpflege – keineswegs ‚old school‘, sondern ‚basic‘ – mehr zu tun, und so weiter. Es wäre ein gutes Gefühl für Grün-Schwarz: dann sind sie mal richtig nah dran an der Lebenswirklichkeit in unserem Lande!

Meine Damen und Herren, die Jahre des Überflusses erleben grün-schwarz nicht nur zerstritten und nebeneinander her lebend, sondern sie haben sie auch träge gemacht. Mit dem Doppel-Haushalt 2020/21 werden Chancen liegen gelassen, anstatt die Chancen für unser Land zu nutzen. Korrigieren können das wohl nur die Wählerinnen und Wähler.

Für uns als SPD bleibt, den Finger in die Wunde zu legen und auch weiterhin alles für dringend notwendige Korrekturen zu tun.

Zum Wohle unseres Landes!

Es gilt das gesprochene Wort.

Ansprechpartner

Max Yilmazel
Berater für Finanzpolitik, Europa und Internationales