MdL Ulla Haußmann: „Maßnahmen gegen schwarzen Schafe dürfen nicht auf die lange Bank geschoben werden“

SPD fordert von Sozialminister Repnik entschlossenes Einschreiten, statt vor der Ärztelobby zu kuschen

In Baden-Württemberg versuchen einzelne Kieferorthopäden immer noch, Kassenpatienten zur privaten Abrechnung der ärztlichen Leistungen zu drängen, um so die für die Ärzte finanziell weniger attraktive Abrechnung über die Chip-Karte der Krankenkassen zu umgehen (siehe Fallbeispiele in der Anlage). Dies ist aus Sicht der Landtags-SPD ein unhaltbarer Zustand, der nach den Worten der sozial- und gesundheitspolitischen Sprecherin der Fraktion, Ulla Haußmann, nicht länger hingenommen werden darf.

Ulla Haußmann: „Obwohl dieses Verhalten eindeutig rechtswidrig ist und disziplinarrechtliche und sogar strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann, ist es bisher weder den Kassenzahnärztlichen Vereinigungen (KZVen) noch dem für die Rechtsaufsicht zuständigen Sozialminister gelungen, diese rechtswidrige und patientenfeindliche Praxis zu unterbinden.“

Es sei an der Zeit, so die SPD-Gesundheitspolitikerin, dass der Sozialminister seine zögerliche Haltung aufgebe und die KZVen im Land nun zu einem entschlossenen Einschreiten veranlasse: „Maßnahmen gegen schwarze Schafe dürfen nicht auf die lange Bank geschoben werden.“ Bisher, so Haußmann, habe der Landessozialminister lediglich eine allgemein gehaltene ‚aufsichtsrechtliche Überprüfung’ eingeleitet und die KZVen aufgefordert, über das Veranlasste zu berichten.

Haußmann warf Repnik in diesem Zusammenhang Verzögerungstaktik zulasten der Patienten im Land vor. „Diese Missstände bestehen seit nunmehr drei Monaten. Es ist völlig unakzeptabel, dass wiederum Wochen vergehen, bevor das Sozialministerium überhaupt die Frage überprüft, ob weitergehende Schritte veranlasst werden müssen.“ Im Interesse der Patienten müsse jetzt schnell gehandelt werden.

Ulla Haußmann: „Es reicht offenkundig nicht aus, dass die KZVen in Rundschreiben auf die Rechtslage hinweisen. Der Sozialminister muss unverzüglich dafür sorgen, dass angesichts der andauernden Falschinformation der Patienten gezielt gegen die schwarzen Schafe unter den Kieferorthopäden im Land vorgegangen wird.“

Haußmann äußerte den Verdacht, dass die zögerliche Haltung des Landessozialministers politische Gründe hat: „Obwohl Repnik als Koordinator der unionsgeführten Bundesländer das gemeinsam von Union, SPD und Grünen beschlossene Gesundheitsmodernisierungsgesetz maßgeblich mit zu verantworten hat, ist er seit dem Inkrafttreten der Neuregelungen zum Jahresanfang gesundheitspolitisch komplett abgetaucht.“ Offenkundig scheue er die Auseinandersetzung mit der Ärzte-Lobby. Es sei bezeichnend, dass der Minister, der noch im Sommer die Einigung zwischen Union, SPD und Grünen in Pressemitteilungen ausdrücklich begrüßt habe, bei der in der Öffentlichkeit auf Kritik gestoßenen Praxisgebühr nun völlig abgetaucht sei.

Ulla Haußmann: „Es waren die Unionsparteien, die im Rahmen der Konsensgespräche diese generelle Praxisgebühr durchgesetzt haben. Die SPD hatte ein Modell befürwortet, bei der keine Praxisgebühr angefallen wäre, wenn der Patient zunächst seinen Hausarzt konsultiert hätte, das so genannte Hausarztmodell.“ Es wäre deshalb ein Gebot der politischen Redlichkeit, wenn sich der Landessozialminister in dieser Frage nicht weiter feige hinter der Bundesregierung verstecken würde.

Ergänzende Informationen
Das Gesundheitsmodernisierungsgesetz räumt den Versicherten ein Wahlrecht zwischen der so genannten Kostenerstattung, bei der die Behandlungsrechnung vom Versicherten direkt an den Arzt bezahlt wird, und der Behandlung mit der Chip-Karte ein. Seit dem Inkrafttreten dieser Neuregelungen versuchen einzelne Ärzte im Land, insbesondere Kieferorthopäden, Krankenversicherte in die Kostenerstattung zu drängen. Bei dieser Kostenerstattung rechneten sie dann zu den in der Regel höheren Sätzen der privatzahnärztlichen Gebührenordnung (GOZ) ab.

Der SPD-Landtagfraktion liegen Antragsformulare aus Kieferorthopädie-Praxen vor, in denen die Kieferorthopäden dies wahrheitswidrig als ‚neuen Zahlungsweg’ darstellen und den Eindruck zu erwecken versuchen, das Gesetz schreibe diesen Zahlungsweg zwingend vor. Dies ist eine bewusste Irreführung, weil verschwiegen wird, dass der Patient ein Wahlrecht hat.

Verschwiegen wird auch, dass die Kostenerstattung für die Versicherten ein erhebliches finanzielles Risiko darstellen kann. Die Krankenkassen verlangen bei der Kostenerstattung für den Verwaltungsaufwand und die fehlenden Wirtschaftlichkeitsprüfungen der erbrachten Leistungen einen Abschlag. Der Abschlag ist je Kostenerstattungsfall und pro Behandlungsfall anzusetzen. Das bedeutet im Bereich der kieferorthopädischen Behandlung, dass nach jeder Einreichung der Quartalsabrechnung bei der Krankenkasse dieser Abschlag vom Erstattungsbetrag abzuziehen ist. Je nach Satzungsregelung kann er beispielsweise, wie der Landesverband der Betriebskrankenkassen mitgeteilt hat, 7,5 Prozent des Erstattungsbetrages betragen. Die Obergrenze beträgt je Erstattungsfall höchstens 50 Euro. Unter Zugrundelegung dieser Beträge kann der Versicherte letztendlich mit mehreren 100 Euro belastet werden.

Nach der neuen Gesetzeslage können Versicherte zudem Kostenerstattung nicht ausschließlich für kieferorthopädische Leistungen wählen. Die Versicherten müssen sich mindestens für ein Jahr auf das Verfahren zur Kostenerstattung für alle ambulanten medizinischen Behandlungen festlegen.

Die Kassen weisen ausdrücklich darauf hin, dass sich kein gesetzlich Krankenversicherter zur Privatabrechnung nötigen lassen muss. Die Versicherten haben Anspruch auf Behandlung und Abrechnung per Versichertenkarte.

Anlage: Typische Fälle rechtswidriger Praktiken

Fall 1: Leinfelden-Echterdingen
Herr Dr. X informiert seine Patienten dahingehend, dass der nächste Termin erst nach Wahl der Kostenerstattung und Vorliegen der entsprechenden Kostenerstattungserklärung vereinbart werden könne. Bei Wahl der Sachleistung können – von Notfällen abgesehen – die nächsten Termine erst dann wieder vergeben werden, wenn ein Überblick über die von der Krankenkasse für das Jahr zur Verfügung stehenden Mittel bestünde. Außerdem wird der Versicherte bei der Wahl der Sachleistung darüber informiert, dass dies eine Einschränkung der Behandlungsqualität und -möglichkeit bedeutet.

Fall 2: Ditzingen
Von der Praxis wird die Aussage getroffen, dass nur bei Kostenerstattung eine schonende Behandlung erfolge. Des Weiteren wird es abgelehnt, mit festsitzenden Apparaturen zu arbeiten, obwohl diese grundsätzlich Bestandteil der vertragszahnärztlichen Versorgung sind. Dies sei nur dann möglich, wenn die Kostenerstattung gewählt wird oder eine Privatvereinbarung erfolge.

Fall 3: Ludwigsburg
Der Patient bekommt für die Beratung durch die Krankenkasse einen Fragebogen ausgehändigt. Die darin gestellten Fragen sind nicht geeignet, die Diskussion zu versachlichen. Dem Vertragszahnarzt obliegt es, seinen Pflichten im Rahmen der kieferorthopädischen Behandlung nachzukommen. Die Ausstellung eines Fragebogens und die damit verbundene Verunsicherung der Versicherten gehören nicht zu seinem Aufgabengebiet.

Fall 4: Eislingen
Gegenüber den Patienten wurde die Aussage getroffen, dass eine Behandlung mit Krankenversichertenkarte nicht möglich sei, da auf diesem Wege keine optimale Behandlung erreicht werden könne. Der vom Gesetzgeber vorgegebene Behandlungsspielraum sei zu eng. Insofern handelt es sich hier um eine Verweigerung der Behandlung zu Vertragssätzen.

Fall 5: Sindelfingen
Den Patienten wird mitgeteilt, dass ab Januar 2004 nur noch eine Behandlung im Rahmen der Kostenerstattung erfolgen soll. Dass eine Wahl der Kostenerstattung nur für den gesamten Bereich der ambulanten Behandlung bzw. zusätzlich noch für stationäre Leistungen erfolgen muss, wird nicht erwähnt.

Der Patient kann wählen, ob er als „Privatpatient“ oder im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung behandelt werden will. Bei Wahl als Privatpatient erhält er einen privaten Behandlungsplan. Die Leistungen sollen dann zu Vertragssätzen umgerechnet werden. Des Weiteren wird der Patient angehalten, Zusatzleistungen zum monatlichen Preis von 37,65 EUR für die Dauer von 3,5 Jahren zu vereinbaren. Hierfür fallen dann Kosten in Höhe von 1.581,30 EUR an.

Weitere Berichte
Berichten von Versicherten gegenüber ihren Krankenkassen zufolge werden nur dann Nachmittags-/Abendtermine vergeben, wenn die Zusatzleistungen gewählt wurden. Ansonsten bekommen die schulpflichtigen Kinder nur morgens einen Behandlungstermin. Die Nachmittagstermine seien für die „Privatpatienten“ reserviert. Die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung seien mit der Schulnote 4 und somit als „ausreichend“ zu bewerten.

Im Rahmen von Informationsabenden in der Praxis wurden den Patienten schiefe und krumme Zähne gezeigt und dies als „Kassenergebnis“ bezeichnet. Nur mit entsprechenden Zusatzleistungen könne der Behandlungserfolg garantiert werden.

Helmut Zorell
Pressesprecher