MdL Frieder Birzele: „In Baden-Württemberg gab es bisher noch kein einziges erfolgreiches Volksbegehren – ich fordere die Regierung deshalb eindringlich auf, ihren Widerstand gegen mehr direkte Demokratie endlich aufzugeben“
MdL Rosa Grünstein: „Das Instrument des Bürgerentscheids entwickelt sich immer mehr zu einer stumpfen Waffe – diese Entwicklung wollen wir mit unserem Gesetzentwurf stoppen und gleichzeitig zu neuem Engagement ermutigen“
Gesetzentwürfe der SPD-Fraktion für mehr Bürgerbeteiligung
Die SPD-Landtagsfraktion hat mit zwei Gesetzentwürfen einen neuen Vorstoß zur Stärkung der Bürgerbeteiligung auf kommunaler und auf Landesebene unternommen. Nach den Worten des Landtagsvizepräsidenten Frieder Birzele und der innenpolitischen Sprecherin der Fraktion, Rosa Grünstein, sollen die demokratischen Mitwirkungsmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger im Land erheblich ausgeweitet und die bisher sehr hohen Beteiligungshürden deutlich abgesenkt werden. Neu eingeführt werden soll nach dem Willen der SPD das Instrument der „Volksinitiative“. „Demokratie ist auf aktive, interessierte und verantwortungsbewusste Bürgerinnen und Bürger angewiesen. Ein Mehr an direkter Bürgerbeteiligung führt auch zur Festigung und Belebung der parlamentarischen Demokratie“, sagten die SPD-Abgeordneten vor der Presse.
Änderung der Landesverfassung: Volksinitiative, Volksbegehren, Volksabstimmung
Der frühere Innenminister Frieder Birzele wies darauf hin, dass es in Baden-Württemberg wegen der hohen Beteiligungshürden bisher noch kein einziges erfolgreiches Volksbegehren gab. Er forderte die Regierung deshalb eindringlich auf, ihren Widerstand gegen mehr direkte Demokratie endlich aufzugeben und dem Gesetzentwurf der SPD zuzustimmen. Der Gesetzentwurf der SPD-Fraktion zur Änderung der Landesverfassung regelt sowohl die Einführung des Instrumentariums der Volksinitiative als auch wesentliche Erleichterungen für Volksbegehren und Volksentscheid.
Nach den Vorstellungen der SPD können fünfzigtausend Stimmberechtigte eine Volksinitiative starten. Dann muss sich der Landtag mit dem von der Initiative vorgelegten Gesetzentwurf befassen. Die Vertrauensleute der Initiative haben das Recht auf Anhörung. Kommt das beantragte Gesetz innerhalb von acht Monaten nicht zustande, können die Vertrauensleute der Volksinitiative die Durchführung eines Volksbegehrens einleiten. Damit ein solches Volksbegehren auf den Weg kommt (Einbringungsquorum), müssen ihm innerhalb von sechs Monaten 5 Prozent der Stimmberechtigten, also derzeit ungefähr 360.000 Menschen, zustimmen.
Bei der Volksabstimmung (Abstimmung über das Volksbegehren) soll allein die Mehrheit der abgegebenen Stimmen entscheiden, wenn sich mindestens zwanzig Prozent der Stimmberechtigten an der Abstimmung beteiligt haben. Bisher war dafür die Zustimmung von 30 Prozent erforderlich. Bei verfassungsändernden Gesetzentwürfen soll eine Zwei-Drittel-Mehrheit der Abstimmenden ausreichen, wenn sich mindestens vierzig Prozent der Stimmberechtigten an der Abstimmung beteiligt haben. Bisher war dafür die Mehrheit der Stimmberechtigten erforderlich.
Birzele: „Die verfassungsrechtlichen Hürden für die Volksgesetzgebung haben sich in Baden-Württemberg bisher als zu hoch erwiesen. Die positiven Erfahrungen in anderen Bundesländern und die Bemühungen auf Bundesebene zur Einführung von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid, die im Bundestag bisher am Widerstand von CDU und CSU gescheitert sind, sind Anlass genug, auch in der baden-württembergischen Landesverfassung die Weichen in Richtung ‚mehr Bürgerdemokratie’ zu stellen.“ Mit dem Quorum beim Volksbegehren von 5 vom Hundert der Stimmberechtigten könnte das Land sogar zum Vorreiter in Sachen direkter Demokratie werden.
Änderung der Gemeindeordnung
Die innenpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion, Rosa Grünstein, erläuterte die Einzelheiten zum Gesetzentwurf ihrer Fraktion, der auf die Stärkung der Mitwirkungsrechte auf kommunaler Ebene abzielt. Dieser Entwurf orientiere sich aus guten Gründen an dem Vorschlag des Gemeindetags Baden-Württemberg vom März 2002, der von einer überparteilichen Expertenkommission erarbeitet wurde und auch vom Städtetag sowie vom Landkreistag unterstützt werde.
Grünstein: „Wir haben bei diesem Gesetzentwurf unsere weiter gehenden Vorstellungen bewusst zurückgestellt und den Vorschlag des Gemeindetags zugrunde gelegt, um die Chancen für eine überparteiliche Zustimmung im Landtag zu erhöhen. Den vielen Vertröstungen und Ankündigungen müssen jetzt endlich Taten folgen.“
Bisherige Versuche der SPD-Landtagsfraktion – auch in der vergangenen Legislaturperiode -, die direkte Demokratie auf kommunaler Ebene zu stärken, seien stets an der undemokratischen Blockadehaltung von CDU und FDP gescheitert. Grünstein äußerte die Hoffnung und die Erwartung, dass nun zumindest die FDP zu ihrem Wort steht und im Landtag dem Gesetzentwurf für „mehr Demokratie“ zustimmt. Sie verwies darauf, dass z.B. FDP-Fraktionschef Pfister unmittelbar nach Vorlage des Vorschlages des Gemeindetages angekündigt hatte, diesen Vorstoß aufzugreifen. Zudem habe Pfister erst vor wenigen Tagen (Südkurier vom 26. Juli 2002) angekündigt, die FDP wolle mit der Parole „Mehr Demokratie“ in den Herbst „durchstarten“ und dabei vor allem dafür eintreten, dass „die Hürden für Bürgerbegehren und -entscheide niedriger gelegt“ werden.
Einzelheiten zur kommunalen Ebene
Das Entscheidungsquorum für Bürgerentscheide soll laut Gesetzentwurf der SPD von derzeit 30 auf 25 Prozent der Stimmberechtigten abgesenkt werden. Ferner soll die Beschränkung von Bürgerentscheiden auf „wichtige Gemeindeangelegenheiten“ (§ 21 Abs. 1 Gemeindeordnung) und der damit verbundene „Positivkatalog“ künftig entfallen. Damit soll einer jahrzehntelangen Abgrenzungsdiskussion über die zulässigen Themen eines Bürgerentscheids ein Ende gesetzt werden. Grünstein: „Der Gemeinderat bzw. die Bürgerinnen und Bürger sollen selbst entscheiden, welche kommunalen Angelegenheiten wichtig sind und wie damit verfahren wird.“ Gleichzeitig soll der „Negativkatalog“ des § 21 Abs. 2 GemO um zwei Entscheidungsgegenstände erweitert werden. Bürgerbegehren und Bürgerentscheide zu Satzungen etwa, die einen Anschluss- oder Benutzungszwang regeln, sollen demnach künftig nicht möglich sein. Zur Stärkung der Mitwirkungsrechte auf kommunaler Ebene sollen nach dem vorliegenden Gesetzentwurf zudem die sachgerechte Unterrichtung der Bürgerinnen und Bürger sowie die Informationsmöglichkeiten der Initiatoren des Bürgerbegehrens verbessert werden.
Damit anstehende Bürgerbegehren und Bürgerentscheide von der Verwaltung nicht unterlaufen werden, dürfen Gemeindeorgane nach dem SPD-Gesetzentwurf keine „dem Entscheidungsgegenstand entgegenstehende Maßnahmen“ mehr treffen, sobald die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens festgestellt ist. Verkürzt und damit bürgerfreundlicher geregelt wird auch die sog. Ausschlussfrist. Danach sind Bürgerbegehren zu solchen Angelegenheiten ausgeschlossen, zu denen innerhalb des vergangenen Jahres schon einmal ein Bürgerentscheid aufgrund eines Bürgerbegehrens stattgefunden hat. Bisher betrug diese Ausschlussfrist drei Jahre.
Grünstein: „In einer Demokratie müssen die Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit haben, bedeutsame Sachfragen ihrer örtlichen Gemeinschaft mit zu entscheiden. Dafür wollen wir mit dem vorliegenden Gesetzentwurf die rechtlichen Voraussetzungen schaffen. Baden-Württemberg hat zwar eine lange Tradition bei kommunalen Bürgerentscheiden, aber es gibt die unübersehbare Tendenz, dass sich dieses Instrument der direkten Demokratie mehr und mehr zur stumpfen Waffe entwickelt. Diese Entwicklung wollen wir mit unserem Gesetzentwurf stoppen und damit gleichzeitig alle Bürgerinnen und Bürger zu neuem Engagement ermutigen.“
Pressesprecher