Frau Präsidentin,

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

An manchen Stellen hielt sich die Begeisterung in Grenzen, als Baden-Württemberg Funktion und Stelle des Beauftragten der Landesregierung gegen Antisemitismus eingerichtet hat. Es ist immer klar gewesen, dass jede Frau und jeder Mann in dieser Funktion bei gewissenhafter Arbeit hässliche Flecken unserer Gesellschaft zeigen wird. Flecken, über die manche in diesem Land oft lieber hinwegsehen wollen.

Dr. Michael Blume, dem man für seine Arbeit und sein Engagement nicht genug danken kann, hat seinen Zweiten Bericht im Juli vorgelegt. Hätten wir damals über den Bericht gesprochen, hätten wir vielleicht wieder gehört, es gäbe ja auch drängendere Probleme, andere wichtige Themen…

Ich glaube, unter den demokratischen Kräften dieses Landes sind diese Stimmen seit dem 7. Oktober verstummt. Was wir seither erleben mussten, macht die hässlichen Flecken des Antisemitismus nicht nur endgültig unübersehbar. Was wir erleben zeigt auch, mit welchem erschreckenden Tempo sich diese hässlichen Flecken ausbreiten können und wie schnell daraus ganz grausige Gewächse emporschießen.

Ja, ich musste immer wieder an Schimmel denken bei diesen hässlichen Flecken. Wir haben oft genug geweißelt, aber irgendetwas steckt noch in der Mauer und drückt immer wieder durch. Ich will heute ganz bewusst weniger über die Symptome und mehr über die Ursachen reden.

Denn die Symptome sind bekannt: Schon unmittelbar nach den beispiellosen Angriffen auf Menschen in Israel am 7. Oktober spürte man in unserem Land nicht annährend das Mitgefühl, das bei anderen schrecklichen Terroranschlägen aufkam.

Viel schneller als jemals sonst hieß es „Ja, schlimm, ABER…“.

Und seit den Antworten des israelischen Militärs mischt sich verständliche Sorge um palästinensische Zivilisten und auch die keineswegs illegale Kritik an der Strategie der israelischen Regierung in eine Brühe aus Hass, Lügen und Hetze, in ein Gebräu aus Verschwörungsmärchen, Rassismus und Antisemitismus, mit blankem, purem Judenhass.

Was wir tun müssen, ist klar: Nichts, gar nichts rechtfertigt, dass sich jüdische Menschen in unserem Land eingeschüchtert oder gar bedroht fühlen. Wenn Menschen in unserer Mitte sich nicht mehr trauen, eine Kippa zu tragen, wenn koschere Geschäfte beschmiert werden. Wenn das Wort „Jude“ auf Schulhöfen als Beschimpfung benutzt wird – dann ist das genau das, was wir nie wieder sehen wollten in diesem Land.

Nie wieder! Und da darf es kein Wenn und Aber geben!

Und ja: Gegen diese Detonation eines offenen Antisemitismus ist die Strenge unserer Gesetze gefragt. Keine Toleranz, auch nicht dort, wo wir sonst gerne tolerant sind. Antisemitismus und Judenhass sind keine Folklore fremder Kulturen, keine Inhalte anderer Religionen. Wer das behauptet, irrt oder lügt. Und wir werden beides nicht dulden.

Aber der Bericht von Michael Blume, über den wir heute reden wollen, behandelt auch nicht nur die Symptome, sondern er weist uns eben auf Ursachen hin. Er zeigt nicht nur auf die hässlichen Flecken, er ruft nicht nur „wegmachen!“. Er fragt, woher diese hässlichen Flecken kommen, warum sie wieder und wieder entstehen.

Und schon dieser Bericht zeigt klipp und klar: Ja, wir müssen auch etwas gegen einen zugewanderten Antisemitismus machen. Aber es ist verlogen, so zu tun, als kämen die aktuellen Wucherungen nur aus Kreisen von Zuwanderern, von Muslimen.

Der Bericht zeigt uns auch: Wir haben einen Leerraum gelassen um das jüdische Leben in unserem Land. Ein Leerraum aus Scheu vielleicht, vielleicht auch aus Schuldgefühl. Dieser Leerraum ist groß, und Menschen jüdischen Glaubens erzählen, man könne ihn durchaus spüren. Schlimm.

Aber noch schlimmer ist: Wenn wir diesen Leerraum nicht füllen, besetzen ihn andere, und sie werden die Unkenntnis durch Unsinn ersetzen.

So entsteht dann ein bräunlicher Brei, in dem Juden eine Rasse sind, es keinen Unterschied gibt zwischen Judentum und dem Staat Israel gibt. In dem sogar krudeste Verschwörungstheorien aus dem Mittelalter immer wieder aufgewärmt werden können.

Selbst ein deutscher Fernsehphilosoph erzählt Unwahrheiten über Vorschriften für gläubige Juden. Über keine andere Religion wird so viel Blödsinn erzählt. Diesen Leerraum zu füllen ist eine Aufgabe für Einheimische und Zugewanderte, auch für alle Musliminnen und Muslime, die eben keine radikalen Positionen vertreten.

Es ist eine Aufgabe für uns alle. Und auch für den Staat. Und der Staat ist nicht nur Polizei, sondern auch Pädagogik.

Wir sehen die hässlichen Flecken, und wir sehen, dass wir mit dem Streichen und Verputzen immer nur eine Zeitlang Erfolg haben. Wenn die hässlichen Flecken nicht immer wieder kommen sollen, müssen wir an die Mauer, zum Trockenlegen.

Wir müssen breiter vorgehen. Ja, es ist eine gute Idee, das Amt des Landesbeauftragten zu erweitern. Wenn wir nachhaltig GEGEN Antisemitismus vorgehen wollen, müssen wir auch etwas FÜR das Verständnis von jüdischem Leben tun. Wer eine Schule in diesem Land bis zur Hochschulreife besucht, wird laut Lehrplan mehrfach über die Nazis und die Shoa unterrichtet, dafür sind Wochen und Monate vorgesehen und das ist gut so.

Aber wäre es nicht auch gut, unsere Schulen würden elementar und grundsätzlich über alle Religionen aufklären? Nicht nur in Sonderaktionen wie heute, nicht nur mit einem Israel-Austausch hier und da oder mit einem Besuch in der Synagoge in den Projekttagen. Nein, im Lehrplan, in einem Ethikunterricht.

Ab der Grundschule. Und über ALLE Religionen, auch den Islam, auch das Judentum. Auch über die eigene Religion hinaus.

Das wäre elementar wichtig für eine Gesellschaft, die immer vielfältiger wird. Und es wäre elementar hilfreich im Kampf gegen Antisemitismus. Je mehr ich über das Judentum Bescheid weiß, desto immuner bin ich gegen Lügen und Hetze. Desto eher verstehe ich, dass eine Synagoge keine staatliche Vertretung Israels ist.

Die Arbeit von Dr. Michael Blume als Beauftragter des Landes war noch nie wichtiger als heute, sein Engagement ist nötiger denn je. Es ist darum nicht nur geboten, sein Amt und seine Funktion zu erweitern. Es ist nicht nur geboten, diesem Amt selbst die nötigen zusätzlichen Mittel in die Hand zu geben und seine Initiativen dauerhaft und nachhaltig zu unterstützen.

Nein, es muss uns auch etwas Wert sein, die hässlichen Flecken des Antisemitismus in unserem Land nicht zur wegzwischen, sondern sie ein für alle Mal auszutrocknen. Es muss uns auch finanziell etwas wert sein.

Antisemitismus hat viele hässliche Gesichter, von dem Gefasel über Zionistische Verschwörungen bis zum blanken Hass islamistischer Eiferer. Von Märchen aus der Zeit der Pest bis zum „Schuldkult“ der äußersten Linken.

Antisemitismus ist bestens organisiert und in ganz alten und ganz neuen Medien zuhause. Es gibt ihn auf dem Flohmarkt als Nazi-Buch und auf Tiktok als Anti-Juden-Meme. Es gibt ihn aus Unkenntnis, aus Dummheit und aus böser Absicht.

Auf all das müssen wir eine Antwort finden.

Bildung wird eine der wichtigsten Antworten sein.

Danke.