MdL Frieder Birzele: „Namhafte Verfassungsrechtler, darunter zwei ehemalige Bundesverfassungsrichter, geben der SPD im Streit um das Kopftuchverbot in Kindergärten recht“

CDU und FDP sollen ihren Gesetzentwurf zurückziehen

Die SPD-Landtagsfraktion hat jetzt für ihren Gesetzentwurf zum Kopftuchverbot in öffentlichen Kindergärten prominente Unterstützung durch drei renommierte Verfassungsrechtler erhalten, darunter zwei ehemalige Bundesverfassungsrichter. Der frühere Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Prof. Dr. Ernst Gottfried Mahrenholz, der frühere Richter am Bundesverfassungsgericht, Prof. Dr. Ernst-Wolfgang Böckenförde und der angesehene Staats- und Verwaltungsrechtler Prof. Dr. Matthias Jestaedt von der Universität Erlangen-Nürnberg bescheinigen dem Gesetzentwurf der SPD-Landtagsfraktion, er sei unzweifelhaft verfassungsgemäß. Sie vertreten in ihrer Expertise nach den Worten von Landtagsvizepräsident Frieder Birzele darüber hinaus sogar die Auffassung, dass der in dem SPD-Gesetzentwurf vorgesehene „Erlaubnisvorbehalt“ verfassungsrechtlich geradezu geboten sei.

„Ihr Gesetzentwurf ist nicht nur verfassungsrechtlich einwandfrei, erst ist darüber hinaus meines Erachtens aus Gründen der kommunalen Selbstverwaltung verfassungsrechtlich geboten.“ (Prof. Mahrenholz, Vize-Präsident des BVerfG a.D.)

„§ 7 a Abs. 1 Satz 4 Ihres Gesetzentwurfs, wonach der Kindergartenträger eine an sich verbotene Bekundung auf Antrag zulassen kann, wenn und solange das Verhalten der Fachkraft im Einzelfall eine die Neutralität und den Frieden in der Einrichtung wahrende Einstellung erkennen lässt und der Frieden in der Einrichtung nicht gefährdet oder gestört wird, ist verfassungsrechtlich zulässig und bedenkenfrei. Es gibt darüber hinaus gute Gründe, ihn auch für verfassungsrechtlich geboten zu halten.“ (Prof. Böckenförde, Richter des BVerfG a.D.)

„Die Bestimmung des § 7a Abs. 1 Satz 4 KiGaG-E (SPD) ist nicht verfassungswidrig. Sie ist im Gegenteil – gleichsam als flankierende Maßnahme – von Verfassungs wegen erforderlich, um dem für den Regelfall angestrebten generellen Kopftuchverbot Bestand vor der (Bundes- wie Landes-)Verfassung zu geben.“ (Prof. Jestaedt von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg)

Die renommierten Juristen widersprechen damit klar und eindeutig der Position der Landesregierung. Unter Berufung auf eine Stellungnahme des Tübinger Hochschullehrers Prof. Dr. Ferdinand Kirchhof haben CDU und FDP einen eigenen Gesetzentwurf zum Verbot von Kopftüchern in Kindergärten ohne jede Ausnahmeregelung eingebracht. Der Gesetzentwurf der SPD, so die Behauptung, sei wegen des Erlaubnisvorbehalts nicht verfassungskonform. Diese von Landesregierung, CDU- und FDP-Fraktion und von Prof. Kirchhof vertretene Position des „Alles-oder-Nichts“: entweder vollständiges Verbot oder vollständige Freigabe des Tragens religiöser, weltanschaulicher oder politischer Symbole, weisen Mahrenholz, Böckenförde und Jestaedt als Fehlinterpretation zurück. Diese Rechtsposition beruhe „auf einer Missdeutung der Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts“, schreibt in aller Deutlichkeit Prof. Jestaedt.

Aufgrund der jetzt vorliegenden Stellungnahmen der drei Verfassungsrechtler Mahrenholz, Böckenförde und Jestaedt müssten CDU und FDP im Landtag die entsprechenden Passagen ihres Gesetzentwurfs zurückziehen und dem Gesetzentwurf der SPD zustimmen, forderte der SPD-Verfassungsexperte Frieder Birzele. Bereits am morgigen Donnerstag werden die in erster Lesung beratenen Gesetzentwürfe der SPD und der Regierungsfraktionen im federführenden Sozialausschuss beraten. Die der SPD zugegangenen Stellungnahmen wurden nach den Worten von Birzele durch ein Schreiben des SPD-Fraktionsvorsitzenden auch den anderen Fraktionen im Landtag, der Landesregierung und den Kommunalen Landesverbänden übermittelt.

Generelles Kopftuchverbot in Kindergärten erfordert Erlaubnisvorbehalt
Die beiden früheren Richter am Bundesverfassungsgericht, Prof. Mahrenholz und Prof. Böckenförde, sowie Prof. Jestaedt von der Uni Erlangen-Nürnberg begründen in ihren Stellungnahmen zum Gesetzentwurf der SPD-Landtagsfraktion ausführlich, warum sie bei einem generellen Kopftuchverbot einen Erlaubnisvorbehalt, also Ausnahmen im Einzelfall unter bestimmten Voraussetzungen, verfassungsrechtlich für erforderlich halten. So schreibt etwa Prof. Böckenförde:

„Gemeinden mit erheblichem Anteil an muslimischen Kindern, wie etwa die Stadt Stuttgart, können ein erhebliches kommunal- und integrationspolitisches Interesse daran haben, Fachkräfte mit Kopftuch, welche die in Satz 4 genannten Voraussetzungen erfüllen, weiterhin zuzulassen bzw. zu beschäftigen, um eine Zusammenführung und Kommunikation muslimischer und anderer Kinder zu fördern und der Gründung eigener islamischer Kindergärten, die rechtlich letztlich nicht verhindert werden könnte, entgegenzuwirken. Ohne die Ausnahmeregelung des Satzes 4 wären diese Gemeinden daran gehindert und dadurch in der eigenverantwortlichen Wahrnehmung ihrer Aufgaben erheblich eingeschränkt.“

Prof. Böckenförde weist darüber hinaus auch auf die Konsequenzen aus EU-Recht hin. Bei einem generellen Verbot müsse auch die Vereinbarkeit mit der Richtlinie 2000/78/EG – Antidiskriminierungsrichtlinie – bedacht werden. Die Frist für die Umsetzung dieser Richtlinie sei im Dezember 2003 abgelaufen. Seither sei sie – auch wenn die gesetzgeberische Umsetzung noch nicht erfolgt sei – für staatliche Stellen und die Träger öffentlicher Verwaltung unmittelbar verbindlich. Deshalb gelte nunmehr über EG-Recht ein Diskriminierungsverbot wegen der Religion. Ein generelles Kopftuchverbot ohne Erlaubnisvorbehalt könne deshalb mit Erfolg angefochten werden:

„Daher spricht viel dafür, dass ein generelles Verbot des islamischen Kopftuchs ohne Rücksicht auf konkrete Gefahren für Neutralität und Frieden im Kindergarten, zumal wenn es mit dem ‚privilegium christianum’ in § 7 Abs. 1 Satz 3 des Entwurfs verbunden ist, dem Diskriminierungsverbot widerspricht und vor dem EuGH mit Erfolg angefochten werden kann.“ (Prof. Böckenförde)

Die Konsequenz: CDU und FDP sollen Gesetzentwurf der SPD zustimmen
Die SPD hatte Anfang November als erste Fraktion im Landtag einen Gesetzentwurf zur Änderung des Kindergartengesetzes (Landtagsdrucksache 13/4803) vorgelegt. Im Hinblick auf das verfassungsrechtlich verbriefte Recht der kommunalen Selbstverwaltung wurde das grundsätzliche Verbot religiöser, weltanschaulicher oder politischer Bekundungen in kommunalen Kindergärten um einen Erlaubnisvorbehalt ergänzt. Danach können die öffentlichen Träger im Einzelfall eine andere Entscheidung treffen, solange das Verhalten der Fachkraft eine die Neutralität und den Frieden im Kindergarten wahrende Einstellung erkennen lässt und der Frieden in der Einrichtung nicht gefährdet oder gestört wird.

Ende November haben dann die Fraktionen von CDU und FDP einen eigenen Gesetzentwurf eingebracht (Landtagsdrucksache 13/4869), der ein striktes Verbot von Kopftüchern in öffentlichen Kindergärten ohne jede Ausnahme vorsieht.

In der bisherigen Beratung der beiden Gesetzentwürfe im Landtag und im Ständigen Ausschuss haben Landesregierung sowie CDU- und FDP-Fraktion, gestützt auf die Stellungnahme von Prof. Kirchhof, den SPD-Gesetzentwurf abgelehnt. Kultus-Staatssekretärin Monika Stolz behauptete in der 1. Beratung im Landtag am 1. Dezember 2005, der Gesetzentwurf der SPD sei „nicht mit der Verfassung und der Verfassungsrechtsprechung vereinbar“.

Zur Klärung der Rechtslage hatte daraufhin die SPD-Fraktion im Ständigen Ausschuss beantragt, die juristischen Sachverständigen, die bereits zum Schulgesetz gehört wurden, auch zu einer Anhörung zu den beiden Gesetzentwürfen zum Kindergartengesetz einzuladen. Dieser Vorschlag wurde von CDU und FDP zurückgewiesen. Daraufhin hat der SPD-Verfassungsexperte Birzele die drei noch nicht zu Wort gekommenen Experten von sich aus angeschrieben und um eine Stellungnahme zur Verfassungsmäßigkeit des SPD-Gesetzentwurfs und zu der rechtlichen Position von Prof. Kirchhof gebeten.

Im Hinblick auf die nun vorliegenden Stellungnahmen der drei renommierten Verfassungsexperten forderte Birzele die Landtagsfraktionen von CDU und FDP auf, die entsprechenden Bestimmungen ihres Gesetzentwurfs zurückzuziehen und in der morgigen Beratung im Sozialausschuss sowie in der 2. Lesung im Landtag Anfang Februar 2006 dem Vorschlag der SPD zuzustimmen.

Frieder Birzele: „Ziel des Landtags muss es sein, ein von vornherein verfassungsgemäßes Gesetz zu beschließen. Diesem Anspruch wird offenkundig nur der Gesetzesvorschlag der SPD gerecht.“

Helmut Zorell
Pressesprecher