SPD-Fraktionsvize Nils Schmid: „Wer einen modernen und leistungsorientierten öffentlichen Dienst will, muss die Beschäftigten mit ins Boot holen“

DGB-Vorsitzender Nikolaus Landgraf: „Mitbestimmen bedeutet Handeln auf Augenhöhe“

BBW-Vorsitzender Volker Stich: „Die Mitbestimmung ist ein Instrument, von dem Dienststellen und Beschäftigte gleichermaßen profitieren“

„Der öffentliche Dienst kann nur mit den Beschäftigten, nicht gegen sie modernisiert werden.“ Dies war der Tenor von SPD-Fraktion, Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB) und BBW – Beamtenbund Tarifunion (BBW) auf einer gemeinsamen Landespressekonferenz zur Dienstrechtsreform der Landesregierung. Der geplante Abbau von Beteiligungsrechten der Personalvertretungen im öffentlichen Dienst stößt auf entschiedenen Widerstand der drei Organisationen. Eine Dienstrechtsreform dürfe die Mitbestimmung der Beschäftigten nicht als Sand im Getriebe begreifen, sondern müsse sie als treibende Kraft für eine leistungsstarke, bürgernahe öffentliche Verwaltung fruchtbar machen, so der gemeinsame Appell an die Landesregierung.

Die Chefs von SPD-Fraktion, DGB und BBW zeigten sich davon überzeugt, dass der Strukturwandel in der öffentlichen Verwaltung nur dann die gewünschte Fahrt aufnehmen werde, wenn hohe Motivation und starke Identifikation der Mitarbeiter ihm selbst richtig Schwung verliehen. Um dieses Ziel zu erreichen, müssten die Beschäftigten und ihre Interessenvertretungen rechtzeitig bei allen Planungen und Entscheidungen mit ins Boot genommen werden. Wer wie die Landesregierung die Rechte der Personalräte schwächen wolle, verschließe die Augen vor der Erkenntnis, dass zufriedene Mitarbeiter das stärkste Kapital für die Weiterentwicklung jedes Betriebs seien.

Der öffentliche Dienst wird nur mit seinen Beschäftigten besser, nicht gegen sie
SPD-Fraktionsvize Nils Schmid kritisierte die von der CDU/FDP-Landesregierung geplanten Änderungen des Landespersonalvertretungsgesetzes als „völlig lebensfremd und rückwärtsgewandt“. Er bezeichnete es als großen Fehler, dass die Landesregierung das Potenzial einer ausgewogenen Beteiligungsstruktur links liegen lasse. „Wenn wir einen modernen öffentlichen Dienst mit leistungsorientierten, motivierten Beschäftigten wollen, dann müssen wir die Personalvertretungen stärken und ihnen wirksame Beteiligungsrechte gewähren“, betonte Schmid. Die vertrauensvolle Zusammenarbeit einer Dienststelle mit der Personalvertretung sei heutzutage ein wesentlicher Faktor für den Erfolg einer modernen Verwaltung.

Schmid, selbst promovierter Jurist, tadelte die völlig unkritische Anlehnung der Landesregierung an eine aus seiner Sicht überholte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1995. Das damalige Urteil zum Landespersonalvertretungsgesetz in Schleswig-Holstein sei von einem streng hierarchisch organisierten Behördenaufbau ausgegangen, der in den 50er und 60er Jahren den öffentlichen Dienst noch geprägt habe. „In der modernen Verwaltung von heute ticken die Uhren jedoch total anders“, sagte Schmid.

Seit der Einführung der Neuen Steuerungsinstrumente (NSI) hätten sich Struktur und Entscheidungswege deutlich gewandelt. „Dezentralisierung, Hierarchieabbau, der Abschluss von Zielvereinbarungen und die Betonung von Eigenverantwortung und Leistung sind heute Grundpfeiler des öffentlichen Dienstes, die zu Zeiten des höchstrichterlichen Urteils noch kaum eine Rolle spielten“, schrieb Schmid der Landesregierung ins Stammbuch. Ein neues Landespersonalvertretungsgesetz für Baden-Württemberg müsse in jeder Hinsicht auf der Höhe der Zeit sein und dürfe sich nicht eine überholte Rechtsprechung zum Vorbild nehmen.

Einigungsstelle muss weiterhin verbindlich entscheiden können
Die von der Regierung geplante Einführung des sogenannten Evokationsrechts hält der DGB für einen Rückfall in längst überwundene Zeiten des öffentlichen Dienstes. Nikolaus Landgraf sieht darin einen versteckten Generalvorbehalt: „Das Recht der obersten Dienstbehörde, jede Entscheidung der Einigungsstelle wegen ihrer Auswirkungen auf das Gemeinwesen aufzuheben, führt den ganzen Prozess der Mitbestimmung ad absurdum.“

In diesem Verfahren, das beispielsweise in Fragen von Arbeitszeitregelungen, bei Urlaubsplänen und bei der Lohngestaltung zur Anwendung kommt, entscheide im Streitfall bisher ein paritätisch aus Vertretern des Dienstherrn und der Personalvertretung besetztes Gremium mit einem unabhängigen Vorsitzenden. Nun solle die oberste Dienstbehörde diesen Beschluss ohne Anhörung der Beteiligten einfach aushebeln können. „In den vergangenen 50 Jahren wurde keine einzige Entscheidung der Einigungsstelle gerichtlich in Frage gestellt. Ihr jetzt pauschal die mangelnde Berücksichtigung der Gemeinwohlinteressen zu unterstellen, ist in der Sache völlig grundlos und nicht gerechtfertigt“, unterstrich Landgraf.

Der BBW machte darauf aufmerksam, dass das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber durchaus Spielraum gelassen habe. „Wenn sich Baden-Württemberg allerdings für die Einführung eines Evokationsrechts entscheidet, gibt es keinen Grund, das Beteiligungsniveau noch weiter abzusenken“, kritisierte BBW-Vorsitzender Volker Stich. Das Verfahren der vollen Mitbestimmung mit den Verhandlungen vor der Einigungsstelle eröffnet die Möglichkeit zu einvernehmlichen Regelungen, die von allen Beteiligten akzeptiert würden und damit zum sozialen Frieden in einer Dienststelle beitragen könnten.

Stich forderte daher die Landesregierung auf, bei „Maßnahmen zur Hebung der Arbeitsleistung und Erleichterung des Arbeitsablaufs“ und bei der „Einführung grundsätzlich neuer Arbeitsmethoden“ von einer Herabstufung aus der vollen in die eingeschränkte Mitbestimmung abzusehen. „Die Landesregierung und die sie tragenden Fraktionen von CDU und FDP müssen einsehen, dass die volle Mitbestimmung kein lästiges Gängelband ist, sondern ein äußerst nützliches Instrument, von dem am Ende Dienststellen und Beschäftigte gleichermaßen profitieren“, bekräftigte Stich.

Kein außerordentliches Kündigungsrecht für Dienstvereinbarungen
Als Affront gegenüber den Beschäftigten werteten die Vorsitzenden beider gewerkschaftlicher Spitzenorganisationen die im Gesetzentwurf vorgenommene Ausweitung des Evokationsrechts auf Dienstvereinbarungen im Sinne eines außerordentlichen Kündigungsrechts seitens der Dienststelle. DGB-Chef Landgraf bemängelte die Schwächung des ohnehin schon viel zu selten angewandten Instruments: „Eine einseitige Kündbarkeit aus Gründen des Gemeinwohls erlaubt es den Dienstherren, sich von sorgfältig ausgearbeiteten Kompromissen durch die Hintertür zu verabschieden.“ BBW-Chef Stich warnte, „das von den Beschäftigten in Dienstvereinbarungen gesetzte Vertrauen nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen.“ Diese einseitig zu Lasten der Mitarbeiter gehende Regelung könne man nicht mittragen, da Dienstvereinbarungen ohnehin unter Einhaltung einer Frist gekündigt werden könnten und „Auswirkungen auf das Gemeinwesen“ nicht so plötzlich vom Himmel fielen, dass ein Abwarten der Frist nicht zumutbar wäre.

SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel kündigte an, im Gesetzgebungsverfahren zur Dienstrechtsreform die von DGB und BBW vorgebrachten Kritikpunkte erneut einzubringen. „Darüber hinaus wird die SPD die bei der Kündigung in der Probezeit vorgesehene Herabstufung der Personalratsbeteiligung von der Mitwirkung in die Anhörung ablehnen, da das Argument der Verfahrensbeschleunigung nicht eine stärkere Beteiligung des Personalrats aufwiegen kann“, betonte Schmiedel.

Mitbestimmung stärken: Hohes demokratisches Gut, aber auch Produktivfaktor
Im Gegensatz zur Landesregierung will sich die SPD im Gesetzgebungsverfahren für eine Stärkung der Personalvertretungen einsetzen. Ziel sei es, einerseits ein hohes demokratisches Gut im beruflichen Alltag mit Leben zu erfüllen, andererseits den derzeitigen Strukturwandel im öffentlichen Dienst als Chance für eine Fortentwicklung der Personalvertretung zu nutzen. „Wir brauchen eine effektive Mitbestimmung und eine offensive Vertretung der Beschäftigten, um sie bei der Neuausrichtung der Verwaltung auf Leistung, Effizienz, Entbürokratisierung und Dezentralisierung auf unserer Seite zu haben“, beschrieb Schmiedel die Herausforderungen einer Dienstrechtsreform, die diesen Namen wirklich verdiene.

Studien aus der Privatwirtschaft hätten gezeigt, dass mitbestimmte Betriebe durch höhere Motivation und die Identifikation der Mitarbeiter überdurchschnittlich produktiv und innovationsorientiert arbeiteten. „Ein riesiges Potenzial, dem man Flügel verleihen muss und es nicht wie die Landesregierung leichtfertig verspielen darf“, so Schmiedel.

Einen wichtigen ersten Schritt stellt nach Ansicht Schmiedels die verfassungsrechtliche Verankerung der Mitbestimmung dar. Die Verfassungsgerichtshöfe in Thüringen und Sachsen hätten in neueren Entscheidungen auf die Grundrechtseigenschaft hingewiesen und dadurch einen Anspruch auf die ‚tatsächliche Wirksamkeit‘ der Mitbestimmung betont. Jede Gesetzgebung habe deshalb dafür zu sorgen, dass die Mitbestimmung nicht bloß auf dem Papier existiere, sondern sie auch in der Wirklichkeit ankomme und dort gelebt werden könne.

Arbeitsbedingungen für Personalräte verbessern – Beteiligungsrechte stärken
Der DGB-Landesvorsitzende Nikolaus Landgraf unterstrich, dass viele Behörden bereits annähernd wie Wirtschaftsunternehmen geführt würden und die damit einhergehenden Risiken für die Beschäftigten durch einen entsprechenden Ausbau der Mitbestimmung aufgefangen werden müssten. Eine effektive Aufgabenwahrnehmung der Personalräte setze neben ausreichenden Freistellungen aber auch entsprechende Qualifikationen voraus. „Immer öfter verwehren die Dienststellen die notwendigen Fortbildungen und betreiben eine rigide Sparpolitik auf dem Rücken der Personalräte“, kritisierte Landgraf.

Als eines der wichtigsten Zukunftsprojekte der Personalvertretungen machte Landgraf den Arbeits- und Gesundheitsschutz aus: „Durch den wachsenden Kostendruck und die Aufgaben- und Arbeitsverdichtung im öffentlichen Dienst werden präventive Maßnahmen für die Beschäftigten immer wichtiger.“ Als Voraussetzung für ein konstruktives Engagement bedürfe es allerdings einer Erweiterung des Initiativrechts der Interessenvertretungen. „Dieses Recht würde die Personalräte auf Augenhöhe mit den Dienststellen bringen“, hob Landgraf hervor.

Für einen Ausbau der Beteiligungsrechte machte sich auch der BBW stark. Sein Vorsitzender Volker Stich sah hier großes Potential: „Bei vielen Vorgängen ist die Beteiligung des Personalrats nicht explizit geregelt, wie zum Beispiel bei der Einführung von NSI oder beim Abschluss von Zielvereinbarungen.“ Hier gelte es, die ständige Weiterentwicklung im öffentlichen Dienst auch im LPVG abzubilden.

Ein wichtiges Anliegen war dem BBW die gesetzliche Verankerung der Arbeitsgemeinschaft der Hauptpersonalräte (ARGE-HPR). „Dieses Gremium hat sich in den letzten Jahrzehnten als wichtiges Bindeglied zwischen Beschäftigten, Personalvertretungen und der Landesregierung bei der Koordinierung und Interessenvertretung bewährt", so BBW-Chef Stich. Die ARGE-HPR leiste zum Beispiel bei der Entwicklung von Qualitäts- und Personalmanagement in der Landesverwaltung einen unverzichtbaren Beitrag, da die Beteiligungskultur hierbei ein wichtiger Erfolgsfaktor sei. Stich verwies auf die Gesetzeslage in Bayern, wo bei ressortübergreifenden Maßnahmen ein Rechtsanspruch auf Anhörung und Erörterung besteht.