Fraktionschef Claus Schmiedel: „Die SPD wird die große Benachteiligung der Realschüler, die von Schwarz-Gelb betrieben wurde, beenden“

Bildungsexperte Zeller: „Die Realschüler müssen es büßen, dass die Gymnasiasten beim G 8 so viele Probleme haben“

GEB-Vertreterin Sabine Leber-Hoischen: „Wir Eltern wollen, dass der Übergang von der Realschule an das berufliche Gymnasium garantiert wird“

Die SPD-Fraktion hält es nicht mehr für hinnehmbar, dass die Realschüler im Land weiterhin so benachteiligt werden wie bisher. Die Landesregierung habe mit relativ wenig Erfolg versucht, die Situation an Hauptschulen und Gymnasien zu verbessern. Leidtragende seien die Realschulen, die vor allem die Probleme des achtjährigen Gymnasiums zu spüren bekämen. „Die Landesregierung betreibt eine so schludrige Bildungspolitik, dass die eine Schulart die Probleme der anderen auszubaden hat“, erklärt Fraktionschef Claus Schmiedel. Die SPD wolle als künftige Regierungspartei dafür sorgen, dass auch die Realschüler endlich zu ihrem Recht kämen. So sei es nicht akzeptabel, dass sie mit einer deutlich schlechteren Lehrerversorgung zurechtkommen müssten als Haupt- und Werkrealschüler sowie Gymnasiasten. Dass CDU und FDP zudem noch dazu bereit seien, die Hausaufgabenbetreuung von Hauptschülern und Gymnasiasten zu finanzieren, Realschüler aber außen vor zu lassen, mache ihren geringeren Stellenwert bei der Landesregierung deutlich. Es überrasche da nicht mehr, dass der Unterrichtsausfall bei den Realschulen höher sei als bei anderen Schularten und sogar noch ansteige. „Die SPD wird die große Benachteiligung der Realschüler, die von Schwarz-Gelb betrieben wurde, beenden“, betont Schmiedel.

Die Sozialdemokraten unterstützten deshalb die Realschul-Eltern, die gegen diese Situation aufbegehren. So haben sich die Gesamtelternbeiräte (GEB) von Mannheim, Heidelberg und Stuttgart in offenen Briefen an ihre Gemeinderäte sowie an die Kultusministerin gewandt. „Wir Eltern wollen, dass die Rahmenbedingungen an den Realschulen besser werden“, sagt Sabine Leber-Hoischen, Vorsitzende des Arbeitskreises Realschulen innerhalb des GEB Mannheim. Und: „Die Landesregierung muss sich endlich auch für eine Qualitätssicherung an den Realschulen einsetzen.“

Realschulen platzen aus allen Nähten und werden benachteiligt

Die Hauptprobleme der Schulart lassen sich vor allem an den großen Klassen und an der Lehrerversorgung festmachen. Angesichts eines stabilen Anteils von rund einem Drittel der Schüler beim Übergang von der Grundschule sei in naher Zukunft mit keinem großen Rückgang bei der Zahl der Realschüler zu rechnen – zumal der Anteil der Jungen und Mädchen, die trotz Gymnasialempfehlung eine Realschule besuchen, ansteige. Erschwerend komme hinzu, dass die Realschulen einen großen Anteil an Schülern aufnehmen müssten, die das G 8 nicht bewältigen könnten. In Mannheim zeige sich diese Entwicklung beispielhaft. An den dortigen Gymnasien ist die Zahl der Schüler desselben Jahrgangs vom fünften bis zum zehnten Schuljahr um 9 Prozent gesunken. Demgegenüber stieg die Zahl der Jungen und Mädchen eines Jahrganges an den Realschulen zwischen dem fünften und neunten Schuljahr um 28 Prozent an. „Die Realschüler müssen es büßen, dass die Gymnasiasten beim G 8 so viele Probleme haben“, sagt Norbert Zeller, Vorsitzender des Schulausschusses des Landtags. Zudem gebe es einen kräftigen Wechsel von Klasse sechs der Hauptschule auf die Realschule. Dadurch gebe es ein doppeltes Ergebnis dieser Entwicklungen: Die Zahl der Schüler steigt und die großen Klassen bleiben bestehen: „Die Realschulen platzen aus allen Nähten“, sagt Sabine Leber-Hoischen.

Frappierend sei, dass die Realschule trotz dieser Belastung keinerlei Ausgleich erhalte, im Gegenteil. Das zeige nicht nur die erneute Zunahme ausgefallener Stunden. Sie beträgt im laufenden Schuljahr umgerechnet 1000 Schulstunden pro Realschule, während es im Jahr zuvor noch rund 800 Stunden waren. Hinzu komme, dass die Realschulen auch noch am schlechtesten mit Lehrern ausgestattet sind. Sie erhalten 1,32 Lehrerwochenstunden pro Schüler, die Gymnasien 1,49 und die Hauptschulen sogar 2,05. Das führt letztlich dazu, dass an den Realschulen erheblich weniger Unterricht erteilt wird. Zwischen den Klassen fünf bis zehn umfasst die Kontingentstundentafel an den Realschulen 179 Stunden, an der Werkrealschule aber 201 und an den Gymnasien sogar 204 Stunden. Die Kontingentstundentafel gibt jeweils die Gesamtstundenzahlen für den Zeitraum von sechs Schuljahren vor. Das bedeutet vor allem, dass die Realschulen fast ohne ergänzenden Unterricht auskommen müssten, also etwa mit wesentlich weniger Arbeitsgemeinschaften in Sport, Musik und Kunst. „Diese Situation an den Realschulen, die von den Eltern seit längerem kritisiert wird, ist nicht mehr hinnehmbar“, erklärt Fraktionschef Schmiedel. Die SPD unterstützt deshalb auch die Forderungen der drei GEBs, den Realschulen ebenso mehr Klassenlehrerstunden zuzuweisen wie auch ein festes Kontingent für themenorientierte Projekte.

Auch inhaltlich müssten die Realschulen mit großen Problemen fertig werden, die von der Landesregierung erzeugt worden seien. Viele Pädagogen fühlten sich etwa bei den neuen Fächerverbünden allein gelassen. Beispiel Naturwissenschaftliches Arbeiten, NWA. Das müsse an den Schulen unterrichtet werden, obwohl es keine spezielle Ausbildung der Lehrer und noch nicht einmal eine gute Einführung dafür gebe. Selbst die bisherige Fortbildung dafür wird von den Betroffenen als „kümmerlich“ bezeichnet. Die Folge: Beim Unterricht bestehe die Gefahr, dass ein Pädagoge sein Spezialfach Physik, Chemie und Biologie besonders überbewertet. Teilweise würde NWA auch von mehreren Pädagogen unterrichtet, womit der Sinn eines Verbundes kaum zu erfüllen sei. Die SPD kritisiert auch den Fächerverbund EWG (Erdkunde-Wirtschaftskunde-Gemeinschaftskunde). Gerade Gemeinschaftskunde müsse als Fach mit Verfassungsrang eigenständig geführt werden, um unsere Demokratie den Schülern erfahrbarer und verständlicher zu machen.

Individuelle Förderung an Realschulen besonders wichtig

Bei der Art des Lernens erwartet die SPD ebenfalls deutliche Veränderungen und vor allem die breite Einführung der individuellen Förderung. Zeller hält dies schon deshalb für wichtig, da die Realschule überaus heterogene Schülergruppen umfasse. Dies zeige schon der angesprochene starke Übergang von Hauptschülern und Gymnasiasten. Zudem verfügten bis zu 30 Prozent der Realschüler über eine Gymnasialempfehlung ihrer Grundschulen. „Individualisierte Lernformen sind an der Realschule besonders wichtig, um auf die Bedürfnisse jedes einzelnen Schülers eingehen zu können“, sagt Zeller. Dadurch sei es nicht nur möglich, die unterschiedlichen Begabungen aller Jungen und Mädchen zu fördern. Es werde auch verhindert, sie bei Problemen in Einzelfächern sitzenbleiben zu lassen oder in andere Schularten abzuschieben.

Diese Lernform hält Zeller am besten an echten Ganztagsschulen für umsetzbar. Dafür müsse aber die baden-württembergische Form einer „Ganztagsschule light“ mit geringem pädagogischem Ansatz in Stufen zu einer wirklichen Ganztagseinrichtung umgebaut werden. Voraussetzung dafür sei, ausreichend Lehrerstunden zur Verfügung zu stellen. „Das Selbstlob der Landesregierung bei den Ganztagsschulen ist angesichts der Realität in diesen Einrichtungen und der notwendigen Weiterentwicklung nur noch peinlich“, erklärt Zeller. Bisher würde Realschulen allerdings die Umformung zur Ganztagsschule erschwert, da angesichts der großen Schülerzahl häufig schlicht der Platz dafür fehle – etwa für Sporteinrichtungen, neue Arbeitskreise oder sogar Elterngespräche. Die SPD befürwortet auch deshalb, dass Hauptschulen einen echten Realschulabschluss anbieten könnten. Damit könnten Realschulen entlastet werden, ohne die Kommunen zu stark finanziell zu fordern.

Darüber hinaus will die SPD den Realschulen künftig die Möglichkeit geben, ein Gymnasialangebot in integrierter Form und zusätzlich eine Sekundarstufe II anzubieten. Damit wären auch unterschiedliche Abschlüsse möglich. Somit hätten Realschulen künftig eine Perspektive hin zu einer integrierten Schule, die alle Schüler umfasst. Die SPD nimmt die bestehenden Verbundschulen im Land als Beispiel. Dabei gebe es in 41 Fällen eine einzige Schulleitung für Grundschule, Hauptschule und Realschule zusammen, in einem Fall auch mit einem Gymnasium. Zudem können die Lehrer von einer weiterführenden Schulart zur nächsten wechseln. Selbst die Landesregierung sieht hier teilweise eine „ganz enge Verzahnung“. „Dass die Landesregierung sich dennoch dagegen sperrt, wenigstens den Realschulabschluss an Hauptschulen anzubieten, ist nur noch aus ideologischen Gründen erklärbar“, sagt Schmiedel.

Dass eine integrierte Schule mit allen Abschlüssen den Bedürfnissen der Jungen und Mädchen besser entsprechen würde, zeigt für die SPD auch der angesprochene starke Wechsel an die Realschule. „Die frühe Aufteilung der Schüler nach der vierten Klasse auf die weiterführenden Schulen macht keinen Sinn“, betont Zeller. Schließlich sei auch ein möglicher Wechsel von den Realschulen an Gymnasien während der Schulzeit heute kaum mehr denkbar, vor allem wegen der zweiten Fremdsprache spätestens ab Klasse sechs an den Gymnasien und wegen der neuen Fächerverbünde an beiden Schularten. Damit sei die von der Landesregierung behauptete Durchlässigkeit zwischen den Schularten lediglich Theorie.

Wechsel an berufliches Gymnasium muss möglich sein

Um nach der Mittleren Reife einen sicheren Weg zum Abitur zu gewährleisten, fordern SPD wie Gesamtelternbeiräte, den Wechsel an ein berufliches Gymnasium grundsätzlich zu ermöglichen. Der bisher offiziell festgelegte Notendurchschnitt von 3,0 für einen Übergang in Klasse 11 werde von vielen Einrichtungen nicht eingehalten. Manchmal werde sogar ein Schnitt von besser als 2,5 verlangt. Deshalb hätten viele Realschüler keine Chance, das Abitur an einem beruflichen Gymnasium absolvieren zu können – selbst wenn sie die Voraussetzungen dafür erfüllten. Dass die Landesregierung nach langem Gegenhalten jetzt wenigstens zusätzliche Klassen an den beruflichen Gymnasien einrichten wolle, sei zwar löblich, reiche aber nicht aus. „Die Kultusministerin hat hier zwar ihre begrenzte Lernfähigkeit bewiesen, aber der Fortschritt bei ihr ist wie immer eine Schnecke“, sagt Zeller.

Die Elternvertreter wollen deshalb, dass Realschüler mit dem entsprechenden Notendurchschnitt künftig problemlos wechseln können, wen sie wollen: „Wir Eltern wollen, dass der Übergang von der Realschule an das berufliche Gymnasium garantiert wird“, sagt GEB-Vertreterin Sabine Leber-Hoischen. Die Sozialdemokraten wollen den Realschülern dafür einen Rechtsanspruch einräumen: „Die SPD wird dafür sorgen, dass Realschüler auf jeden Fall ein Abitur ablegen können, wenn sie die Voraussetzungen dafür erfüllen“, betont Schmiedel.

Stuttgart, 7. Januar 2011
Dr. Roland Peter
Pressesprecher