Frau Präsidentin,

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

in Baden-Württemberg hat eines der entscheidendsten Jahrzehnte unserer bisherigen Landesgeschichte begonnen. Ein Jahrzehnt, in dem folgenreiche Entwicklungen stattfinden werden. Das sage ich aus voller Überzeugung und ohne jeden Zweifel, denn diese Entwicklungen werden auf jeden Fall erfolgen, unabhängig davon, ob wir sie herbeiführen, ob wir sie politisch begleiten oder ob sie überhaupt gewollt werden. Ein Wandel hat begonnen, dessen Ausmaße viele erst nach und nach zu begreifen scheinen. Ein Wandel, der uns in einem Maß herausfordert, wie es dieses Land seit seiner Gründung noch nie erlebt hat.

Denn obwohl es in Baden-Württemberg keineswegs bergab ging, ging es anderswo deutlich schneller bergauf. Oft waren das Länder, die man noch nie Musterländle genannt hatte. Länder, in denen man sich nicht auf einem hervorragenden Ruf ausruhen konnte. Länder, in denen man nicht von der Substanz vergangener Jahrzehnte leben konnte. Bei uns wurde das lange getan, und wir wurden eingeholt. Und bisweilen ÜBERholt. 2019 lag Baden-Württemberg bei der Breitbandverfügbarkeit auf dem letzten Platz aller Bundesländer, bei der Versorgung mit LTE und 4-G-Mobilfunk auf dem vorletzten Platz. Hier geht es um Grundlagen für die Digitalisierung, und die fehlen oft. Auch deswegen, weil man zu lange dem Märchen glaubte, der Markt alleine werde alles richten. Baden-Württemberg geht in seine dritte Legislaturperiode unter einer grün geführten Regierung. Aber an vielen Punkten ist Baden-Württemberg in all diesen Jahren nicht viel grüner geworden, erst Recht nicht, seitdem sich die Grünen mit der CDU zusammengetan haben. Bei der Zahl der Windkraftanlagen liegt Baden-Württemberg auf dem letzten Platz der großen Flächenländer. Im Jahr 2019 wurden gerade noch acht neue Anlagen errichtet. Und auch bei der Freiflächen-Photovoltaik sind wir weit hinten.

Wir können weitermachen: Baden-Württemberg blieb auch 2020 bei der Ganztagsbetreuung von Kindern zwischen 3 und 6 Jahren das bundesweite Schlusslicht, bei der Ganztagsbetreuung von Grundschulkindern ist es der vorletzte Platz, bei der Schüler-Lehrer-Relation an Grundschulen ist es wieder Platz 16 unter 16 Ländern. Ich lasse es bei dieser Aufzählung bewenden, aber Sie merken selbst: Baden-Württemberg ist bei aller Stärke nicht ohne Schwächen. Es wird nie ein Baden-Württemberg geben, dass fertig und perfekt ist und dessen Regierung die Hände in den Schoß legen könnte. Aber genau das ist zu lange passiert in diesem Land. In der Ära Kohl wurde auch in diesem Land staatliche Wirkmacht verscherbelt, staatlicher Einfluss gekappt. Und während es immer noch Konservative gibt, die diese Entwicklung begrüßen, gibt es viele grüne Politiker, die zwar gerne eine handlungsfähigere Allgemeinheit hätten, aber schlicht nicht wissen, wie das überhaupt gehen soll. Tatsächlich erkennen wir, dass wir schon lange von der Substanz gelebt haben. In ganz Deutschland und ganz besonders in Baden-Württemberg. Und was vor 20, 30 oder 40 Jahren noch spitze war, wurde nach und nach zum Durchschnitt und irgendwann armselig.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe bisher nur über die Herausforderungen gesprochen, die Baden-Württemberg allein in den vergangenen Jahrzehnten erwachsen sind. Schon diese Aufgaben sind immens, schon diese Aufgaben mahnen zum Handeln. Und schon diese Aufgaben machen klar, dass es mit einem konservativen „Weiter so“ eben nicht so weitergeht! Aber in diesem Jahrzehnt steht unser Land noch vor viel mehr Aufgaben. Gleich zwei Naturkatastrophen in Zeitlupe bedrohen uns. Da ist die Pandemie, gegen die einschneidende und teils seit über einem Jahr anhaltende Schritte nötig sind. Die zweite Naturkatastrophe in Zeitlupe ist der menschengemachte Klimawandel. Das Wort Klimaschutz haben wir so oft gehört, dass man womöglich gar nicht mehr darüber nachdenkt. Tatsächlich müssen wir das Klima natürlich gar nicht schützen, es wird immer ein Klima geben auf diesem Planeten. Aber wenn es ein Klima bleiben soll, in dem die Menschheit überleben kann, dann müssen wir dringend handeln, und zwar sehr schnell und sehr entschlossen. Und ehrlich gesagt schützen wir dabei nicht das Klima, sondern uns selbst. Das sollten sich die hinter die Ohren schreiben, die immer noch meinen, eine Klimakatastrophe sei Panikmache.

Meine Damen und Herren, zwei gewaltige Herausforderungen durch eine weltweite Pandemie und einen weltweiten Klimawandel und dazu noch ein großer Nachholbedarf wegen vergangener Versäumnisse. All das liegt vor uns. Und leider noch viel mehr. Denn zu allem kommen noch die ganz besonderen Herausforderungen für unser Land Baden-Württemberg hinzu. Ein Land, in dem Geld verdient wird, indem wir Maschinen in die ganze Welt exportieren, und viele dieser Maschinen sind Automobile. Aber die gesamte Welt, in die wir exportieren, ändert sich rasant und grundlegend, und die Welt der Automobile ganz besonders schnell und die Welt der digitalen Wirtschaft sogar noch schneller. Und es geht nicht nur darum, auf diesen Wandel zu reagieren, sondern es geht darum, ihn zu gestalten. Mit massiven Investitionen in eine gute Infrastruktur, in Wohnen, in Bildung, in einen funktionierenden Sozialstaat. Wir wissen, dass der Wandel alte Arbeitsplätze vernichten, aber neue Arbeitsplätze schaffen wird. Deswegen muss man in die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer investieren, in ihre Qualifikation und Weiterbildung. Nicht nur, damit die Menschen auch in Zukunft gute Arbeit haben, sondern vor allem auch, damit die Wirtschaft auf die schlauen Köpfe und geschickten Hände zurückgreifen kann, die sie auch in Zukunft ganz dringend brauchen wird.

Und auch hier, mitten in der Wirtschaft, gilt: Der Markt alleine wird es nicht richten, er KANN es gar nicht alleine richten. Die Allgemeinheit muss hier Hand anlegen, und das genauso dringend wie beim Klima und der Bekämpfung der Pandemie und ihrer Folgen. Die Zeit, in der wir leben, nötigt uns außergewöhnliche Umstände auf. Einen Berg an Aufgaben und Herausforderungen, den wir uns nicht ausgesucht haben, den wir aber lösen müssen. Und wir müssen ihn schnell und entschlossen lösen, denn sonst wächst er ins Unermessliche. Die Pandemiefolgen entschlossen zu mindern ist sehr teuer, aber ungemindert wären die Kosten für uns alle noch viel, viel höher. Klimaschutz umzusetzen erfordert ebenfalls sehr viel Geld, doch ein ungebremster Klimawandel wäre nicht nur menschlich untragbar, sondern auch schnell ruinös. Und viel, viel Geld wird es auch brauchen, um die Wirtschaft dieses Landes und den Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg in den Wandel zu begleiten. Doch es nicht oder nicht ausreichend zu tun, hätte auch hier katastrophale Folgen. Wir haben so viele Aufgaben wie noch nie. Und wir müssen so viel tun wie noch nie.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

das ist die Lage im Mai 2021. Das ist die Lage, in der Ministerpräsident Kretschmann uns heute die Vorhaben seiner neuen Regierung vorgestellt hat. Und ich habe große Zweifel daran, dass diese Regierung der Lage gerecht wird. Für uns Sozialdemokraten muss Politik Gesinnung und Gestaltung verbinden. Wer ohne den Kompass einer politischen Gesinnung gestaltet, der hat keine Werte und keine Ideale, der hat kein Ziel und deswegen auch keine Richtung. Wer aber nur mit Gesinnung Politik machen will, der wird immer nur wollen und nie etwas schaffen. Der wird es immer gut meinen und nie etwas Gutes erreichen. Das ist keine Politik, das sieht nur wie Politik aus. Es wäre deswegen auch unredlich, wenn ich jetzt die Gesinnung kritisieren würde, die dem Koalitionsvertrag und dieser Regierungserklärung zugrunde liegt. Denn die Dominanz der größeren Regierungspartei ist übermächtig. Über weite Strecken gibt der Koalitionsvertrag die Wünsche der Grünen wieder, und noch einmal: Viele dieser Wünsche teilen wir. Aber zwischen den Wünschen einer Partei und einem Koalitionsvertrag, zwischen Grundsatzpositionen und einer Regierungserklärung liegt ein ganz gewaltiger Unterschied: Zur Gesinnung MUSS die Gestaltung kommen.

Wer regiert, darf nicht nur das Gute wollen, er muss das Gute erreichen. Man muss anpacken.

Das ist ein ganz einfacher Punkt, doch allein er bietet schon Anlass zu grundlegender Kritik. Sie haben den Vertrag und ihre heutige Regierungserklärung unter den Titel gestellt „Jetzt für Morgen“, doch sobald man hinter dem Deckblatt ist, findet man eine ganze andere Überschrift, die sich durch alle Kapitel zieht, durch alle Themen und alle Handlungsfelder. Diese Überschrift ist nicht so schön gesetzt wie der Titel, aber man kann sie ungefähr so zusammenfassen: „Leider gibt es kein Geld“. Herr Ministerpräsident, noch ehe Ihre neue Regierung auch nur die Arbeit aufgenommen hatte, haben sie mit der CDU eine Formel gefunden, die Ihre Politik von vornherein auf die schiere Gesinnung reduziert. Wieder und wieder haben Sie schon in den Koalitionsvertrag einen politischen Disclaimer eingebaut, der das Gestalten relativiert und aus dem Fahrplan einer Regierung ein politisches Poesiealbum macht, in dem es bei schönen Worten bleibt.

Das wäre selbst in den Jahren zu wenig gewesen, in denen Baden-Württemberg quasi von alleine lief. Heute, vor diesem ungeheuren Berg an Aufgaben, ist es viel zu wenig. Und allein schon dieser Punkt wirft grundsätzliche Fragen auf:

Wollen Sie die Rettung des Klimas unter Haushaltsvorbehalt stellen?

Den Erhalt unseres Wirtschaftsstandorts? All die dringenden, dringenden Aufgaben, die wir für eine gute Zukunft dieses Landes anpacken müssen?

Ich sage es noch einmal: Wir haben Sympathien für Ihre Gesinnung, aber nicht dafür, dass die Gestaltung fehlt. Wieder und wieder haben wir erlebt, dass Sie meinen, man müsse nur eine Gesinnung vermitteln, damit sich etwas ändert. Sie stellen dann Musterprojekte vor und bilden Gesprächskreise oder laufen mal wieder zu einem Dialog. Ihr Koalitionsvertrag nennt einen Strategiedialog Automobilwirtschaft, einen Strategiedialog Bezahlbares Wohnen und innovatives Bauen einen Strategiedialog zur Zukunft der Landwirtschaft, einen Dialog und Perspektive Handwerk 2025 einen Dialogprozess Zukunftslabor Hochschulen in der digitalen Welt einen Dialog Populäre Kultur einen Dialogprozess zur Ausgestaltung der Schulträgerschaft im 21. Jahrhundert, einen Kinder- und Jugendgipfel über Pandemiebewältigung, einen Dialog Schule 2030…

Noch einmal, das ist alles schön und gut, aber dabei kann es doch nicht bleiben! Wenn die Bude brennt, brauche ich Wasser und keinen Löschdialog! Konkrete Zahlen scheuen Sie offensichtlich aus Prinzip, es bleibt bei Andeutungen, sie wollen unspezifisch stärken und ausbauen, weiterzuentwickeln und fördern und mindestens prüfen. Und das gilt sogar für die Ziele, die Ihnen doch so wichtig sind: Im Wahlkampf wollten sie noch mindestens 1000 neue Windkraftanlagen im Staatswald und auf Landesflächen, im Koalitionsvertrag heißt es jetzt „bis zu 1000“. Das ist geschmeidig denn so halten Sie auch Wort, wenn es nur 25 Anlagen sind, oder wieder nur acht, das hatten Sie ja schon mal geschafft. Klare Ansagen? Fehlanzeige. Sie wollen eine Vergabeoffensive, Sie wollen einfachere Vergabeverfahren. Sie wollen… aber wenn Sie nicht anders arbeiten, wird es beim Wollen bleiben.

Wenn wir schon beim Wollen sind. Wollen wir mal andere Themen anschauen? Die Fahrgastzahlen in den öffentlichen Verkehrsmitteln sollen sich bis 2030 verdoppeln. Das ist ein ehrgeiziges Ziel, und das wollen Sie WIE erreichen?

Zitat: „Die Landesregierung wird dieses Ziel auf Landesebene in den kommenden fünf Jahren konsequent verfolgen, die Planungen darauf ausrichten, mit Maßnahmen unterlegen und sich mit zusätzlichen Landesmitteln an der Finanzierung der ÖPNV-Offensive beteiligen“. Aha, jetzt wissen wir Bescheid.

Oder das schnelle Internet? Zitat: „Wir verstehen den Breitbandausbau als Aufgabe der Daseinsvorsorge und wollen mit einer auskömmlichen Finanzierung in den kommenden fünf Jahren dafür sorgen, dass Glasfaser überall dort verlegt wird, wo sie gebraucht wird“. Spannend ist der Zusatz, dass die Landesregierung sich vorbehält zu entscheiden, wo man Glasfaser braucht und wo nicht. Wahrscheinlich überall dort, wo es nicht von alleine klappt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

natürlich wird es diejenigen unter Ihnen geben, die all diese Disclaimer rechtfertigen, vor allem das größte Aber, das sich diese Regierung in den Weg stellt: Es gibt angeblich kein Geld. Und wer dann widerspricht, der hört die Glaubensbekenntnisse aus der Sekte der Schwarzen Null und die schöne Geschichte von der schwäbischen Hausfrau, die ja angeblich immer nur das ausgibt, was sie im Haushaltskässle hat. Ich hatte das große Glück, von einer schwäbischen Hausfrau großgezogen zu werden, und ich kann Ihnen eines sagen: Wenn es um Süßigkeiten ging, hat diese Frau in der Tat erst einmal ins Haushaltskässle geschaut. Aber wenn es bei uns durchs Dach geregnet hätte, dann hätte man das Dach gerichtet. Und wenn gerade nicht genügend Geld im Kässle gewesen wäre, dann hätte man sich Geld besorgt. Denn wenn eine Hausfrau so einen Schaden nicht behebt, weil sie gerade kein Geld dafür übrig hat, dann nimmt sie einen viel größeren Schaden in Kauf, der noch viel, viel teurer wird. Und das ist das nicht schwäbisch, sondern dumm!

Für die Wirtschaft in unserem Land war es eine enorme Hilfe, dass die Bundesregierung angesichts der Coronafolgen nicht vor dem Haushaltskässle gezaudert hat. Insbesondere SPD-Minister wie Olaf Scholz und Hubertus Heil haben mit gewaltigen Mitteln die schlimmsten Folgen bisher gut verhindern können, und das zahlt sich schon jetzt aus. Auch und gerade in Baden-Württemberg, wo viele Firmen trotz aller Schwierigkeiten noch stabil auf den Beinen stehen und deswegen ihrerseits wieder für finanzielle Möglichkeiten des Landes sorgen. Da muss doch klar sein, dass diese Strategie nicht in Berlin gut ist und in Stuttgart schlecht! Es kann nicht sein, dass diese Landesregierung genau dann auf Handlungsfähigkeit verzichtet, wenn sie nötiger ist als seit Jahrzehnten. Dann muss man den Haushalt durchstöbern, dann können Ministerien keine milliardenschweren Ausgabereste horten. Dann muss man prüfen, ob die Mittel einer Landesstiftung aus ihrem ohnehin zweifelhaften Gefäß gelöst werden können. Und wenn es sein muss, dann darf auch eine Verschuldung nicht von vornherein ein Tabu sein. Genau für solche Fälle haben wir die Schuldenbremse doch für Naturkatastrophen geöffnet. Und was bitte soll die Pandemie anders sein als eine Naturkatastrophe? Und was bitte wäre eine Klimakatstrophe anderes?

Wir haben JETZT zu tun, und wenn wir nicht JETZT handeln, werden die Kosten noch weit, weit höher werden. Wer das nicht verstanden hat, der hatte in Volkswirtschaft null Punkte. Wahrscheinlich eine schwarze Null. Und wenn die grün-schwarze Koalition schon beim Titel Anleihen bei der SPD macht, dann doch bitte vollständig: „Das Wichtige jetzt“ hieß es bei uns, bei Ihnen „Jetzt für Morgen“. Sie haben das Wichtige weggelassen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

unsere Enttäuschung über den Start dieser Regierung ist auch deswegen so ausgeprägt, weil es durchaus Punkte gibt, an denen die neue Regierung konkrete und auch aus unserer Sicht gute Vorstöße vorlegt. So haben Sie beim Thema Ausbildungsgarantie und Mindestlohn mehr oder minder Positionen übernommen, für die sich die SPD schon lange stark gemacht hat. Ich will deswegen auch gar nicht darauf herumreiten, dass Teile der neuen Regierung diese Positionen vor gar nicht langer Zeit für verfassungswidrig hielten, damals, als es noch reine SPD-Positionen waren. Für die Auszubildenden und die Beschäftigten ist das ein gutes Vorhaben, das Ergebnis begrüßen wir und wir begrüßen auch, dass der Koalitionsvertrag an diesem Punkt so konkret ist, wie wir uns das an vielen anderen Punkten auch wünschen würden. Bei der Behebung der Wohnungsnot zum Beispiel: Auch her bleibt uns allen viel zu viel bei Prüfaufträgen und unverbindliche Erklärungen, es gibt schon wieder einen Strategiedialog und ein paar Förderprogramme und Innovationsimpulse und Beratung durch ein Kompetenzzentrum Wohnen.

Noch einmal: Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum ist an vielen Orten im Land massiv geworden, Baden-Württemberg belegt einen traurigen Spitzenplatz unter allen Bundesländern. Das schadet dem Standort, das schränkt uns in unserer Lebensführung ein und es sorgt mitten im Ringen um den Klimaschutz für riesige Pendlerströme, die Straßen und Züge verstopfen. Das Thema Wohnungsbau ist so drängend wie es zuletzt nach dem Zweiten Weltkrieg war. Aber damals wurde es eben noch gelöst von der Politik, der Staat baute im großen Stil Wohnungen, das war auch für die CDU keine Frage damals. So wurde die Wohnungsnot behoben, nicht mit einem Kompetenzzentrum. Mehr Entschlossenheit ist auch heute möglich: Bayern hat seit 2018 jährlich bis zu 880 Millionen Euro für die Wohnraumförderung bereitgestellt.

Soziale Aspekte kommen uns auch dort zu kurz, wo es um die Schulen geht. Und das schon bei den Pandemiefolgen. Wieder und wieder hat man den Eindruck, als begreife die Landesregierung das, was nun schon seit über einem Jahr an unseren Schulen geschehen ist, als einen reinen Ausfall von Bildungsvermittlung. Wieder und wieder geht es nur um „Lernlücken“ und Unterrichtsstoffe. Dabei geht es um so viel mehr. Einer Dreizehnjährigen fehlen aber mehr als acht Prozent ihres bisherigen Lebens in normalen Umständen. Für einen Siebzigjährigen wären das sechs Jahre Lockdown! Und das in einer Entwicklungsphase, in der das übliche soziale Miteinander ungeheuer wichtige Weichen stellt. Im Jahr 2020 hat Professor Ludger Wößmann vom ifo-Institut die Folgen eines Jahres mit nur einem Drittel Ausfall des üblichen Schullebens projiziert und kam auf erschreckende Zahlen. Ein Prozentpunkt weniger Beschäftigungswahrscheinlichkeit, Einkommensverluste bis zu 4 Prozent. Über das Lebensalter der betroffenen Jahrgänge könnte das gesamtwirtschaftliche Verluste in Billionenhöhe ausmachen. Billionen!

Wie reagiert man auf so etwas angemessen? Die Niederlande haben rund eineinhalbmal so viel Einwohner wie Baden-Württemberg. Dort wurde ein Bildungsproramm gegen die Corona-Folgen aufgelegt, das mit 8,5 MILLIARDEN Euro ausgestattet ist. Und das bei Schulen, die besonders bei der digitalen Ausstattung schon heute in einer ganz anderen Liga spielen als wir. Auch bei diesem Thema gilt: Es gibt begrüßenswerte Vorhaben der neuen Regierung, vor allem ein professioneller Support für die digitale Technik an Schulen, aber auch der Ansatz, mehr Unterstützerinnen und Unterstützer an die Schulen zu bekommen. Wir können aber auch hier nur eindringlich dazu auffordern, die Aufgaben an den Schulen nicht eine Sekunde zu unterschätzen und die Herausforderungen für die Bildung bedingungslos nachhaltig anzugehen. Es geht nicht darum, Lücken zu stopfen und dann wieder loszulassen. Die Aufgaben an unsere Bildungseinrichtungen sind immens und massiv entscheidend für die Zukunft dieses Landes. Das gilt unter wirtschaftlichen Aspekten wie unter sozialen Gesichtspunkten. Anders gesagt: Wenn Sie sich Sorgen um den Zusammenhalt der Gesellschaft machen, dann ist gute Bildung und Betreuung auch hier die beste Vorsorge. Und ja, ein Land, das beste Bildung will, muss diese auch kostenlos und vom ersten bis zum letzten Tag anbieten. Wenn Sie die Kita-Gebühren sozial staffeln wollen, haben Sie immer noch nicht begriffen, um was es geht: Es geht um Bildungsgerechtigkeit, es geht um eine dringend nötige Entlastung von Familien, es geht auch um einen Konjunkturimpuls, der bei jungen Familien erheblich wäre und sich volkswirtschaftlich ein gutes Stück bezahlt machen würde. Und genauso verhält es sich mit dem lebenslangen Lernen.

Es ist keine Kür, sondern Pflicht, es ist kein Almosen, sondern eine unverzichtbare Investition, die sich entscheidend auf die Zukunft unseres Landes auswirken wird. Es bleibt nur zu hoffen, dass ihre angekündigte Weiterbildungsoffensive sich nicht in schönen Worten erschöpft. Die Transformation unserer Wirtschaft kann nur gelingen, wenn die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mitgenommen werden, sie kann nur gelingen, wenn es ausreichend qualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gibt. Und wer jetzt bemerkt, dass ich öfter „Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer“ sage: ich gleiche nur ein wenig den grün-schwarzen Koalitionsvertrag aus, da sind diese Wörter nämlich echte Raritäten, und auch das besorgt uns bei der SPD. Auch bei den Verkehrsplänen hätten wir uns mehr Entschlossenheit gewünscht. Immerhin ist ein 365-Euro-Ticket wenigstens für Schüler, Azubis und Studenten denkbar, und die Möglichkeit einer Nahverkehrsabgabe soll gegeben werden. Aber öffentlicher Nahverkehr funktioniert nicht ohne die öffentliche Hand, und wenn mehr ÖPNV sozusagen Staatsziel ist, dann muss der Staat auch hier die Hände aus den Taschen nehmen und darf nicht schon wieder alles nach unten wegdelegieren.

Eine Koalition muss Kompromisse aushandeln und manchmal auf den kleinsten gemeinsamen Nenner kommen. Unsere Kritik ist aber, dass dieser kleinste gemeinsame Nenner bei Grünen und CDU so nichtig war, dass man ihn in einem Wust aus Unverbindlichkeiten getarnt hat. Und selbst diese Unverbindlichkeiten werden noch ausnahmslos unter Vorbehalt gestellt. Frei nach dem Motto: „Wir haben nicht viel vor, aber auch das könnte nichts werden.“ Kein Wunder, dass die CDU keine Angst hat, so viel schlucken zu müssen. Man hat einen Speiseplan geschrieben, aber die Küche bleibt zur Sicherheit verschlossen und Zutaten hat man auch nicht. Da wird es nicht viel zum Schlucken geben. Bleibt also die Frage, was Grüne und CDU am Ende zusammenbringt. Und einzig diese Frage ist zum Start der schwarz-grünen Neuauflage restlos geklärt, ganz konkret und handfest: Regieren um des Regierens willen, für viele schöne Posten und eine aufwendige Machtarithmetik. Gleich mal ein neues Ministerium mit wenig Daseinsberechtigung und umso mehr Stellen, dazu eine Rekordzahl an Staatsekretärinnen und Staatssekretären. Die, sagt uns der Ministerpräsident, sind nötig, um besser mit den Menschen sprechen zu können. Wenn er das wirklich glaubt, dann verstehe ich auch die Explosion an Dienstwagen, damit wollen Sie sicher die Autoindustrie ankurbeln! Dass all das überhaupt nicht zu den angeblich so klammen Kassen passt, die hinter alle Vorhaben ein dickes Fragezeichen setzen? Augen zu und durch und noch zwei dutzendmal „Erneuerung“ sagen, wird schon keinem auffallen, oder?

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

die Fortführung der grün-schwarzen Landesregierung war nicht alternativlos, aber die Alternative scheiterte ganz offensichtlich am Unbehagen, sich einem Berg von Aufgaben zu stellen, über den eine mögliche Ampel nicht hätte hinwegsehen können. Dass man sich hinsichtlich der Regierungsziele für eine kleine Lösung entschied ist enttäuschend genug, dass man aber nicht einmal diese Ziele mit Entschlossenheit angeht, ist ein Unding. Dabei kann und darf es in der ersten Hälfte dieses so entscheidenden Jahrzehnts nicht bleiben. Meine Rede soll eine Erwiderung sein auf die Regierungserklärung, aber wenn ich es nur beim Erwidern belassen hätte, wäre sie sehr kurz geworden. An vielen Stellen gibt es nichts, auf das man überhaupt etwas erwidern könnte. Was soll ich zu den Konsequenzen für unser Gesundheitswesen sagen, über die wir vor einem Jahr zu Beginn der Pandemie so viele und deutliche Bekenntnisse gehört haben? Nicht einmal Halbsätze haben wir gestern gehört über all die Ärzte und Pflegekräfte, über den ruinösen wirtschaftlichen Druck in den Kliniken, die bizarr übertriebenen Dokumentationen, die dürftige Bezahlung vieler Fachkräfte. Auch nichts über die Gesundheitswirtschaft als wichtigen Faktor im Land. Im Koalitionsvertrag steht dazu… richtig, ein paar Zeilen Unverbindlichkeiten. Und ein weiterer Strategiedialog. Diese Regierung beschwört den Neustart, aber sie startet mit angezogener Parkbremse und verweist darauf, dass die Batterien leider fast leer sind. Sie lässt viele wichtige Handlungsfelder außen vor und geht nicht einmal die selbst gewählten Themen entschlossen an.

Vor diesem Land liegt ein gewaltiger Berg an Aufgaben, aber diese Landesregierung hat keinen Bagger mitgebracht, um den Berg abzutragen. Nicht einmal Schaufeln. Stattdessen zückt sie entschlossen den Teelöffel.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

die SPD wird mit all ihren Möglichkeiten darauf drängen, dass in unserem Land die vielen nötigen und dringenden Aufgaben angegangen und gelöst werden. Wir werden nicht akzeptieren, dass sich die oberste Vertretung unseres Gemeinwesens um das nötige Handeln herumdrückt. Und es spielt für uns keine Rolle, warum man sich um das Handeln drückt. Wer meint, es sei genug, mit einer guten Gesinnung die Hände in die Taschen zu stecken, erreicht auch nicht mehr als der, der die schwarze Null und den Stillstand anbetet.

Die SPD wird darauf drängen, dass Baden-Württemberg alles bekommt, was es in den kommenden Jahren bekommen muss.

Genug Entschlusskraft für die richtigen Entscheidungen,

genug Tempo im Wettbewerb und im Kampf gegen den Klimawandel.

Genug Verstand, um in Bildung, Gesundheit und Forschung zu investieren.

Genug Tatkraft, um die Pandemiefolgen zu beheben und unser Land fit für die Zukunft zu machen.

Genug Gemeinsinn, damit unser Land auch in Zukunft ein soziales Land für alle bleibt, mit guter Arbeit, bezahlbaren Wohnungen und Chancen für alle.

Und GENUG GELD, um all das leisten zu können.

Die neue Landesregierung sagt, sie will eine enkelgerechte Haushaltspolitik.

Wir wollen ein enkelgerechtes Land.

Es gilt das gesprochene Wort.